Kurz darauf erfuhr ich von ihr, dass sie in der Nähe wohnt und nur mal schnell noch Gemüse im Laden kaufen wollte. So spontan wie sie hier hereinkam, erklärte ich, erfreut darüber, jemanden zur Unterhaltung zu haben, was das hier ist. Sie stellte sich unter den Scheffel, meinte sie sei ein Neandertaler in Sachen Computer und Internet. Weiß kaum, was das ist, bloggen. Ich erklärte es ihr. Erzählte, dass dies der Abschluss einer Veranstaltung ist, die vorgestern begann und 1.400 Gäste zählte, aus mehreren Ländern sogar, von der Vielfalt der Bloggerszene, dem Themenreichtum. Und dass die Inhaber dieses Ladens hier diese große Veranstaltung organisiert haben. Ja, wirklich im Friedrichstadtpalast liefen diese Veranstaltungen! Sie war beeindruckt, meinte aber, sie könne sich solcherart Kommunikation mit Menschen nicht gut vorstellen, bei der man vor dem PC hängt. Ja, sie habe schon Internet, aber benutzt es kaum. Eine Freundin habe ihr mal von Blogs erzählt, und von jemandem, der auch bloggt.
Aber sie war neugierig und ließ sich eine ganze Weile von mir erzählen, konnte aber nicht länger bleiben, denn sie musste ja noch was zu essen kaufen. Ich hatte das Gefühl, sie wollte sich weiter informieren. Sie fragte, wie man mit dem Bloggen anfängt. Ich hätte sie auf die im Museum für Kommunikation in der Leipziger Straße seit 20. März laufende Ausstellung "Vom Tagebuch zum Weblog" hinweisen können, die über 300 Tagebücher und Weblogs umfasst (noch bis 30.08.2009).
Schön, dass ich für die Gastfreundschaft hier ein bisschen was zurückgeben konnte. Und dann sah ich, das erste Glas O-Saft mit Wodka in der Hand, diesen schweizer Programmierer an der Glastüre stehen, gesellte mich zu seinem Gesprächspartner. Man ließ einiges der letzten drei Tage Revue passieren.Am Mittwoch begrüßte die Teilnehmer links neben dem Eingang zum Friedrichstradtpalast ein rotes niedliches Mobil mit einem Aufsatz, in dem sich eine Espresso-Kaffee-Maschine befand. Von der wurde auch rege Gebrauch gemacht. Das wurde hierher von der Kochstraße aus geschickt, wo die TAZ zu Hause ist. Die tagesaktuelle Ausgabe der TAZ lag auch gleich aus.
Später wird mir ungezwungen bewusst, dass die Veranstaltung eine ist, auf der sich internetaffine Leute mit eher moderat-linker Weltanschauung begegnen. Erscheinungen und Strukturen, die hier von den Rednern und Vortragenden für jeweils Dutzende bis Hunderte auf deutsch und englisch analysiert und diskutiert werden, sind solche, von denen die Mehrheiten hier schon eine Ahnung haben, über die sie sich intensiver informieren, bei denen sie erkennen oder erkannt haben, dass sie angepasst werden müssen an den technischen Fortschritt, dem wir ausgeliefert sind und mit dem sich unser aller Leben in kurzer Zeit verändert. Was passiert im Internet, welche Möglichkeiten bietet es uns, wie verändert es unser Privatleben, unsere Chancen zur Selbstverwirklichung, zur Einkommenserzielung? Wie verändern sich damit die Machtverhältnisse? Wie kommen junge Leute, die mit dem Internet aufgewachsen sind, an die großen Entscheider unseres Landes heran, die weniger zu verstehen scheinen und sich von Lobbies zu gesetzlichen Regelungen "überreden lassen", die der Allgemeinheit mehr schaden und die Zwecke nicht erreichen? Wie sieht es in anderen Ländern aus mit Netzpolitik, mit Bürgerbewegung?
Internet ist Bewegung. Hier werden Wellen geschlagen. Hello World kommt und MySpace geht (Ja, letzteres sah die Referentin aus Bahrein, Esra'a Al Shafei, gestern so.). Gibt es Traditionen im Internet? Kein Wunder, dass konservative Anschauungen hier auf der re:publica seltener begegnen. Hier wird hinterfragt und begeistert, Mut gemacht, vor Neuem nicht zurückzuschrecken, andere Wege einzuschlagen als der Mainstream.
