Ende August bot mir Herbert Kintscher seinen Bericht von der gerade beendeten Gruppenreise nach St. Petersburg an. Das Thema der Reise war Kriegsgeschichte, der 2. Weltkrieg, Besuch von Plätzen, an denen es Gefechte zwischen Wehrmacht und der sowjetischen Armee gab.
Vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Gefahr eines dritten Weltkriegs soll dieser Bericht mahnen, dass wir uns an die Geschichte in Europa im 20. Jahrhundert erinnern, an die Rolle, die Deutschland spielte und die, welche die Sowjetunion, der Rechtsvorgänger der Russischen Föderation, spielte.
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"Ich hatte diese Reise meinem Cousin Alfons Puder gewidmet, der am 04.07.1944 im Alter von 23 Jahren im Raum Minsk-Orscha ums Leben kam. Dass das keine Vergnügungsreise wurde, war mir klar, doch ich wollte damit ein Zeichen setzen, dass man für den Frieden auch Opfer bringen sollte und das wollte ich mit dieser Reise verbinden.
Die Flug-/Busreise fand vom 12. bis 19. August 2016 statt. Unsere Gruppe besuchte während der Reise diese Friedhöfe: Piskarjowskoje (St. Petersburg), Sebesch, Sologubowka, Welikije Luki, Welikij Nowgorod. ..."
Herbert Kintscher ist Autor des Buches "Der Weg von der Diktatur zur Demokratie - Lebenserinnerungen", im Verlag Deutsche Literaturgesellschaft (inzwischen insolvent) erschienen. Vielleicht ist es noch in Buchhandlungen erhältlich. Das zweite Buch, das Herbert Kintscher schrieb, heißt: "Die Heimat bleibt tief in der Seele".
I. Motive, Vorgeschichte der Reise
Die meisten Menschen bei uns reisen ins Ausland, um auszuspannen und um sich zu vergnügen. Dass sollte ihnen auch gegönnt sein, da oft ein arbeitsreiches Jahr hinter ihnen liegt und der Urlaub dazu dienen soll, wieder Kräfte zu sammeln für die Zeit nach dem Urlaub. Für Menschen die ein arbeitsreiches Leben hinter sich haben, wie bei mir, ist das nicht unbedingt erforderlich, obwohl auch sie reisen können, um sich auszuspannen und um sich zu vergnügen. Für die Urlaubsreisen werden von Reiseveranstaltern große Anstrengungen unternommen, um die nötigen Angebote für diesen Bereich der Reisenden zu erstellen. Das beste Beispiel ist die Bereitstellung immer größerer Schiffe, um möglichst viele Reisende für Kreuzfahrt-Vergnügen aufzunehmen.
Auch ich wollte eine Urlaubsreise antreten. Sie sollte aber der Erhaltung des Weltfriedens gewidmet sein. Dass man für den Frieden auch Opfer bringen sollte, ist mir vollkommen bewusst. Deshalb wollte ich diese vom Volksbund der Kriegsgräberfürsorge angebotene Reise unternehmen.
Ich wollte diese Reise meinem Cousin Alfons Puder widmen, der am 04.07.1944 im Alter von 23 Jahren im Raum Minsk-Orscha als Soldat bei schweren Abwehrkämpfen ums Leben kam.
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Dass das für mich und die Mitreisenden keine Vergnügungsreise werden würde, war mir klar, waren doch im Reiseprogramm mehrere Besuche auf Soldatenfriedhöfen vorgesehen. Doch ich wollte damit ein Zeichen setzen, dass man für den Frieden auch Opfer bringen sollte und nicht immer das Vergügen im Vordergrund stehen sollte, zumal ein Rentner auch die Zeit dazu hat.
Meinen Cousin hat man damals nicht gefragt, ob er wieder an die Front wollte; nein, er musste, sonst wäre er an die Wand gestellt worden. Als damals 11-Jähriger habe ich ihn, bevor er zurück zur Front musste, gefragt, wann wir uns wiedersehen. Darauf sagte er den Satz: „Wir werden uns sicher nicht mehr wiedersehen“. Zwar habe ich es damals nicht verstanden, was er mir damit sagen wollte, doch heute weiß ich es.
Wir wissen, dass der Russlandfeldzug mit dem Namen „Barbarossa“ der Überfall am 22. Juni 1941 auf die damalige Sowjetunion, ein Verbrechen war. Das findet heute aber kaum noch Beachtung. Laut Internet hat der 2. Weltkrieg 2,7 Millionen deutschen Soldaten das Leben gekostet hat. Aber die Gegenseite hatte 24 – 40 Millionen Bewohner der Sowjetunion als Opfer zu beklagen.
