Ich fuhr zunächst am Ende unserer Gruppe, mit Dmitri und Tracy. Von der Straße entlang der Wolga biegen wir am Ende des Dorfes nach rechts ab, uns von der Wolga abwendend. Bevor wir in einen Wald hineinfuhren, kamen wir an eine Senke mit einem Fluss, der hier einen romantischen Blick bot, eher den Charakter eines Sees hat.
Der Weg durch den Wald war zunächst eine asphaltierte Straße, dann eine stark geflickte, löchrige Straße, dann ein Waldweg. Auf beiden Seiten unserer Waldstraße befanden sich ein paar Ferienlager, z.B. eines mit dem Namen "Wysokowski Bor". "Bor" heißt in diesem Zusammenhang "Nadelwald". In so einem Waldferienlager verbrachte ich 1981 bei Minsk in Belarus drei Wochen meiner Sommerferien.
Auf anderen Ende des Waldes sammelten wir uns. Der Weg führt auf ein Feld hinaus. Beim Warten fiel mir ein Schild auf: Naturdenkmal "Wysokij Bor", der Wald ist geschützt.
Diese erste halbe Stunde bis hierher war ein netter Beginn, von der Strecke her. Ohne Verkehr.
Dann waren wir 20 Minuten später auf der Straße an einem unbeschrankten Bahnübergang. Tracy und ich waren wieder hinten, auch Wladimir mit Ian, Gale und Dennis. Da kam ein Zug von rechts. Wir fuhren noch kurz vorher über das Gleis und ich zückte meine Kamera, um den Güterzug mit den zwei grünen Dieselloks zu fotografieren.
Zehn Minuten später fuhren wir durch ein Dorf auf einer feldsteingepflasterten Straße, so einer, von denen ich in meiner Kindheit viele gesehen hatte in Dörfern, in denen meine Verwandtschaft wohnte, die wir an Wochenenden besuchten. Zwei Jungen kamen uns auf der anderen Straßenseite entgegen, schoben ihr Rad bergauf. Die Sonne brannte schon kräftig, um Halbelf. Eine Stunde unterwegs jetzt. Dort, wo uns die Jungen begegneten, am Dorfausgang (irgendwas mit … otowo), begann ein Abschnitt mit schönem Asphalt, wunderbar glatt.
Die Straße war relativ wenig befahren. Vielleicht lag es auch an der Ferienzeit. Wir fuhren wohl auf der P 104 (laut Karte müsste es sie sein.) in nordöstlicher Richtung auf Rybinsk zu, ohne zu wissen, wann wir wir die Stadt am Stausee erreichen würden. Wir Touristen hatten meistens keinen Plan. Bald schon standen auf beiden Seiten wieder hohe Stauden dieses gefährlichen Unkrauts aus Amerika, das Allergien auslöst, Riesen-Bärenklau.
Das ist hier eine Seuche. Wir haben dieses Unkraut an mehreren Tagen die Straße säumen gesehen. Und unmittelbar nach der Tour (noch in Moskau) habe ich im russischen Fernsehen einen Beitrag über eben diese Gegend gesehen, wo dieses Kraut bekämpft wird. Man hätte das Doldengewächs schon vor seiner Blüte entfernen müssen, bevor es die Samen produziert, wird im Fernsehbeitrag erzählt. Im nächsten Jahr wird es bestimmt noch schlimmer wachsen.
Wir kamen an eine Weide mit Kühen, darunter viele junge Kühe, braun, mit weißem Kopf. Der Hirte ritt auf einem Pferd, assistiert von einem Hund. Hinter der Wiese hinter Büschen und Bäumen ein Dorf. Tracy hat es nicht gleich bemerkt und sich über die Bushaltestelle gewundert, wo es hier keine Häuser gibt.
An der Straße mit den vielen Riesen-Bärenklau-Pflanzen machten wir um zehn vor Zwölf Rast am Waldesrand.