Immer wieder gibt es Zeichen, dass re:publica eine Veranstaltung ist für Surfer, die keine Angst vor Wellen haben. Wellenreiten ist eine wacklige Sportart. Sicherheit ist wenig. Shift happens.
Das ist das Motto in diesem Jahr. Aber um all diese Veränderungen ging es doch auch schon in den drei re:publicas zuvor. - Einen Aprilscherz auf der re:publica habe ich nicht mitbekommen. Vielleicht steht ja doch auf den einschlägigen Websites oder Blogs im Nachhinein die Auflösung einer Verballhornung. Im Friedrichstadtpalastfoyer in der 2. Etage hörte ich aber die kleine Mitarbeiterin mit Feenflügeln, die am Mittwochabend beim Einlass zur Party in der Kalkscheune half, am Stand des dpunkt-Verlages sagen, dass es bei NewThinking unterdurchschnittlich humorvoll zugeht.
Hier nun mal ein paar Schnipsel aus den Veranstaltungen des Kongresses, die ich miterlebte.
Mittwoch. 01.04.2009
Um 10.00 Uhr sollte es losgehen. Am Vormittag wurden die Teilnehmer vom Moderator Max Spallek und von den Organisatoren begrüßt: von Johnny und Tanja Häusler, Markus Beckedahl und Andreas Gebhard. Natürlich wirkten noch viele mehr mit, aber das sind die Hauptpersonen. Bei der Registrierung gab es im re:publica-Stoffbeutel u.a. den Fahrplan für die drei Tage, ein quadratisches Heft, in dem alle Organisatoren und (nahezu alle) Mitwirkenden vorgestellt oder zumindest aufgeführt sind, in dem die Raumpläne stehen. Johnny Häusler erklärte, wie sie auf den Titel Shift happens gekommen sind. Die Technik, mit der er den Projektor bediente (Fernbedienung mithilfe eines IPhones), reagierte etwas schwerfällig. Aber auch ohne bildliche Unterstützung fand seine Pointe zu einer Begebenheit in einer Bank, gefragt um einen Gründerkredit, gut gelaunte Lacher. Er gibt einen Ausblick auf einiges, was uns in den nächsten drei Tagen erwartet. Wie wird es wohl sein, wenn er selbst Silver Server ist, in Rente ist? Schön bunt waren anschließend die durchsichtigen Kugeln mit Punkten in einer Kosmosumgebung des Sozialforschers John Kelly mit einem ersten Vortrag in englisch, "Mapping the blogosphere".
Er beobachtet nicht nur die amerikanische Blogosphere, nein die ganze Welt, zeigte, von welchem Mikrokosmos auf welchen anderen verlinkt wird. Dabei ging er kurz auf Russland, Großbritannien und den Iran ein, zum Schluss auch auf Deutschland ein. Er brachte ein wenig Übersicht in die für Otto Normalblogger nicht zu überschauende Vielfalt, sortiert nach Themenkreisen, Aktualität der Postingthemen, nach konservativ vs. fortschrittlich, Medienunternehmen und Nichtjournalisten etc. Am Freitagnachmittag bekam er noch Gelegenheit in der Kalkscheune, näher auf Politblogs in Deutschland einzugehen.
Am frühen Mittag geht es weiter mit der sogenannten keynote zur Eröffnung, also mit einer einführenden Podiumsdiskussion zum Warmwerden, mit Stefan Niggemeyer, Markus Beckedahl, Robert Basic und rechts, mit der Kappe, Sascha Pallenberg.
Außer Markus verdienen alle Talkgäste schon ihr Geld mit ihren Blogs. Markus antwortet auf die Frage des Modarators, warum er nicht auch mit Netzpolitik.org? Die Angebote von Dritten, Werbung auf seinem Blog zu schalten, passen nicht in das Konzept und Design. Schließlich ist er darauf nicht angewiesen. Dann geht es darum, ob "wir Blogger uns zu wichtig nehmen?". Mit "Wir" sind in erster Linie wohl die A-Blogger gemeint, denke ich, nicht die Strickblogs und Katzenblogs. Teils teils, die Motive sind verschieden. Das Ego mag da auch mehr oder weniger eine Rolle spielen. Dann kommt man auf die Twittermania zu sprechen, vergleicht Twittern mit Bloggen und Nutzung von Facebook.
