
Goldener Ring-Fahrrad-Tour Juli 2012 - Reisetagebuch, erster Tag
Leider gab es hier für uns keine Toilette. Für ein kleines Geschäft musste man sich hinter den geschichtsträchtigen Wall verziehen. Ich kaufte mir vor dem Souvenirgeschäft ein Heft zu den Sehenswürdigkeiten im Goldenen Ring und zu Pereslawl Salesskij.
Man könnte sich in der Stadt, die etwa 42.000 Einwohner hat, noch alte Kaufmannshäuser und Industriebauten sowie die typischen Holzwohnhäuser ansehen und ein Eisenbahnmuseum, das 1991 eröffnet worden ist, sowie einen Puschkin-Garten (an der M8). Aber unsere Gruppe hatte dazu nicht die Zeit. 15 bis 20 Minuten verbrachten wir hier.
weiterführende Infos:
Website der Stadt: http://adm.pereslavl.ru/
Karte: http://pzinvest.ru/pereslavl/karta.htm
Rostow
Welikij Rostow oder, in der richtigen Reihenfolge: Rostow Welikij, liegt am Nerosee. Es war eine sehr schlechte Straße, auf der wir in die Stadt hineinfuhren. Der Bus konnte nur sehr langsam fahren. Die M8 verlief am Ort vorbei. Wir fuhren auf einen Hof, der von einem hohen Holzzaun umgeben war (oder besser von einer Balkenwand), an den Fensterschmuckumrahmungen genagelt waren, an zwei und ein halb Seiten des Platzes.
Die Sonne schien noch wärmer auf uns hinab und es war schon abzusehen, dass es bis zum Sonnenbrand nicht lange dauern würde.
Unser LKW, gefahren von Andrej, dem schlanken Mann mit dem Schnurrbart, und der hellgrüne Lada waren auch angekommen und der LKW wurde ausgeladen. Zuerst das Gepäck der ausländischen Gäste, dann wurde der Campingtisch aufgestellt und zum ersten Mal gedeckt.
Ich hatte gedacht, zuerst gibt es heute noch Mittag in einem Restaurant. Nein, wir lernten gleich mal das Camping-"Waschbecken" kennen, das Wladimir stolz präsentierte: ein blauer Metallzylinder mit einem Loch unten in der Mitte, an dem ein Stößel befestigt war, der Wasser freigab, wenn er von unten angeboten wurde. Diesen Zylinder füllte er mit Wasser aus einem 5-Liter-Kanister und holte eine Seifendose hervor. Das ist echt Camping mit Freunden, dachte ich. - Die Seife war nicht mehr neu.
Die Fahrräder wurden zunächst mal an eine Seite des LKWs gestellt. Das Verteilen nahm einige Zeit in Anspruch. Wer wollte, konnte sich umziehen. Allerdings bot der Platz keinen Sichtschutz. Auf der Holzveranda des Bistros im Western-Salon-Stil saßen nämlich im Schatten ein paar Leute. Ich verschwand hinter der nächsten Ecke des Hauses. An der Seite befand sich ein Antiquitätenladen. Dort benutzte ich eine ältere braune Ledercouch. Ein paar Frauen, die gesehen hatten, wie ich mir hierher verdrückt hatte, folgten kurz nach mir, benutzten aber drinnen die Toilette im Hause zum Umziehen.
Naja, Improvisation. Wo Tracy und ich uns ein Plätzchen mit etwas Schatten gesucht hatten, war ein Holztor. Da wollte dann ein Bauer mit seinem PKW durch zu seinem Feld und kurz darauf wieder zurück. Ein struppiger Hund döste hier unter dem Wrack eines alten, rostigen Wolgas mit den runden Formen, aus den Siebzigern. Davon gab es gleich drei Stück.
Kreml
Von unserem "Basislager" aus gingen wir, nachdem wir uns am Bistrotisch gestärkt und erfrischt hatten, zum Kreml in der Nähe. Die meisten hatten schon ihre Radfahrerbekleidung angezogen. Optimaler in Rücksicht auf die Gläubigen wäre es gewesen, unsere bunten Fahrradsachen erst nach dem Besuch anzuziehen. Aber wenn man mit Freunden reist, ist das eben so, ohne detaillierte Ablaufplanung. Das ergibt dann öfter ulkige Situationen, Überraschungen. Das macht diese Abenteuertour aus.
Der Kreml ist sehr interessant, ein Ensemble mit schönen alten Gebäuden als Fotomotive. Unsere ersten Zwiebeltürme für die Kamera. Eine Kirche wurde innen restauriert und bot herrliche Fresken. Eigentlich bestand Fotografierverbot, aber ich muss doch den potentiellen Russland-Reisenden die Sehenswürdigkeiten zeigen, damit sie sich für die Reise entschließen. Also brach ich das Verbot. Es passierte in der Sonntagskirche. Dann der Gang auf der überdachten Mauer mit schönem Blick auf den Hof und den See hinter dem Kloster (Wie kam er zu seinem Namen Nero?).
