1. Einleitung
Russland hat mit seinen gerade vollzogenen Änderungen im Visumgeschäft mit der Eröffnung der "russischen Visumzentrale" in verschiedenen deutschen Städten wieder mal nur auf Änderungen reagiert, die Deutschland für seine Konsulate (zumindest erstmal für Moskau, nach erstem Überblick) in Russland einführt (oder: eingeführt hat).
Schon in den Jahren 2007 und 2011 hat Russland seine Visumerteilungsbedingungen für Deutsche verschärft (für Österreicher und andere Europäer aus Ländern der Europäischen Union fehlt mir der Überblick), nachdem Deutschland (bzw. muss man sagen: die Europäische Union im Wunsche nach Vereinheitlichung der Schengen-Visa?) seine Bedingungen für russische Bürger verschärft hatte.
Ich bin darauf schon im Teil 1 meiner Serie in diesem Blog über russische Visa kurz eingegangen (siehe unten Liste weiterführender Links).
[Ergänzung 08.02.2013: Das russische Konsulat in München zeigt interessanterweise auf seiner Website eine Synopse, die die Regeln Russlands denen der Schengen-Länder für russische Büger gegenüberstellt. Die Änderungen zum Jahreswechsel 2012-2013 sind noch nicht berücksichtigt.]
[Nachtrag bei Routinedurchsicht, 19.10.2018: Jetzt ist diese Synopse auf der Website nicht mehr vorhanden. Sie stand unter dieser url: http://www.ruskonsmchn.mid.ru/vergleich.html]
Ich stelle zu dieser Strategie verschiedene Rechtsfragen. Es ist gewissermaßen ein Brainstorming, als Vorbereitung zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Änderungen von Verfahren zur Visumerteilung, deswegen vermutlich eher uninteressant für Reisefreunde, eher etwas für Juristen oder an Rechtsfragen und an Rechts- und Ausländerpolitik Interessierte.
Es stellt sich mir die Frage, wie diese Umstellungen auf kommerzielle Unternehmen im Hinblick auf das Abkommen zur Erleichterung der Visaerteilung zwischen der EU und Russland rechtlich zu bewerten sind. Daraus könnte man vielleicht weitere Schlussfolgerungen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Visumpflicht treffen.
Ausgabe 225 der Russland-Analysen der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen vom 23. September 2011 beschäftigte sich mit solchen Visa-Fragen. Auch diese Artikel möchte ich noch auswerten, vielleicht nicht mehr für diesen Artikel. Aber sie seien Ihnen zur Vertiefung empfohlen.
Weiter vorausschicken möchte ich noch, dass es schon vor diesem Abkommen ein Abkommen zwischen Russland und Deutschland gegeben hat:
Deutsch-russisches Abkommen zur Reiseerleichterung
Am 09.12.2003 wurde zwischen Deutschland, vertreten durch Außenminister Otto Schily, und Russland, vertreten durch Außenminister Igor Iwanow ein Abkommen zur Erleichterung des Reiseverkehrs von Staatsangehörigen beider Länder geschlossen. Dieses Abkommen erwarb ab 01.01.2004 Gültigkeit. Zur vollständigen Prüfung der Rechtmäigkeit der Übertragung von Aufgaben der Visumerteilung auf Private muss man auch untersuchen, in welchem Verhältnis beide Abkommen zueinander stehen, ob das ältere von dem jüngeren verdrängt wird. Dazu vielleicht später noch. zunächst (aber noch nicht sofort) konzentriere ich mich auf das Abkommen vom 25.05.2006.
***
2. Zeitgleiche Durchführung der Verfahrensänderungen
Am 8. Januar 2013 ist die elektronische Antragstellung für russische Visa in Deutschland Pflicht und die Übergangszeit, was den Abgabeort für den Antrag betrifft, zu Ende. Wegen der notwendigen Vorbereitungszeit ist anzunehmen, dass Russland über die deutschen Pläne der Auslagerung eines Teils des Visumerteilungsverfahrens (Das ist eine weitere These, die ich später noch stützen will.) schon 2011 informiert war, so dass Russland jetzt zeitgleich (genauer: sogar noch etwas früher) das russische Visumzentrum eröffnen kann, wo jetzt in Moskau am 14. Januar 2013 das Antragszentrum zur Erlangung deutscher Visa bzw. Schengenvisa eröffnet wird. Ich vermute, dass diese Änderungen in Gesprächen zwischen Russland und Deutschland thematisiert worden waren, z.B. etwa während der Petersburger Dialoge.
Die Ausschreibung für das Finden eines Dienstleisters, der die Annahme von Visumanträgen, die Beratung und die Austeilung der Reisepässe in verschiedenen russischen Städten übernimmt, lief im Jahre 2011 über die Bühne.
Quelle:
Ausschreibung der deutschen Botschaft:
http://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:327319-2011:TEXT:DE:HTML
Es gab die Ausschreibung auch auf russisch. Russische Unternehmen durften sich beteiligen.
Auf die Ausschreibungen gehe ich unten noch kurz ein.
Aber natürlich entgeht Russland nicht, was sich auf seinem Territorium in und an den deutschen Konsulaten abspielt. Die Visumerteilung an Russen ist ein Drama. Das erfahren Sie, wenn Sie sich die Antwort der Deutschen Bundesregierung auf kleine Anfragen der Bundestagsfraktion der Linken hinsichtlich der Überlastung der deutschen Konsulate bei der Erfüllung der Aufgaben bei der Visumerteilung (Drucksache 17/10478) durchlesen. Es kommt da zu massenhaften Ungleichbehandlungen zwischen Touristen als "Privatbürger" und Geschäftsleuten.
