Hip Hop in Berlin auf russisch
Vadim:
Wir sind bisher nicht in Moskau aufgetreten.
Zu Flastmaster 2010 kam ein ganz bekannter Rapper aus Prag, der in Russland bekannt ist. Zu Flastmaster 2011 haben wir einen Old-School-Rapper aus Moskau eingeladen, G-Wilx, er und seine Crew Big Black Boots waren vom Anfang an dabei. Er ist am 21.5.2011 bei uns aufgetreten. Wir haben dann deren Aufenthalt in Berlin organisiert, was für uns auch eine neue Erfahrung war.
Jörg:
Wie seit Ihr an Eure Location in Berlin gekommen, den Hangar 49? Wer kommt für die Miete auf? Wird Eurer Projekt gefördert? Habt Ihr Sponsoren?
Vadim:
Sponsoren aus finanzieller Sicht hatten wir niemals. Wir haben immer alles selbst organisiert und finanziert. Ein HATA-Mitglied Vasilij „Luvas“ kannte den Inhaber des Clubs (Paul, „DJ InterPaul“) von früher noch. Der hatte nie was dagegen, dass wir dort was organisieren. Die Russen versuchen sich ja generell gegenseitig zu helfen. Paul ist selbst russischer Abstammung und ist selbst DJ, Sänger und Musiker, spielt fast jedes Instrument, macht Beatbox. Eine sehr interessante Persönlichkeit, ein Multitalent.
So kam es, dass wir dort unsere Partys gefeiert haben. Die Location ist angenehm, auch optimal von der Größe.
Jörg:
Wie weit ist Eure Szene in Berlin heute schon kommerzialisiert? Es ist doch aus einem Freundeskreis heraus entstanden. Inzwischen scheint es so, als würden daran Projekte angedockt werden, mit denen Geld verdient wird. Die jeweiligen Websites dieser Projekte sind auch untereinander vernetzt. Da findet man dann auch zu Shops. Daher die Frage, was ist noch entkommerzialisierte Zone und wo beginnt das Geschäft heute in Eurer Szene?
Vadim:
Die Musik ist gar nicht kommerziell. Wir machen nicht Musik, um damit Geldeinnahmen zu erzielen. Wir haben 2008 das Hata-Album herausgebracht. Davon haben wir 500 Stück gepresst. Wir haben die Release-Party organisiert. Im Endeffekt bekommen wir gerade so unsere Kosten rein. Wir haben damit nie Gewinn erzielt. Auch an den Konzerten haben wir nichts verdient. Wenn nach einem Konzert was übrig blieb, haben wir das Geld in die Organisation des nächsten Konzerts reingesteckt. Es war ein Hobby. Nur der Flast Shop (www.flast-shop.de) ist eine kommerzielle Angelegenheit, womit ich versuche ein paar Moneten hinzu zu verdienen.
Jörg:
Kann man sagen, dass die auch von Dir mit aufgebaute russischsprachige Berliner Rapszene den Russen bessere Chancen auf ein Einkommen bietet? Die Antwort hast Du ja eben schon teilweise vorweggenommen. Aber siehst Du Chancen, dass ein paar Leute aus dieser Szene sich damit vielleicht auch selbständig machen können, oder vielleicht über einen Kleidungs-Shop für die Szene etwas verdienen zu können?
Vadim:
Wenn man Musik für die Massen macht, hat man Chancen. Man muss dann aber immer am Ball bleiben. Aber wenn man mit russischsprachiger Musik Geld verdienen will, glaube ich, muss man schon in Russland wohnen. Das ist in den meisten Fällen so. Denn man muss auftreten, muss präsent sein, Interviews geben, man muss Kontakte knüpfen. Das ist einfach fast unmöglich von Berlin aus. Es gibt einen oder zwei Rapper, die in Deutschland wohnen und die das geschafft haben. Aber man muss schon eine starke Persönlichkeit haben, etwas gewonnen haben. Eine Gruppe kenne ich, die ein Album in Russland über ein Label herausgebracht hat und damit was erreicht hat. TRS aus Wuppertal.
