Jörg:
Ich bin auf Dich vor gut einem Jahr aufmerksam geworden durch einen newsletter von Flast.info, der sich in meinen email-Account verirrt hatte. Deswegen sind wir ins Gespräch gekommen. Ich schaute mir jene Website an und entdeckte dahinter eine community, die ein Teil der Kulturszene in Berlin mit russischem oder russischsprachigem Hintergrund ist. Diese möchte ich hier einmal vorstellen. Beginnen wir mit der Website Flast.info
Vadim:
Was Flast bedeutet, weiß ich eigentlich nicht. Vor etwa 2 Jahren wurde das Flast-Studio eröffnet. Der Inhaber dieses Tonaufnahmestudios hat sich das einfach ausgedacht. Ich weiß nicht woher. Und dann haben wir im Logo diese Flip-Flop-Sandalen mit dem Fuß. Das soll die Standfestigkeit repräsentieren. Und die Website selbst - Wir, ein paar Jungens haben uns zusammengeschlossen, um den russischen Rap in Deutschland, natürlich in erster Linie in Berlin zu repräsentieren, einige Künstler zu supporten (=unterstützen, J.S.), als eine Plattform für die Berliner Hip-Hopper.
Jörg:
Wer ist der Inhaber von Flast?
Vadim:
Der Inhaber des Tonstudios ist Eduard Syrov.
Jörg:
Wann und wie entstand das Projekt "Flast"?
Vadim:
Wir waren ja schon davor eine große Gemeinschaft "Hata", aber es gibt in Berlin ja noch einige Künstler, die sich präsentieren wollen. Für die wollten wir was anderes erschaffen und unter jenem Namen (Flast) auch Konzerte organisieren. Flast ist also aus Hata heraus als Idee entstanden. Alles hat mit der Eröffnung des Tonstudios „Flast Records“ angefangen und das hat dann Impulse gegeben, dass wir uns gesagt haben, jetzt können wir auch mal was organisieren, irgendwelche Konzerte. Wir hatten also einen anderen Namen bekommen, unter dem wir agieren konnten.
Jörg:
Vadim, Du hast einen russischen Vornamen und einen deutschen Familiennamen. Sagst Du etwas zu Deinen Wurzeln? Hast Du in Russland gelebt? Wie lange lebst Du in Berlin?
Vadim:
In Berlin lebe ich schon seit 1998. Meine Urgroßeltern väterlicherseits sind deutscher Abstammung. Sie haben in einem deutschen Dorf im Altaigebiet gelebt. Mein Opa ist, wie ich so sagen kann, 100 Prozent deutsch. Er hat eine russische Frau kennen gelernt und dann ist er zu ihr nach Kirgisien umgezogen. Und so sind wir irgendwann entstanden. Und natürlich hatten die Deutschen noch bis vor kurzem die Möglichkeit, mehr oder weniger leicht nach Deutschland zurückzukehren. Es hat natürlich viele bürokratische Hürden gegeben. Und im Rahmen der Möglichkeiten, die Familien zusammenzuführen, sind wir dann hierher gekommen.
Jörg:
Flast (bzw. Du) organisiert jeden dritten Samstag im Monat einen russischen Rap-Wettbewerb "HATA und Friends" im Hangar 49, einer Location unter der S-Bahn-Linie, an der S-Bahn-Station Jannowitz-Brücke in Mitte. Seit wann gibt es den Wettbewerb? Wieviele Rapper, Freunde und Fans kommen zu diesen Veranstaltungen?
Vadim:
Da muss ich einige Punkte korrigieren. Ab Januar 2011 haben wir versucht das zu organisieren. Das sollte aber kein Wettbewerb sein, sondern eine Möglichkeit für Rapper aus Berlin und ganz Deutschland, einmal im Monat aufzutreten. Das gab es aber nur vier Monate lang, bis April 2011. Und im Mai hatten wir den Contest "Flastmaster 2011" und dann gab es keine weiteren Veranstaltungen mehr. Es kamen Rapper aus Rostock, es kam einer aus Krefeld. Das liegt bei Duisburg und am Rhein. Dann gab es ein paar deutsche Szenen, also deutsche Crews, die aufgetreten sind. Aber das Interesse war nicht so groß. Mit jedem Monat gab es immer weniger Interessenten, die das ansehen wollten. Dann haben wir einfach verstanden, dass so eine Veranstaltung, die jeden Monat stattfindet, für die Menschen zu anstrengend ist. Berlin ist eigentlich gar nicht so groß. Es gibt hier nicht so viele russischsprachige Liebhaber von Hip Hop. Wenn man die Veranstaltung einmal im Quartal macht, wird das interessanter.
