Vom 1. bis zum 4. Dezember (Mittwoch bis Samstag) fand das Musikfestival Worldtronics im berliner Haus der Kulturen der Welt statt. Am Freitagabend ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, mich über die russische Elektro-Szene zu informieren. Ihr Können und ihren Stil präsentierten ein DJ aus Woronesch, einem aus Kirow ("Illuminated Faces") und einige DJs aus Moskau. Ich habe ein paar Kostproben mitgebracht und präsentiere sie hier. (So mache ich was gut, weil ich nicht zur Woche des russischen Films letztens im November war.)
Der Abend wurde eröffnet mit einem Film über eine gemeinsame Transsib-Eisenbahnreise deutscher und russischer DJs von Moskau nach Nowosibirsk und die Erlebnisse der deutschen DJs in den sibirischen Tanzklubs.
Abspann des Dokumenarfilms "elektroSTANZIJA"
Wegen S-Bahn-Ausfällen habe ich es nicht ganz pünktlich zum Filmbeginn geschafft; fünf nach sieben kam ich im Cafe Welt (oder so ähnlich) in dem Kulturhaus an. Etwa ein Dutzend Zuschauer auf den Stühlen, ein zweites Dutzend stand verteilt. Darunter waren Leute, die dabei waren auf der Fahrt mit der Transsib. Die lachten am meisten, erinnerten sie sich doch an die gefilmten Szenen. Und jetzt erschien es noch komischer als damals, vor ein paar Monaten.
Natascha Padabed, die Leiterin des Festivals, kündigt Illuminated Faces an
Von den Teilnehmern der russisch-deutschen DJ-Treffens auf Gleisen, über das der Film handelt, war mir nur Hans Nieswand ein Begriff, denn dessen Name fiel schon öfter mal im berliner Radioprogramm. Außer ihm hatte da noch ein DJ (oder war es der VJ? = Video Jockey) der gastierenden Elektrokünstler eine schwarze Designer-Hornbrille. Und so fühlte ich mich in der zweiten Sitzreise unter den zuschauenden DJs und deren Freunden "in". - Für ein Festival hätten es gerne ein paar Dutzend mehr Zuschauer sein können. Aber es war eben erst gegen Sieben und die nächste S- und U-Bahn-Station erst am Hauptbahnhof). Elektro Stanzia heißt der Film (Elektrostation).
Sogwirkung der Musik. Jan Kalnberzin und Wichornow am Set
Elektro Stanzija
So, die jungen Kollegen hatten ihre Ausrüstung für ihre Gigs in russischen Diskotheken dabei, verschiedene Pulte, in die sich Töne, Sequenzen und Samples einspielen lassen, die man per Knopfdruck sofort auswerfen kann. (Kamen dann hier live zum Einsatz.) Und Notebooks, Mikrofone und Kabel. Und damit haben sie sich was zusammengemischt, was sie produziert haben, aus dem Ärmel geschüttelt haben, sozusagen.
Man verständigte sich in englisch. Und rappte gemeinsam. Zum Text für das Stück, das sie nach Nowosibirsk von der Reise mitbrachten, steuerten beide Seiten was Ausgesponnenes bei. Der russische Text wurde von den des Russischen nicht mächtigen Deutschen eingeübt. Der eine, dessen Name mir entfiel, war später im Klub als MC zu sehen (vielleicht war es Matias Aguayo, dessen Bild ich im kleinen Begleitheftchen zum Festival gerade sehe). Solche MCs unterlegen Elektromusik oder Drum & Bass mit ihrer Stimme, spontanen Texten und feuern das Publikum an. Ich erlebte sowas mal mit MC Conrad auf einer Nacht mit LTJ Bukem (Good Looking Records) in Dresden.
Das einstudierte Stück hieß dann, glaube ich: "Pojechali!" = "поехали!". - Die jungen Deutschen geben in diesem Dokumentarfilm auch ihre Gedanken und Gefühle zur Fahrt mit der Bahn preis. Nahmen die Geräusche der Räder auf den Schienen auf und brüllten gleichzeitig ins Mikro im Rhytmus "Poechali!". Der russische DJ war etwas zurückhaltend-schüchtern im Vergleich zu Matias Aguayo. Die deutschen Elektrofreunde schauen sich während eines Halts auf einem Bahnhof in der Kälte an, wie Kohlen oder Koks für die Heizkessel nachgeladen wird, mit denen ihr Teewasser aufgekocht wird. Einer filmt, wie sich bei der Abfahrt die Wagon-Tür nicht schließen lässt und die Diensthabende ihrer Kollegin zuruft.