Rybinsk
Eine Stunde später erreichten wir die Stadt Rybinsk. Ryba ist das Wort für Fisch. Früher hieß der Ort auch Rybnaja Sloboda, Fischsiedlung. Nachdem der Ort wichtig als Umschlagsplatz für Waren auf dem Weg zwischen der Wolga und St. Petersburg geworden war, wurde er per Erlass der Zarin Ekaterina II in Gorod Rybni umbenannt, Fischstadt. Die Zarin hatte deswegen den Ort besucht. Der Akt der Verleihung des Stadtrechts gilt als Geburtstag der Stadt.
Ich sehe vom Rad am Stadtrand ein Fahrradgeschäft. Zeit es zu besuchen war nicht, wir fuhren zügig vorbei. Die Straße fuhren wir lange geradeaus, auf die Wolga zu, ins Stadtinnere hinein. Dabei mussten wir vorsichtig fahren.
Es gab Kreuzungen, Ampeln, Zebrastreifen, Gullis, Löcher am Straßenrand, Oberleitungsbusse, starken Verkehr.
Am Museum war unsere Gruppe nicht mehr vollständig angekommen. Nick war irrtümlich einem Radler gefolgt, der gar nicht zu unserer Gruppe gehörte; weil der ein oranges Shirt trug. Die T-Shirts, die jeder Teilnehmer als Souvenir bekommt, sind auch orange und fast jeden Tag hatte irgendeiner von uns so eins angezogen.
Das Mologa-Museum (musej mologskogo kraja) befindet sich in einer Querstraße zu der langen Hauptstraße, eingezwängt zwischen zwei größeren Häusern, mit Minihof. Dort, wo die Querstraße beginnt, ist ein Platz, auf dem sich ein Lenindenkmal befindet, Lenin im Wintermantel und mit Schapka. Dahinter steht ein großes Haus mit rotem Dach, vielleicht das Ratshaus.
Den Namen hat das Museum vom Fluss Mologo, dessen Wasser den Stausee neben der Wolga speist.
Man sieht hier eine Sammlung, die die Zeit der Umsiedlung in den 30-er Jahren dokumentiert, mit Urkunden, alten Fotos, Karten, Gegenständen, die die Bewohner hier früher besaßen. Das Stauendes Sees hat Jahre gedauert. Das letzte Gebäude, das unterging, war ein Kirchturm. Die Frauen, die hier das Museum führen, stammen aus Familien, die von der Zwangsumsiedlung betroffen waren.
Wir sind deswegen von Swetlana vorher ermahnt worden, während der Führung nicht zu lachen. Es war eine dramatische Zeit für alle die, die ihr Haus und Hof und Garten verloren für den Rybinsker Stausee.
Bevor hier gestaut wurde, wurde auch Hirse angebaut, erklärt die Museumsführerin an einem Bild (siehe oben).
Wir fahren anschießend zum Wolgaufer, zur Flaniermeile, mit Kunst und Denkmälern, Blumenbeeten, Schiffsanlegebrücken. Vom hellblauen Gebäude des Flussbahnhofs aus Holz, von dem man im Internet leicht Bilder sieht, war nichts als das Fundament übrig, nur eine Plattform.
Am Denkmal für die Wolgatreidler, errichtet auf einem Findling aus Anlass des zweihundertsten Bestehens der Stadt (Gründung per Erlass von Ekaterina II., siehe oben), halten wir einen Moment an. Das Denkmal ist den Wanderarbeitern gewidmet, die die Stadt errichtet haben, die die Schiffe auf der Wolga gezogen haben. Es gibt ein berühmtes Bild von Ilja Repin, dass ich ich in der Schule im Kunstunterricht kennen gelernt hatte: Die Wolgatreidler.
Es ist warm. Die Sonne ist gefährlich. Ich habe inzwischen einen Sonnenbrand. Wir sind durstig und lechzen nach Eis. Wir finden einen Laden. Ich kaufe Tracy und mir Eis. Aber es ist auch Zeit für etwas Festes zwischen den Zähnen. Es ist schon 14.15 Uhr. Wir fahren über die Wolgabrücke.