Mittlerweise haben wir eine Spielpause und jeder von uns beschäftigt sich mit eigenen Sachen. Unseren Input geben wir unserer Musik. Jeder einzelne von uns ist Rapper und Musikschaffender und was weiß ich und wir wollen lieber Zeit in unsere Musik investieren anstatt in Events. Aber ich möchte nicht sagen, dass die HATA-Veranstaltungen am Ende sind. Am 28. April wird es eine weitere Veranstaltung geben. Dann werde ich mein Album präsentieren und HATA wird sein sehr gutes Video präsentieren.
Jörg:
Aha, zu Deinem Album kommen wir nachher noch zu sprechen. Hast Du eine Vorstellung davon, wie viele Rapper aus der russischen oder russischsprachigen Szene es in Berlin wohl gibt. Vielleicht kamen sie alle mal zu Euren Veranstaltungen hin?
Vadim:
Das hat mich übrigens immer überrascht, als wir "Hata & Friends" angefangen haben zu organisieren, kannten wir nur einige in unserem Freundes- und Bekanntenkreis. Mit der Zeit kamen dann neue Leute dazu. Wir haben uns gewundert, oh, es gibt ja noch mehr und noch mehr. Natürlich nicht sehr viele. Und die Hip-Hop-Szene ist auch gespalten. Es gibt auf der einen Seite die Battle-Szene mit Jugendlichen, die wir nicht persönlich kennen. Hata, das sind schon zehn Mitglieder. Naja, vielleicht 20, vielleicht 30 in Berlin. So genau kann ich das nicht schätzen. Jeder kann heutzutage ein Mikrofon kaufen und dann nennt er sich Rapper. Oder er schreibt ein paar Texte und nennt sich wieder Rapper. Daher ist es schwierig zu zählen, wer ist denn jetzt Rapper. Die Szene ist also nicht groß. Am Underground-Hip-Hop gibt es kein großes Interesse. Das ist auch normal, das ist überall so. Mainstream ist Mainstream und Underground ist eben Underground.
Jörg:
Gehören zu Eurer Community in Berlin auch Jugendliche ohne russischen Hintergrund? Oder sind gute russische Sprachkenntnisse eine aus der Natur der Sache notwendige Bedingung, um als Mitglied aufgenommen zu werden? Okay, mit der Mitgliedschaft habe ich schon verstanden. Es ist ja eher eine lose Verbindung. Aber gab es auch Rapper, die bei Euch vorbeigeschaut haben und mal auf der Bühne aufgetreten sind oder seid Ihr alle Leute mit Russisch als Muttersprache?
Vadim:
Nein, wir haben uns da jetzt nicht festgelegt. Bei "Hata & Friends" ist auch ein Duo aus Marzahn aufgetreten, von dem einer Deutscher ist und der andere russischsprachig. Wir haben dann auch versucht, uns deutsche Rapper einzuladen. Wenn wir gut mit den Leuten klarkommen, wieso nicht? Hauptsache der Kontakt ist gut.
Jörg:
Wie gestalten sich Eure Beziehungen zur sonstigen Rap-Szene in der Stadt? Wir haben ja eine deutsche Rap-Szene, z.B. mit Peter Fox aus Berlin. Interessiert Ihr Euch auch für diese Szene?
Vadim:
Ich kann jetzt bloß für mich sprechen. Es ist schwer, für die anderen zu sprechen. Manche interessieren sich mehr, andere weniger. Die Berliner Rapszene ist sehr vielseitig. Es gibt eine große Battle-Szene, aber auch eine große Underground-Szene. Im Jahre 2008 habe ich ein Projekt durchgeführt, das hieß Hip-Hop for Society. Wir haben eine CD gemacht. Das war ein Projekt von BGFF e.V. Da haben wir versucht, diesen deutsch-russischen Mix zu gestalten. Das ist eigentlich auch sehr gut gelungen. Man kann das auch immer noch ergooglen: Hip Hop for Society. Das ist ein Sampler mit 15 Tracks, mit deutschen, russischen und auch einem englischen und spanischen Track. Die Themen waren sehr vielseitig, schwerpunktmäßig soziale Themen.