Prinzipiell sind schon Chancen da. Man muss Leidenschaft haben und die Chancen am Schopf greifen und hart arbeiten, nachdem man sich für einen Musikstil entschieden hat. Dann kann man vielleicht auch in Afrika wohnen.
Jörg:
Erzähle was zu Deinen eigenen Musikprojekten! Du hast ja Dein eigenes Album erwähnt und hast mir erzählt, dass demnächst ein paar Deiner Werke veröffentlicht werden sollen. Wie viele Stücke sind das? In welcher Form kommen diese Werke heraus?
Vadim:
Das Album wird neun Stücke haben, acht Lieder und einen Remix. Das wird als Download angeboten. Am 28. April wird die Release-Party dafür geben. Ab Mitte März wird es auch die Downloads geben.
Jörg:
Im Internet habe ich von Dir Videos entdeckt, die Anfang einer Serie sind. Du sprichst dort nur, also je Video trägst Du ein Gedicht vor. Es reimte sich (wie ja auch bei Euren Raps schon). Sind diese Texte in Deinen Gedichten noch die typischen Rap-Texte, oder entwickeln sich die Texte in eine andere literarische Richtung?
Vadim:
Anders als sonst habe ich angefangen, Texte ohne Musik, ohne Beats zu schreiben und nun hinterher die Musik dazu zu komponieren ist zu schwer. So kam ich auf die Idee, einen Rapper-Blog zu machen, einen Videoblog, auf dem ich versuche, was zu rappen. Die Themen sind jetzt ganz anders. Beim zweiten Teil dachte ich, ich muss was anderes machen, das ist eben ein Rap-Gedicht. Das erste Stück heißt "Evolution". Darin geht es darum, was ich über Evolution denke. Der zweite Teil ist in etwa "Drogen des Daseins". Darin geht es um kleine Mädchen, die sich von Glammer beeindrucken lassen, die gedankenlos handeln. Es geht auch darum, dass wir vom Materiellen so besessen sind. Das wir eigentlich nicht sehen, was in uns drin steckt. Aber ich glaube doch, dass man aus dieser schwarzen Welt herauskommen kann.
Jörg:
Was meinst Du mit "Revolution"? Ist das auf Nordafrika projiziert? Waren die Revolutionen in diesem Jahre 2011 dort für Dich die Inspiration für dieses Stück? Oder waren die Proteste in Nordamerika gegen die Finanzwelt Inspiration? Meinst Du also diese Revolution in der heutigen Zeit oder die, wie man sie aus Geschichtsbüchern kennt?
Vadim:
Nein, das Stück heißt "Evolution". Revolution will ich nicht. Mittlerweile versuche ich mich von Protestkundgebungen fernzuhalten, von allem Negativen. Ich verstehe, dass in manchen Staaten nur das der Weg zur Befreiung ist, aber heutzutage versuche ich meine kleine Welt zusammen zu halten, für die Familie da zu sein, mich nicht provozieren zu lassen. Ich habe angefangen, die Welt jetzt ein bisschen anders zu sehen. Ich mache mir keine Ambitionen darüber, wie ich die Welt ändern kann, sondern Gedanken dazu, wie ich mich selbst entwickeln kann.
Jörg:
Es klingt so an, als wärst Du früher aggressiver gewesen. Ich frage das auch aus der Erfahrung heraus, dass die Rapper ja häufig ziemlich aggressiv wirken, in der Art und Weise, wie sie sich ausdrücken. Vielleicht gibt es da auch irgendwelche Verbindungen zu den Sprayern. Graffity kommt ja aus Amerika. Ist da noch irgendwie was übrig von den Wurzeln aus Amerika?
Vadim:
Nein, ich war nie aggressiv. Ich denke ich war nur blind, was mein Dasein auf der Erde angeht.
