Mit dem Fahrrad durch Osteuropa, Erlebnisbericht, Teil 1
Das Hostel, in dem wir unterkommen, ist recht alternativ. Es ist im Prinzip nur eine Wohnung, die mit 14 offenbar selbstgezimmerten Doppelstockbetten zugestellt wurde. An den Wänden hängen Leninposter und alte deutsche Zeitungen. Es gab eine kleine Küche und ein kleines Bad für alle. Von außen erinnert das Gebäude stark an eine Ritterburg mit einem Turm und Zinnen.
Wir haben kaum Wasser und noch kein Geld in der Landeswährung. Da es bereits Abend ist (plus eine Stunde Zeitverschiebung), haben alle Banken und Wechselstuben geschlossen. Das Hostel können wir auch morgen bezahlen. Dafür muss Christoph aber seinen Reisepass als Pfand da lassen. Wir versuchen verzweifelt, Wasser für unsere Euros zu kriegen, aber obwohl wir einen 5-Euro-Schein für eine Flasche Wasser bieten, bleiben die Verkäuferinnen hart.
Die Räder haben wir mit hoch genommen und direkt an das Bett gekettet.
Donnerstag, 4. August 2011
Wetter: sonnig und warm
Morgens nach dem Aufstehen laufen wir erstmal zum Zentrum, um Geld zu holen, damit wir uns Wasser kaufen können. Dabei fällt uns auf, dass auf Läden nie steht, was sie sind, sondern was sie haben. Es gibt keine "Bäckereien", "Buchläden" oder "Tante-Emma-Läden". Stattdessen steht da "Chlib" (= Brot), "knyhy" (= Bücher) oder "produkty" (= Lebensmittel).
Die Stadt ist sehr weitläufig. Egal, wo man hin will, man läuft ewig, um von A nach B zu kommen. Wir finden eine Wechselstube und tauschen all unsere Zloty in Griwna. Anschließend geht’s direkt zum Buchladen, wo wir uns je ein Ukrainischwörterbuch kaufen. Danach holen wir uns das lang ersehnte Wasser. Die vielen Tante-Emma-Läden sind keine Selbstbedienungsläden, sondern man fragt die Bedienung nach den Waren. Problem: Wenn man nach Wasser fragt, kommt als Antwort: "Welches?". Es ist dabei schwierig, verständlich zu machen, dass einem das eigentlich egal ist.
Danach tingeln wir weiter gemütlich durch die Stadt. Wir kaufen uns Brot, Milch und ein Eskimo-Eis. Nachdem wir das gegessen haben, gehen wir in die Altstadt. Dort suchen wir uns eine Post und schreiben zusammen insgesamt fünfzehn Postkarten in die Heimat.
Jetzt müssen wir unsere Weiterfahrt planen. Dafür gehen wir zum Bahnhof. Etwa 14:00 Uhr fährt ein Bus nach Uschgorod in der Nähe der Grenze zu Ungarn. Ma gucken, wie das klappt.
Auf dem Rückweg zum Hostel kaufen wir uns auf dem Gemüsemarkt noch eine Honigmelone (3 kg für 15 Griwna, etwa 1,30 EUR). Dann verlaufen wir uns erstma tierischst und müssen wieder rumfragen. In einer kleineren Versicherungsfiliale fragen wir jemanden, der fünf Minuten lang auf Ukrainisch mit uns redet und auf unserem Stadtplan rumkritzelt. Merke: die Menschen hier sind sehr hilfsbereit, kommen aber nicht auf den Punkt.
