Erhöhte Krankheitsanfälligkeit in russischer Großstadt
Immer, wenn ich Russland besuchte in den letzten Jahren, bin ich bald krank geworden, bekam Halsschmerzen, Schnupfen und Husten, auch wenn Sommer war. Man schwitzt und in der Metro erzeugen die Untergrundbahnen Wind. Das Immunsystem ist geschwächt. Man braucht viel mehr Aufmerksamkeit, wenn man sich allein durch die Stadt bewegt. Die Luftverunreinigung ist enorm. Das Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist in St. Petersburg und Moskau stressiger als in Berlin. Einmal sind es die häufigen Verkehrsstaus, vor allem aber die vollen Busse. Ein Grund sind natürlich Sprachbarrieren. Polizisten (um noch einen Stressfaktor zu nennen) sah ich hier seltener als in meiner deutschen Heimat. Stressig empfindet man es schnell, wenn man von ihnen gestoppt wird und der Reisepass kontrolliert wird, ohne dass man ihnen irgendeinen speziellen Anlass geliefert hat. Sie suchen sich gezielt Ausländer bzw. solche, die wie Ausländer aussehen, aus. Das ist für sie erfolgversprechender, als darauf zu achten, ob die Leute bei rot den Newski überqueren ...
Vitaminmangel
Also die Vitamine im Essen meiner Gastgeber reichten mir nicht. Mich dürstete nach Frischem.
Meinen Gastgebern blieb das nicht verborgen, sie hatten mich auch gefragt, wie ich mich ernähre, zumal wenn ich keinen Appetit verspürte. Meine Reste bekam der rote bösartige Kater, der sich, obwohl er sich in mein Zimmer schlich und auf meine Sachen setzte und mich nicht an sie heranließ, trotzdem nichts daraus machte, sich, wenn ich in der Küche am kleinen Tisch an der Wand aß, vor mich hinzupflanzen und zu betteln. Aber die Frauen stellten nicht ihre Essgewohnheiten um, machten für mich keine Extrawurst. Mir war es auch peinlich, von Ihnen zu verlangen, dass der Tisch so gedeckt wurde, wie ich es von zu Hause aus gewohnt bin.
Wenn Früchte gekauft wurden, dann vor allem, um aus ihnen Marmelade oder Konfitüre (Warenje) zu kochen, die möglichst bis zur nächsten warmen Jahreszeit reichen soll, wenn der Sommer vorbei ist und alle verfügbaren Gläser verbraucht sind. Die Konfitüre wird dann auf dem Balkon gelagert, der, mit Fenstern versehen, außer als Wäschetrockenplatz auch als Lebensmittel-Vorratskammer dient. Dass ist typisch für eine Wohnung im "Neubau".
Und so brachte ich öfters Vitamine vom Markt in der Nähe der Metrostation im Stadtteil, in dem ich wohnte, zum Sofortverzehr mit zu meinen Gastgebern: Erdbeeren, rote Johannisbeeren, Aprikosen, Äpfel, Petersilie für den Salat. Für das Frühstück kaufte ich Müsli und Milch. - Die Mutter hatte für Müsli erst nichts übrig, probierte aber davon und ich erklärte ihr, wie gesund das ist.
Als ich im nächsten Sommer nochmal bei Ihnen zu Gast war, sagte mir die Mutter, dass Müsli jetzt ab und zu auf ihrem Frühstückstisch stehe und es ihr gut schmeckt.
Gewagte These
Dass so viele russische Frauen im reiferen Alter so dick sind, liegt, meine Theorie, eben daran, dass sie sich zu fettreich und kalorienreich ernähren, weil gesunde kalorienarme Nahrung zu teuer ist. Ach so - warum nur die Frauen? Vielleicht achte ich bei den Männern weniger darauf. Jedenfalls war für mich immer wieder der Unterschied zwischen jungen und älteren Frauen, was den Hüftumfang betrifft, auffälliger als in meiner Heimat Deutschland. Es ist nur so ein Eindruck.
