Bevor ich in einem der nächsten Beiträge meine Erfahrungen und Überlegungen zum Abschluss eines binationalen Agenturvertrags in der Touristik widergebe, möchte ich ein paar Dinge zum Tourismus in Russland im Allgemeinen vorabschicken.
Outgoing
Der russische Outbound-Reisemarkt boomt. In 2011 wuchs der Markt für Auslandsreisen um 11 Prozent an. Den russischen Reisemarkt unterscheidet einiges von den Märkten in Westeuropa. Darüber berichteten auf der ITB am 7.3.2012 auf dem Podium russische Touristik-Manager: Sergej Faguet, CEO von Ostrovok, Marina Kolesnik von Oktogo.ru, Krassi Simonskij und Alexej Timonin von Ozon Travel.
Dort hörte ich z.B., dass in Russland zirka 90 % der Kunden ihre Reise bar im Reisebüro bezahlen und nur zirka 10% mit Kreditkarte. Der russische Verbraucher möchte sich gern mit den Reisebüro-Mitarbeitern unterhalten. Vertrauen in den Reiseverkäufer entsteht durch das Unter-vier-Augen-Gespräch. Weil das so ist, braucht man in Russland für die Verbraucher ein Service-Team, wenn man an sie Reisen verkaufen möchte, erzählte einer der Manager auf der Bühne.
TUI ist drin im Markt, mit vielen Reisebüros.
Auch das Hotelbuchungsportal Booking.com ist in Russland. Viele andere Reisekonzerne sind noch nicht drin.
Im Herbst 2010 wurde im Manager Magazin gemeldet, dass der Reisekonzern Thomas Cook die Mehrheitsanteile an dem russischen Reiseveranstalter Intourist übernommen hat. Intourist ist bei vielen Ostdeutschen noch aus DDR-Zeiten bekannt. Das war mal die staatliche Reiseorganisation für den Auslandstourismus (für Ausländer, die nach Russland kamen, aber auch sowjetische Touristen, die ins befreundete Ausland reisten.), so wie in der DDR Jugendtourist. Intourist ist Eigentümer von vielen Hotels (übrigens auch mal von Hotels in der DDR). Die blieben aber bei dem Deal, der Thomas Cook gelungen ist, ausgeklammert. Intourist bietet russischen Unternehmern ein Reisebüro-Franchise-System auf seiner Website http://www.ntk-intourist.ru/index.aspx an. Thomas Cook verkauft über die Franchise-Nehmer dann seine Reisen in alle Welt.
Russland hat viel Potential im Outgoing-Geschäft. Das wollen die großen Touristik-Konzerne wie TUI und Thomas Cook abschöpfen. Auch die Amadeus IT Group (amadeus.ru) hat inzwischen in Russland Einzug gehalten, über ihre Systeme können russische Reisebüros heute die Reisen buchen. Im Juni 2012 berichtete Amadeus mit Ural Airlines JSC einen Kooperationsvertrag. Über dieses Potential wurde auf der Bühne auf der ITB am 7. März 2012 am späten Vormittag gesprochen. Zum Gespräch hatte man ein paar Manager von russischen Online-Reisebüros eingeladen (siehe Bild oben).
Apropos Russische Touristen im Ausland:
Viele Russen im Hotel sind kein Reisemangel:
Urlauber in Ägypten und der Türkei mögen ein Lied davon singen können. Feiernde, verrückte Russen im gleichen Hotel.
Selbst wenn deren Anteil 80 Prozent aller Gäste des Hotels beträgt, kann ein Tourist, der sich während seiner Pauschalreise in so einem Hotel aufhält, den Reisepreis mindern. So entschied das Landgericht Düsseldorf (Az.: 22 S 93/09). Mit Gästen anderer Nationalitäten müsse ein Reisender grundsätzlich rechnen, zumal wenn wie im verhandelten Falle der Veranstalter auch keine anderen Zusagen gemacht habe, berichtet die von der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht in Wiesbaden herausgegebene Fachzeitschrift "ReiseRecht aktuell".