Im Hostel kommt erstmal ein Pflaster auf die gelaufene Blase. Dann geht’s noch schnell Trinken und Brot für morgen holen. Danach wir im Hostel fürstlich gespeist. Es gibt Fertigsuppen aus der Tüte und besagte Honigmelone. Die war im Übrigen sehr süß, sehr saftig und sehr lecker. Unser Zimmernachbar aus dem United Kingdom (klar erkennbar am Akzent) lädt uns ein, mit in irgendeine Touristenbar zu gehen, was wir aber ausschlagen. Aus dem ursprünglichen Plan, in Lwiw in eine originale Russendisko zu gehen, wird wahrscheinlich auch nichts. Überall gibt’s face control und mit unseren Turnschuhen und zerrissenen Hosen wären wir massiv underdressed…
Natürlich haben wir uns auch etwas Kwas gekauft, russische Brotlimonade. Schmeckt schon geil, das Zeug.
Freitag, 5. August 2011
Wetter: warrrm
Früh verschenken wir erstmal die Flasche "Medoff"-Wodka, die wir gestern geholt hatten. Das Zeug ist echt bärze. Naja, unseren englischen Zimmernachbarn freut’s.
Wir latschen zum Bahnhof, um unsern Bus zu erwischen. Da wir noch Zeit haben, chillen wir erstmal ne Stunde bei ner Flasche Kwas. Danach suchen wir den Busplan. Dabei spricht uns ein Mann an und empfiehlt uns, den anderen Bus nach Uschgorod vom Busbahnhof aus zu nehmen. Er sucht weit und breit nach einem Taxifahrer, der unsere Räder mitnimmt. Nachdem wir festgestellt hatten, dass wir samt Rädern nicht in den alten Lada passen, wird uns ein Audi-Kombi vorgefahren. Wir quetschen uns auf die eingeklappte Rückbank zwischen Fahrräder, Fahrer, Tür und Dach – der Nacken hatte seine Freude dabei… Diese Fahrt kostete dann 100 Griwen (zirka 9 EUR).
Am Busbahnhof müssen wir den Busfahrer trotz bereits gekaufter Fahrkarte erstmal überzeugen, uns überhaupt mitzunehmen. Am Ende kosten die Räder nochmal 100 Griwen extra. Wir zwängen die Räder irgendwie kreuz und quer in die letzte Sitzreihe, dann geht’s los. Beim ersten Halt steigen nacheinander vier Bettelkinder ein und fragen rum nach ein paar Kopekchen. So in feuchte Kinderaugen gucken zu müssen, ist nicht gerade angenehm.
Mitten in den Karpaten bleibt auf einmal der Bus stehen und es kommt Rauch aus dem Motor. Die Fahrer machen zehn Minuten Pause, rauchen eine und kippen Mineralwasser auf den Motor zum Kühlen. Dann geht’s weiter. Auf der Fahrt spricht uns der Mann von der Sitzreihe neben uns an, ob er unsere Fahrräder kaufen könnte. Wir lehnen dankend ab.
Die Fahrt dauert insgesamt sechseinhalb Stunden. Wir fahren durch eine malerische Landschaft mit weiten Hügel, kleinen Kuhkäffern und kegelförmigen Strohballen so weit das Auge reicht. Mehrmals gehen wir hinter und reichen Kisten runter, die die Einheimischen im Bus transportieren. Während der ganzen Fahrt läuft ein und dieselbe CD mit sehr heimatverbundenen ukrainischen Schlagern. Das ist sechseinhalb Stunden am Stück kein Zuckerschlecken …
In Uschgorod sehen wir, dass der andere Bus aus Lwiw fast zeitgleich ankommt und auch genauso groß ist. Offenbar hat uns der Mann am Lwiwer Bahnhof verarscht, damit wir schön fürs Taxi bezahlen. Fail. Wir begeben uns auf die Suche nach einem Hotel. Wir finden das "Zakarpattja", ein Drei-Sterne-Plattenbau-Hotel.
Preise:
Doppelzimmer: 180 Griwen = 16 EUR
Fürstensuite: 550 Griwen = 50 EUR
Im Nachhinein hätten wir die Fürstensuite nehmen sollen. Die 25 EUR pro Nase sind nicht viel mehr, als was wir in Przemysl für das Hotel bezahlt haben. Wir nehmen aber ein Doppelzimmer im elften Stock. Das ist einfach und unaufgeräumt, aber für unsere Zwecke (Essen und Schlafen) völlig ausreichend. Die Fahrräder schieben wir einfach auf den Balkon. Von dem Balkon aus hat man auch eine ganz passable Aussicht.
