Zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs komme ich unten im Text. Zunächst gehe ich auf das Urteil des Landgerichts Köln ein.
1. Entscheidung des Landgerichts Köln
Entscheidend sei, an wen sich die Homepage bestimmungsgemäß wendet, meint das LG Köln. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine russische Website, die in kyrillischer Schrift erstellt ist. Es sei nicht erkennbar, dass sich die Betreiber dieser Website auch gezielt an deutsche Leser wenden wollten.
Dieser Fall ist im Ergebnis klar. Allerdings ist die Aussage, dass es sich um eine russische Seite handele, wohl doch eine Behauptung, die es gerade mit Argumenten zu begründen gilt; es wird hier als Generalargument angeführt. Also handelt es sich insoweit nicht um ein Argument, sondern einen Zirkelschluss. Aber es bleiben ja noch Argumente dafür, warum es sich um eine russische Website handelt und das Landgericht sich eben deswegen nicht für zuständig hält.
Aber lassen sich aus diesen Argumenten im Umkehrschluss Rückschlüsse ziehen dazu, wann sich das LG Köln in einem Streitfall im Bereich des Internetrechts mit Bezug zu Russland für zuständig hält?
In dem Newsletter von Dr. Bahr gibt es keinen Hinweis auf die prozessuale Rechtsnorm, an der die Zuständigkeit des Gerichts zu messen ist. Hier geht es um eine unerlaubte Handlung. Nach § 32 Zivilprozessordnung (ZPO) ist für solche Fälle das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Ist die Beleidigung im Gerichtsbezirk des LG Köln begangen worden?
Als Argumente für die Ablehnung der Gerichtszuständigkeit kommen diese Punkte in Frage:
- Die Website richtet sich nach deren Inhaber nicht erkennbar an Deutsche.
- Die Website ist ausschließlich in russischer Sprache gehalten.
- Die Website ist in Russland registriert.
- Die Top-Level-Domain ist ".ru".
Wenn die Argumente des LG Köln in seiner ablehnenden Entscheidung nicht stichhaltig sind, lassen sich aus ihnen wohl kaum verlässliche Umkehrschlüsse ziehen.
Nehmen wir das erste Argument "nichtdeutscher Benutzerkreis": Was ist mit dem deutschen Benutzerkreis gemeint und wann fehlt der?
Nehmen wir ein Exempel. Wie ist das bei dem Portal Germany.ru?
Ganz überwiegend wird hier in russisch kommuniziert. Aber es gibt eine Übersetzung des Menüs, der Buttons, der Funktionen ins Deutsche. Auch wenn man die deutsche Sprachversion wählt, sind die Einträge der Registrierten doch meistens in russisch. Doch viele von den Registrierten leben in Deutschland, darunter auch welche in Köln. Klickt man unten auf der Website auf "Kontakt", findet man als Betreiber der Website eine Firma in Köln. Manche unter den Registrierten mögen auch nur schlecht die deutsche Sprache beherrschen. Als anerkannte Spätaussiedler sind sie doch wohl Deutsche, nicht wahr? Oder würde das Landgericht hier doch davon ausgehen, dass die russische Gemeinschaft oder russischsprechende Gemeinschaft aus den GUS-Ländern (jedenfalls ganz überwiegend) angesprochen ist und daher den deutschen Benutzerkreis verneinen?
Ist hier erkennbar, dass diese Website Germany.ru sich - auch (nennenswert) - an deutsche Leser wendet? Man wird wohl sagen müssen: ja. Denn in den verschiedenen Lebensbereichen der Website bestehen häufig Bezüge zu Deutschland, zum Leben in Deutschland, ja sogar Köln. Es werden z.B. Geschäftsleute in Deutschland gesucht (für Vertrieb russischer Produkte). In aller Regel sollten sie natürlich auch russisch sprechen. Ob jemand Deutscher ist, das müsste wohl nach dem Besitz eines deutschen Personalausweises entschieden werden.
Das könnte bedeuten, gegen Beleidigungen oder Verleumdungen von diesem Portal aus ist das Landgericht Köln zuständig. Aber womöglich ließe sich hier noch weiter differenzieren, ob der Verleumdete ein Deutscher ist, der vielleicht nicht mal Russisch beherrscht oder ein Deutschrusse/Deutschukrainer/Jude aus Russland, ob der Verleumdete im Gerichtsbezirk Köln wohnt oder nicht.