Aber in letzter Zeit interessiere ich mich nur noch wenig für die Szene. Denn es geht doch immer nur um das Gleiche. Das ist mir einfach zu langweilig geworden. Ich brauche neue Impulse. Ich mache ja noch selber Hip Hop. Es gibt dann so etwa fünf bis zehn Künstler, deren Schaffen und deren News ich verfolge. Aber das ist dann auch alles.
Ich höre von vielen, die inzwischen über 30 sind und in der Szene waren, dass sie jetzt was Neues machen. Okay, ich bin noch nicht 30, aber auch schon lange in der Szene und ich denke auch so.
Jörg:
Ich habe ein paar Videos von Euch auf einer Website gesehen, die in den Straßen von Berlin aufgenommen worden waren. Was sind das nun für Themen, um die es darin geht? Du kennst ja all diese Leute persönlich und deren Texte.
Vadim:
Wir haben bei Hata immer auch versucht, ein bisschen Deutschland zu repräsentieren. Wir wohnen ja nicht in Russland und können da nicht über Dinge sprechen, die dort passieren. Wir müssen über unsere Seite, auf der wir wohnen, sprechen. Es gibt typische Hip-Hop-Texte, es gibt Lyrik, es gibt Storytelling (=Geschichten erzählen, J.S.), Meinungsäußerungen, aber auch viele andere Themen, von A bis Z. Es ist schwierig, sich auf eine Sache festzulegen.
Was mich persönlich betrifft, so geht es nicht direkt um Philosophie, aber ich beschäftige mich mit vielen negativen Dingen, von denen ich mich losgesagt habe. Z.B. das Rauchen und Trinken. Ich stehe heute für einen liebevollen Umgang miteinander und zu meinem Wort. Liebe und Zuverlässigkeit, diese Werte beschäftigen mich jetzt. Und wenn man von all dem Negativen wegkommt, dann sieht man die Welt irgendwie von außen. Ich sehe heute solche Dinge, die mir früher gar nicht aufgefallen sind.
Jörg:
Innerhalb dieser Szene gibt es ja eine eigene Sprache, vielleicht auch eine eigene Art sich zu kleiden. Bestimmte Gesten und Symbole sieht man immer. Also es geht in der Szene um mehr als nur die Musik.
Vadim:
Die Kleidung, die so typisch für die Rap-Szene war (weite Hosen, Caps), das hat heute nachgelassen. Auch Vertreter anderer Stile tragen heute diese Caps. Und diese breiten Hosen werden heute nicht mehr so getragen. Äußerlich anhand der Kleidung sind die Rapper heute also nicht mehr unbedingt aus der Masse der Musikszene heraus identifizierbar.
Jörg:
Du sagtest, Du hast Dich etwas aus der Szene entfernt. Aber Du kennst die Szene sehr gut. Deswegen hat die Frage vielleicht noch eine Bedeutung: welche Kontakte hatHata zur Szene in Russland? Traten bei Euch schon Rapper aus Russland auf, die in der Szene einschlägig bekannt sind? Reisten von Euch Mitglieder zu Contents nach Moskau?
Vadim:
Wir sind bisher nicht in Moskau aufgetreten.
Zu Flastmaster 2010 kam ein ganz bekannter Rapper aus Prag, der in Russland bekannt ist. Zu Flastmaster 2011 haben wir einen Old-School-Rapper aus Moskau eingeladen, G-Wilx, er und seine Crew Big Black Boots waren vom Anfang an dabei. Er ist am 21.5.2011 bei uns aufgetreten. Wir haben dann deren Aufenthalt in Berlin organisiert, was für uns auch eine neue Erfahrung war.
Jörg:
Wie seit Ihr an Eure Location in Berlin gekommen, den Hangar 49? Wer kommt für die Miete auf? Wird Eurer Projekt gefördert? Habt Ihr Sponsoren?