Wenn an dieser Wahrnehmung etwas richtig sein sollte (Wer will das überprüfen?), liegt es vielleicht daran, dass sich die ungesunde Ernährungsweise erst nach vielen Jahren auszahlt, wenn die Kinder geboren sind und zur Schule gehen. Je älter man wird, desto weniger körperliche Bewegung?! ... desto mehr entschwindet das Bedürfnis, sich attraktiv für Männer zu halten oder entschwindet die Hoffnung, (wieder) einen attraktiven Mann zu finden?! Mit der durch gewachsene Lebenserfahrung zunehmenden Resignation in breiten Bevölkerungskreisen wird wohl auch die Selbstdisziplin schwächer, sich gesund zu halten. Ein den Russen von außen wohl häufig zuerkannter Zug ist deren Melancholie. Diese harmoniert, meine ich, ganz gut mit Resignation oder ist letztere eine Folge der ersten.
Also wenn Sie in einer Familie zu Gast sind und ihnen fällt auf, dass Vitamine rar sind, können Sie Ihren Gastgebern anstatt Pralinen auch frisches Obst und Gemüse mitbringen und ihnen zeigen, wie Sie diese zu Hause in Deutschland, Österreich oder der Schweiz in Ihrer Küche zubereiten. Machen Sie doch mal Ihren Haussalat! Die Gastgeber werden sich über diese Abwechslung freuen. Sie wollen doch auch was von Ihnen lernen. Und Russen lieben auch Salate, z.B. Olivensalat (olivje) oder Heringssalat (Seld pod Schuboi). Grüne Salate müssen aber vielen noch schmackhaft gemacht werden, mit interessanten Dressings und bunten Beigaben wie Mais, Kidneybohnen und Nüssen.
Was verbreiteter als bei uns am Mittags- oder Abendtisch ist: wenn es warmes Essen gibt, dann wird doch Brot trotzdem immer noch dazu gestellt, auch wenn es schon Beilagen wie Kartoffeln oder Reis auf dem Teller mit Fleisch und Gemüse gibt.
Ein sehr geliebtes Naturprodukt ist der Honig (Mjod).
Noch ein paar Worte zu Salaten
Was mich in Sotschi bei meinem Besuch etwas enttäuscht hat, ist, dass ich dort kaum grünen Salat zu kaufen gesehen habe. Ich dachte, hier gedeiht doch so ziemlich alles. Kräuter gibt es reichlich, ja, aber die Salatarten, die wir in Deutschland gerne essen, sind rar, also: Kopfsalat, Eisbergsalat, Endiviensalat, Friseesalat, Eichblattsalat, Lollo Rosso, Radiccio oder neuerdings Romana-Salat. Endiviensalat gab es manchmal, aber nicht als ganzen Salatkopf, sondern einzelne Blätter waren mit Gummi zusammengebunden, im ganzen viel weniger Masse als ein ganzer Salatkopf üblicherweise hat. Damit ist natürlich auch klar, dass sie schneller verderben.
Solche Blattsalate sind wohl eben typisch deutsch. Oder? Auf dem russischen Abendbrottisch stehen gewöhnlich Gurken, Tomaten, Radieschen, gern auch Schnittlauch, in ganzer Länge, den man in die Hand nimmt und so einfach dazu isst, und Oliven. Gemischte Salate bestehen häufig aus Gurken und Tomaten. Freilich gibt es in Russland auch viele verschiedene Salatrezepte. Aber eben gewöhnlich ohne die eben genannten Blattsalate oder Kopfsalate.
So sind jedenfalls meine Erfahrungen. Wer machte andere?
Aber betonen möchte ich schon: Wenn Sie als Freunde privat zu Gast sind, tischt Ihr Gastgeber, Ihre Gastgeberin reichlich auf, und vom Besten, was da ist. Und hoffentlich haben Sie dann auch Hunger und Appetit.
Kerniges
Russen haben natürlich auch gesunde Essgewohnheiten, die bei uns nicht so verbreitet sind.