Um die Frage von oben schon zu beantworten: Meiner Meinung nach darf man diesen Umkehrschluss nicht aus dem Urteil des Landgerichts Köln ableiten. Man darf dem Landgericht Köln nicht unterstellen, dass es Fälle im obiter dictum (d.h. in einem Teil der Urteilsbegründung, der die konkrete Entscheidung nicht argumentativ trägt) entscheiden wollte, die tatsächlich anders liegen als der konkrete Streitfall. Sonst ergäben sich zu weitgehende Vorabbindungen für zukünftige Gerichtsentscheidungen. Ein Gericht soll ja nicht die Funktionen eines Gesetzgebers ausüben, zumal wenn es nur ein Instanzgericht ist und nicht das oberste Gericht (Bundesgerichtshof). In der Konsequenz könnte man sonst aus den Urteilsgründen lesen, dass das deutsche Gericht auch zuständig ist für, sagen wir, Reisebüros, die aus Russland heraus agieren, auf einer .com-Domäne oder gar .ru-Domäne und, obwohl sie auch Kunden in Deutschland (oder genauer: in dem betreffenden Landesgerichts-Bezirk) mit ihren Informationen auf der Website implizite ansprechen, die nach Russland reisen wollen, die deutschen Vorschriften für die Anbieterkennzeichnungspflicht (bzw.: Impressumpflicht) nicht beachten.
Der deutsche Richter würde sich fragen, welchen Sinn eine Klage (oder Abmahnung eines Anwalts für ein deutsches Reisebüro gegen den russischen Mitbewerber) hier machen würde, wo die "erfolgreiche" Klage kaum in Russland (wo in dem Beispiel das russische Reisebüro beheimatet ist) wird durchzusetzen sein. (... Und wo es keinen Sinn macht, da soll das Gericht auch nicht mit Mehrarbeit unnütz mit einer Entscheidung der Streitfrage belastet werden - also: unzuständig).
Aber neben dieser Folgenbetrachtung für die Abgrenzung des relevanten Rechtskreises (im grenzenlosen Internet) müsste der Richter vielleicht auch erkennen, dass es praktisch kaum möglich ist (für den deutschen Kläger), Tatsachen zu erlangen, von denen man ablesen könnte, ob deutsche Benutzer (oder Verbraucher - im Beispiel des Reisebüros in Russland) angesprochen werden sollen. Das russische Reisebüro könnte sich schwer widerlegbar darauf zurückziehen (wenn es nach zugestellter Klage überhaupt antworten würde), dass es nur Schweizer (wenn die Website auch Informationen in deutsch enthält) oder Russen in der Schweiz oder sonstwo im Ausland anspricht.
So bleiben also viele Fragen noch offen, z.B. ob die Verwendung nicht des country codes ".ru", sondern einer Domäne ".com", ".biz" oder ".info" das Ergebnis der Zuständigkeitsprüfung durch das deutsche Gericht beeinflussen kann. - Es kommt auf die jeweiligen Einzelheiten an, meine ich.
Ob es sich um eine russische Website handelt, scheint mir daher nur wertend feststellbar zu sein aus einer Summe von Indizien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. So gesehen kann man sagen, dass ein deutsches Gericht nicht zuständig ist, wenn man gegen den Inhaber einer russischen Website klagt. Dann kommt es aber auch nicht zwingend darauf an, welche Nationalität der Websitebetreiber hat. Aber es könnte ein Indiz sein.
Das alles sind spontane Überlegungen. Ich erhebe damit keinen Anspruch auf wissenschaftliches Niveau. (Ich habe mich hierzu nicht in Studien vertieft.) Das sollen Denkanstöße sein für jene, die eine Website planen und überlegen, ob sie diese mit einer .de-Domain versehen oder einer .ru-Domain, ob sie die Website in Deutschland hosten oder Russland oder in der Türkei (Es gibt deutsche Hoster, die Webserver in verschiedenen Ländern haben), um so möglichst einigen Problemen aus dem Wege zu gehen, z.B. Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung / Abschalten / Beschlagnahme / Durchsuchung des Servers.
Das Probemfeld lässt sich leicht ausweiten, wenn man nicht bloß auf eine russische Website abstellt, sondern auf einen russischen Server (, also einen Server, der in Russland steht), von dem aus Angriffe nachweislich auf deutsche Websites oder Firmenserver vorgenommen wurden.