Ein kleines Erlebnis. Man kann von hier, der Brücke aus, wunderbar die Sonnenanbeter unten auf der Sandbank beobachten.
Hinter der Brücke steht Andrej mit seinem Truck an einer Kurve am Anfang einer Seitenstraße. Wir sind aus der Stadt praktisch raus, aber haben die Wolga noch im Blick. Pause. Um 15 Uhr herum, bis etwa Viertelvier. Weit gefahren sind wir jetzt nicht, aber richtig viel gesehen haben wir von Rybinsk auch nicht. Aber die "Merkmale" befinden sich an der Wolga und die haben wir gesehen. Da wir gerade das Museum hatten, hat jeder Wissen zu verarbeiten – oder hat schon wieder vergessen und lebt nur in dem Moment. Die Teilnehmer sind zerstreut. Wohl keiner denkt jetzt an sein Zuhause. Und das ist auch gut so.
Infos zu Rybinsk
Industriestadt im Oblast Jaroslawl, Stadtrecht seit 1777
Lage: 280 km nördlich von Moskau
Einwohnerzahl: etwa 200.000
Offizielle Website der Stadt Rybinsk: http://rybinsk.ru/
Touristeninfos (in englisch): http://rweek.ru/up/MediaLibrary/eng/contact.html
Sehenswürdigkeiten:
a) Museum der Kunstgeschichte und Volkskunst im Gebäude der ehemaligen Getreidebörse
b) Mologa-Museum
Website des Mologa-Museums: http://www.rybmuseum.ru/index.php/en/expositions-eng/mologa-museum
c) Kinomuseum, Uliza Stojalaja 13.
d) Privatmuseum "Nobel und Nobel-Bewegung", Frolowskaja Uliza 6.
e) Drama-Theater, Krestowaja Uliza 17 (Steinstraße 17)
f) Puppentheater, Woksalnaja Uliza 14/71 (Bahnhofstraße 14)
Zentrale Rybinsker Bibliothek: Krestowaja Uliza 84.
Djomino
Wir biegen nach rechts ab, die Straße nach Tutajew, oberhalb der Wolga, in südöstliche Richtung, durch Ortschaften. Aber wir fahren heute noch nicht nach Tutajew. Unser Ziel ist Djomino, ein Trainingszentrum für Sportler, für Skilangläufer, Biathleten im Sommer, ein Wintersportzentrum im Winter. Hier findet auch ein Skilanglauf-Weltcup regelmäßig statt. Das heißt die besten deutschen Skilangläufer kennen diesen Ort am Wolgaufer. Berichtet wird aber vom Weltcup in Rybinsk, was geografisch falsch ist. Auf den Schildern steht hier Demino. Ich sah aber mal das e mit Pünktchen. Die werden heute beim Buchstaben "jo" oft weggelassen.
Bevor wir ans Wolgaufer hinunter fuhren, warteten wir an der Abzweigung. Ein Bär mit Skiern im linken Arm lädt uns ein, weist mit dem Arm zum Tagesziel. Vielleicht ist er der Statue von Lenin nachgebildet, die man in vielen russischen Städten (z.B. Woronesch) sieht, mit der Armbewegung "Dort!". Im anderen Arm hält der Bär ein Paar Langlaufskier.
Wir passieren eine Schranke, russisch "Schlagbaum", aus dem Deutschen übernommenes Wort. Hier kommt nicht jeder rein. Wir biegen um die Ecke und ich sehe ein rot-gelbes Haus, das Sporthotel. Aha-Effekt, schon auf Fotos gesehen.
Gleich hinter dem Hotel befindet sich das Skistadion, wo dann immer der Zieleinlauf statt findet.
