
Das Russsische Visumzentrum ist eine Reaktion auf kommerzielle Visumerteilungszentren in Russland für deutsche Konsulate
Die deutschen touristischen Fachblätter haben leider nicht die kompetenten Fachkräfte, die sich damit beschäftigen können. Dagegen gibt es in den touristischen Verbänden, insbesondere DRV und ASR, auch Juristen, die diese Fragen hier prüfen könnten. Dazu müssten sie aber erst einmal von den davon Betroffenen hingewiesen werden, also den Russland-Reiseveranstaltern und Visadienstleister, die Verbandsmitglied sind.
5.2.2. Nehmen die Visumzentrale bzw. die Visum-Antragsstelle hoheitliche Aufgaben wahr?
Jemand, der die Auslagerung von Aufgaben, die im Rahmen der Visumerteilung anfallen, auf Private gegen die Anschuldigung der Rechtswidrigkeit verteidigen wollte, würde vermutlich gleich behaupten, dass hier gar keine hoheitlichen Aufgaben ausgelagert werden und daher die Auslagerung zulässig sei.
Denn schließlich übertrüge man nur Beratung, Entgegennahme von Anträgen, Ausgabe von Anträgen, Übermittlung von Erklärungen quasi als Bote und die Entscheidung über die Erteilung der Visa bleibe ja den Konsulaten vorenthalten.
Das greift meiner Meinung nach, ohne in die Gesetzesarbeit einzusteigen wollen, nicht, sobald Personen, die nach Deutschland reisen wollen, gezwungen sind, das Visumzentrum aufzusuchen, wenn sie also ihren Antrag nicht mehr im deutschen Konsulat stellen dürfen und abholen dürfen, wenn sie also keine Wahl zwischen Generalkonsulat und Antragszentrum bekommen. Eben dieses Verbot, den Antrag beim Konsulat stellen zu dürfen, bedarf der parlamentarischen Legitimation, denn das Verhältnis des - freilich der Natur der Sache nach: ausländischen - Bürgers zum Staat wird mit diesem Verbot geändert. Man könnte hierauf entgegegnen: na und, ist das erheblich? Wenn nun der ausländische Bürger gar keine Ansprüche darauf stellen kann, wie das Rechtsverhältnis zu den inländischen Behörden ausgestaltet sind?
5.2.3. Wo liegt die Grenze zwischen notwendiger Staatsaufgabe und nebensächlichen Aufgaben, die der Staat auslagern kann im Interesse eines schlanken, effizienten Staates?
Sicherlich werden sich die Befürworter dieses vollführten Outsourcings darauf berufen, dass die Entscheidung darüber, wer von den Antragstellern nach Deutschland reingelassen wird, nachwievor dem Staatsorganen vorbehalten bleibt. Das andere seien nur Vorbereitungs- und Nachbereitungshandlungen, so, wie auch private Reinigungsfirmen die Flure und Toiletten von Gerichtsgebäuden reinigen und das marginal für die Garantie der Rechtspflege in Deutschland als Rechtsstaat sei.
Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Hier ließe sich fragen, ob einer privaten Firma die Unterhaltung der Toilette übertragen werden kann und ihr erlaubt wird, Geld für das Benutzen der Toilette von Gerichtsbesuchern zu nehmen, egal ob Angeklagte, Beklagte, Kläger, Rechtsanwälte, Rechtsreferendare, Zuschauer der öffentlichen Verhandlungen oder Justizangestellte. Immerhin würde faktische eine Bedingung eingeführt: Es ist Geld für die Toilette mitzunehmen, wenn man an öffentlichen Gerichtsverfahren als Zuschauer teilnimmt. Wie weit geht das Recht auf Teilhabe an öffentlichen Verfahren? Es geht um die Bestimmung der Grenzen von Rechten. Es geht um bürgerliche Teilhaberechte.
In Russland ist es so, dass Reisende die Möglichkeit haben müssen, Toiletten in den Bahnhöfen kostenlos zu benutzen. Warum? Weil diese Verkehrsinfrastruktur eine Aufgabe der Daseinsvorsorge des Staats ist.