Was die strafrechtlichen Fragen betrifft, gelten hier spezielle Anwendbarkeitsregeln nach den §§ 3, 5 ff. StGB. Was den als Beispiel genannten Firmenserver betrifft, da greift § 5 Nr. 7 StGB und die deutschen Strafverfolgungsbehörden nehmen ihre Arbeit auf.
[Ergänzung, 9.5.2010: Auf der Website der Computerzeitschrift PC Welt wies am 23. März 2010 Frank Ziemann darauf hin, dass Russland nun die Registrierung von .ru-Domains erschwert. Russland soll nicht mehr Hauptwohnsitz im Internet für Online-Kriminelle sein. Seit 1. April müssen Personen, die eine Domain anmelden wollen, schriftliche Unterlagen beim Registrar einreichen. Zuvor waren Registrierungen ohne Verifizierung des Inhabers der Domain möglich.]
[Ergänzt: 4.3.2010:]
2. Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Jetzt kommt aber der Lackmustest.
Heute fand ich auf Heise.de eine Meldung von vorgestern über eine BGH-Entscheidung vom 2. März 2010 (Aktenzeichen VI ZR 23/09), deren Sachverhalt ähnlich ist. Verlinkt ist die Meldung leider nur mit der Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=51134&linked=pm&Blank=1" title="Zuständigkeit der deutschen Gerichte bei Klage gegen Internetveröffentlichung der New York Times">Pressemeldung des Bundesgerichtshofs. Diese ist kurz und ich habe mir noch nicht die ausführliche Begründung durchgelesen, weil sie noch nicht veröffentlicht ist. Worum geht´s?
Wieder ist ein Geschäftsmann (mit Wohnsitz in Deutschland) auf einer ausländischen Website verleumdet worden. Der Geschäftsmann ist dieses Mal Deutscher. Die Website der Beklagten ist im Ausland registriert. Die Website ist auch nicht in deutscher Sprache verfasst. Sie gehört der "New York Times", ist also englischsprachig. Die Verlegerin der weltbekannten Zeitung wird von dem deutschen Geschäftsmann verklagt. Er verlangt Löschung des ihn beleidigenden und schädigenden Artikels mit seiner Unterlassungsklage. In jenem Artikel werden dem Kläger unter Berufung auf europäische Strafverfolgungsbehörden Verbindungen zur russischen Mafia nachgesagt. Da wird nämlich behauptet, seine Firma sei ausweislich der Berichte deutscher Strafverfolgungsbehörden Teil eines Netzwerkes der internationalen organisierten Kriminalität und dem Kläger sei die Einreise in die USA untersagt.
Der BGH bejaht im Ergebnis die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts. Wieso?
(Mich würde zunächst mal interessieren, ob es eine Niederlassung der New York Times in Deutschland gibt und ob diese Adresse inder Klageschrift steht.)
Zunächst mal sind es keine kyrillischen Buchstaben, sondern lateinische. Die englische Sprache ist für den BGH anscheinend nicht das Problem. Er geht wohl davon aus, dass Englisch als Weltsprache "fast jeder" erwachsene Deutsche beherrscht. Die englische Sprache lässt also nicht den Schluss zu, dass Deutsche als Leser bzw. User der Website ausgeschlossen werden sollen. (Bitte vergleichen mit Argumentation des LG Köln!). Vielmehr zeige der Registrierungsbereich der Website gerade, dass sich auch Deutsche anmelden sollen, denn da kann man als country of residence Deutschland auswählen. Auch habe das Berufungsgericht ja schon festgestellt, dass die Website im Juni 2001 14.484 registrierte User hatte, die Deutschland als Wohnsitz angegeben hatten.
Wo es so viele deutsche Leser in Deutschland auf dieser Website gibt, kann man auch davon ausgehen, dass die ein besonderes Interesse an diesem Artikel mit dem verleumderischen Inhalt haben. Und diese Leser erzählen das dann weiter herum. Auch sind bestimmt Leser aus der Stadt des klagenden Geschäftsmannes dabei, auch Geschäftsleute. Also kann ein Schädigungs-"Erfolg" (in Anlehnung an den "Erfolgs"-Begriff, der eine Vollendung der Tat impliziert) so ohne weiteres bejaht werden.
Für die Zuständigkeit des deutschen Gerichts nach § 32 ZPO ist aber Voraussetzung, dass der Begehungsort sich im Bezirk des betreffenden Gerichts befindet; Begehungsort der deliktischen Handlung ist nach Ansicht des BGH sowohl der Handlungs- als auch Erfolgsort. Jedenfalls der Erfolgsort liegt hier in Deutschland, weil hier der Eingriff in das geschützte Rechtsgut droht.