3. Abkommen zwischen Völkerrechtssubjekten auf Basis des Prinzips der Gegenseitigkeit
Ausgangspunkt bzw. Hauptfragestellung ist für mich, ob die Installationen der Visumzentren mit den gebührenpflichtigen Leistungen vom Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Erleichterung der Ausstellung von Visa für Bürger der Europäischen Union und der Russischen Föderation rechtlich gedeckt sind oder ob sie nicht dagegen verstoßen.
Auf der Website der Visahandling Service GmbH (VHS GmbH) liegt eine Kopie des Abkommens, nämlich hier:
Quelle:
http://www.vhs-germany.com/image/russlandeu.pdf
[Nachtrag 19.10.2018: Auch dieser Link funktioniert heute nicht mehr. Die VHS hat mit Wirkung zum 01.01.2017 seine Sonderstellung als Visumzentrum für russische Konsulate verloren. Die Filiale in der Berliner Friedrichstraße blieb als Reisebüro geöffnet.]
Allerdings ohne irgendeinen Hinweis auf das Datum, wann das Abkommen geschlossen worden ist. Das ist ein kleiner Mangel an Transparenz. Intransparenz macht mich oft argwöhnisch. Das verführt mich oft dazu zu mutmaßen, dass es etwas zu verbergen gibt, was nicht legitim ist, wenn ich mangelnde Qualifikation nicht unterstellen möchte.
Auf der Website der deutschen Vertretungen in Russland liegt eine Kopie des Abkommens, nämlich hier:
http://www.germania.diplo.de/contentblob/3650056/Daten/95470/visumerleicherungsabkommen2006.pdf
Beide gezeigten Quellen zeigen jeweils identische Fassungen. Daher nehme ich an, es ist jeweils die Version, die am 25.05.2006 vom Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Franco Frattini für die Europäische Gemeinschaft unterschrieben worden ist und von Präsidentenberater Viktor Iwanow für Russland. Dieses Abkommen trat am 01.07.2007 in Kraft.
In diesem Abkommen heißt es, dass die Visagebühren einheitlich 35,00 Euro betragen, in Eilfällen 70,00 Euro. Durch die Installation der Visumzentren wird es nun teurer für Russlandreisende.
EU-Vertrag
Als Nächstes möchte ich einmal auf die europarechtliche Legitimationsgrundlage zum Abschluss des Abkommens hinweisen:
Artikel 62 Absatz 2 EV-Vertrag von Amsterdam (EGV) in Verbindung mit Artikel 300 EGV gibt der Europäischen Gemeinschaft die Legitimation zum Abschluss des Abkommens mit Russland.
4. These
Meiner vorläufigen Auffassung nach stellen die Verfahrensänderungsmaßnahmen beider Seiten, Deutschland wie Russland, einen Verstoß gegen das europäisch-russische Abkommen zur Erleichterung der Visaerlangung dar, weil die Beschaffung des Visums den Touristen jetzt mindestens 60 Euro kostet. Die Konsequenzen der aktuellen Verfahrensänderungen stellen sich aber für deutsche Antragsteller und russische Antragsteller teilweise unterschiedlich dar. Darauf werde ich unten noch eingehen.
[Nachtrag, 19.10.2018: Seitdem die "Bearbeitungsgebühr" vom Visumzentrum von 25,00 Euro auf 27,00 Euro erhöht worden ist, kostet die Beschaffung des Touristen jetzt mindestens 62,00 Euro]
5. Rechtsfragen
Ich greife meinen Gedanken um die Frage der Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Visumbeschaffungsgebühr etwas vorweg, wenn ich behaupte, dass man zwei Perspektiven unterscheiden muss, eine Innenperspektive und eine Außenperspektive.
Zur Innenperspektive:
Die Innenperspektive ist ein von Antragstellern gegen ihren Heimatstaat (Deutsche Russlandreisende gegenüber Deutschland, russische Deutschlandreisende gegenüber Russland) gerichtetes Anspruchsdenken in Bezug auf die Unterlassung eines (hier mal unterstellten) Verstoßes gegen das "Visaerleichterungsabkommen", damit die andere Seite ebenfalls (aufgrund des praktizierten Prinzips der Gegenseitigkeit) seinen Verstoß gegen das Abkommen zurücknimmt.
Die Außenperspektive berührt die Frage, ob "wir" den russischen Bürgern ein Recht auf Freizügigkeit anerkennen (zugestehen) wollen und Russland den deutschen Touristen auf Ausstellung eines russischen Visums. Gehen wir zunächst der zweitgenannten Perspektive weiter nach.
5.1. Außenperspektive
Hier muss man auch darauf blicken, wie diese Frage nach der Vertragsmäßigkeit der extra Visumbeschaffungsgebühr in der "Spitze" derEuropäischen Union gesehen wird (a) und wie in Russland (b).
a) Russen haben keine europarechtlichen Grundrechte, denn Russland ist kein EU-Mitglied. Es gibt aber das europäische Gericht für Menschenrechte, das auch Verstöße in Russland gegen Menschenrechte ahnden und Russland bestrafen kann, da Russland die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet hat. Das ist aber kein Gericht der europäischen Union, sondern seine Zuständigkeit geht über das Gebiet der EU hinaus. Zu den Menschenrechten zählen aber nicht Rechte, in ein Land der eigenen Wahl einreisen zu dürfen. Aber zu greifen wäre das Problem vielleicht doch schon mit dem Recht auf Gleichbehandlung (als Grundrecht in der deutschen Verfassung in Artikel 3 Grundgesetz verankert).