Stefan Niggemeyer bedauert, wie wenig der deutschen Blogger wirklich eigenen, originären (originellen) Content schaffen. Es geht viel zu oft nur darum, wiederzukäuen, was die Medien schreiben oder die leitbildenden Blogs oder nur für den Freundeskreis zu schreiben, was man gefunden hat, gewissermaßen als Wegweiser (M.E. zu hoch gegriffen. Denn schon Kleinkinder zeigen sich gegenseitig ihre Süßigkeiten oder ihr Spielzeug). Er wünscht sich mehr Leute mit einem Sendungsbedürfnis, solche, die Geschichten aufschreiben wollen. Pallenberg meint, das war gerade der Erfolg vom Spreeblick und NewThinking-Blog, die im Grunde genommen nur News-Aggregatoren sind und anderer Content covern. Aber Stefan findet, Markus hatte einfach eine interessante Art Links zu kommentieren auf dem Spreeblick. Der Talkmaster fragt, ob es wohl an talentierten Nachwuchs fehle für die Schreibe, die wohl Stefan meint und fordert auf, mal solche zu nennen. Damit tun sich die Gesprächspartner schwer. Da fällt dann der Name des Sportjournalisten Jens Weinreich, der sich mit demDeutschen Fußballbund traute anzulegen. Seine Olympiaberichterstattung sei toll gewesen. Aber Blogger, die keine Journalisten sind? Und: Wer als Blogger explosiv schreibt, lebt sehr gefährlich. Und wenn man als Blogger weniger bekannt ist und nicht gut vernetzt ist, wird man Drohungen und Abmahnungen nicht viel entgegensetzen können. Sollte es eine Vertretung für die Blogger geben? Der Tenor ist: nein. Die könnten sich doch nie auf gemeinsame Ziele und Aktionen einigen. Die gleich im Anschluss an diese Diskussion vom amerikanischen Soziologen John Kelly vorgeführte Studie zeigte dann ja auch, welche verschiedenen Themenwelten es gibt und wie wenig die miteinander verknüpft sind. Der Punkt kommt auch hier in der Diskussion zur Sprache. Die Frage einer speziellen Rechtsschutzversicherung war, erinnere ich mich, auch schon vor 2 Jahren in so einer Runde diskutiert worden.
Peter Schütt von IBM, einem der Sponsoren, ("Social Everywhere") plädiert am frühen Nachmittag in der Lounge des Friedrichstadtpalastes als erster mehrerer IBM-Leute in deren Reihe von Vorträgen für eine tolerantere Gelassenheit von Referenten, auch in Unternehmen, beim Briefing usw. Für ihn bedeutet es eine Frechheit, wenn der Einladende erwartet, dass seine Zuhörerschaft auf ihn wartet, bis er mit seinem Vortrag, Briefing oder was sonst fertig ist, bevor die sich wieder ihren Aufgaben widmen können. Wir brauchen hier einen kulturellen Wandel. Er sieht es als normal an, dass jeder nebenher neben dem Zuhören noch Sachen auf seinem Gerät macht. Wer es kann, soll es tun dürfen: selektiv zuhören; Multitasking spricht er jedem hier zu. Er befürwortet das Benutzen von Notebooks, Smartphones in Konferenzen. Die können doch viel Zeit sparen und offene Fragen, die die Teilnehmenden betreffen, sofort klären helfen, indem ad hoc Experten damit kontaktiert werden. Da kann man doch weiterkommen als ohne und spart noch viele weitere E-Mails, Anrufe etc. Er vermittelt ein wenig Firmenkultur. Bei IBM werden die Mitarbeiter trainiert, den Ball rechtzeitig abzuspielen an den Kollegen. Man nutzt die Schwarmintelligenz, "the wisdom of the crowds". Das ist eine Korrekturintelligenz im Unternehmen; man spart Prozesskosten, wird schneller und man demotiviert nicht seine Mitarbeiter, die Ideen und Vorschläge haben. Er macht sich stark für Gruppenblogs in Unternehmen. Das ist lebendigeres Wissen als Wissensdatenbanken. Suchmaschinen ermöglichen das schnelle Finden relevanter Informationen.