- Was mich an dem Vorstehenden wundert, ist eine Widersinnigkeit: Im deutschen Strafrecht und Deliktsrecht gibt es aus vielerlei Gründen die dogmatische Unterscheidung zwischen Handlung und Erfolg. Sie ist z.B. wichtig zur Unterscheidung von Versuch und Vollendung eines Straftatbestandes (auch im Zivilrecht bei der unerlaubten Handlung im Sinne von § 823 BGB). "Begehungsort" im Sinne des § 32 ZPO kann eigentlich nur der Ort der Handlung sein, nicht zugleich auch der Ort, wo der Erfolg eintritt. Sonst müsste es in § 32 ZPO heißen: " ... ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erfolg der Handlung eintrat." Es gibt freilich auch Gefährdungsdelikte, die bereits verwirklicht sind, wenn man etwas Bestimmtes tut, bei dem man bestimmte Rechtsgüter in Gefahr bringt, ohne dass tatsächlich oder nachweislich was Schlimmes passiert. Aber wenn man die Verleumdung als ein Gefährdungsdelikt ansieht, dann sollte man das auch deutlich machen und nicht mit Begriffen arbeiten, die einstmals für klassische Erfolgsdelikte entwickelt worden waren.
§ 32 ZPO ist meiner Meinung nach in dem Falle, den der BGH hier gerade entschied, nicht erfüllt, wenn man auf "die Handlung" als Tatbestandsmerkmal ernsthaft abstellt. Die Handlung passierte in New York, wo der verleumdende Artikel, der dort vielleicht auch in die Zeitung gesetzt wurde, von einem Journalisten auf den Webserver geladen wurde. Der Erfolg trat in Deutschland ein, aber eröffnet dem Wortlaut des § 32 ZPO nach gerade nicht die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts.
Das Tatbestandsmerkmal des § 32 ZPO "Begehungsort" mag für Streitfälle im Bereich des Internetrechts zur Bestimmung der Zuständigkeit eines Gerichts gar nicht geeignet sein. Es geht nicht an, die deutsche Sprache so zu vergewaltigen, dass man den "Erfolgsort" zum "Begehungsort" uminterpretiert. Der deutsche Gesetzgeber muss das alte Gesetz hier einfach mal modernisieren.
Der deutsche Geschäftsmann, der sich durch den Artikel aus Amerika in seiner Ehre verletzt sieht, muss richtigerweise in diesem Falle sein Recht vor dem amerikanischen Gericht suchen. Leider gibt es ja noch keinen Internetgerichtshof (etwa in Den Haag, wo sich der internationale Gerichtshof für Menschenrechte befindet).
Selbst wenn die New York Times in Deutschland eine Niederlassung hat: Wenn von hier aus der ihn verleumdende Artikel nicht ins Internet gebracht wurde, passt § 21 ZPO [besonderer Gerichtsstand der Niederlassung] nicht.
Der lautet wie folgt:
Absatz 1:
Hat jemand zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, so können gegen ihn alle Klagen, die auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, wo die Niederlassung sich befindet.
Absatz 2:
Der Gerichtsstand der Niederlassung ist auch für Klagen gegen Personen begründet, die ein mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehenes Gut als Eigentümer, Nutznießer oder Pächter bewirtschaften, soweit diese Klagen die auf die Bewirtschaftung des Gutes sich beziehenden Rechtsverhältnisse betreffen.
Die Vorinstanzen (Landgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 9. Januar 2009, Oberlandesgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 30. Dezember 2008) hatten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in diesem Streitfalle verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen. Das halte ich für richtig.
Was zeigen die zwei Fälle?
Die Richter beider Gerichte nehmen in den besprochenen Entscheidungen die deutsche Zivilprozessordnung nicht ernst. Es wird ergebnisorientiert argumentiert anstatt ergebnisoffen ausgehend vom Gesetzestext.
Jaja, auf hoher See und vorm Gericht sind wir alle in Gottes Hand!
[Ergänzung, 23.07.2013:] Und das meinte Rechtsanwalt Dr. Bahr zu dem BGH-Urteil in seinem Newsletter vom 13.04.2010:
"Das Urteil des BGH dürfte eine der für die alltägliche Rechtspraxis wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre sein.