Aber jetzt wird das Abkommen zur Erleichterung der Erlangung von Visa interessant. Damit könnten ja russischen Bürgern Rechte oder grundrechtsähnliche Rechte gegenseitig eingeräumt worden sein. (Haben Sie sich das Abkommen schon mal angesehen?). Ist das vorstellbar? Was wäre die Konsequenz?
Dann hätte das Abkommen unmittelbare Wirkungen derart, dass Deutsche gegen Russland allgemein Anspruch auf Einreise nach Russland haben und Russen Anspruch auf Einreise in die EU.
Das Abkommen besteht aber nur zwischen Völkerrechtssubjekten. Und es enthält keine Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung des Abkommens. Es ist damit nur eine Goodwill-Erklärung (oder/und ein Vorvertrag).
Also können russische Bürger keine rechtlichen Schritte dagegen unternehmen, dass Deutschland für sie eine Pflicht eingeführt hat, sich für die Visumbeantragung einen Termin (telefonisch von der Firma Teleperformance Russia, bei einer Gebühr von derzeit 230 Rubel für die erste Minute [= etwa 5,75 € = Wucherpreis], danach 115 Rubel für jede weitere Minute) zu holen und sich dazu in einem bestimmten Gebäude einzufinden, in dem sich mit ihrem Antrag eine privatwirtschaftlich betriebene Firma beschäftigt, deren Dienst sie bezahlen müssen. Solche Antragsteller benötigen zur Bezahlung der Terminsvereinbarung eine Kreditkarte. Die Kreditkarte ist eine weitere Barriere, den Besuch von Russen in Deutschland zu erschweren. Und so haben Deutsche, fürchte ich, keine rechtliche Handhabe gegenüber Russland, wenn Russland sich zur Visumantragsbearbeitung der privatwirtschaftlich geführten Visumzentrale in Gestalt der Visahandling Service GmbH bedient.
Ein Staats- und Völkerrechtler sollte dies einmal gutachterlich untersuchen, ob man tatsächlich keine rechtliche Handhabe hat. Aber es erscheint in einer bipolaren/multipolaren Welt mit souveränen Ländern logisch, dass Deutsche keine Ansprüche gegen den russischen Staat haben, wenn es um die Organisation der Kontrolle der Einreise von Ausländern geht.
b) Wie sieht es auf der anderen Seite aus?
Hier gibt es ein Gesetz "Über den Rechtsstatus ausländischer Bürger in der Russischen Föderation", das russische Ausländergesetz. Darin könnten, spekulieren wir zunächst, bevor wir dort hineinsehen, die Abkommen mit Deutschland (siehe oben) und mit der Europäischen Gemeinschaft eingeflossen sein (per Ratifizierung über Gesetz), so dass eben Rechte auf Visaerteilung hieraus abgeleitet werden könnten.
Gibt das Gesetz so etwas her?
Nein.
Artikel 5 des russischen Ausländergesetzes regelt den zeitweiligen Aufenthalt von Ausländern, Artikel 6 den zeitweiligen Wohnsitz und Artikel 7 den ständigen Wohnsitz von Ausländern. Beim Visum handelt es sich um ein Recht auf zeitweiligen Aufenthalt. Das Recht besteht auf Grundlage eines Visums, dass die zuständige Innenbehörde nach Ermessen ausstellt. Es besteht hier aber kein Anspruch auf Ausstellung des Visums.
Mich würde interessieren, ob es in Russland schon mal Gerichtsverfahren gegeben hat, in denen Ausländer auf Ausstellung eines russischen Visums geklagt haben mit der Behauptung, die russische zuständige Behörde hätte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt (Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensnichtgebrauch).
- Das recherchiere ich jetzt nicht.
Interessenvertreter gesucht
Das Ganze wird wohl kaum ein Reisebüro weiter ernsthaft interessieren, wenn der Inhaber nicht ausgerechnet der Linken angehört, die der Bundesregierung Anfragen gestellt hat, wie die Visumersteilung in Russland denn konkret aussieht. Völkerrechtler und Ausländerrechtler mögen das interessant finden und den Fragen nachgehen. Für mich ist an dem Fall interessant, wie Russland hier agiert und es ist ein Beispiel für Winkel, in die die parlamentarische Demokratie kaum (Ich muss mich korrigieren, nachdem ich jetzt noch die oben erwähnten Anfragen der Linken aus diesem Jahr gefunden habe) hinein leuchtet.
Wer könnte die Interessen von Ausländern wahrnehmen, deren Anträge auf Visumerteilung abgelehnt wurden und diese Änderungen gerichtlich überprüfen lassen? Das müsste ein Subjekt sein, das im Hinblick auf den bilateralen Vertrag, der mit Russland geschlossen worden ist, antragsbefugt ist, (jedenfalls wenn es keine gesetzliche Umsetzung dieses Vertrags in deutsches Recht gegeben hat).