Aber so eine Einstellung in die Köpfe der Mitarbeiter hineinzubekommen ist nicht leicht. Veränderungsbereitschaft in Unternehmen ist meist niedrig. Als Beispiel nennt er einen Konflikt mit seiner Frau beim Umgang mit Medien: Sie mag keine Youtube-Videos am Fernseher sehen, wie er.
Das alles erzählt, weil die Blogger diese Schwarmintelligenz besitzen. IBM hat Software zum Wissensaustausch entwickelt. LotusLive ist eine Cloud, die er ihnen anbietet, mal auszuprobieren. Vor zwei Jahren hatte er schon von dieser Software erzählt, aber mehr in der Werden-Form. Da ging es darum, Ideen der Blogger dafür einzusammeln. Jetzt ist sie fertig.
Anthony Volodkin aus den USA bekommt schon vorneweg guten Beifall. Er stellt sein Musikportal The Hype Machine (hypem.com) vor, welches 1,5 Mio Besucher im Monat zählt, 5% aus Deutschland. 1.400 Blogs mit 800 Postings täglich werden beobachtet.
Christopher Pool aka Moot (USA) erzählt über sein Portal 4chan.org, das ein Treffpunkt von Mangafans ist. Das ist für mich eine unbekannte Welt. Sein Publikum sind Pubertierende und Jugendliche, Leute bis 30. Er hat über 5 Mio Besucher im Monat.
Im Salon des Friedrichstadtpalastes verfolgten am späten Nachmittag die Besucher und die Leute von IBM über eine Liveschaltung den Erzählungen von Ed Brill aus Amerika ("My career as a corporate blogger within IBM"), der mit seinem IBM-Corporate Blog sehr erfolgreich schreibt, seit 2002. Seine Erfahrungen über die Jahre hinweg hat er übersichtlich zusammengefasst dargestellt und er braucht nur zu sagen: "next slide", und sein Kollege klickt am Laptop zur nächsten Präsentationsseite. Ich blieb danach noch in diesem Raum und ließ mir neue mobile Geräte zeigen, die wunderbar mit der IBM-Kollaborationssoftware funktionieren sollen. Anschließend wurde unter dem Leitspruch "You need to mash it up" eine Software zum Mixen von Informationen und Medien vorgestellt, die in einem Unternehmensnetz den Mitarbeitern zum schnellen Brainstorming und zum kurzfristigen Informieren dienen können und etwas Flüchtiges an sich haben, da Bestandteile eines Projektes verschwinden können, wenn die in Bezug genommene Datenquelle im Internet offline geht. Mir und einem Zuhörer vor mir stellten sich Fragen im Zusammenhang mit der Verlässlichkeit auf solche zusammengemanschten Daten, wenn im Intranet hier nicht mehr die Datenquellen richtig genannt werden bzw. die Daten aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Denn Sachinformationen, Zahlen, bei denen ich nicht weiß, wer sie behauptet bzw. ermittelt hat und mit welchen Methoden usw., sind für mich abstrakt gesehen wertlos, nicht zitierfähig. Damit im Zusammenhang könnten sich Fragen des Urheberrechtsschutzes auftun, wenn die Mitarbeiter die in dem Mashup gewonnenen Informationen weiter verarbeiten (und nach außen geben). Daher muss zuvor von den externen Informationsquellen entsprechend das Einverständnis eingeholt werden, was zu der Idee des mit diesem System automatischen Dateneinsammelns und Zusammenmixens für bestimmte Fragestellungen und Projekte (etwa: Vorbereitung einer Dienstreise/Messereise ins Ausland) nicht ganz passt. Die Idee zu dieser Software ist entstanden während des Wirbelsturms Kathrina in den USA 2005, als man schnell Hilfe organisieren wollte. Die Software soll schnelles konzertiertes Handeln ermöglichen, für Sondereinsatzkommandos in Unternehmen, kann man vielleicht zusammenfassen.
