Schach in Dresden - ich war Gast auf der Olympiade 2008
Russland ist für DGT schon ein sehr wichtiger Absatzmarkt, liegt hinter Deutschland an zweiter Stelle. - Jedes Kind weiß, dass Schach hier eine lange Tradition hat, Schachunterricht an Schulen war weit verbreitet. So finden sich denn auch finanziell starke Förderer, vorneweg Anatoli Karpow, der auf der Pressekonferenz von über 20 Schachschulen sprach; gerade hatte er auch eine erste in Polen eröffnet und eine zweite in den USA will er demnächst in Chicago eröffnen. In Russland gibt es extra für Schachklubs gebaute Häuser, vorzüglich für die Nachwuchsarbeit ausgestattet. So ein Schachhaus, gebaut mit Mitteln eines Gasunternehmens Tatneft, hatte ich vor zwei Jahren in Tatarstan besucht. Dies war keine private Schachschule, aber Schach ist hier gewissermaßen Betriebssport der Erdgasfirma. Mit meinem Freund dort in dessen Heimatstadt kamen wir an einem Feiertag zufällig, aber neugierig, vorbei und wurden just eingeladen, am Blitzturnier mitzuspielen, das gerade anfangen sollte. Da spielten Meister und Meisteranwärter mit. Ich wurde Letzter, stand ein paar Mal auf Gewinn, aber spielte zu langsam. In Elista, wo 1998 die Schach-Olympiade statt fand, ist sogar eine Schach-Stadt entstanden, also ein olympisches Dorf zur Schach-Olympiade. Dort haben 1.000 Menschen eine regelmäßige Arbeit gefunden, erzählt FIDE-Präsident Iljumschinow in dem erwähnten Interview. Wenn dort Turniere stattfinden, werden noch zusätzlich kurzfristig Leute eingestellt. - Na, jetzt bin ich doch wieder abgedriftet in Hintergründe.
Aus gut unterrichteten Kreisen vernahm ich unmittelbar vor meinem Olympiade-Besuch, dass die Stadt Dresden Hoffnungen vor allem auf dieses Wochenende setzte, was die Besucherzahlen angeht. Anders als an den Tagen zuvor war die Benutzung der Garderobe nun nicht mehr kostenlos. Am Samstagnachmittag gab es an den Kassen tatsächlich Schlangen bis zum Eingang, was freilich nicht allzu weit ist - lange musste man nicht warten. Nur um Viertel nach Drei waren schon die Kapazitäten der Garderobe erschöpft - schlecht auch fürs Geschäft, zumal die Stadt wohl nicht die ganzen Ausgaben für die Ausrichtung des Großturniers wieder hereinbekommen wird. Susan Polgar nannte in ihrer Pressekonferenz die Zahl 60.000 €, die durch den Verkauf von Eintrittskarten eingenommen wurden. Am Sonntagnachmittag war es schon wieder etwas entspannter an der Kasse und Garderobe. Die Einführung einer Garderobengebühr war nicht die einzige Umstellung rund um die Organisation des Besucherverkehrs. - Man hatte wohl irgendwann bemerkt, dass die Kontrollen etwas lasch waren. So hatte man am letzten Freitag damit begonnen, auf die platinfarbenen Armbänder eine Zahl zu schreiben, diejenige des Wettkampftages, auch wurde nun das aktuelle Datum auf die Eintrittskarten geschrieben. Am Sonntag gab die Kasse Karten heraus, in die das Datum eingedruckt war. Ab Samstag wurden dann den VIPs die grauen Armbäder auch von den Einlassern angelegt, so, damit sie nicht wieder abzuziehen waren, ohne den Verschluss kaputt zu machen.