Und die Frage ist weiter, welches Verfahren eine solche Überprüfung erlaubt? Da es hier um einen Vertrag zwischen der Europäischen Union und Russland geht, geht es um Völkerrecht bzw. Europarecht. Demzufolge müsste vielleicht der Europäische Gerichtshof prüfen, vorausgesetzt es gibt ein Verfahren, diese Frage prüfen zu lassen. Aus dem Abkommen sind wohl keine individuellen Rechte der europäischen Bürger vergleichbar mit Rechten bei EU-Richtlinien mit individueller unmittelbarer Grundrechtsbetroffenheit ableitbar. Problematisch ist auch, dass man als betroffener deutscher Tourist nicht die Rechtsakte in Russland zur Änderung des Visumerteilungsverfahren mit Installation der Visumzentrale und Erhebung einer zweiten Visumgebühr (, durch das Visumzentrum für seine Tätigkeit direkt gegenüber dem Visumantragsteller) wird anfechten können. Und umgekehrt genauso.
Da bzw. soweit es hier aber um die Auslagerung hoheitlicher Aufgaben auf ein privatwirtschaftlich organisiertes Subjekt geht, könnte die Regierung bzw. das Außenministerium seine Befugnisse überschritten haben damit, dass es diese Maßnahmen ohne ohne staatliche Kompetenz dazu ausgearbeitet und verwirklicht hat. Es könnte sein, dass diese Privatisierung eines Beschlusses des Deutschen Bundestags bedurft hätte. Insofern, wenn das zuträfe, ließe sich die Einführung der (für Deutschland handelnden) Antragszentrale in Moskau vielleicht vor dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Organklage überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht könnte im Rahmen von Artikel 93 Abs. 1 Nr 1 Grundgesetz entscheiden.
Nach Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht "über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans über den Umfang oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines oberseten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind."
Dass aber eine Partei oder ein Bundesland ihre/seine Rechte dadurch beeinträchtigt sieht, dass Deutschland die Visabeschaffung für Russen teurer macht, ist unwahrscheinlich. Die Parteien, die jetzt nicht an der Regierung beteiligt sind, haben ganz andere Probleme.
Ich sehe momentan kein Subjekt, das sich hier dafür einsetzen würde, den Verstoß gegen das Visaerleichterungsabkommen aufzugreifen. Den russischen Touristen und den deutschen Touristen fehlt hier die Lobby. Ich denke, das Problem der Verteuerung der Visa ist zu klein, betrifft zuwenige, als dass touristische Verbände hiergegen protestieren würden, quasi im Interesse der Russlandreisebüros und Russlandveranstalter, deren Reisen um 25,00 Euro teurer werden.
[Nachtrag 19.5.2013: Es hat inzwischen doch eine Protestnote gegeben, von der Vereinigung von Reiseveranstaltern in Kaliningrad.]
Bevor ich auf die Innenperspektive zu sprechen komme, möchte ich aber darauf hinweisen, dass es doch Unterschiede zwischen deutscher und russischer Visumzentrale gibt:
Exkurs
Unterschiede der deutschen und der russischen Visumzentrale
1. Größenverhältnisse
a) Russland hat in Deutschland schon seit längerem sechs Konsulate bei einer Bevölkerung von etwa 81 Millionen Einwohnern: in
- Berlin,
- Leipzig,
- Bonn,
- Hamburg,
- Frankfurt am Main,
- München.
Darüber hinaus hat Russland in Deutschland Honorarkonsulate in Düsseldorf, Stuttgart, Nürnberg. An diesen werden keine Touristenvisa ausgestellt.
b) Deutschland hat bisher in Russland fünf Generalkonsulate, die das Visumgeschäft betreiben: in
- Moskau,
- St. Petersburg,
- Jekaterinburg,
- Nowosibirsk und
- Kaliningrad (seit April 2007)
... bei einer Bevölkerung in Russland von etwa 141 Millionen Einwohnern und einer viel größeren Fläche. Die Generalkonsulate in Jekaterinburg, Nowosibirsk und Kaliningrad existieren noch nicht lange. Lange Zeit gab es nur zwei Generalkonsulate. Das dritte wurde dann Nowosibirsk.
Darüber hinaus gibt es deutsche Honorarkonsulate in Omsk, Engels, Krasnodar.
2.Die Orte, wo die Visazentren eröffnet werden
a) Viele russische Bürger haben bisher einen riesigen Weg bis ins deutsche Konsulat zurückzulegen, sogar zweimal, Antrag und Abholung. Diesen Wegen konnten sich bisher viele auch nicht entziehen, weil sie persönlich im Konsulat erscheinen mussten. Konsulatsmitarbeiter wollten sich einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von Antragstellern verschaffen und sie interviewen; Belastungsproben für deren wahre Motivation für die Reise. Dadurch sind ihnen hohe Kosten entstanden und sie mussten auch noch Urlaub nehmen für diese Besuche des Konsulats. Mit der Einführung der Antragszentren in Russland werden die Wege für viele Russen sehr viel kürzer und damit günstiger, weil solche Zentren neben den Städten Nischni Nowgorod, Jekaterinburg und Kaliningrad, an denen sich Generalkonsulate befinden, auch in Städten eröffnet werden, an denen sich keine deutschen Generalkonsulate befinden. Dazu gehören laut der Ausschreibung Deutschlands:
- Rostow am Don
- Krasnodar
- Kasan
- Saratow (in Nachbarstadt Engels gibt es ein Honorarkonsulat).
Deutschland liebäugelt auch noch mit der Einrichtung von Antragszentren in Uljanowsk (Wolgagebiet), Irkutsk (Baikalregion) und Wladiwostok (ferner Osten).
