Berlin: re:publica09 Nachlese, Teil 1
Peter Schütt von IBM, einem der Sponsoren, ("Social Everywhere") plädiert am frühen Nachmittag in der Lounge des Friedrichstadtpalastes als erster mehrerer IBM-Leute in deren Reihe von Vorträgen für eine tolerantere Gelassenheit von Referenten, auch in Unternehmen, beim Briefing usw. Für ihn bedeutet es eine Frechheit, wenn der Einladende erwartet, dass seine Zuhörerschaft auf ihn wartet, bis er mit seinem Vortrag, Briefing oder was sonst fertig ist, bevor die sich wieder ihren Aufgaben widmen können. Wir brauchen hier einen kulturellen Wandel. Er sieht es als normal an, dass jeder nebenher neben dem Zuhören noch Sachen auf seinem Gerät macht. Wer es kann, soll es tun dürfen: selektiv zuhören; Multitasking spricht er jedem hier zu. Er befürwortet das Benutzen von Notebooks, Smartphones in Konferenzen. Die können doch viel Zeit sparen und offene Fragen, die die Teilnehmenden betreffen, sofort klären helfen, indem ad hoc Experten damit kontaktiert werden. Da kann man doch weiterkommen als ohne und spart noch viele weitere E-Mails, Anrufe etc. Er vermittelt ein wenig Firmenkultur. Bei IBM werden die Mitarbeiter trainiert, den Ball rechtzeitig abzuspielen an den Kollegen. Man nutzt die Schwarmintelligenz, "the wisdom of the crowds". Das ist eine Korrekturintelligenz im Unternehmen; man spart Prozesskosten, wird schneller und man demotiviert nicht seine Mitarbeiter, die Ideen und Vorschläge haben. Er macht sich stark für Gruppenblogs in Unternehmen. Das ist lebendigeres Wissen als Wissensdatenbanken. Suchmaschinen ermöglichen das schnelle Finden relevanter Informationen.
Aber so eine Einstellung in die Köpfe der Mitarbeiter hineinzubekommen ist nicht leicht. Veränderungsbereitschaft in Unternehmen ist meist niedrig. Als Beispiel nennt er einen Konflikt mit seiner Frau beim Umgang mit Medien: Sie mag keine Youtube-Videos am Fernseher sehen, wie er.
Das alles erzählt, weil die Blogger diese Schwarmintelligenz besitzen. IBM hat Software zum Wissensaustausch entwickelt. LotusLive ist eine Cloud, die er ihnen anbietet, mal auszuprobieren. Vor zwei Jahren hatte er schon von dieser Software erzählt, aber mehr in der Werden-Form. Da ging es darum, Ideen der Blogger dafür einzusammeln. Jetzt ist sie fertig.
Anthony Volodkin aus den USA bekommt schon vorneweg guten Beifall. Er stellt sein Musikportal The Hype Machine (hypem.com) vor, welches 1,5 Mio Besucher im Monat zählt, 5% aus Deutschland. 1.400 Blogs mit 800 Postings täglich werden beobachtet.
Im Salon des Friedrichstadtpalastes verfolgten am späten Nachmittag die Besucher und die Leute von IBM über eine Liveschaltung den Erzählungen von Ed Brill aus Amerika ("My career as a corporate blogger within IBM"), der mit seinem IBM-Corporate Blog sehr erfolgreich schreibt, seit 2002. Seine Erfahrungen über die Jahre hinweg hat er übersichtlich zusammengefasst dargestellt und er braucht nur zu sagen: "next slide", und sein Kollege klickt am Laptop zur nächsten Präsentationsseite. Ich blieb danach noch in diesem Raum und ließ mir neue mobile Geräte zeigen, die wunderbar mit der IBM-Kollaborationssoftware funktionieren sollen. Anschließend wurde unter dem Leitspruch "You need to mash it up" eine Software zum Mixen von Informationen und Medien vorgestellt, die in einem Unternehmensnetz den Mitarbeitern zum schnellen Brainstorming und zum kurzfristigen Informieren dienen können und etwas Flüchtiges an sich haben, da Bestandteile eines Projektes verschwinden können, wenn die in Bezug genommene Datenquelle im Internet offline geht. Mir und einem Zuhörer vor mir stellten sich Fragen im Zusammenhang mit der Verlässlichkeit auf solche zusammengemanschten Daten, wenn im Intranet hier nicht mehr die Datenquellen richtig genannt werden bzw. die Daten aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Denn Sachinformationen, Zahlen, bei denen ich nicht weiß, wer sie behauptet bzw. ermittelt hat und mit welchen Methoden usw., sind für mich abstrakt gesehen wertlos, nicht zitierfähig. Damit im Zusammenhang könnten sich Fragen des Urheberrechtsschutzes auftun, wenn die Mitarbeiter die in dem Mashup gewonnenen Informationen weiter verarbeiten (und nach außen geben). Daher muss zuvor von den externen Informationsquellen entsprechend das Einverständnis eingeholt werden, was zu der Idee des mit diesem System automatischen Dateneinsammelns und Zusammenmixens für bestimmte Fragestellungen und Projekte (etwa: Vorbereitung einer Dienstreise/Messereise ins Ausland) nicht ganz passt. Die Idee zu dieser Software ist entstanden während des Wirbelsturms Kathrina in den USA 2005, als man schnell Hilfe organisieren wollte. Die Software soll schnelles konzertiertes Handeln ermöglichen, für Sondereinsatzkommandos in Unternehmen, kann man vielleicht zusammenfassen.