Incoming
Im Folgenden soll es aber um das Incoming nach Russland gehen. Russland liegt nicht unter den Top 15-Reise-Ländern für deutsche Touristen. In meinem Bericht von der Russian Roadshow in Berlin im April 2012 hatte ich bereits einige Punkte angesprochen, wo man ansetzen muss, um das Land für deutsche Touristen deutlich interessanter zu machen. Ausländische Touristen sind in Russland erwünscht. Um sie ins Land zu locken, sollte man auf sie hören, was sie (verbessert) haben möchten. Deutsche Reisebüros und Reiseveranstalter wissen, was das ist. Daher sollte man annehmen dürfen, dass das zuständige Ministerium der Russischen Föderation und die Behörden in den Regionen, die den Tourismus fördern wollen, den Kontakt zu ihnen suchen oder aber Kontakte zwischen ihren Incoming-Reiseveranstaltern und deutschen (- nicht nur deutschen, selbstverständlich - ) Reiseveranstaltern, Reisebüros und Reisejournalisten unterstützen. Die Russian Roadshow vom April 2012 kann als so ein Unterstützungsversuch gewertet werden. Aber der war nicht gut gelungen.
Ich werde jetzt aufmerksamer verfolgen, wie die verantwortlichen Funktionäre in Russland die Touristiker in ihren Bemühungen unterstützen. Mit der Zusammenarbeit mit deutschen Touristikern bekämen sie Know How. Ist das willkommen und steht auch nicht der eigene Stolz im Wege?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass manchen Machern und Einflusspersonen und Investoren in Russland die Perspektive von ausländischen Touristikspezialisten und Touristen fehlt, und zwar in der Summe zu vielen. Ich mutmaße jetzt mal, denn mir fehlt der Einblick in das Personal, welches die Richtung in der Tourismusentwicklung in Russland mitbestimmt:
Vielleicht also ist das Stolz, es selbst machen zu können - und zu müssen (Russland war Weltmacht), anstatt sich ausländische Touristikspezialisten einzuladen? Vielleicht ist da Misstrauen, dass man im Westen immer so unrealistisch schlecht über Russland berichtet und derlei beeinflusste Experten möchte man nicht haben. Die leisteten zu wenig zur Verbesserung des russischen Images, mag geargwöhnt zu werden?
Vielleicht steht Vetternwirtschaft im Wege, in der sich (Geschäfts-)Freunde zu honorierende Arbeit zuschanzen? Vielleicht mangelt es an Geld zur Bezahlung ausländischer Experten, die man sich einladen könnte. - Damit meine ich nicht nur das Honorar. Nein, externe Experten, die nicht personell die Unterstützung bekommen zur Umsetzung Ihrer Ideen und Entscheidungen, und ein entsprechendes Budget, kämpfen gegen Windmühlen.
Man könnte sich aber doch ausländische, westliche Reisejournalisten (, die auch was von Marketing verstehen,) holen, die einige Freiheiten bekommen, die über die von Touristen hinausgehen (ohne dass deswegen gleich russische Sicherheitsbelange bedroht sein müssen) und die Marketingkonzepte entwickeln (Vorteil gegen den Einwand des Nichtverstehens - Neutralität, Blick von außen). Und die Geschichten erzählen, die sie erlebt haben, die Russland interessant machen.
Dazu ist von den Lenkern einiges Vertrauen notwendig und es ist die Frage, wie weit sich die Funktionäre beherrschen können, wenn sie solche Projekte unterstützend begleiten, also wie weit sie die Unabhängigkeit solcher Journalisten, Fotografen, professionellen Reisenden akzeptieren können. Das ist immer eine Sache des individuellen Charakters der Beteiligten. Die Verträge sollten nicht so kompliziert werden. So eine Idee setzt einiges an Offenheit voraus, Glasnost. Das ist ein schwieriges Thema. Hier geht es um die Art der Kommunikation. Auf sie gehe ich dann im Folgebeitrag ein.
Ich denke, sage ich mal, vermessen, wie ich bin, werde ich mal entsprechende Versuche unternehmen, den verantwortlichen Stellen Vorschläge zu unterbreiten...
Im nächsten Beitrag, der hieran anschließt, beschreibe ich meine Erfahrungen, die ich bei der Kontaktanbahnung und in Vertragsverhandlungen mit russischen (und auch mit ukrainischen) Reiseunternehmern gesammelt habe. Es ist wirklich nicht einfach, passende Vertragspartner zu finden... - Die Kommunikation...