Wenn das kein Grund ist, sich für den Frieden einzusetzen, dann weiß ich nicht, wann man das tun sollte.
Wird doch heute der Osten immer noch in unserer Medienwelt nicht ausreichend beachtet, nach dem Motto des Buches: „Wir sind die Guten“ von Mathias Bröckers und Paul Schreyer. Oder nehmen wir die Bücher der Journalistin Gabriele Krone-Schmalz, die als ARD-Journalistin lange Jahre beruflich in der Sowjetunion weilte, welchen fast aussichtslosen Kampf sie führt, um den Osten besser verstehen zu lernen. Ich kann sie verstehen, denn ich habe fast alle ihre Bücher gelesen.
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Meine ersten Kontakte zu der Organisation „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ (VDK) war durch meinen Cousin Alfons Puder veranlasst. Einer seiner Kameraden an der Front hatte die eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass er meinen Cousin im Bereich Minsk-Orscha am 04.07.1944 zwischen 12 und 14 Uhr hat sterben sehen. Ich wurde Mitglied bei dieser Organisation, Mitglieds-Nr. 951782. Man gab mir hier die Auskunft, dass mein Cousin auf dem Soldatenfriedhof Berjosa bei Minsk seine letzte Ruhe gefunden hat und dort auf Stelen eingetragen wird.
Ich wollte diesen Friedhof "Berjosa" besuchen, doch man gab mir zu verstehen, dass mein Cousin noch nicht gefunden worden sei, dass, wenn er aber gefunden wird, man mich anschreiben wolle. Daraufhin habe ich um alternative Reisevorschläge gebeten. Der Volksbund gab mir verschiedene Reisevorschläge. Ich suchte mir diese vom 12. bis 19. August 2016 aus. Zu dieser Reise gab es den Hinweis, dass sie stattfinden wird, wenn sich mindestens 20 Personen zur Teilnahme anmelden. Laut Mittelung der Reiseleitung des Volksbundes, die vom Reiseveranstalter OST & Fern Reisedienst GmbH gestellt wurde, erfuhr ich, dass sich 26 Personen gemeldet hätten. Damit konnte die Reise stattfinden.
Der Veranstalter übernahm die Beschaffung des erforderlichen Visums. Ich sandte dazu ein Passbild ein. Es ergab sich dann aber, dass dieses Passbild nicht den Vorschriften genügte. Also musste ich da noch tätig werden und ein metrisches Foto erstellen lassen.
II. Die Reise
Freitag, 12. August 2016
Unsere Reise mit dem VDK in die die Russische Förderation in die Stadt St. Petersburg sollte am Freitag, dem 12. August 2016 am Flughafen Düsseldorf beginnen, Abflug mit Aeroflot um 11.05 Uhr. Der Flughafen liegt 30 im von meiner Heimatstadt Essen entfernt.
Auf meine Frage an meine Tochter, ob sie mich zum Flughafen bringen könnte, erwiderte sie mir, selbstverständlich bringe ich dich hin. Und so kam es dann auch. Der Flugabfertigungsschalter für diese besondere Reise war gefunden. Hier machte ein Reisender auf sich aufmerksam, und stellte sich vor, dass er unser Reisebegleiter Manfred Blum wäre. Er fragte mich, ob ich die Reise mit der „OST & Fern Reisedienst GmbH“ machte. Ich bejahte. Daraufhin händigte er mir ein Namensschild mit meinem Namen und einer besonderer Kennzeichnung der Deutschen Kriegsgräberfürsorge e.V. aus, mit der Bemerkung, dieses im Flugzeug anzustecken und es die ganze Reise über zu tragen.
Auf dem Düsseldorfer Flughafen stiegen 16 Teilnehmern, einschließlich unserem Reisebegleiter Herrn Blum, zu, die überwiegend aus der weiteren Umgebung von Düsseldorf kamen. Mit dabei war ein Ehepaar, aus Österreich und ein Ehepaar aus den USA, aus Arizona. Die restlichen 10 Personen sollten etwas später von Hamburg abfliegen und in St. Petersburg zu uns stoßen.
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Reibungslos startete die Aeroflot-Maschine mit leichter Verspätung und landete um 14:50 Uhr auf dem Flughafen Pulkovo bei St. Petersburg.