Abends gab es in der Kalkscheune eine Party ab etwa acht. Erst hörte ich was von Fettes Brot, die aber nicht rappen, sondern auflegen würden. Da waren drei bunte Herren aus Hamburg, die dann als "Schwule-Mädchen-Soundsystem", soviel ich sah, vielleicht nicht mal CDs aufgelegt haben sondern mit Tracks vom Computer versuchten, die Leute zum Tanzen zu bewegen. Ihr erklärtes Motto in etwa: "Wir können zwar keine guten Musikübergänge hinlegen, aber die Musik selbst ist doch geil." Erst so gegen kurz vor zehn hatte sich dann vor den DJs eine kleine Gruppe etabliert, die sich rhythmisch auflockerte. Ich gesellte mich für eine halbe Stunde dazu und trat dann den Heimweg an.
Donnerstag, 02.04.2009
Auch heute kann man sich am roten Kaffeemobil der TAZ einen Muntermacher genehmigen, bevor man sich der Sonne entzieht und in den großen, dunklen Saal setzt und angestrengt zuhört (die Akustik lässt zu wünschen übrig.). Der Espresso ist aus ökologischem Anbau und fairem Handel (über gepa). Morgens gibt es im Saal des Friedrichstadtpalast erst mal eine Bitte des Moderators, hier nicht herumzumüllen. Das ist doch, meine ich, ein Zeichen der Unbekümmertheit in der Szene, oder? Bananenschalen, offene Getränkeflaschen, Papier. - Immer wieder nerven diese umfallenden Glasflaschen während der Veranstaltungen, die an den Stühlen zurückgelassen wurden und vom Nächsten nicht bemerkt oder vergessen werden, wenn man mal die Sitzhaltung auf den harten Stühlen im oberen großen Saal der Kalkscheune ändert. Der Appell nützt aber kaum was.
Übrigens, was noch nicht gut funktioniert, ist die Einhaltung der Zeitpläne. Die wirft dann auch die Planung der Gäste durcheinander, die Folgevorträge verpassen oder einen laufenden Vortrag wegen eines anderen zu früh verlassen, um dann festzustellen, dass in dem anderen Saal auch Verzug besteht und der gewünschte Vortrag auf sich warten lässt. Einmal müsste man es schaffen, morgens pünktlich anzufangen, zum anderen waren für die Verzögerungen technische Probleme wie der zugesagte, aber nicht bestehende WLAN-Internetzugang über Freifunk für die Aussteller und Referenten, die es für ihre Live-Demonstration brauchen. Am ersten Tag ging nahezu garnichts. Das Mädchen von der Wochenzeitung "Am Freitag" hätte mir sonst gerne demonstriert, wie leicht ich als Blogger bei ihrer Zeitung jetzt bloggen kann. Neben Leserbriefen werden jetzt auch Postings in die Papierzeitung mit aufgenommen und dann auch honoriert. Mir gefällt das Konzept. Mit an deren Stand waren auch zwei junge Leute der Marketing-Agentur Scholz & Friends aus Hamburg, mit der das Redesign entwickelt und umgesetzt wurde.
Es gibt noch weitere Aktionen. Die TAZ hatte ich schon erwähnt. Zugegen auch die Aktion Mensch (früher bekannt als Aktion Sorgenkind), die in die Rubrik NGOs gehört. Im NewThinking Store gab es am Abend ja den NGO-Empfang der Aktion Mensch.
Heute gibt es zwei Gebärdendolmetscher, die weiter rechts am Bühnenrand [...Nächste Seite]