Deutschland hat durch die Eröffnung der Visazentren eine riesige Entlastung. In der Auschreibung für die Konzessionserteilung werden Zahlen aus den Regionen genannt. Im Jahre 2010 sind an Visaanträgen in den Städten bearbeitet worden:
Moskau: 232.846 Anträge für Schengenvisa
Jakaterinburg: 33.721 Anträge
Nowosibirsk: 39.342 Anträge.
Demgegenüber sind im Zeitraum Januar bis August 2011 laut deutscher Botschaft in Moskau die Antragszahlen um 11 Prozent angewachsen.
Viele der russischen Antragsteller haben daher finanziell und zeitlich einen Vorteil durch die Einführung der Antragszentren in den Regionen. die Service-Gebühr der Visumantragsannahmestelle darf höchstens 30 Euro betragen. Welcher Betrag es tatsächlich wird, werden wir noch sehen. In Deutschland sind es mit der Einführung 25 Euro. Praktisch wird diese Obergrenze aber durch hohe Gebühren bei der Terminsverschaffung umgangen. Es gibt Wucherpreise bei den Telefonaten (siehe oben).
Es spricht also vieles dafür, dass Deutschland seine Visaantragszentren eingeführt hat, um sein Abkommen mit Russland einzuhalten. Danach sind nämlich Visumanträge binnen 10 Tagen zu bearbeiten (Artikel 7). Da die Konsulate überlastet sind und keine Konsulate mehr eröffnet werden sollten, hat man sich ausgedacht, sich mithilfe privatwirtschaftlich betriebener Antragsstellen, die man nicht bezahlt, zu entlasten. Man gibt ihnen eine Konzession und setzt eine Preisobergrenze für den Preis pro Visumbearbeitung (oder meinetwegen: Visumbearbeitungs-"Vorbereitung").
Und nun zu Deutschland:
b) Für Deutsche stellt sich die Situation anders dar. Die Visumzentren wurden in genau den Städten eröffnet, an denen sich schon die russischen Generalkonsulate befinden. Daher entfallen im Wesentlichen kürzere Wege und damit finanzielle und zeitliche Einsparungen ähnlich der für viele Russen. Nur für solche deutschen Antragssteller, die in der Stadt oder in der Nähe wohnen und erst am Nachmittag erscheinen können, gibt es Verbesserungen. Denn um einen Antrag im Konsulat abgeben zu können, musste man bis um 12.00 Uhr dort sein und eingelassen werden. Aber die meisten deutschen Touristen (die keine Spätaussiedler sind) lassen sich Ihre Visa von Spezialisten beschaffen, dadurch haben sie keinen Vorteil, denn diese Visumzentren machen das, was diese Spezialisten auch machen. Sie tun dies aber auf Weisung der Konsulate, während die Russlandreisebüros frei als Boten ihrer Kunden arbeiten.
3. Pflicht zur Terminsvereinbarung
Für Russen besteht eine Pflicht, sich einen Termin zu beschaffen. Das geht nur bei dem Unternehmen Teleperformance Russia und bezahlen muss man mit Kreditkarte. Viele Russen verfügen nicht über eine Kreditkarte, so dass sie spezielle Unternehmen einschalten müssen.
Für deutsche gibt es die Möglichkeit, einen Termin im Visumzentrum zu vereinbaren. Das geht auch ohne Anruf über die Website der Visahandling Service GmbH. Man kann auch ohne vereinbarten Termin kommen und den Antrag abgeben. Bezahlen kann man auch anders als mit Kreditkarte. Hier haben russische Visumantragsteller einen erheblichen Nachteil gegenüber deutschen.
4. Abnahme biometrischer Merkmale
Vielleicht haben Sie es aus den Medien mitbekommen in den letzten Tagen?! Europa fürchtet sich vor Russlands Mafia (, die man auch unter Staatsbediensteten vermutet, für die Russland Visafreiheit wünscht) und Wirtschaftsspione und verlangt von Russland erst einmal Reisepässe mit biometrischen Merkmalen, bevor ernsthaft über Visaerleichterungen geredet wird. Aber hier geht Deutschland sogar in die Offensive und verlangt ab Januar 2012 von russischen Antragstellern Fingerabdrücke! - Nachteil für russsische Antragsteller gegenüber deutschen.
[Nachtrag 19.10.2018: 3 Jahre später nur lässt Bundeskanzlerin Merkel Hundertausende Migranten aus Afrika und den Nahen Osten unkontrolliert ins Land einströmen. Was für eine Entwicklung. Das Argument mit der Angst vor der Mafia ist damit hinfällig. Schutz vor Kriminellen und sogar Terroristen zieht jetzt nicht mehr als Argument, wo die Grenzpolizei angewiesen wurde, die Migranten nicht aufzuhalten und die Grenze nicht (mehr) zu schützen. Dennoch änderte die deutsche Regierung nicht ihre Visumpolitik gegenüber Russland. Vergewaltigungen, Morde und Körperverletzungen insbesondere durch Messer sind inzwischen Alltag geworden Merkels Politik hat die Schutzbedürfnisse der deutschen Bevölkerung eklatant missachtet und es wird offenbar, dass es andere Motive gibt, Russen die Einreise zu erschweren. Selbst dem Nicht-EU-Mitglied Ukraine, dem Armenhaus Europas, wurden inzwischen Möglichkeiten geschaffen, erleichtert nach Deutschland zu kommen. Dabei ist hier das Problem von Mafia und Bandentum viel gravierender. - Als hätte es nicht unter Joschka Fischer als Außenminister den Visumskandal in Kiew gegeben.]