Zum ersten Mal schriftlich erwähnt worden war dieses Rostow im Jahre 862. Der Kreml ist von 1670 bis 1683 erbaut worden.
weiterführende Infos:
Website: http://www.rostmuseum.ru/
http://www.mojgorod.ru/jaroslav_obl/rostov/index.html
In einem Antiquitätenmuseum hier gibt es in einem Raum Vitrinen, in denen Gefäße und Besteck gezeigt werden, thematisch sortiert für Kaffee, Wodka und Tee. Dann alte Schränke, Silberbesteck, Kisten, Ikonen, originaler Steinboden, Landwirtschaftsgeräte und anderes.
Das ist nur ein kleines Museum und so war dessen Besichtigung für keinen von uns anstrengend. Swetlana vom Organisator-Team kam hier zum ersten Mal als Dolmetscherin und Fremdenführerin richtig zum Einsatz. Sie ist ja an der Universität in Moskau Englischlehrerin.
Anschließend besuchten wir innerhalb des Kremls ein Haus, an dem außen ein Schild darauf hinwie, dass das ein Hotel ist. Wir gingen an dem Haus außen eine Treppe hoch zum Eingang und drinnen eine Treppe runter zu einer Bar, an der jeder von uns ein Glas mit Kwas bekam. Für die meisten zum ersten Mal Kwas. Endlich wieder was zu trinken. Die Teilnehmer waren neugierig, wie das hergestellt wird, wo es so ähnlich wie Cola schmeckte.
Am Ausgang dieses Hauses gibt es auch eine Toilette.
Die Präparationen auf dem Platz, wo unsere eigentlich Expedition auf dem Rad beginnen sollte (unser Basislager), dauerten noch eine ganze Weile. Tracy und ich bekamen unsere Räder ziemlich zuletzt. So war dann nicht mehr die Zeit, meine von zu Hause mitgebrachte Lenkertasche zu befestigen. Ich benutze meinen Fahrradrucksack für Trinkflasche, Geld, Kamera etc. Ich hatte Sandalen an und keine Mütze auf. Das war, wo ich ein heller Hauttyp bin, leichtsinnig. Man soll die russische Sonne nicht unterschätzen. Die meisten unserer Gruppe trugen Helme. Tracy hatte einen Sonnenhut und hat sich gut mit Sonnenschutzcreme eingerieben.
Wir fuhren die erwähnte schlechte Straße entlang. Sie sah aus wie eine Dorfstraße in Dörfern, die ich in meiner Kindheit gesehen hatte, als wir auf Verwandtenbesuch waren. Erst mal rollen, das Rad anfühlen, den Sattel und wie es sich lenkt und bremst...
Kurz vor dem Ausgang bogen wir nach rechts auf die Kreisstraße R 153 ab, in etwa nordwestliche Richtung. Kurz darauf mussten wir die M8 überqueren. Da gab es einen Fußgänger-Übergang mit einer Glasröhre.
Dann kam der Bahnübergang und dann waren wir auf einer schlecht asphaltierten, geflickten Straße, aber bald auf einer recht passablen Straße, die nicht gar so stark befahren war, aber doch mehr, als uns lieb war, die P153. Es gab auch LKW und schnell fahrende PKW und ich bemerkte einige Fahrunsicherheiten bei manchen unserer Teilnehmer. Auch mit dem Straßenrand, dem Sand dort. Vor allem bei den beiden Kindern. Ja, wir hatten zwei Kinder dabei. Ausnahmsweise. Eine vierköpfige Familie aus den USA. Da kann man schlecht nein sagen, zumal die Kinder russisch sprechen, wegen der Mutter, die aus dem Baltikum stammt.
Ich blieb gleich bei dem Vater mit einem seiner Söhne, beobachtete von hinten, wie der Sohn fuhr. Hinter mir noch Dmitri, der das Schlusslicht unserer Gruppe bildete und dafür zu sorgen hatte, dass am Ende niemand verloren ging. Dmitri, der Direktor des Fahrradtourenklubs.
Unser Ziel war heute ein Ferienlager „Raduga“ im Wald an einer Niederung. Dazu hatte Wladimir vorher nichts erzählt. Das war eine Überraschung. Zuvor hatten wir am Ortseingang von Borisoglebskij an einer Abzweigung eine Pause gemacht; nicht die erste. Da gab es einen Laden. Ich kaufte Tracy und mir Trinkjoghurt. Dann kamen auch andere, um sich was zu Trinken zu kaufen oder einen süßen Snack. Es gab da am Straßenrand eine Pumpe mit gutem Wasser. Auch mal zuvor an der Straße mal eine, die auf Knopfdruck Wasser zu Tage förderte. Sowas Rustikales. Ich glaube, irgendwie gefiel das Tracy. Das passte in das Bild vom Russland-Abenteuer.