Abends gab es in der Kalkscheune eine Party ab etwa acht. Erst hörte ich was von Fettes Brot, die aber nicht rappen, sondern auflegen würden. Da waren drei bunte Herren aus Hamburg, die dann als "Schwule-Mädchen-Soundsystem", soviel ich sah, vielleicht nicht mal CDs aufgelegt haben sondern mit Tracks vom Computer versuchten, die Leute zum Tanzen zu bewegen. Ihr erklärtes Motto in etwa: "Wir können zwar keine guten Musikübergänge hinlegen, aber die Musik selbst ist doch geil." Erst so gegen kurz vor zehn hatte sich dann vor den DJs eine kleine Gruppe etabliert, die sich rhythmisch auflockerte. Ich gesellte mich für eine halbe Stunde dazu und trat dann den Heimweg an.
Donnerstag, 02.04.2009
Auch heute kann man sich am roten Kaffeemobil der TAZ einen Muntermacher genehmigen, bevor man sich der Sonne entzieht und in den großen, dunklen Saal setzt und angestrengt zuhört (die Akustik lässt zu wünschen übrig.). Der Espresso ist aus ökologischem Anbau und fairem Handel (über gepa). Morgens gibt es im Saal des Friedrichstadtpalast erst mal eine Bitte des Moderators, hier nicht herumzumüllen. Das ist doch, meine ich, ein Zeichen der Unbekümmertheit in der Szene, oder? Bananenschalen, offene Getränkeflaschen, Papier. - Immer wieder nerven diese umfallenden Glasflaschen während der Veranstaltungen, die an den Stühlen zurückgelassen wurden und vom Nächsten nicht bemerkt oder vergessen werden, wenn man mal die Sitzhaltung auf den harten Stühlen im oberen großen Saal der Kalkscheune ändert. Der Appell nützt aber kaum was.
Übrigens, was noch nicht gut funktioniert, ist die Einhaltung der Zeitpläne. Die wirft dann auch die Planung der Gäste durcheinander, die Folgevorträge verpassen oder einen laufenden Vortrag wegen eines anderen zu früh verlassen, um dann festzustellen, dass in dem anderen Saal auch Verzug besteht und der gewünschte Vortrag auf sich warten lässt. Einmal müsste man es schaffen, morgens pünktlich anzufangen, zum anderen waren für die Verzögerungen technische Probleme wie der zugesagte, aber nicht bestehende WLAN-Internetzugang über Freifunk für die Aussteller und Referenten, die es für ihre Live-Demonstration brauchen. Am ersten Tag ging nahezu garnichts. Das Mädchen von der Wochenzeitung "Am Freitag" hätte mir sonst gerne demonstriert, wie leicht ich als Blogger bei ihrer Zeitung jetzt bloggen kann. Neben Leserbriefen werden jetzt auch Postings in die Papierzeitung mit aufgenommen und dann auch honoriert. Mir gefällt das Konzept. Mit an deren Stand waren auch zwei junge Leute der Marketing-Agentur Scholz & Friends aus Hamburg, mit der das Redesign entwickelt und umgesetzt wurde.
Es gibt noch weitere Aktionen. Die TAZ hatte ich schon erwähnt. Zugegen auch die Aktion Mensch (früher bekannt als Aktion Sorgenkind), die in die Rubrik NGOs gehört. Im NewThinking Store gab es am Abend ja den NGO-Empfang der Aktion Mensch.
Heute gibt es zwei Gebärdendolmetscher, die weiter rechts am Bühnenrandstehen und sich alle 10-15 Minuten abwechseln, zuerst bei der Ansprache unseres obersten Datenschützers, Peter Schaar. Das ist für mich einer der wichtigsten Beiträge der Gesamtveranstaltung, auch wenn da kaum Neues dabei war, was er sagte (Titel: Datenschutz - aktueller Stand in Deutschland), aber ich informiere mich ja fast täglich bei Heise. Schaars Gegenwart und Teilnahme unterstreicht m.E. die Bedeutung dieser Konferenz.