Bei der Preisfestlegung für die Eintrittskarten spielte für den Veranstalter auch die Überlegung eine Rolle, wieviele Gäste das Parkett bzw. die Spieler, vertrugen. Pro Tag sollten, was ich hörte (nicht sicher), nur 50 Besucher mit einer Gold-Karte auf das Parkett gelassen werden, wieviele mit einer Platin-Karte, weiß ich nicht. Die Nachfrage nach dieser Möglichkeit, unmittelbar an den Brettern der Spitzenmannschaften kibitzen zu können, war groß. So kalkulierte man einen hohen Preis, bei dem sich Angebot und Nachfrage etwa decken würden. Eine VIP-Karte für einen Tag kostete 127 EUR, ein Gold-Ticket 35 EUR, eine einfache Besucherkarte kostete dagegen 9,50 €. Naja, wenn man diese Preise in Relation zu denen für Box-WM-Kämpfe oder Fußball-Bundesliga-Spielen setzt, kann man das wohl nicht als unangemessen bewerten. Nicht gut fand ich, dass man sich im Internet nach Beginn des Turniers nicht über die Preise informieren konnte. Da stand auf www.dresden2008.de nur unter Tickets und Preise neben Merchandising-Produkten ein Link zum Verkauf. Auf der Verkaufsseite hieß es nur, ein Online-Verkauf sei nicht mehr möglich. Trotzdem hätte man die Preise für den Offline-Verkauf nennen können. Mit der Platin-VIP-Karte bekam man weiter oben im Gebäude in einer VIP-Lounge kostenlos Erfrischungen und Feinschmeckerchen, präsentiert vom Suitess-Hotel in Dresden, mit der Goldkarte hingegen nicht.
Um von der Tribüne aus auf den Brettern etwas ohne Anstrengung zu erkennen, brauchte man schon ein Fernglas. Um einen Platz am Geländer der Tribüne zu bekommen, brauchte man Geduld. Auf den Stühlen hier saßen manche Angehörige von Spielern, da war es sinnlos auf die Freigabe eines Stuhls zu warten. Für scharfe Fotos aus dieser Entfernung und bei diesem Kunstlicht brauchte man bessere als die kleinen Digicams. In Ruhe beobachten konnte ich weiter links, in Höhe des Raumteilers an der Metalltreppe zwei Partien zwischen den Spielerinnen von Schweden und den Niederlanden, eine Partie zwischen der zeitweise stärksten Frau der Welt, Pia Cramling, und Zhaoqin Peng und die Party am dritten Brett, ein Turmendspiel mit drei Mehrbauern für die Niederländerin. Im richtigen Moment konnte ich die Aufgabe der Schwedin per Handschlag festhalten. Peng hätte meines Erachtens im Mittelspiel einen Bauern auf a6 gefahrlos greifen können, ich sah für Cramling kein Gegenspiel oder irgendeine Kompensation dafür. Ich wunderte mich bei so starken Spielerinnen, wie lange sie an manchen Zügen überlegten und Zeit verschwendeten.
Am Samstag war Exweltmeister Anatoli Karpow zu Besuch. Ich habe ihn nicht gesehen, obwohl er unten auf dem Parkett herumgelaufen sein soll. Auf dem Blog von Ex-Weltmeisterin Susan Polgar, die die englischsprachige Pressearbeit während dieser Schacholympiade übernommen hat, kann man ein Video ihrer Pressekonferenz mit Karpow und außerdem mit Exweltmeister Alexander Chalifmann sehen. Karpow hat zur Eröffnung am Samstag um 15 Uhr den ersten Zug am Spitzenbrett ausgeführt. Am Sonntag übernahm das Exweltmeister Boris Spasski. Den traf ich persönlich!
Ich fand gut, dass er keine Berührungsängste hatte, wollte zwar zwei jungen Damen vom Rüdersdorfer Schachverein (bei Berlin) zwar kein Autogramm geben (Sie hatten mich um einen Kuli gefragt), aber ließ sich mit ihnen fotografieren. Er wurde zuvor in einem Interview natürlich zu seiner Meinung über die russische Mannschaft befragt. Dazu sagte er, das ist eine Ansammlung von starken Spielern, aber keine Mannschaft. Am Tage zuvor hatte schon Karpow gesagt, dass die Mannschaft keinen Anführer hat. Nie hatte ein russisches Team einen höheren ELO-Wert, nämlich 2.756. Aber die Mannschaft steht nach ihren Verlusten in der 7. Runde gegen Titelverteidiger Armenien und in der neunten Runde am Samstag gegen die Ukraine auf dem fünften Rang.