5. Hat es eine rechtmäßig durchgeführte Ausschreibung gegeben?
Fraglich ist, ob es eine Ausschreibung für die russische Visumzentrale gegeben hat, wo diese staatliche Aufgaben ein Unternehmen in einer für es geschaffenen Monopolstellung ausführt (Das ist eine erste These, der wir weiter unten noch weiter auf den Grund gehen). Das dürfte zu verneinen sein, da ja gerade zielgerichtet die Visahandling Service GmbH gegründet worden ist, um die russischen Konsulate zu entlasten.
Auf der Website der deutschen Vertretungen in Russland in der rechten Seitenleiste dagegen wird das Thema Ausschreibung in einer Bekanntmachung vom 27.11.2012 angesprochen. Danach sei eine Ausschreibung nach EG-Vergaberechtsnormen zum Erlangen der staatlichen Konzession zum Führen der Visageschäfte nicht erforderlich gewesen, d.h. ein offenes Vergabeverfahren sei nicht notwendig gewesen.
Quelle: http://www.germania.diplo.de/contentblob/3751330/Daten/2891883/bekanntmachungvergabe.pdf
Die Normen, die die Pflicht zur Einhaltung des Ausschreibungsverfahrens ausschließen, sind in jener Bekanntmachung leider nicht erwähnt. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit würde erleichtert sein, wenn man diese gleich genannt hätte. Soweit möchte ich heute nicht gehen, diese Prüfung durchzuführen, aber meinen Gedankengang darlegen, warum ich, meiner Intuition folgend, diese Neuerungen (Beteiligung privatwirtschaftlich organisierter Unternehmen am Visumerteilungsverfahren) durch beide Seiten, Russland und Deutschland, für rechtlich zweifelhaft halte.
Eine rechtliche Erklärung des deutschen Konsulats bzw. Auswärtigen Amtes fehlt also. Es liegt lediglich eine Rechtsbehauptung vor: Eine Ausschreibung sei nicht notwendig gewesen.
Wie gesagt: Es fehlt die Lobby dafür, die deutsche Regierung hier zu kontrollieren. Diese Leute halten sich selbst nicht an Recht und widersprechen ihren eigenen Argumenten.
5.2. Innenperspektive
Rechtsfragen zu den Änderungen im Hinblick auf die Visaerleichterungsabkommen
5.2.1. Verfassungsrechtliche Bedenken
Was die Aufgabenzuständigkeit innerhalb Deutschlands betrifft, heißt es in Artikel 73 Grundgesetz:
"Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über Nr. 1 die auswärtigen Angelegenheiten ..."
Die Einrichtung des Antragszentrums unterliegt möglicherweise der Bundesgesetzgebung. Dann müsste die Einrichtung des Antragszentrums in Moskau vom Deutschen Bundestag beschlossen worden sein.
Man erinnere sich. Wegen der Korruptionsskandale an deutschen Konsulaten in Kiew und Moskau ist ein Bundestags-Untersuchungsausschuss eingerichtet worden. Änderungen im Visumerteilungsverfahren sind eine Materie, die der Entscheidung des Bundestags unterliegt. Und die Frage ist, welche Bundestagsentscheidung liegt der Übertragung von Aufgaben bei der Visumerteilung an ein Antragszentrum (bzw. die verschiedenen Antragszentren) zugrunde?
Fehlt eine solche Entscheidung, könnte die Einrichtung des Antragszentrums verfassungsrechtswidrig sein. Parallel dürfte gelten, dass die Einrichtung der russischen Visumzentrale trotz Billigung des russischen Präsidenten verfassungsrechtswidrig sein könnte, wenn die Duma über die Privatisierung dieser hoheitlichen Aufgaben der Visumerteilung nicht entschieden hat.
Wie gesagt: Deutsche können eine Prüfung der Einhaltung der russischen Verfassung wohl kaum anstoßen und Russen nicht eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit in Deutschland.
Ich betone noch einmal:
Das waren keine Ergebnisse einer juristisch-akademischen Prüfung. Es sollten einige Rechtsprobleme gezeigt werden. Zur Prüfung müsste man nach den erwähnten Vereinbarungen zwischen derEuropäischen Union und Russland bzw. zwischen Deutschland und Russland suchen sowie nach einer Rechtsgrundlage, die vom Parlament geschaffen worden ist.
Die deutschen touristischen Fachblätter haben leider nicht die kompetenten Fachkräfte, die sich damit beschäftigen können. Dagegen gibt es in den touristischen Verbänden, insbesondere DRV und ASR, auch Juristen, die diese Fragen hier prüfen könnten. Dazu müssten sie aber erst einmal von den davon Betroffenen hingewiesen werden, also den Russland-Reiseveranstaltern und Visadienstleister, die Verbandsmitglied sind.
5.2.2. Nehmen die Visumzentrale bzw. die Visum-Antragsstelle hoheitliche Aufgaben wahr?
Jemand, der die Auslagerung von Aufgaben, die im Rahmen der Visumerteilung anfallen, auf Private gegen die Anschuldigung der Rechtswidrigkeit verteidigen wollte, würde vermutlich gleich behaupten, dass hier gar keine hoheitlichen Aufgaben ausgelagert werden und daher die Auslagerung zulässig sei.
Denn schließlich übertrüge man nur Beratung, Entgegennahme von Anträgen, Ausgabe von Anträgen, Übermittlung von Erklärungen quasi als Bote und die Entscheidung über die Erteilung der Visa bleibe ja den Konsulaten vorenthalten.