Hans Nieswand musste in einem Klub die Gogo-Girls vor seinem Tisch auf der Bühne abfedern, mit einem Kissen unter seinen Turntables, denn die tanzenden Mädels ließen die Nadel springen.
Elektro-Mosaik aus Russland
Unsere russischen Elektro-Meister boten heute abend ihre musikalische Kost ohne Plattenspieler, stattdessen Notebooks und jene Pulte mit den gespeicherten Samples, auf denen herumgehackt und Knöpfe gedreht wurden. Hinter ihnen an der Leinwand gab es von Video-Jockeys gebastelte visualisierte Filmchen.
1. Set
Die erste Session kam gut an. Inzwischen waren mehr Leute eingetroffen als den Film angesehen hatten und geil darauf und neugierig. Die Stühle waren weggeräumt, aber die Musik war nicht leicht tanzbar. Wir Gäste schauten uns die bunten Bilder an. Ich stand natürlich in der Mitte der Boxen, um Stereo zu genießen - und ich fing nun was davon ein. Das könnt Ihr hier hören.
Den Anfang machte kurz nach acht Illuminated Faces. Musik, die sich gut über Kopfhörer hören lässt, wenn man Eisenbahn fährt. Hat mir erst gefallen. War warme Musik, nicht so hart und schneidig. Die Musik erinnert mich etwas an Aphex Twin und Autechre. Aber es war mir dann doch ein bisschen zu eintönig und ermüdend. Apropos schneidig: Messer sah man in der Illumination später noch bei anderen DJs, und Rotorblätter von Windrädern. Ein Bekenntnis zu erneuerbaren Energien? Ins Bild gesetzt hat die Musik der aus Belarus stammende (so sagte mir Roman Tsepelew aka Illuminated Faces nach seinem Set, als er zum Fotografieren neben mir vor der Bühne stand) Jan Latuschka aka VJ Acidburn.
Heute abend werde ich noch nicht fertig mit diesem Bericht und der Bearbeitung, dem Hochladen des ganzen Materials. Also die Tage wieder vorbeischauen! Dann gibt es Bilder, mehrere Minuten Musik.
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Ergänzung 12.12.10:
2. Set
Bitte den Player anwerfen! Als nächstes waren der Keyboarder und Komponist Wichornow und der VJ Jan Kalnberzin dran. Wichornows Sound ist düster, abweisend. Passt gut zum John-Carpenter-Science-Fiction-Film "Die Klapperschlange". - Neben mir tauchte Roman (Illuminated Faces) mit einer Kamera auf, um seinen Kollegen und sich ein Andenken an diesen Abend zu schaffen.
3. Set
Den dritten Part bestritt der Pixelord mit einem Sound, der mich an Trickfilme der 80er Jahre erinnert. Aber vor allem liefen auf der Leinwand die alten Daddelspiele, Computer-Ballerspiele. Pixelord hatte Töne drauf, die ich von Spielhöllen her kenne. Die Fläche vor ihm ist da relativ dünn besiedelt gewesen. Tanzbar war diese Musik absolut nicht. Sie hat da etwas Destruktives. Schade war das schon. Es tat mir ein wenig leid, denn er hätte schon mehr Anerkennung verdient. Er strampelte sich vorne was ab an den Reglern. Schwierig, ein unverwackeltes Foto von ihm zu schießen.
Pixelord zauberte vor Trickfilmlandschaften
Wo waren alle die Spielefreaks nur? War es wirklich noch zu früh am Abend? So eine Gelegenheit, einen Überblick über eine Musikszene eines Landes live zu bekommen, bietet sich nicht alle Tage. - Vielleicht hätte man 3 Wochen vorher große Poster kleben müssen. Nun, ich zog mich auch etwas zurück und holte mir hinten an der Bar ein Baguette und ein Weizen.
Die Mitschnitte
Mitschnitt 1: Abspann des Dokumentalfilms: Hans Nieswand im Radiostudio, wie er Musik vorstellt von den Kollegen der Transsib-Reise
Mitschnitt 2: Set 1: Illuminated Faces (Roman Tsepelew)
Mitschnitt 3: Set 2: Wichornow + Jan Kalnberzin (Visualisierung)
Mitschnitt 4: Set 3 Pixelord (Alexej Dewianian)
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