Es dauerte einige Zeit bis alle Reiseteilnehmer ihre Gepäckstücke vom Fließband abnehmen konnten; danach noch die genaue Passkontrolle und kurz darauf standen wir vor dem Flughafengebäude und uns begrüßte eine sehr freundliche russische Dame, die sich uns mit dem Namen Arina Wtorowa vorstellte. Es dauerte eine Weile bis alle sich eingefunden hatten. Daraufhin hielt sie eine kleine Eröffnungsansprache, erklärte, dass sie jetzt für eine Woche und täglich mit uns zusammen sein wird.
Auch schönes Wetter begrüßte uns. Unsere Reiseleiterin meinte dazu, dass sie nicht immer mit schönem Wetter garantieren könne, da St. Petersburg bekannt dafür ist, dass sich das Wetter schnell ändern könnte. In St. Petersburg können von 365 Tagen im Jahr schon mal 300 Tage davon verregnet sein. Doch wir hofften auf ein wenig Glück und liefen zu unserem orangenen Bus mit dem Fahrer Michael, der uns in dieser Woche immer unser Begleiter sein sollte. Er brachte uns zu unserem Hotel „Moskwa“. Es befindet sich am Anfang des Newski-Prospekts. Als wir dort eintrafen, empfanden wir das Hotel als ziemlich riesig groß.
An der Rezeption nahm uns Arina unsere Reisepässe ab, mit der Begründung, dass das für unsere Sicherheit erforderlich wäre und dass dies bei den Städten, die wir besuchen wollten, immer der gleiche Ablauf wäre, dass die Pässe eingesammelt würden und wir sie am Morgen vor jeder Fahrt wieder bekämen.
Wir alle standen vor der Rezeption und warteten auf die Zimmerschlüssel.
Ich bekam das Zimmer Nr. 7007. Es war eine große Strecke vom Aufzug bis zum Zimmer. Das kann man nur am Grundriss erklären.
Zum Abendessen wollten wir alle eigentlich zusammen kommen, doch meiner Meinung war das nicht möglich, bedingt durch den riesigen Speiseraum und der großen Anzahl an Gästen, die sich am Bufett drängten. Auch war es am Tee- und Kaffeeausschank kaum möglich sich zu bedienen. Den Platz den ich mir dann aussuchte, war in der großen Menge an Gästen - mit Blick auf meine Reiseteilnehmer - ziemlich verlassen: Zwischen den vielen Gästen aus In- und Ausland sichtete ich nicht einen aus unserer Gemeinschaft. Dieses negative Bild in dem Hotel „Moskwa“ hat sich auch nicht mehr so richtig zum Positiven gewandelt, doch eines war positiv: ich konnte mit sehr vielen Gästen aus den neuen Bundesländern meine Bekanntschaft machen.
Samstag, 13.August 2016
Etwas besser zeigte sich der nächste Morgen beim Frühstück. Der Saal war zwar immer noch riesig, doch nicht alle Gäste waren schon dabei, sich einen Platz zu suchen und schon konnten wir unsere Reiseteilnehmer mit ihren Namensschildern besser erkennen.
Nach dem Frühstück ging es zum Bus. Er stand um 9:00 Uhr vor dem Hotel für uns bereit. Heute war als erstes eine Stadtrundfahrt durch St. Petersburg vorgesehen. Dabei konnten die Reiseteilnehmer sich nicht nur die Stadt an der Newa und dem Finnischen Meerbusen kennenlernen, sondern auch sich gegenseitig. Es versteht sich von selbst, dass ich in einem kurzen Bericht wie diesen die Schönheit der Stadt bei weitem nicht beschreiben kann. Zur Stadtrundfahrt gehörte auch eine Bootstour auf der Newa und die Eremitage.
Die vielen herrlichen Gebäude und Kirchen die alle einen wunderschönen Anstrich hatten und gut gepflegt aussahen. Nach dieser Stadtrundfahrt war der Besuch des Friedhofs Piskarjowskoje vorgesehen, der etwas außerhalb nördlich der Stadt liegt. Es ist der Gedenkfriedhof, der eine Massenbegräbnisstätte von etwa 470.000 Personen ist, die im 2. Weltkrieg für die Opfer der Leningrader Blockade durch die Deutsche Wehrmacht von 1941 – 1944 wurden. Am 9. Mai 1960 wurde er feierlich eröffnet. Kompositorischer Mittelpunkt ist eine die „Mutter Heimat“ verkörpernde Bronzeplastik. Hier gedachten wir mit einem Gebet und mit einem Gebinde der Toten.
Wir waren nicht allein, denn parallel zu uns kam eine Gruppe einer Bürgerinitiative zur Förderung der Völkerfreundschaft zwischen Deutschland und Russland. Die [...Next]