Website in kyrillisch unterliegt ohne deutsche Leserschaft nicht deutscher Gerichtsbarkeit
Zunächst mal sind es keine kyrillischen Buchstaben, sondern lateinische. Die englische Sprache ist für den BGH anscheinend nicht das Problem. Er geht wohl davon aus, dass Englisch als Weltsprache "fast jeder" erwachsene Deutsche beherrscht. Die englische Sprache lässt also nicht den Schluss zu, dass Deutsche als Leser bzw. User der Website ausgeschlossen werden sollen. (Bitte vergleichen mit Argumentation des LG Köln!). Vielmehr zeige der Registrierungsbereich der Website gerade, dass sich auch Deutsche anmelden sollen, denn da kann man als country of residence Deutschland auswählen. Auch habe das Berufungsgericht ja schon festgestellt, dass die Website im Juni 2001 14.484 registrierte User hatte, die Deutschland als Wohnsitz angegeben hatten.
Wo es so viele deutsche Leser in Deutschland auf dieser Website gibt, kann man auch davon ausgehen, dass die ein besonderes Interesse an diesem Artikel mit dem verleumderischen Inhalt haben. Und diese Leser erzählen das dann weiter herum. Auch sind bestimmt Leser aus der Stadt des klagenden Geschäftsmannes dabei, auch Geschäftsleute. Also kann ein Schädigungs-"Erfolg" (in Anlehnung an den "Erfolgs"-Begriff, der eine Vollendung der Tat impliziert) so ohne weiteres bejaht werden.
Für die Zuständigkeit des deutschen Gerichts nach § 32 ZPO ist aber Voraussetzung, dass der Begehungsort sich im Bezirk des betreffenden Gerichts befindet; Begehungsort der deliktischen Handlung ist nach Ansicht des BGH sowohl der Handlungs- als auch Erfolgsort. Jedenfalls der Erfolgsort liegt hier in Deutschland, weil hier der Eingriff in das geschützte Rechtsgut droht.
- Was mich an dem Vorstehenden wundert, ist eine Widersinnigkeit: Im deutschen Strafrecht und Deliktsrecht gibt es aus vielerlei Gründen die dogmatische Unterscheidung zwischen Handlung und Erfolg. Sie ist z.B. wichtig zur Unterscheidung von Versuch und Vollendung eines Straftatbestandes (auch im Zivilrecht bei der unerlaubten Handlung im Sinne von § 823 BGB). "Begehungsort" im Sinne des § 32 ZPO kann eigentlich nur der Ort der Handlung sein, nicht zugleich auch der Ort, wo der Erfolg eintritt. Sonst müsste es in § 32 ZPO heißen: " ... ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erfolg der Handlung eintrat." Es gibt freilich auch Gefährdungsdelikte, die bereits verwirklicht sind, wenn man etwas Bestimmtes tut, bei dem man bestimmte Rechtsgüter in Gefahr bringt, ohne dass tatsächlich oder nachweislich was Schlimmes passiert. Aber wenn man die Verleumdung als ein Gefährdungsdelikt ansieht, dann sollte man das auch deutlich machen und nicht mit Begriffen arbeiten, die einstmals für klassische Erfolgsdelikte entwickelt worden waren.
§ 32 ZPO ist meiner Meinung nach in dem Falle, den der BGH hier gerade entschied, nicht erfüllt, wenn man auf "die Handlung" als Tatbestandsmerkmal ernsthaft abstellt. Die Handlung passierte in New York, wo der verleumdende Artikel, der dort vielleicht auch in die Zeitung gesetzt wurde, von einem Journalisten auf den Webserver geladen wurde. Der Erfolg trat in Deutschland ein, aber eröffnet dem Wortlaut des § 32 ZPO nach gerade nicht die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts.
Das Tatbestandsmerkmal des § 32 ZPO "Begehungsort" mag für Streitfälle im Bereich des Internetrechts zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Gerichts gar nicht geeignet sein. Es geht nicht an, die deutsche Sprache so zu vergewaltigen, dass man den "Erfolgsort" zum "Begehungsort" uminterpretiert. Der deutsche Gesetzgeber muss das alte Gesetz hier einfach mal modernisieren.
Der deutsche Geschäftsmann, der sich durch den Artikel aus Amerika in seiner Ehre verletzt sieht, muss richtigerweise in diesem Falle sein Recht vor dem amerikanischen Gericht suchen. Leider gibt es ja noch keinen Internetgerichtshof (etwa in Den Haag, wo sich der internationale Gerichtshof für Menschenrechte befindet).
Selbst wenn die New York Times in Deutschland eine Niederlassung hat: Wenn von hier aus der ihn verleumdende Artikel nicht ins Internet gebracht wurde, passt § 21 ZPO [besonderer Gerichtsstand der Niederlassung] nicht.
Der lautet wie folgt:
Absatz 1:
Hat jemand zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, so können gegen ihn alle Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, wo die Niederlassung sich befindet.
Absatz 2:
Der Gerichtsstand der Niederlassung ist auch für Klagen gegen Personen begründet, die ein mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigentümer, Nutznießer oder Pächter bewirtschaften, soweit diese Klagen die auf die Bewirtschaftung des Gutes sich beziehenden Rechtsverhältnisse betreffen.
Die Vorinstanzen (Landgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 9. Januar 2009, Oberlandesgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 30. Dezember 2008) hatten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in diesem Streitfalle verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Das halte ich für richtig.
Was zeigen die zwei Fälle?