Vadim:
Sponsoren aus finanzieller Sicht hatten wir niemals. Wir haben immer alles selbst organisiert und finanziert. Ein HATA-Mitglied Vasilij „Luvas“ kannte den Inhaber des Clubs (Paul, „DJ InterPaul“) von früher noch. Der hatte nie was dagegen, dass wir dort was organisieren. Die Russen versuchen sich ja generell gegenseitig zu helfen. Paul ist selbst russischer Abstammung und ist selbst DJ, Sänger und Musiker, spielt fast jedes Instrument, macht Beatbox. Eine sehr interessante Persönlichkeit, ein Multitalent.
So kam es, dass wir dort unsere Partys gefeiert haben. Die Location ist angenehm, auch optimal von der Größe.
Jörg:
Wie weit ist Eure Szene in Berlin heute schon kommerzialisiert? Es ist doch aus einem Freundeskreis heraus entstanden. Inzwischen scheint es so, als würden daran Projekte angedockt werden, mit denen Geld verdient wird. Die jeweiligen Websites dieser Projekte sind auch untereinander vernetzt. Da findet man dann auch zu Shops. Daher die Frage, was ist noch entkommerzialisierte Zone und wo beginnt das Geschäft heute in Eurer Szene?
Vadim:
Die Musik ist gar nicht kommerziell. Wir machen nicht Musik, um damit Geldeinnahmen zu erzielen. Wir haben 2008 das Hata-Album herausgebracht. Davon haben wir 500 Stück gepresst. Wir haben die Release-Party organisiert. Im Endeffekt bekommen wir gerade so unsere Kosten rein. Wir haben damit nie Gewinn erzielt. Auch an den Konzerten haben wir nichts verdient. Wenn nach einem Konzert was übrig blieb, haben wir das Geld in die Organisation des nächsten Konzerts reingesteckt. Es war ein Hobby. Nur der Flast Shop (www.flast-shop.de) ist eine kommerzielle Angelegenheit, womit ich versuche ein paar Moneten hinzu zu verdienen.
Jörg:
Kann man sagen, dass die auch von Dir mit aufgebaute russischsprachige Berliner Rapszene den Russen bessere Chancen auf ein Einkommen bietet? Die Antwort hast Du ja eben schon teilweise vorweggenommen. Aber siehst Du Chancen, dass ein paar Leute aus dieser Szene sich damit vielleicht auch selbständig machen können, oder vielleicht über einen Kleidungs-Shop für die Szene etwas verdienen zu können?
Vadim:
Wenn man Musik für die Massen macht, hat man Chancen. Man muss dann aber immer am Ball bleiben. Aber wenn man mit russischsprachiger Musik Geld verdienen will, glaube ich, muss man schon in Russland wohnen. Das ist in den meisten Fällen so. Denn man muss auftreten, muss präsent sein, Interviews geben, man muss Kontakte knüpfen. Das ist einfach fast unmöglich von Berlin aus. Es gibt einen oder zwei Rapper, die in Deutschland wohnen und die das geschafft haben. Aber man muss schon eine starke Persönlichkeit haben, etwas gewonnen haben. Eine Gruppe kenne ich, die ein Album in Russland über ein Label herausgebracht hat und damit was erreicht hat. TRS aus Wuppertal.
Prinzipiell sind schon Chancen da. Man muss Leidenschaft haben und die Chancen am Schopf greifen und hart arbeiten, nachdem man sich für einen Musikstil entschieden hat. Dann kann man vielleicht auch in Afrika wohnen.
Jörg:
Erzähle was zu Deinen eigenen Musikprojekten! Du hast ja Dein eigenes Album erwähnt und hast mir erzählt, dass demnächst ein paar Deiner Werke veröffentlicht werden sollen. Wie viele Stücke sind das? In welcher Form kommen diese Werke heraus?
Vadim:
Das Album wird neun Stücke haben, acht Lieder und einen Remix. Das wird als Download angeboten. Am 28. April wird die Release-Party dafür geben. Ab Mitte März wird es auch die Downloads geben.
Jörg:
Im Internet habe ich von Dir Videos entdeckt, die Anfang einer Serie sind. Du sprichst dort nur, also je Video trägst Du ein Gedicht vor. Es reimte sich (wie ja auch bei Euren Raps schon). Sind diese Texte in Deinen Gedichten noch die typischen Rap-Texte, oder entwickeln sich die Texte in eine andere literarische Richtung?