In Deutschland sehe ich die Tendenz, dass FDP und CDU/CSU Teilhaberechte abbauen; unser Sozialstaat wird zurückgebaut. Viele Staatsaufgaben wurden schon den Unternehmern und Arbeitnehmern aufgebürdet, z.B. Praxisgebühr, die zum Januar 2012 wieder aufgehoben wird, oder die Vorratsdatenspeicherung, mit der Internet und Telekommunikationsprovider in die staatliche Pflicht genommen werden, ohne dass der Staat die ihnen deswegen entstehenden Kosten zahlen will. Auch die Pflicht der Unternehmer zur Einziehung der Umsatzsteuer gehört hierzu.
Was wollen wir als Maßstab für die rechtliche Bewertung nehmen: Das Grundgesetz von damals, also von den Erschaffern oder das Grundgesetz von morgen bzw. mit den Auffassungen unser heutigen Politiker, die Grundrechte und Staatsgrenzen abbauen wollen?
Ich glaube davon hängt die Antwort auf meine Frage ab, ob die Einführung der Visazentren mit Pflicht der Antragsteller, deren Dienste zu bezahlen, ab: Und ich glaube, die Frage würde von qualifizierten Juristen unterschiedlich beantwortet werden. [Nachtrag, 19.10.2018: Die Bruchlinie liegt zwischen links und rechts, liberal und konservativ, zwischen Anhängern von Globalismus und eine Welt und Identitären, die für Souveränität ihres Landes als Voraussetzung für Demokratie kämpfen, zwischen Hedonisten und Chaoten und solchen, die für Recht und Ordnung sind.]
Meiner Meinung nach, oder besser: meiner Rechtsintuition nach, sind die neuesten Änderungen rechtswidrig, aber nur vertragswidrig. Bürger können diese Rechtswidrigkeit nicht geltend machen. Möglicherweise aber eine Partei im Verfassungs-Organ-Streit. Aber dass es eine verfassungsrechtliche Kontrolle der Verletzung von parlamentarischen Mitbestimmungsrechten geben wird, glaube ich keinesfalls.
Die Linke meint nun, diese Änderungen seien auch europarechtswidrig. Das mag sein, das konnte ich in diesem Rahmen nicht prüfen. Ich habe meine Überlegungen fast ohne scharfe Gesetzesarbeit hier angestellt. Allerdings darf ich erwähnen, dass ich ein Grundlagenstudium zu Methodenlehre, Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie durchlaufen habe.
Jedenfalls glaube ich, dass die Behauptung, das Wesentliche bei der Visumerteilung werde auch weiterhin vom Staat gemacht (nachzulesen auf der Website der Visahandling Service GmbH, betreffend das Russland-Visum für Deutsche), nur darüber hinwegtäuschen soll, dass die (deutschen) Konsulate überlastet sind. Aber wenn man Personal noch abbaut, wo die Antragszahlen ansteigen, ist das kein Wunder. Der Staat entzieht sich seinen Pflichten. Es gibt viele solcher Beispiele aus den vergangenen Jahren. Dabei gibt es genug Beispiele der Verschwendung von Steuergeldern.
Aber die Kanzlerin meinte, die jetzige Regierung sei die erfolgreichste in der Nachkriegsgeschichte. Unsere Regierung lebt in einer anderen Welt.
[Nachtrag 19.10.2018: Mittlerweile bekommt diese Regierung und bekommen diese Parteien auch die Quittung für diese Weltfremdheit. Eine Umfrage ergab, dass CDU und SPD zusammen nur noch auf 39 Prozent Zustimmung kommen bei der Frage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn heute Wahltag wäre? CDU: 25 %, SPD 14 %. Und die Mehrheit meint: Merkel muss weg.
http://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/deutschland-trend-cdu-und-spd-fallen-in-umfrage-auf-tiefstand-a-1234033.html]
Jetzt bin ich doch mal politisch-polemisch geworden, ein bischen.