Die Richter beider Gerichte nehmen in den besprochenen Entscheidungen die deutsche Zivilprozessordnung nicht ernst. Es wird ergebnisorientiert argumentiert anstatt ergebnisoffen ausgehend vom Gesetzestext.
Jaja, auf hoher See und vorm Gericht sind wir alle in Gottes Hand!
[Ergänzung, 23.07.2013:] Und das meinte Rechtsanwalt Dr. Bahr zu dem BGH-Urteil in seinem Newsletter vom 13.04.2010:
"Das Urteil des BGH dürfte eine der für die alltägliche Rechtspraxis wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre sein.
Die Instanzgerichte und auch der BGH haben sich über zehn Jahre hinweg geradezu "gequält", einzelne, brauchbare Kriterien für den "bestimmungsgemäßen Abruf" bereitzustellen.
Nun wird ein Füllwort durch ein neues ersetzt: "Deutlicher Bezug zum Inland". Und es fehlt jede weitere Ausführung, was genau darunter zu verstehen ist.
Ohne jede wirkliche Notwendigkeit beginnt der BGH nun zwischen Persönlichkeitsverletzungen auf der einen Seite und "marktbezogenen Delikten" wie Wettbewerbsverletzungen zu differenzieren. Eine Begründung für diese Unterscheidung bleiben die Richter schuldig."
[Ergänzung 03.02.2013:
Auf die Unterscheidung zwischen Erfolgsort und Handlungsort kam es in beiden Fällen tatsächlich gar nicht an, denn in beiden Fällen ging es um Immaterialgüterrechte des Klägers und nicht um Sachenrechte. Da die Immaterialgüterrechte (Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte) an keinem Ort belegen sind, kann es keinen vom Handlungsort abweichenden Erfolgsort (=Ort der Belegenheit der Sache) geben. Hier ist maßgeblich nur, wo in die dem Rechtsinhaber ausschließlich zugeordneten Handlungsbefugnisse eingegriffen wird (Hoeren, Internetrecht, Stand 2010, S. 451, Fußnote 1790). Das haben die Richter beider Gerichte übersehen. Wo dies der Fall ist, gilt auch das lokale Recht - Territorialprinzip (allgemeines Prinzip des Völkerrechts).
In diesem Sinne hinsichtlich des Territorialprinzips richtig begründet hat seine Zuständigkeit schon 1997 das Kammergericht Berlin (abgedruckt in Computerrecht 1997, 685) zur Verwendung eines in Deutschland markenrechtlich geschützten Begriffes als Domain unter der Top-Level ".com" durch ein US-Unternehmen. Es hat die Abrufbarkeit in der Bundesrepublik als allein ausreichend erachtet, um die Zuständigkeit für die vom deutschen Markenrechtsinhaber eingereichte Verletzungsklage zu bejahen. Fraglich ist aber, ob hier auch innerhalb Deutschlands Gerichte in Berlin zuständig waren. Das ist die Problematik des sogenannten fliegenden Gerichtsstands (mit der Folge der freien Wählbarkeit des Gerichts in örtlicher Hinsicht für den Kläger innerhalb Deutschlands). Darauf soll hier nicht mehr eingegangen werden, da das nicht mehr von der Überschrift zu diesem Beitrag gedeckt ist.
Prof. Hoeren erinnert in seinem Online-Kompendium "Onlinerecht", Ausgabe 2010 auf S. 449 zu Fußnummer 1785, dass § 32 ZPO bei Fragen der internationeln Gerichtsbarkeit (analog!) nur in solchen Fällen herangezogen wird, in denen die internationale Zuständigkeit im Hinblick auf einen außerhalb der Europäischen Union wohnhaften Beklagten zu bestimmen ist. Diese Aussage trifft auf die beiden hier erörterten Fälle jeweils zu.
Hat der Beklagte seinen Wohnsitz innerhalb der EU, gilt für die Frage der Zuständigkeit die EuGVO in Zivil- und Handelssachen (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12 vom 16. Ja-nuar 2001, S. 1 – 23.).]
Hierzu führt Hoeren a.a.O. aus:
"Die EuGVO geht davon aus, dass am Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVO) oder deliktische Ansprüche wahlweise am Ort der unerlaubten Handlung Klage erhoben werden kann (Art. 5 Nr. 3 EuGVO). Für den Tatort wird auf den Ort abgestellt „where the harmful event occured or may occur - (Art. 5 Nr. 3 EuGVO). Dies umfasst sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort. Der Erfolgsort wird jedoch seitens der Gerichte – ebenso wie bei § 32 ZPO – danach bestimmt, ob in einem Ort eine Homepage nicht nur zufällig abgerufen werden kann. Hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist zu beachten, dass nach der Shevill-Entscheidung des EuGH ausschließlich am Handlungsort der gesamte Schaden geltend gemacht werden kann. An den Erfolgsorten kann nur der im jeweiligen Staat eingetretene Teilschaden (wie auch immer dieser territorial berechnet werden soll) geltend gemacht werden."
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Weitere Rechtssachen zur Rechtsfrage der Gerichtszuständigkeit
1) Ergänzung 04.07.10:
Schlussantrag der EUGH-Anwältin Tristenjak vom 18.05.2010 (in der Sache Az: C-585/08) zur Frage, wann eine ausländische Website auf einen bestimmten EU-Mitgliedsstaat ausgerichtet ist.
2) Ergänzung 21.10.2011:
OLG München, Urteil vom 12.09.2011, Az: 29 W 1634/11: Keine Zuständigkeit des deutschen Gerichts bei Geltendmachung eines Internet-Auskunftsanspruchs gegen einen englischen Provider
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