Häufig sieht man Einwohner, die während ihres Spaziergangs im Park, auf der Flaniermeile, am Strand oder im Kino auf Kernen kauen. Besonders verbreitet sind
Sonnenblumenkerne. Sie sind leicht an der Straße von alten Frauen zu bekommen, die sie in selbstgemachten Papiertüten (aus Zeitungen) verkaufen, ob nun in Moskau, St. Petersburg (an den Brücken, Schlössern und Parks, vor Lebensmitteldiscountern) oder Rostow und Sotschi. Selbstverständlich sind sie von russischen Gärten oder Sonnenblumenfeldern. Ich habe diese Angewohnheit des Kerneknabberns während meiner Reisen nicht übernommen, fand aber die „Kubanskie
Semetschki, objarennuie“ nicht übel, also geröstete Sonnenblumenkerne aus dem Kuban. Die werden im Supermarkt in Tüten wie bei uns das Studentenfutter zu vielleicht 75 Gramm verkauft. Ich esse bei den meisten die Schale mit. Viele Russen sind aber damit beschäftigt, diese abzumachen.
Schwieriger wird es, Pinienkerne von ihrer Schale zu befreien. Den Pinienkernen vom Altai werden besondere Kräfte nachgesagt. An einem Stand des Altais auf der ITB 2007 konnten Besucher sich aus einer Schale bedienen. - Die Kerne sind so fest, dass man die Schale erst mit den Zähnen knacken muss. Dann muss man sie mit den Fingern abpellen. Das ist viel Fummelei für so einen kleinen Samenkern. Man schmeckt ihn kaum. Es müsste sie abgepackt geben, bereits ohne Schale. Die Chinesen kaufen große Mengen von diesen Kernen aus dem Altai auf. Gut möglich, dass es sie schon lange in russischen Lebensmittelläden in Deutschland gibt. Ich hörte von ihren gesundheitlichen bzw. potenzsteigernden Wirkungen erst vor zirka 4 Jahren. Da fand ich auf die Schnelle nur ein oder zwei Webshops in Deutschland, bei denen man sie bestellen konnte.
Ergänzung, 29.02.2012: Auf der Grünen Woche im Januar 2012 fand ich einen Stand eines russischen Geschäftsführers und der Inhaberin eines Unternehmens, das Pinienkerne verkauft. Ich durfte wieder welche probieren. Diese waren schon gepellt. Der Mann erzählte mir, dass die Kerne ja nicht bloß von Chinesen gekauft werden, sondern auch geklaut werden. Sie kommen über die Grenze und ernten selbst die Kerne von den Bäumen.
Neben den beliebten Sonnenblumenkernen werden in Sotschi am Strand, am Hafen oder am Kurortnui Prospekt, natürlich erst recht am Markt vor dem Bahnhof bzw.auf dem Markt in Adler, eingewickelt in Papiertüten, auch Nüsse verkauft; Erdnüsse, geröstet, z.B. (das ist dann schon viel) für 50 Rubel pro Tüte, Walnüsse, Paranüsse, aber auch Trockenfrüchte wie Rosinen und getrocknete Aprikosen und andere Früchte verkauft. Sicherlich hängt der Preis auch davon ab, ob Sie als Ausländer identifiziert wurden und was für Kundschaft an der jeweiligen Stelle überwiegt.
Übrigens gedeihen Erdnüsse im Boden unter der Sonne Sotschis.
Erfrischendes
Ein gesundes Getränk ist bekanntlich der Kwas, ein colafarbenes Getränk, das aus Brot gegoren wird. In den 80ern, sah ich, meine ich mich zu erinnern, viel häufiger die Tankanhänger, aus denen der Kwas an der Straße frisch verkauft wurde, als heutzutage. Damals war die Sowjetunion noch kein Markt für Coca Cola und Pepsi Cola. Verschiedene Kwassorten gibt es an jedem Kiosk bei den Bushaltestellen und Metrostationen, oft in Zwei-Liter-Flaschen abgefüllt. Ich glaube, kleinere als 1-Liter-Flaschen gibt es nicht.
Man könnte diesen Artikel sicher noch um viele Produkte ergänzen; doch wollte ich vor allem darauf aufmerksam machen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man sich als deutscher Tourist, der nicht in Hotels mit europäischer Küche untergebracht ist, zu ernähren gedenkt, wie weit man bereit sein will, das zu essen, was von anderen auf den Tisch gestellt wird. Sie könnten sich ja mal vor Ihrer Russland-Reise in einem russischen Markt oder Laden in Ihrer Stadt umsehen und sich - in deutscher Sprache - über die Delikatessen beraten lassen. Vielleicht bekommen Sie schon Ideen für Souvenirs.