Ich habe aufgehört, amerikanischen oder überhaupt englischsprachigen Hip Hop zu hören. Denn die Rapper feiern nur sich selbst. Darin sehe ich keinen Sinn für mich. Ein 50-jähriger Mann sagt: "Ich bin der Beste. Ihr seid alle so und so.“ Ich verstehe das nicht, wie man so primitiv denken kann. Ich denke, wenn man 50 ist, sollte man schon was gelernt haben, was wichtig ist. (Er nennt nicht den Namen des Rappers, den er meint. J.S.)
Jörg:
Auch in Berlin sieht man ja öfters Jugendliche, die sich übertrieben wichtig nehmen und keinen Respekt vor anderen zeigen, aber von Altersgenossen sehr viel Respekt einfordern und die sehr aggressiv sind. Deswegen kam es ja jetzt mehrfach dazu, dass Leute in der U-Bahn zusammengeschlagen wurden. Dabei haben diese Jugendlichen noch nicht viel geleistet. Und das ist auch ein Grund für mich selbst, warum Hip Hop für mich nicht interessant ist, wegen dieser aggressiven Wichtigtuerei.
Vadim:
Ja, das ist banal. Leider lassen sich die meisten Jugendlichen von den Gangstern aus den Videos inspirieren. Das ist ja das, was mich auch fertig macht, auch seelisch. Die könnten was Besseres mit ihrer Zeit anfangen. Aber die schauen sich diese Videos an mit dieser Luxuswelt mit den großen Autos, den schönen Frauen, Rapper mit der Goldkette am Hals. Die Jugendlichen wollen genauso sein. Aber sie sind natürlich aus den anderen Lebensverhältnissen, die Mentalität ist anders und im näheren Betrachten sind alle weich im Inneren, was eigentlich noch Hoffnung lässt.
Jörg:
Ich glaube auch, wenn man sich nach außen hin immer cool präsentiert, dann färbt das bald auch auf den Charakter ab. Dann werden diese Leute auch unnatürlich, nicht wahr?
Vadim:
Das ist wirklich so, ja.
Jörg:
Wie siehst Du Deine eigene Zukunft? Als Künstler? Gehst Du einem regulären Beruf nach?
Vadim:
Ich habe gerade meine Ausbildung abgeschlossen und bekomme gerade einen Praktikumsplatz. Möglicherweise kann ich dann bei der Firma im Anschluss an das Praktikum regulär weiter arbeiten. Ich denke, ich werde immer Musik machen oder, sagen wir besser, schreiben. Meine Musik ist nicht so Entertainment. Sondern ich will mit meiner Musik den Leuten was sagen. Ich sehe mich als Oppositionellen zum Mainstream des Materiellen, möchte den Leuten Werte erklären. Einige aus meinem Bekanntenkreis finden das toll. Ich weiß auch, dass einige Leute diese Art der Motivation brauchen. Über die Musik erreiche ich sie.
Jörg:
In Berlin Marzahn-Hellersdorf leben ja eher die Leute mit geringem Einkommen in den Hochhäusern und die Arbeitslosenquote ist dort wahrscheinlich etwas höher als in der City. In Charlottenburg wohnen viele Wohlhabende, darunter auch Russen, die dort auch ihre Läden haben. Ich könnte mir vorstellen, dass die Jugendlichen mit russischem Hintergrund, die zu Euch in den Klub kommen wegen der Musik, wenn sie sich damit beschäftigen, vielleicht auch abgelenkt sind von Dummheiten. Indem Energie, die sonst an Gegenständen ausgelassen wird (Vandalismus) umgelenkt wird in das Einüben von Rap-Reimen, in kreative Tätigkeit, die keinen Schaden anrichtet. Ist das so?
Aber wenn Du Dich da jetzt herausgenommen hast, Flastmaster erst mal ruht, gibt es da noch jüngere Jugendliche, die Dir folgen, für die Du Vorbild bist? Bei denen Du Dir denkst, dass Du auf die etwas aufpasst, damit die keine Dummheiten machen?
Vadim:
Nee. Was bedeutet denn Vorbild? Und wer bin ich denn schon. Ich weiß es nicht. Ich will kein Vorbild sein. Ich will [...Nächste Seite]
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