[Nachtrag 13.02.2013: Inzwischen sind sowohl Deutschland und Russland zurückgerudert. Bis in den Januar 2013 hinein war von einer Pflicht auf den entsprechenden Websites der Konsulate bzw. deutschen Vertretungen in Russland zu lesen, dass die Anträge bei den kommerziellen Visazentren/Antragszentren abzugeben sind. Jetzt heißt es dagegen, man könne weiterhin auch seinen Visumantrag selbst oder durch einen Vertreter (teilweise: mit Vollmacht) oder durch ein Reisebüro abgeben lassen. - Vielleicht sind ja doch Juristen (durch meine E-Mail-Anfrage zur Rechtmäßigkeit der Änderungen und diesen Artikel??) auch der Auffassung, dass ohne Beteiligung des Parlaments kein Bürger verpflichtet werden darf, zu einem privaten Unternehmen zu gehen, um dort den Antrag abzugeben und abzuholen. - Mir ist diese Korrektur nicht entgangen!]
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{Nachtrag, 19.10.2018: Leider ist das Russische Konsulat doch wieder in die andere Richtung eingeschwenkt und versperrt Reisebüros und Visumdienstleistern, die Visumanträge ihrer Kunden abgeben will, den Zugang.
Ihnen wurde ein konkurrierendes Unternehmen vor die Nase gesetzt, an das sie nun Geld zu zahlen haben für Leistungen, die sie selbst schon erbringen. Auf die Spitze getrieben lässt sich von staatlich unterstütztes Raidertum sprechen. Visazentren sind Melkkühe. Sie stören den freien Markt, bringen nichts für den Verbraucherschutz, aus Perspektive der deutschen Bürger und Reisefreunde überflüssig. Sowohl Russland als auch Deutschland entlasten sich hier finanziell auf Kosten der Bürger, wahrscheinlich unter beidseitigem Verstoß gegen das Abkommen zur Erleichterung der Erteilung von Visa.]
Rechtsfrage:
Erfordert die Einführung eines Kontrahierungszwangs (nämlich der Reisebüros zum Abschluss eines Visumservice-Rahmenvertrags mit dem Visumzentrum) zur Wahrnehmung von staatlichen Leistungen einer gesetzlichen Grundlage?
Geregelt sein muss in einem solchen Bundesgesetz über die Vergabe von Visa, das ich leider noch nicht entdeckt habe, z.B. der Abschlusszwang, d.h. die privatrechtlich geführte Antragsannahmestelle für Anträge darf den Vertrag zur Annahme und Ausgabe der Reisepässe und Unterlagen gegenüber den Antragstellern nicht verweigern, weil es eine Monopolstellung hat und der Weg zum Visum nur über sie führt.
Tatsächlich erklärt die Visahandling Servcie GmbH aber auf Ihrer Website und in Dienstleistungsrahmenverträgen, dass sie Anträge ablehnen darf, wenn sie nicht vollständig sind. Hier leiht sich die Visahandling Service GmbH hoheitliche Rechte. Auf sie übertragen werden können sie möglicherweise nur per Gesetz. Eine gesetzliche Grundlage ist auch nötig hinsichtlich der Gebühr, die jetzt zusätzlich fällig wird und zuvor nicht ans Konsulat zu zahlen war.
Hier heißt es in der deutschen Ausschreibung aber, dass Deutschland dem Konzessionsnehmer keine Gebühren für seine Dienstleistungen zahlen werde. Deutschland schreibt in der Ausschreibung aber auch nicht die Gebühr genau vor. Das Verbot für den Bürger zur Antragseinreichung beim Konsulat hat dann zur Folge, dass sich der russische Bürger eine vom Konzessionsnehmer frei wählbaren Gebühr ausgesetzt sieht. Hier stellt sich die Frage, ob das Abkommen zur Visaerleichterung eine europarechtliche Grundrechtswirkung entfalten kann. Aber das ist [...Next]
Related Links:
- Ab Januar 2013 elektronische Visumbearbeitung des russischen Konsulats!
- Russisches Visum, Teil 1 - Übersicht über Arten des Visums
- Visumerleichterungsabkommen EU - Russland
- http://europa.eu/rapid/press-release_IP-05-1263_de.htm
- Antwort der Deutschen Bundesregierung am 14.08.2012 auf kleine Anfrage zur Überlastung deutscher Konsulate bei Visumerteilung
- Verordnung EG Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex)
- Stellungnahmen der deutschen Parteien zu Visumerleichterungen (insbesondere auch im Hinblick auf Russland)