An typisch russischen Nahrungsmitteln fällt mir noch manches ein. Zum Beispiel Sprotten. Nicht mein Fall: viel Öl, Gräten, Haut und darunter ein Fitzelchen salziges Fleisch. Aber womöglich ist es das Richtige, um den Kater vom Wodka-Trinken leichter zu vertreiben. - Oder das Nationalgericht Borschtsch. Doch was ist hier an Vitaminen noch drin?
Apropos Kater nach dem Trinken: Als zuverlässiges Mittel dagegen gilt Kumis, die Milch von Pferden, die man viel in Baschkortostan trinkt. [Nachtrag 07.06.2009: Die Berlin Chemie AG stellt aber lilarote Kapseln her, die in Russland reißenden Absatz finden, wurde uns am Tage der offenen Tür im April 2009 während eines Rundgangs gesagt, denn die würden gegen einen Kater helfen.]
Kaviar
Na klar, Kaviar! Orangenen Kaviar habe ich ab und zu mal gegessen, vom Lachs (oder vielleicht auch mal nur von Forellen?). Schwarzen oder grauen Kaviar hatte ich noch nicht probiert. Aber das gehört als luxuriöse Delikatesse gar nicht hier her. Denn es handelt hier vom Essen des einfachen Bürgers.
Der wertvollste Kaviar soll der iranische sein. 80% aller Störe weltweit leben im Kaspischen Meer, dem größten Binnensee der Welt. Zum Laichen geht er in die Flüsse. Da er aber dort so stark verfolgt wird, werden die Bestände immer knapper. Weltweit haben wir das Problem der Überfischung. Das ist schlimm, da doch Fisch das viel gesündere Fleisch ist als Schwein und Rind. Rumänien und Bulgarien verzichten seit 2006 offiziell auf den Export von Kaviar (Störe gibt es auch im westlichen Schwarzen Meer). Es gibt Exportquoten. Russland darf jährlich legal 28,5 Tonnen Kaviar ausführen (vom 1.3. 2008 bis 28.2.2009). Doch essen die Russen die Quote ihres Kaviars lieber selbst. Exportiert wird aber illegal. Nach Deutschland wurden entsprechend bestehender Importquoten 2005 29,3 Tonnen wilden Kaviars eingeführt, 2007 nur noch 10,3 Tonnen (Quelle: Focus 1/2009 vom 29.12.2008, S. 89).
Warnung vor Fleischkost von der Straße
Das Risiko, dass Sie sich Bauchschmerzen und Schlimmeres einhandeln, wenn Sie sich mit Fleisch, also Gehacktem, gefüllten Piroggen an einem Stand an der Straße, am (Bus-)Bahnhof, auf dem Markt holen, um Ihren Hunger zu stillen, ist relativ hoch. Ich möchte Ihnen davon abraten. Sie sollten nicht annehmen, dass solche Stände ebenso oft und streng von der Lebensmittelpolizei überwacht werden (können) wie in Deutschland. Nachdem ich einmal an einem Schawerma-Stand an der Metrostation Tschernischewskaja in St. Petersburg (nahe dem Deutschen Konsulat) schon schlecht riechendes Fleisch in einem Schawerma für etwa umgerechnet einem Euro bekommen hatte, ist mir der Appetit darauf oder auf Döner in russischen Städten vergangen. (Danach wurde dann auch noch der vielfache Betrug am Verbraucher mit Ekelfleisch in deutschen Dönerbuden aufgedeckt.)
Nehmen Sie dann eher eine mit Quark, Kartoffeln oder Kohl gefüllte Pirogge, aber bitte kein Gehacktes!
Krank werden können Sie auch in Sushibars. Dort stimmen vielfach die hygienischen Bedingungen nicht. Z.B. dass die Ware nicht gekühlt gelagert wird. Im Winter 2008 wurden bei Kontrollen in Moskau zahlreiche Verstöße gegen Hygienschutzbestimmungen festgestellt. Laborproben führten auch Bakterien im Sushi zutage.
Also gilt grundsätzlich, noch mäkliger zu sein bei der Auswahl des Essens als an Ihrem Heimatort beim Einkauf und Ausgehen, um nicht auch noch als Ausländer in das (leider auch korrupte) russische Gesundheitssystem zu geraten.