Das greift meiner Meinung nach, ohne in die Gesetzesarbeit einzusteigen wollen, nicht, sobald Personen, die nach Deutschland reisen wollen, gezwungen sind, das Visumzentrum aufzusuchen, wenn sie also ihren Antrag nicht mehr im deutschen Konsulat stellen dürfen und abholen dürfen, wenn sie also keine Wahl zwischen Generalkonsulat und Antragszentrum bekommen. Eben dieses Verbot, den Antrag beim Konsulat stellen zu dürfen, bedarf der parlamentarischen Legitimation, denn das Verhältnis des - freilich der Natur der Sache nach: ausländischen - Bürgers zum Staat wird mit diesem Verbot geändert. Man könnte hierauf entgegegnen: na und, ist das erheblich? Wenn nun der ausländische Bürger gar keine Ansprüche darauf stellen kann, wie das Rechtsverhältnis zu den inländischen Behörden ausgestaltet sind?
5.2.3. Wo liegt die Grenze zwischen notwendiger Staatsaufgabe und nebensächlichen Aufgaben, die der Staat auslagern kann im Interesse eines schlanken, effizienten Staates?
Sicherlich werden sich die Befürworter dieses vollführten Outsourcings darauf berufen, dass die Entscheidung darüber, wer von den Antragstellern nach Deutschland reingelassen wird, nachwievor dem Staatsorganen vorbehalten bleibt. Das andere seien nur Vorbereitungs- und Nachbereitungshandlungen, so, wie auch private Reinigungsfirmen die Flure und Toiletten von Gerichtsgebäuden reinigen und das marginal für die Garantie der Rechtspflege in Deutschland als Rechtsstaat sei.
Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Hier ließe sich fragen, ob einer privaten Firma die Unterhaltung der Toilette übertragen werden kann und ihr erlaubt wird, Geld für das Benutzen der Toilette von Gerichtsbesuchern zu nehmen, egal ob Angeklagte, Beklagte, Kläger, Rechtsanwälte, Rechtsreferendare, Zuschauer der öffentlichen Verhandlungen oder Justizangestellte. Immerhin würde faktische eine Bedingung eingeführt: Es ist Geld für die Toilette mitzunehmen, wenn man an öffentlichen Gerichtsverfahren als Zuschauer teilnimmt. Wie weit geht das Recht auf Teilhabe an öffentlichen Verfahren? Es geht um die Bestimmung der Grenzen von Rechten. Es geht um bürgerliche Teilhaberechte.
In Russland ist es so, dass Reisende die Möglichkeit haben müssen, Toiletten in den Bahnhöfen kostenlos zu benutzen. Warum? Weil diese Verkehrsinfrastruktur eine Aufgabe der Daseinsvorsorge des Staats ist.
In Deutschland sehe ich die Tendenz, dass FDP und CDU/CSU Teilhaberechte abbauen; unser Sozialstaat wird zurückgebaut. Viele Staatsaufgaben wurden schon den Unternehmern und Arbeitnehmern aufgebürdet, z.B. Praxisgebühr, die zum Januar 2012 wieder aufgehoben wird, oder die Vorratsdatenspeicherung, mit der Internet und Telekommunikationsprovider in die staatliche Pflicht genommen werden, ohne dass der Staat die ihnen deswegen entstehenden Kosten zahlen will. Auch die Pflicht der Unternehmer zur Einziehung der Umsatzsteuer gehört hierzu.
Was wollen wir als Maßstab für die rechtliche Bewertung nehmen: Das Grundgesetz von damals, also von den Erschaffern oder das Grundgesetz von morgen bzw. mit den Auffassungen unser heutigen Politiker, die Grundrechte und Staatsgrenzen abbauen wollen?
Ich glaube davon hängt die Antwort auf meine Frage ab, ob die Einführung der Visazentren mit Pflicht der Antragsteller, deren Dienste zu bezahlen, ab: Und ich glaube, die Frage würde von qualifizierten Juristen unterschiedlich beantwortet werden. [Nachtrag, 19.10.2018: Die Bruchlinie liegt zwischen links und rechts, liberal und konservativ, zwischen Anhängern von Globalismus und eine Welt und Identitären, die für Souveränität ihres Landes als Voraussetzung für Demokratie kämpfen, zwischen Hedonisten und Chaoten und solchen, die für Recht und Ordnung sind.]
Meiner Meinung nach, oder besser: meiner Rechtsintuition nach, sind die neuesten Änderungen rechtswidrig, aber nur vertragswidrig. Bürger können diese Rechtswidrigkeit nicht geltend machen. Möglicherweise aber eine Partei im Verfassungs-Organ-Streit. Aber dass es eine verfassungsrechtliche Kontrolle der Verletzung von parlamentarischen Mitbestimmungsrechten geben wird, glaube ich keinesfalls.
Die Linke meint nun, diese Änderungen seien auch europarechtswidrig. Das mag sein, das konnte ich in diesem Rahmen nicht prüfen. Ich habe meine Überlegungen fast ohne scharfe Gesetzesarbeit hier angestellt. Allerdings darf ich erwähnen, dass ich ein Grundlagenstudium zu Methodenlehre, Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie durchlaufen habe.