Die Instanzgerichte und auch der BGH haben sich über zehn Jahre hinweg geradezu "gequält", einzelne, brauchbare Kriterien für den "bestimmungsgemäßen Abruf" bereitzustellen.
Nun wird ein Füllwort durch ein neues ersetzt: "Deutlicher Bezug zum Inland". Und es fehlt jede weitere Ausführung, was genau darunter zu verstehen ist.
Ohne jede wirkliche Notwendigkeit beginnt der BGH nun zwischen Persönlichkeitsverletzungen auf der einen Seite und "marktbezogenen Delikten" wie Wettbewerbsverletzungen zu differenzieren. Eine Begründung für diese Unterscheidung bleiben die Richter schuldig."
[Ergänzung 03.02.2013:
Auf die Unterscheidung zwischen Erfolgsort und Handlungsort kam es in beiden Fällen tatsächlich gar nicht an, denn in beiden Fällen ging es um Immaterialgüterrechte des Klägers und nicht um Sachenrechte. Da die Immaterialgüterrechte (Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte) an keinem Ort belegen sind, kann es keinen vom Handlungsort abweichenden Erfolgsort (=Ort der Belegenheit der Sache) geben. Hier ist maßgeblich nur, wo in die dem Rechtsinhaber ausschließlich zugeordneten Handlungsbefugnisse eingegriffen wird (Hoeren, Internetrecht, Stand 2010, S. 451, Fußnote 1790). Das haben die Richter beider Gerichte übersehen. Wo dies der Fall ist, gilt auch das lokale Recht - Territorialprinzip (allgemeines Prinzip des Völkerrechts).
In diesem Sinne hinsichtlich des Territorialprinzips richtig begründet hat seine Zuständigkeit schon 1997 das Kammergericht Berlin (abgedruckt in Computerrecht 1997, 685) zur Verwendung eines in Deutschland markenrechtlich geschützten Begriffes als Domain unter der Top-Level ".com" durch ein US-Unternehmen. Es hat die Abrufbarkeit in der Bundesrepublik als allein ausreichend erachtet, um die Zuständigkeit für die vom deutschen Markenrechtsinhaber eingereichte Verletzungsklage zu bejahen. Fraglich ist aber, ob hier auch innerhalb Deutschlands Gerichte in Berlin zuständig waren. Das ist die Problematik des sogenannten fliegenden Gerichtsstands (mit der Folge der freien Wählbarkeit des Gerichts in örtlicher Hinsicht für den Kläger innerhalb Deutschlands). Darauf soll hier nicht mehr eingegangen werden, da das nicht mehr von der Überschrift zu diesem Beitrag gedeckt ist.
Prof. Hoeren erinnert in seinem Online-Kompendium "Onlinerecht", Ausgabe 2010 auf S. 449 zu Fußnummer 1785, dass § 32 ZPO bei Fragen der internationeln Gerichtsbarkeit (analog!) nur in solchen Fällen herangezogen wird, in denen die internationale Zuständigkeit im Hinblick auf einen außerhalb der Europäischen Union wohnhaften Beklagten zu bestimmen ist. Diese Aussage trifft auf die beiden hier erörterten Fälle jeweils zu.
Hat der Beklagte seinen Wohnsitz innerhalb der EU, gilt für die Frage der Zuständigkeit die EuGVO in Zivil- und Handelssachen (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12 vom 16. Ja-nuar 2001, S. 1 – 23.).]
Hierzu führt Hoeren a.a.O. aus:
"Die EuGVO geht davon aus, dass am Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVO) oder deliktische Ansprüche wahlweise am Ort der unerlaubten Handlung Klage erhoben werden kann (Art. 5 Nr. 3 EuGVO). Für den Tatort wird auf den Ort abgestellt „where the harmful event occured or may occur - (Art. 5 Nr. 3 EuGVO). Dies umfasst sowohl den Handlungs- als auch den Erfolgsort. Der Erfolgsort wird jedoch seitens der Gerichte – ebenso wie bei § 32 ZPO – danach bestimmt, ob in einem Ort eine Homepage nicht nur zufällig abgerufen werden kann. Hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist zu beachten, dass nach der Shevill-Entscheidung des EuGH ausschließlich am Handlungsort der gesamte Schaden geltend gemacht werden kann. An den Erfolgsorten kann nur der im jeweiligen Staat eingetretene Teilschaden (wie auch immer dieser territorial berechnet werden soll) geltend gemacht werden."