Er nimmt auf aktuelle Themen und Vorfälle Bezug und bittet zum Ende hin uns alle um unser Engagement, Unterstützung für ihn, weitere Leute zu aktivieren. Denn er sieht den Datenschutz, den es seit 30 Jahren in Deutschland gibt, in einer tiefen Krise. Er bedauert, dass da, wo die Bürger schon mal wenigstens die Möglichkeit haben, auf Datensparsamkeit zu achten, trotzdem von sich freiwillig achtlos viel zu viele Daten preisgeben. Auch die Teilnehmerzahlen heutiger Datenschutzdemos sind doch ziemlich überschaubar (ich erinnere mich dabei an eine solche Demo mit anschließender Kundgebung am Brandenburger Tor im letzten Oktober, zu der ich damals was postete). Dagegen gab es vor 25 Jahren große Proteste auf den Straßen gegen die Volkszählung. Schließlich warnte dann auch das Bundesverfassungsgericht vor einer umfassenden Überwachung. Die damals aufgezeigten Schreckensszenarien der Überwachung sind vom Technologischen her gesehen heute gegeben. Liegt darin der Grund für die geringe Beteiligung an dem Aufbegehren gegen die Überwachungs- und Kontrollpläne aus dem Büro unseres Innenministers? Die Angst, heute als Demonstrant erfasst zu werden. Die Kamera ist heute bei Versammlungen ein normales Instrument der Polizei. Was ist aber mit unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das wird doch dadurch ausgehölt, durch die Einschüchterungswirkung der Datenerfassungsinstrumente der Behörden. Aber noch besorgter ist Schaar über die beiläufige Überwachung bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen wie dem Einkauf mit Kreditkarte, Kundenkarte, Nutzung des Handys, über das der momentane Aufenthaltsort ziemlich genau über GPS bestimmt werden kann. Der Einsatz von RFID an Registrierkassen in Kaufhäusern und Supermärkten.
Er schlägt ein Gerät für jeden Bürger, dem Wert an seiner Privatsphäre liegt, vor, das anzeigt, wenn man sich in der Nähe eines RFID-Scanners aufhält. Nur wer weiß, was geschieht, kann auch selbstbewusst, selbständig entscheiden. Dazu braucht es Transparenz. Mann muss wissen, dass mit der Erfassung der Wärmeenergie über Funk auch erfasst werden kann, ob man die Wohnung gerade bewohnt. Sonst ist die Zustimmung in die Installation dieser Funkübertragung von der Wohnungsverwaltungsgesellschaft erschlichen.
Peter Schaar erlebte voriges Jahr wahnsinnig viele Datenskandale, die uns allen noch gut in Erinnerung sind. Deutsche Bahn, Lidl-Mitarbeiterüberwachung, Call-Center handeln mit ihren Kundendaten, die Daten der Bürger bei den Meldeämtern waren offen abrufbar, wenn man nur die Webadresse herausfand usw. usf. Man kann da den Eindruck bekommen, alle privaten und öffentlichen Stellen bewerben sich um die nächste Verleihung des Big-Brother-Awards.
Anschließend referieren unter der gemeinsamen Überschrift "Do we need a Netiquette for Social Networks?" vier deutsche Männer, soweit ich mich erinnern kann, alle in englischer Sprache. Jan Schallaböck als erster widmet sich Sozialen Netzwerken.
Der junge Sozialforscher Ralf Bendrath beklagt, dass es keine Regularien für Social Networks gibt. Für Telefon- und DSL-Provider gebe es schon länger welche. Es wird Zeit, dass auch Anbieter von Social Network-Plattformen wie StudiVZ solchen unterworfen werden. Doch wer soll überwachen, kontrollieren? Und - bei der internationalen Dimension - wer kann sich vorstellen, dass irgendwer China kontrolliert? Nachdem sich Facebook gezwungen war, seine im Nachhinein geänderten Bedingungen wegen massiver Proteste zurückzunehmen, habe man sogar die Benutzer ermuntert, sich an der Aufstellung einer Benutzerverfassung (constitutional documents) zu beteiligen. Aber ist das vielleicht nur ein Demokratie-Theater aus wirtschaftlichem Kalkül heraus, zur Aufbesserung des Ansehens? - Man erinnere sich an Shell, die ein Bohrplattform versenken wollten, was Greenpeace mit seinen Anhängern zu verhindern wusste, Boykotts der Tankstellen. Danach startete Shell Markeing-Projekte, durch die es seinen Ruf als Naturraubritter beseitigen wollte.