Vadim:
Anders als sonst habe ich angefangen, Texte ohne Musik, ohne Beats zu schreiben und nun hinterher die Musik dazu zu komponieren ist zu schwer. So kam ich auf die Idee, einen Rapper-Blog zu machen, einen Videoblog, auf dem ich versuche, was zu rappen. Die Themen sind jetzt ganz anders. Beim zweiten Teil dachte ich, ich muss was anderes machen, das ist eben ein Rap-Gedicht. Das erste Stück heißt "Evolution". Darin geht es darum, was ich über Evolution denke. Der zweite Teil ist in etwa "Drogen des Daseins". Darin geht es um kleine Mädchen, die sich von Glammer beeindrucken lassen, die gedankenlos handeln. Es geht auch darum, dass wir vom Materiellen so besessen sind. Das wir eigentlich nicht sehen, was in uns drin steckt. Aber ich glaube doch, dass man aus dieser schwarzen Welt herauskommen kann.
Jörg:
Was meinst Du mit "Revolution"? Ist das auf Nordafrika projiziert? Waren die Revolutionen in diesem Jahre 2011 dort für Dich die Inspiration für dieses Stück? Oder waren die Proteste in Nordamerika gegen die Finanzwelt Inspiration? Meinst Du also diese Revolution in der heutigen Zeit oder die, wie man sie aus Geschichtsbüchern kennt?
Vadim:
Nein, das Stück heißt "Evolution". Revolution will ich nicht. Mittlerweile versuche ich mich von Protestkundgebungen fernzuhalten, von allem Negativen. Ich verstehe, dass in manchen Staaten nur das der Weg zur Befreiung ist, aber heutzutage versuche ich meine kleine Welt zusammen zu halten, für die Familie da zu sein, mich nicht provozieren zu lassen. Ich habe angefangen, die Welt jetzt ein bisschen anders zu sehen. Ich mache mir keine Ambitionen darüber, wie ich die Welt ändern kann, sondern Gedanken dazu, wie ich mich selbst entwickeln kann.
Jörg:
Es klingt so an, als wärst Du früher aggressiver gewesen. Ich frage das auch aus der Erfahrung heraus, dass die Rapper ja häufig ziemlich aggressiv wirken, in der Art und Weise, wie sie sich ausdrücken. Vielleicht gibt es da auch irgendwelche Verbindungen zu den Sprayern. Graffity kommt ja aus Amerika. Ist da noch irgendwie was übrig von den Wurzeln aus Amerika?
Vadim:
Nein, ich war nie aggressiv. Ich denke ich war nur blind, was mein Dasein auf der Erde angeht.
Ich habe aufgehört, amerikanischen oder überhaupt englischsprachigen Hip Hop zu hören. Denn die Rapper feiern nur sich selbst. Darin sehe ich keinen Sinn für mich. Ein 50-jähriger Mann sagt: "Ich bin der Beste. Ihr seid alle so und so.“ Ich verstehe das nicht, wie man so primitiv denken kann. Ich denke, wenn man 50 ist, sollte man schon was gelernt haben, was wichtig ist. (Er nennt nicht den Namen des Rappers, den er meint. J.S.)
Jörg:
Auch in Berlin sieht man ja öfters Jugendliche, die sich übertrieben wichtig nehmen und keinen Respekt vor anderen zeigen, aber von Altersgenossen sehr viel Respekt einfordern und die sehr aggressiv sind. Deswegen kam es ja jetzt mehrfach dazu, dass Leute in der U-Bahn zusammengeschlagen wurden. Dabei haben diese Jugendlichen noch nicht viel geleistet. Und das ist auch ein Grund für mich selbst, warum Hip Hop für mich nicht interessant ist, wegen dieser aggressiven Wichtigtuerei.
Vadim:
Ja, das ist banal. Leider lassen sich die meisten Jugendlichen von den Gangstern aus den Videos inspirieren. Das ist ja das, was mich auch fertig macht, auch seelisch. Die könnten was Besseres mit ihrer Zeit anfangen. Aber die schauen sich diese Videos an mit dieser Luxuswelt mit den großen Autos, den schönen Frauen, Rapper mit der Goldkette am Hals. Die Jugendlichen wollen genauso sein. Aber sie sind natürlich aus den anderen Lebensverhältnissen, die Mentalität ist anders und im näheren Betrachten sind alle weich im Inneren, was eigentlich noch Hoffnung lässt.