***
Weitere Rechtssachen zur Rechtsfrage der Gerichtszuständigkeit
1) Ergänzung 04.07.10:
Schlussantrag der EUGH-Anwältin Tristenjak vom 18.05.2010 (in der Sache Az: C-585/08) zur Frage, wann eine ausländische Website auf einen bestimmten EU-Mitgliedsstaat ausgerichtet ist.
2) Ergänzung 21.10.2011:
OLG München, Urteil vom 12.09.2011, Az: 29 W 1634/11: Keine Zuständigkeit des deutschen Gerichts bei Geltendmachung eines Internet-Auskunftsanspruchs gegen einen englischen Provider
Mitgeteilt von href="http://www.online-und-recht.de/urteile/Keine-deutsche-Gerichtsbarkeit-beim-Internet-Auskunftsanspruch-gegenueber-englischem-Provider-29-W-1634-11-Oberlandesgericht-Muenchen-20110912.html" title="Dr. Bahr">RA Dr. Bahr. Die Entscheidung ist im Ergebnis richtig, soweit man europäisches Recht zur Frage der Rechtsentscheidungszuständigkeit unberücksichtigt lässt, d.h. nach deutschem internationalen Privatrecht. Dann muss der Anspruch in Großbritannien geltend gemacht werden.
3) Ergänzung 26.10.2011
Der Bundesgerichtshof teilte in seiner gestrigen Pressemitteilung BGH vom 25.10.2011 einen Fall mit, in dem es um Blogspot geht, einem Blogprovider von Google. Urteil vom 25.10.2011, Az.: VI ZR 93/10. Der Erläuterung, wie die Obliegenheiten und Pflichten ehrenrüchigen Behauptungen im Internet zwischen Hosting-Provider und sich angegriffen fühlenden Person und dem (in jenem Fall anonym schreibenden) Blogger verteilt sind, folge ich. Hingegen wird nur in einem Satz erklärt, dass die Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen Google mit Sitz in Kalifornien gegeben ist. Hier bin ich auf die Begründung gespannt. Die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht.
Diese Entscheidung mit knapper Darstellung des Inhalts muss ich meiner Sammlung von Gerichtsentscheidungen für Blogger hinzufügen.
4) Ergänzung 18.08.2015
In seiner Übersicht über anstehende Entscheidungen nennt das Bundesverfassungsgericht aktuell den folgenden Fall, den der 2. Senat zu entscheiden hat:
"Verfassungsbeschwerde eines Unternehmens gegen den Vollzug der Zustellung einer vor US-Gerichten erhobenen Klage im Wege der Rechtshilfe nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 (BGBl II 1977 S. 1453)." Aktenzeichen des BVerwG: 2 BvR 2019/09
Handelt es sich etwa um den oben kommentierten Verleumdungsfall?
5) Ergänzung 25.01.2017
USA - Microsoft, 2nd Circuit Court of Appeal, Nr. 14-2985
Leitsatz: Für Durchsuchungsbefehle zu ausländischen Rechenzentren sind lokale Behörden zuständig, nicht US-Gerichte.
US-Behörden wollten gegen einen Mann ermitteln, der im Verdacht der Begehung von Straftaten stand und forderte Microsoft auf, Daten dieses Mannes herauszugeben. Dieser Aufforderung folgte Microsoft insofern, als es sich um Daten handelte, die auf Servern gespeichert waren, die sich in den USA befinden. Die Behörden klagten nun vor einem US-Gericht auf Herausgabe aller Daten des Strafverdächtigen, die Microsoft gespeichert hat. Sie verloren dieses Streitverfahren. Ein Berufungsgericht hat im Juli 2016 die Klage abgewiesen. Der Staatsanwalt wollte das nicht akzeptieren und beantragte eine erneute Anhörung (Rehearing). Damit kam sie beim Gericht nicht durch. Die Entscheidung war knapp, 4 zu 4 Richterstimmen. Die Behörden hätten eine Mehrheit der Richterstimmen benötigt.
Microsoft braucht deswegen nicht an US-Ermittlungsbehörden Kundendaten von Kunden herausgeben, die auf Microsoft-Servern im Ausland gespeichert werden.
Quelle: Heise vom 25.01.2017,
https://www.heise.de/newsticker/meldung/USA-Keine-neuerliche-Anhoerung-ueber-Zugriff-auf-EU-Rechenzentren-3606755.html