Nachdem ich gestern den Besuch des Ex-Junioren-Weltmeisters Artur Jussupow bei Klaus Bischoff am Kommentatorentisch mitverfolgen konnte, besuchte ich den Tisch von Altmeister Viktor Kortschnoi. Der mehrfache Ex-Vizeweltmeister sah sich gerade dazu gezwungen, einen Bauern herzugeben, um den gefährlichen weißen Springer abtauschen zu können, mit dem Leko (Ungarn) drohte, noch mal auf den Punkt f7 draufzugehen. Dann kämpfte Kortschnoi in einem Schwerfigurenendspiel mit einem Bauern weniger und verlor später. Jussupow, der, soweit ich mich recht entsinne, in Deutschland zuerst für Wünsdorf südwestlich von Berlin, wo die russischen Streitkräfte stationiert waren, spielte, hatte den Zuschauern erzählt, dass er jetzt Trainer der Schweizer Mannschaft sei. Bischoff vermutete, dass es wohl leichter sein müsse, in der Mannschaft zu spielen als deren Trainer zu sein. Aber Jussupow sagte bescheiden nein, das nicht. Allerdings könne er jetzt keine Autogrammstunde geben, da er doch gleich wieder in der Nähe seiner Mannschaft bleiben müsse. - In meiner Jugend hatte ich alle Weltmeisterschaftspartien zwischen Karpow und Kortschnoi, die in unserer Monatszeitschrift "SCHACH" abgedruckt waren, nachgespielt. Spasski hatte gestern im Interview gesagt, Kortschnoi kämpfte gegen ihn um die WM nicht selten mit unfairen Mitteln, schnitt z.B. Grimassen, als Spasski am Zuge war.
Jussupow erzählte Bischoff und den Zuschauern, dass er gerade an drei Trainings-Büchern schreibe, die aufeinander aufbauen: das erste für Spieler mit einer DWZ von unter 1500, das zweite für Spieler bis DWZ 1800 und das dritte für Spieler bis 2100. Die Motivation dafür kam, sagte er, weil er für seine eigenen Kinder passendes Material erstellen wollte. Am Samstagabend war ich bis zur letzten Partie bis kurz vor neun Uhr abends geblieben, einem Turmendspiel zwischen Rois und Akopjan (Armenien) mit einem Mehrbauern für Rois. Rois konnte das nicht gewinnen, sicherte mit seinem Remis aber Israel den Sieg über Armenien. Am Sonntag konnte ich leider nicht so lange bleiben, musste schon früher nach Berlin abfahren.
Jetzt brauche ich noch etwas Zeit, einige Partien nachzuspielen, auf die mein Blick zeitweise gerichtet war, aber bei denen mir immer wieder die Sicht von der Tribüne aus versperrt gewesen ist. Schade, das die deutschen Herren nicht gegen Polen gewinnen konnten. Die liegen überraschend weit vorne, nicht nur die Frauen, auch die Männer. Gegen Litauen in der 11. Runde muss noch einmal ein Sieg her. Was unsere Frauen boten, ist indiskutabel. Die bekamen ihren Senf weg, über die Häme vom Schachblogger Stefan Löffler musste ich schmunzeln.
Links:
offizielle Seite der Schacholympiade der Stadt Dresden
Regional Leader´s Car Involved in Collision
http://www.themoscowtimes.com/article/1010/42/372326.htm
Chess Base
Schachblog - Pähtz will Frauenförderung debattieren - gerne!
http://schach.twoday.net/stories/5342365/
DGT