Die letzten Kilometer waren ganz nett. Wenig Verkehr, Wiesen und Felder, etwas wellig. Etwas abseits von der Straße eine verrottete Kirche (Foto). Weil wir, Tracy und ich, nicht vorn waren, erlaubten wir uns nicht dorthin zu fahren, um die Ruine aus der Nähe zu betrachten. Sie heißt Спас-подгорье
Ich fand jetzt im Nachhinein ein Video, das die Ruine und die Siedlung zeigt. Hier ist es:
http://youtu.be/-JxFoseBwls
Die Gruppe war weit auseinander gezogen. An einer Abzweigung der so gut wie leeren Straße wurde gewartet, damit wir uns alle sammelten und niemand auf der Straße geradeaus weiterfuhr. Von hier aus ging es nach rechts weg durch ein Dorf. Dahinter wurde die Straße zu einem Sandweg und Tracy und ich fragten uns bald, ob wir versäumt hatten, mal abzubiegen, als die Gruppe schon wieder weit auseinandergezogen war und wir weiter hinten, obschon nicht die letzten waren. Wir hatten keinen Fahrer mehr im Blickfeld. Ziemlich abseits hier. Es ging leicht bergab und wir kamen an einen Waldrand. Hier stand Swetlana mit ihrem Lada. Nach links! Geschafft!
Ein Ferienlager aus alten Zeiten. Unsere Fahrräder parkten an Nadelbäumen. Hier fand ich einen Radfahrhandschuh auf dem Boden. Der Besitzer fand sich nicht gleich, aber beim Abendessen – Paul, der Papa der beiden Jungen.
An der Handschuhfundstelle tauschten Tracy und Nick ihre Sättel. Nick hatte einen für Frauen, mit einer Kerbe, kam später mit Tracys Sattel besser klar.
Zwei, drei Gebäude auf dem Gelände waren außen erst kürzlich renoviert und isoliert worden. Es sah aber nicht aus, als würde es hier Gruppen von Ferienkindern geben.
Mücken gab es. Ich folgte Wladimir, Igor und den Eigentümer des ehemaligen Ferienlagers zur Wiese. Mit hohem Grasgestrüpp und Grillengezirpe. Trotzdem mit einem Mast, an dem ein Korb hing. Aber Basketball spielen ging hier nicht. Die Männer prüften, ob man dort baden konnte. Nein, nicht so gut. Zugewachsen und vielleicht auch schlammiger Grund, sagte mir Wladimir später.
Ein paar von uns zelteten. Der Nachteil waren die Mücken und die fehlende Toilette nebenan. Sie kamen morgen rein zu uns, um zu duschen.
Der Raum, in dem wir Abendbrot aßen, war akustisch etwas schwierig, schlecht zum sich unterhalten. Ich saß mit Tracy an einem kleinen Tisch. Ich schenkte den Kindern am großen Tisch eine Mini-Rittersport. Eine von mehreren Gesten, um Freund der Teilnehmer zu werden. Zum Aufschreiben meiner Erlebnisse bin ich an diesem Abend nicht mehr gekommen. Als sich noch einige weiter in dem Raum, wo wir aßen, unterhielten, schlich ich mich raus, um mich umzusehen. Das liegt mir im Blut, wo ich auf dem Dorf aufgewachsen bin. Oft bei Verwandten in anderen Dörfern zu Besuch, habe ich das auch immer getan.
Leider war meine Nikon nicht mehr einsatzbereit. Das Akku war leer. Ich hatte auch die Fuji nicht zur Hand, meine Zweitkamera. Ich fand auf der anderen Seite des Lagergebiets, auf dem viele Bäume standen, verlassene Häuser, ehemalige Bettenhäuser, mit viel Gerümpel. Jede Menge Müll. Ich sah Spuren von Obdachlosen, die hier gehaust hatten, Kleidung, Wodkaflasche, Streichhölzer. Ob hier wohl Betrunkene erfroren sind? Verwahrlost der Teil des Lagers. Kostet noch viele Arbeitsstunden, das alles aufzuräumen und wegzuschaffen.
Wladimir sagte mir am nächsten Tag, dass er nächstes Jahr nicht wieder herkommen will. Der Eigentümer war unfreundlich und die Bedingungen waren nicht so gut wie wohl zuvor erzählt. Deswegen bin ich jetzt hier auch so offen. Spaß muss sein. Das hatte ich Tracy vor Beginn der Radtour mehrmals ans Herz gelegt. Wir nehmens mit Humor. Es gibt Überraschungen auf der Tour, vor allem, wenn man noch nicht in Russland gewesen ist.