Samstag, 6. August 2012
Wetter: heiß und sonnig
Am Morgen nach dem Aufstehen begegnet uns in einem Glas die Hinterlassenschaft unserer Vormieter: ein benutztes Kondom. Es ist ja schön, dass die sich liebhaben, aber man hätte es wenigstens entsorgen können. "Zimmerservice" ist in der unteren Preisklasse anscheinend auch ein Fremdwort.
Wir beschließen nach einer Recherche im Internet, einfach mit dem Rad über Tschop nach Ungarn zu fahren.
Ursprünglich war der Plan, mit dem Zug nach Rumänien zu fahren, aber Verbindungen von hier sind einfach, auf Deutsch gesagt, zu beschissen.
Im Foyer spricht uns eine Russin an, ob wir das W-LAN bei an ihrem Laptop einrichten können, aber selbst Johannes, der eigentlich Ahnung von so etwas hat, ist mit solch einem Laptop überfordert. Kann aber auch an der Sprachbarriere gelegen haben.
Vor der Abfahrt versuchen wir in einem nahe gelegenen Supermarkt die paar Griwen, die wir noch haben, zu verprassen. Es ist aber nicht möglich.
Wir haben gerade mal 80 Griwen (zirka 7 EUR) ausgeben können, mehr konnten wir nicht tragen.
Endlich machen wir uns auf den Weg nach Tschop. Das geht relativ schnell voran, leicht bergab und mit Rückenwind.
Noch in Uschgorod rennt Christoph ein schwarzer Hund hinterher und schnappt nach seinem Fahrrad. Zum Glück dreht das Vieh bald ab. Die teilweise verwilderten Hunde sind, wie wir feststellen, ein Problem in ganz Osteuropa.
Irgendwann, kaum merklich, verwandelt sich unsere kleine Landstraße in eine mehrspurige Schnellstraße. Jetzt, völlig ohne Landkarte unterwegs, haben wir die Wahl: links geht es vielleicht nach Tschop, geradeaus auf der Schnellstraße zur Grenze. Nach kurzem Überlegen entscheiden wir uns für die Grenze. Unser Ziel für heute lautet Ungarn.
Der Grenzübergang auf der Straße scheint ausschließlich für Pkw und Lkw gedacht zu sein. Wir fragen den Soldaten, der die Autos abfertigt, höflich auf Russisch, ob wir mit den Rädern rüber kommen können. Einfach so die Grenze zu überqueren trauen wir uns nicht. Der Grenzer mustert uns kurz und winkt uns schließlich zur Passkontrolle durch.
Unsicher laufen wir an der riesig langen PKW-Schlange einfach vorbei (Ist das eigentlich vordrängeln?) direkt zur Passkontrolle.
Dort angekommen machen sich die Grenzer einen Spaß mit uns und fragen, warum wir über die Genze wollen. Wir antworten, dass wir Deutsche sind und in Richtung Heimat unterwegs sind, worauf sie lachen. Dann sagt man uns: "Mit Fahrrädern hier rüber ist unmöglich" und stempelt, nach kurzem Warten, ob wir nicht doch noch Schmiergeld zahlen, die Papiere.
Die Güterkontrolle schon auf der ungarischen Seite besteht nur aus der Frage "Was ist in den Taschen?" "Vorsichtshalber verschweigen wir unseren polnischen Zubrowka-Wodka, damit wir nicht extra unsere Taschen abbauen müssen.
Als Johannes an einem Auto mit Münchner Kennzeichen vorbei läuft, ruft er erfreut ein kurzes "Freundschaft!" hinein, aber statt einer deutschen Antwort kommt nur ein verwirrtes russisches "Tschewo?" (= "Was?").
***
Vielleicht war es ein geklautes Auto?
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