Professor Hendrik Speck von der Fachhochschule Kaiserslautern führt uns vor Augen, wieviele Daten bzw. persönliche Attribute von Facebook eingesammelt werden. Nämlich 96 sind es, die seine Auflistung zeigt. Und die User sind so dumm (sagte er so nicht, sage ich), diese vielen Angaben zu machen. Demgegenüber wirft er einen Auszug aus einer Stasiakte über einen DDR-Bürger an die Leinwand. Deutlich kürzer!
Das Fraunhofer-Institut hat Regeln aufgestellt, die zum Schutze der Privatsphäre gegeben sein müssen. Z.B. Möglichkeit der Verwendung von Pseudonymen und eigene Identitäten jederzeit zu ändern und auch zur eigenen Dokumentation herunterzuladen, auszudrucken, Nachrichten verschlüsselt zu versenden und vieles mehr. Speck empfielt den Umstieg zu OpenSource, also von Microsoft zu Mozilla, von StudieVZ zum Hello World Network. Hier werden die Nettiquette, die der Wissenschaftler darstellte, beachtet.
Und eben diese Netzwerkplattform stellte anschließend deren Entwickler vor, ein Student von der FH Kaiserslautern. Das ist ein Markus Ackermann. Er betonte, dass dies die erste öffentliche Präsentation sei. Leider war diese Präsentation nur beschränkt möglich. Denn nachwievor, wie schon am ersten Tage, gab es Probleme mit dem Internet-Wlan-Zugang. Für einen ersten Eindruck und das Wecken der Neugier reichte es aber. Davon mal abgesehen: Wenn man schon all diese MySpace, LinkedIn, Xing benutzt hat und jetzt erst beginnt, die Privatsphäre bewusster zu schützen und sich jetzt für Hello World entscheidet - ist das Kind nicht schon längst in den Brunnen gefallen? Man kann doch keinen harten Schnitt mehr machen und von einem auf den anderen Tag aus diesen Netzwerken austreten. Da isoliert man sich von der eigenen Community. So ein Hello World hätte es schon längst geben müssen (wurde so nicht vom Referenten gesagt; sage ich.). Ich glaube nicht, dass ich groß noch Bekannte dazu bewegen werde können, sich auch dort anzumelden wegen meiner einer. Ich bekam schon einige Einladungen zu Facebook, aber verzichtete auf eine Mitgliedschaft. Das Hello World ist dann eher etwas um noch weitere Leute kennen zu lernen.
Ich werde mir diese Plattform mal noch ansehen in näherer Zeit. Aber Twitter ist dann auch noch zu untersuchen. Ich bekam am dritten Tag eine Einladung zum "Follow-me" auf Twitter von einer sympathischen Frau, die zufällig wieder, wie am Tag vorher, neben mir saß. Hätte ich allein ihre Twitteradresse bekommen, hätte ich mich vielleicht gestern schon dort angemeldet :-) So viele Umstellungen und Registrierungen verkrafte ich irgendwo nicht. Zu viele Wechsel in so kurzer Zeit. Zuviel Dokumentieren und dann bleibt wieder das damit Erhoffte aus. Man fängt viel an und lässt vieles angefangene links liegen wie ein verwöhntes Kind sein schönes Spielzeug für neues Spielzeug. Das ist das Internetzeitalter. Und die ganzen eigenen Daten bleiben in den nicht mehr genutzten Plattformen zurück. Der soziale Druck, alles mitzumachen, ist wohl umso größer, je jünger man ist, je schneller man wächst, gewissermaßen. Als junger, begeisterungsfähiger Mensch ist man leichter manipulierbar. So sollen Kunden sein, unkritisch, gut gelaunt und nicht nachdenklich.
- So, hier mache ich mal einen Stopp am Donnerstag vormittag und veröffentliche erst mal diesen Artikel, der Aktualität wegen.
Hier geht es zur %3Cspan%20id=">serendipity[cview]=threaded&serendipity[entrypage]=2" title="re:publica Nachlese, Teil 2">re:publica Nachlese, Teil 2