Jörg:
Ich glaube auch, wenn man sich nach außen hin immer cool präsentiert, dann färbt das bald auch auf den Charakter ab. Dann werden diese Leute auch unnatürlich, nicht wahr?
Vadim:
Das ist wirklich so, ja.
Jörg:
Wie siehst Du Deine eigene Zukunft? Als Künstler? Gehst Du einem regulären Beruf nach?
Vadim:
Ich habe gerade meine Ausbildung abgeschlossen und bekomme gerade einen Praktikumsplatz. Möglicherweise kann ich dann bei der Firma im Anschluss an das Praktikum regulär weiter arbeiten. Ich denke, ich werde immer Musik machen oder, sagen wir besser, schreiben. Meine Musik ist nicht so Entertainment. Sondern ich will mit meiner Musik den Leuten was sagen. Ich sehe mich als Oppositionellen zum Mainstream des Materiellen, möchte den Leuten Werte erklären. Einige aus meinem Bekanntenkreis finden das toll. Ich weiß auch, dass einige Leute diese Art der Motivation brauchen. Über die Musik erreiche ich sie.
Jörg:
In Berlin Marzahn-Hellersdorf leben ja eher die Leute mit geringem Einkommen in den Hochhäusern und die Arbeitslosenquote ist dort wahrscheinlich etwas höher als in der City. In Charlottenburg wohnen viele Wohlhabende, darunter auch Russen, die dort auch ihre Läden haben. Ich könnte mir vorstellen, dass die Jugendlichen mit russischem Hintergrund, die zu Euch in den Klub kommen wegen der Musik, wenn sie sich damit beschäftigen, vielleicht auch abgelenkt sind von Dummheiten. Indem Energie, die sonst an Gegenständen ausgelassen wird (Vandalismus) umgelenkt wird in das Einüben von Rap-Reimen, in kreative Tätigkeit, die keinen Schaden anrichtet. Ist das so?
Aber wenn Du Dich da jetzt herausgenommen hast, Flastmaster erst mal ruht, gibt es da noch jüngere Jugendliche, die Dir folgen, für die Du Vorbild bist? Bei denen Du Dir denkst, dass Du auf die etwas aufpasst, damit die keine Dummheiten machen?
Vadim:
Nee. Was bedeutet denn Vorbild? Und wer bin ich denn schon. Ich weiß es nicht. Ich will kein Vorbild sein. Ich willnur mein Gesicht zeigen, würde mich freuen, wenn der eine oder andere mein Lied versteht. Aber jeder hat seinen eigenen Kopf. Ich mache auch immer noch viele Dummheiten. Teilweise bin ich auch schwach in Momenten. Man lernt immer zuerst aus seinen eigenen Fehlern. Ich suche selbst manchmal nach Vorbildern für mich, die stärker sind als ich im Leben, in bestimmten Situationen.
Jörg:
Noch mal zu Deiner Ausbildung: Was ist das für ein Beruf, dessen Ausbildung Du jetzt abgeschlossen hast?
Vadim:
Kaufmann für audiovisuelle Medien. Manche gehen damit zum Fernsehen, manche zum Radio, andere in die Musikbranche. Ich beschäftige mich mit Werbung und Musik. Diese beiden Sachen möchte ich miteinander verbinden. Wenn ich hier arbeiten kann, bin ich zufrieden.
Jörg:
Vielen Dank für das Interview, Vadim. Ich wünsche Dir viel Erfolg und Spaß in dem Praktikum! Und dass Du dann dort auch gleich einen festen Arbeitsplatz bekommst. Für Dich persönlich und Deine Freundin alles Gute.
Vadim:
Dankeschön. Same to you.
Tipp für junge Rapper in Berlin und Brandenburg
Im Studio "Musik Macht Cash Studio GbR" in Berlin-Steglitz, Schloßstraße 29, 12163 Berlin kann man sich seine eigene Musik aufnehmen und abmischen lassen, kann man sich das Cover designen lassen und so weiter.
www.musikmachtcash.de
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