Während die Teilnehmer unserer Gruppe vom Rad steigen, drehe ich noch eine Runde, will mich gleich umsehen. Dmitri auch, fragt mich, ob ich mitkomme. Ich folge ihm. Zuerst kommen wir an einem Restaurant vorbei, in dem sicher auch wohl die großen russischen Wintersportler, die hier trainieren, schon gegessen haben müssen. Dmitri war schon mal hier und weiß, was er mir zeigen will. Wir fahren einen asphaltierten Weg entlang, der leicht ansteigt und eine schöne Sicht auf die Wolga verspricht. Es gibt hier viele Nadelbäume und einige Bungalows. Oh, ein schöner Blick auf eine Wolgabiegung.
Dort unten ist ein Pavillon. Wir genießen die Aussicht. Hier über einen Teil des Geländes war voriges Jahr ein Tornado gefegt und hatte viele Bäume umgeknickt, auch auf der anderen Seite der Wolga.
Als ich zum Hotel zurückkomme, hat Tracy schon das Zimmer von uns bezogen. Gegenüber von unserem Zimmer wohnen zwei Mädchen, vielleicht 12 oder 14 Jahre alt. Toll, wir freuen uns über unser Zimmer. Große schön gemachte Betten, ein funktionierender neuer Flachbild-Fernseher, eine gute Dusche, sogar Wäscheständer ist vorhanden. Aber keine Waschmaschine. Tracy wäscht doch etwas Wäsche ineiner Schüssel, die ich uns an der Rezeption besorgt habe und dann trocknet unsere Wäsche am offenen Fenster. Hier kann man es aushalten. Weiterhin verfügte unser Zimmer über eine Schuhputzbürste und einen Schuhputzer schwarz. Aber nicht über einen Fön und Schuhanzieher.
Wir entspannen. Dann ist aber Abendbrotzeit. Wir treffen uns im Foyer. Dort haben Jugendliche gerade auch ein Treffen mit ihrem Trainer und besprechen was. Während wir warten, spreche ich mit der Rezeptionistin. Sie lässt mich an ihren Computer. Ich kann so mal meine E-Mails checken. Tracy kommt und staunt, dass ich neben der Rezeptionistin arbeite. Es bleibt auch noch die Zeit, kurz die Positionen zu tauschen. Und den Moment, als sie dann am Monitor sitzt, halte ich fest. Ist doch ein schönes Erinnerungsfoto.
Unsere Gruppe, geht rüber zu einem Haus mit einem Speisesaal (und wie wir am nächsten Morgen sehen, auch mit einer Mensa daneben). Der Speisesaal ist leer. Wir werden bedient, nach einiger Zeit des Wartens. Wir erhalten ein Menü. Der junge Mann, der serviert, sieht komisch aus. Keine passende Kleidung, lange Haare, ungelenk in seinen Bewegungen. Der hat das Servieren nicht gelernt. Vielleicht gehört das Servieren zum Küchendienst der jugendlichen Sportler (jeden Tag andere mit Küchendienst dran?).
Das Besteck ist nicht vollzählig. Und noch ein paar Pannen. Das Kompott mit Blaubeeren schmeckte nicht. Es ist fad, leicht bitter.
War nicht toll. Tracy hat was auf dem Teller liegen gelassen.
Danach gehen wir nicht gleich ins Hotel zurück, sondern spazieren unter Obhut von Swetlana und Wladimir zum Pavillon und dem Restaurant mit dem Holzboot davor, wo ich mit Dmitri schon gewesen bin. Paul fotografiert netterweise Tracy und mich an jenem alten Holzboot.
Dann haben wir weiter Wäsche gewaschen. Also Tracy mehr, ich habe versucht, mir ein paar Notizen zu machen, bei offenem Fenster, an dem unter uns gut gelaunt Jungen und Mädchen vorbeiliefen. Es dämmerte schon bald. Leider war keine Zeit mehr, selbst noch mal rauszugehen und den Abend an dieser Luft zu genießen und zum Beispiel einen Blick in das Stadion nebenan zu werfen.
Es war das beste Zimmer für uns während der Tour. Mit schönen und auch etwas breiteren Betten, nicht an der Straße, gute Luft, Satellitenfernsehen, guten Möbel.