Jedenfalls glaube ich, dass die Behauptung, das Wesentliche bei der Visumerteilung werde auch weiterhin vom Staat gemacht (nachzulesen auf der Website der Visahandling Service GmbH, betreffend das Russland-Visum für Deutsche), nur darüber hinwegtäuschen soll, dass die (deutschen) Konsulate überlastet sind. Aber wenn man Personal noch abbaut, wo die Antragszahlen ansteigen, ist das kein Wunder. Der Staat entzieht sich seinen Pflichten. Es gibt viele solcher Beispiele aus den vergangenen Jahren. Dabei gibt es genug Beispiele der Verschwendung von Steuergeldern.
Aber die Kanzlerin meinte, die jetzige Regierung sei die erfolgreichste in der Nachkriegsgeschichte. Unsere Regierung lebt in einer anderen Welt.
[Nachtrag 19.10.2018: Mittlerweile bekommt diese Regierung und bekommen diese Parteien auch die Quittung für diese Weltfremdheit. Eine Umfrage ergab, dass CDU und SPD zusammen nur noch auf 39 Prozent Zustimmung kommen bei der Frage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn heute Wahltag wäre? CDU: 25 %, SPD 14 %. Und die Mehrheit meint: Merkel muss weg.
http://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/deutschland-trend-cdu-und-spd-fallen-in-umfrage-auf-tiefstand-a-1234033.html]
Jetzt bin ich doch mal politisch-polemisch geworden, ein bischen.
[Nachtrag 13.02.2013: Inzwischen sind sowohl Deutschland und Russland zurückgerudert. Bis in den Januar 2013 hinein war von einer Pflicht auf den entsprechenden Websites der Konsulate bzw. deutschen Vertretungen in Russland zu lesen, dass die Anträge bei den kommerziellen Visazentren/Antragszentren abzugeben sind. Jetzt heißt es dagegen, man könne weiterhin auch seinen Visumantrag selbst oder durch einen Vertreter (teilweise: mit Vollmacht) oder durch ein Reisebüro abgeben lassen. - Vielleicht sind ja doch Juristen (durch meine E-Mail-Anfrage zur Rechtmäßigkeit der Änderungen und diesen Artikel??) auch der Auffassung, dass ohne Beteiligung des Parlaments kein Bürger verpflichtet werden darf, zu einem privaten Unternehmen zu gehen, um dort den Antrag abzugeben und abzuholen. - Mir ist diese Korrektur nicht entgangen!]
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{Nachtrag, 19.10.2018: Leider ist das Russische Konsulat doch wieder in die andere Richtung eingeschwenkt und versperrt Reisebüros und Visumdienstleistern, die Visumanträge ihrer Kunden abgeben will, den Zugang.
Ihnen wurde ein konkurrierendes Unternehmen vor die Nase gesetzt, an das sie nun Geld zu zahlen haben für Leistungen, die sie selbst schon erbringen. Auf die Spitze getrieben lässt sich von staatlich unterstütztes Raidertum sprechen. Visazentren sind Melkkühe. Sie stören den freien Markt, bringen nichts für den Verbraucherschutz, aus Perspektive der deutschen Bürger und Reisefreunde überflüssig. Sowohl Russland als auch Deutschland entlasten sich hier finanziell auf Kosten der Bürger, wahrscheinlich unter beidseitigem Verstoß gegen das Abkommen zur Erleichterung der Erteilung von Visa.]
Rechtsfrage:
Erfordert die Einführung eines Kontrahierungszwangs (nämlich der Reisebüros zum Abschluss eines Visumservice-Rahmenvertrags mit dem Visumzentrum) zur Wahrnehmung von staatlichen Leistungen einer gesetzlichen Grundlage?
Geregelt sein muss in einem solchen Bundesgesetz über die Vergabe von Visa, das ich leider noch nicht entdeckt habe, z.B. der Abschlusszwang, d.h. die privatrechtlich geführte Antragsannahmestelle für Anträge darf den Vertrag zur Annahme und Ausgabe der Reisepässe und Unterlagen gegenüber den Antragstellern nicht verweigern, weil es eine Monopolstellung hat und der Weg zum Visum nur über sie führt.
Tatsächlich erklärt die Visahandling Servcie GmbH aber auf Ihrer Website und in Dienstleistungsrahmenverträgen, dass sie Anträge ablehnen darf, wenn sie nicht vollständig sind. Hier leiht sich die Visahandling Service GmbH hoheitliche Rechte. Auf sie übertragen werden können sie möglicherweise nur per Gesetz. Eine gesetzliche Grundlage ist auch nötig hinsichtlich der Gebühr, die jetzt zusätzlich fällig wird und zuvor nicht ans Konsulat zu zahlen war.
Hier heißt es in der deutschen Ausschreibung aber, dass Deutschland dem Konzessionsnehmer keine Gebühren für seine Dienstleistungen zahlen werde. Deutschland schreibt in der Ausschreibung aber auch nicht die Gebühr genau vor. Das Verbot für den Bürger zur Antragseinreichung beim Konsulat hat dann zur Folge, dass sich der russische Bürger eine vom Konzessionsnehmer frei wählbaren Gebühr ausgesetzt sieht. Hier stellt sich die Frage, ob das Abkommen zur Visaerleichterung eine europarechtliche Grundrechtswirkung entfalten kann. Aber das istwirklich Europarechtsmaterie. Darin bin ich nicht mehr ganz fit. Ich will mich jetzt nicht zu sehr darin vertiefen. Es gibt ja doch noch ein paar Vertreter der Interessen der Antragsteller im Bundestag. Die sollten für mehr Öffentlichkeit sorgen darüber, was hier wieder passiert an Ungesetzlichem.