Bevor mich die Antwort auf meine Anfrage beim Deutschen Auswärtigen Amt nach Änderungsvereinbarungen zum Abkommen zur Visaerleichterung zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Gemeinschaft erreicht, habe ich jetzt herausgefunden, dass Deutschland in Moskau gerade ein Zentrum zur Annahme und Ausgabe von Schengen-Visen an russische Bürger zugelassen hat, welches in wenigen Tagen seine Arbeit aufnimmt. Wegen Umstellung der damit zugleich eingeführten neuen Visumbearbeitungs-Software bleibt das deutsche Konsulat vom 7. bis 11. Januar 2013 geschlossen, wird auf der Website der deutschen Vertretungen in Russland verlautbart. Die Bearbeitung von Visumanträgen während dieser Zeit ist nicht möglich. Am 14. Januar 2013 eröffnet dann das "Antragszentrum" in Moskau, das im Auftrage Deutschlands (bzw. der Deutschen Botschaft in Moskau) sich um die Visumanträge russischer Bürger kümmert.
Und eben jenes Zentrum (Name und Adresse siehe unten) zieht nicht nur die konsularischen Visagebühren ein, sondern verlangt darüber hinaus eine Gebühr für seine Tätigkeit von den russischen Antragstellern.
Das deutsche Konsulat in Nowosibirsk schließt dagegen vom 28. bis 30. Januar 2013 außerordentlich wegen der Umstellung der Software. Und so gehts reihum. In Jekaterinburg wird das kommerzielle Visum-Antragszentrum zum 1. Februar 2013 eröffnet, heißt es auf der Website des Konsulats in Jekaterinburg. Aus Kaliningrad gibt es noch keine entsprechende Ankündigung.
Die deutschen Konsulate sind überlastet. Die Visumerteilungspraxis an Russen ist europarechtswidrig.
Die russischen Neuerungen im Visumerteilungsgeschäft in Deutschland sind demzufolge eine Reaktion im Rahmen des im staatlichen Visumerteilungsgeschäft vollführten Prinzips der Gegenseitigkeit, also eine "Operation Payback". Über die Ziele und Absichten im Zusammenhang mit den Eröffnungen der Visazentren bzw. Antragszentren möchte ich im folgenden reflektieren und ein paar Rechtsfragen aufwerfen.
1. Einleitung
Russland hat mit seinen gerade vollzogenen Änderungen im Visumgeschäft mit der Eröffnung der "russischen Visumzentrale" in verschiedenen deutschen Städten wieder mal nur auf Änderungen reagiert, die Deutschland für seine Konsulate (zumindest erstmal für Moskau, nach erstem Überblick) in Russland einführt (oder: eingeführt hat).
Schon in den Jahren 2007 und 2011 hat Russland seine Visumerteilungsbedingungen für Deutsche verschärft (für Österreicher und andere Europäer aus Ländern der Europäischen Union fehlt mir der Überblick), nachdem Deutschland (bzw. muss man sagen: die Europäische Union im Wunsche nach Vereinheitlichung der Schengen-Visa?) seine Bedingungen für russische Bürger verschärft hatte.
Ich bin darauf schon im Teil 1 meiner Serie in diesem Blog über russische Visa kurz eingegangen (siehe unten Liste weiterführender Links).
[Ergänzung 08.02.2013: Das russische Konsulat in München zeigt interessanterweise auf seiner Website eine Synopse, die die Regeln Russlands denen der Schengen-Länder für russische Büger gegenüberstellt. Die Änderungen zum Jahreswechsel 2012-2013 sind noch nicht berücksichtigt.]
[Nachtrag bei Routinedurchsicht, 19.10.2018: Jetzt ist diese Synopse auf der Website nicht mehr vorhanden. Sie stand unter dieser url: http://www.ruskonsmchn.mid.ru/vergleich.html]
Ich stelle zu dieser Strategie verschiedene Rechtsfragen. Es ist gewissermaßen ein Brainstorming, als Vorbereitung zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Änderungen von Verfahren zur Visumerteilung, deswegen vermutlich eher uninteressant für Reisefreunde, eher etwas für Juristen oder an Rechtsfragen und an Rechts- und Ausländerpolitik Interessierte.
Es stellt sich mir die Frage, wie diese Umstellungen auf kommerzielle Unternehmen im Hinblick auf das Abkommen zur Erleichterung der Visaerteilung zwischen der EU und Russland rechtlich zu bewerten sind. Daraus könnte man vielleicht weitere Schlussfolgerungen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Visumpflicht treffen.
Ausgabe 225 der Russland-Analysen der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen vom 23. September 2011 beschäftigte sich mit solchen Visa-Fragen. Auch diese Artikel möchte ich noch auswerten, vielleicht nicht mehr für diesen Artikel. Aber sie seien Ihnen zur Vertiefung empfohlen.
Weiter vorausschicken möchte ich noch, dass es schon vor diesem Abkommen ein Abkommen zwischen Russland und Deutschland gegeben hat:
Deutsch-russisches Abkommen zur Reiseerleichterung
Am 09.12.2003 wurde zwischen Deutschland, vertreten durch Außenminister Otto Schily, und Russland, vertreten durch Außenminister Igor Iwanow ein Abkommen zur Erleichterung des Reiseverkehrs von Staatsangehörigen beider Länder geschlossen. Dieses Abkommen erwarb ab 01.01.2004 Gültigkeit. Zur vollständigen Prüfung der Rechtmäigkeit der Übertragung von Aufgaben der Visumerteilung auf Private muss man auch untersuchen, in welchem Verhältnis beide Abkommen zueinander stehen, ob das ältere von dem jüngeren verdrängt wird. Dazu vielleicht später noch. zunächst (aber noch nicht sofort) konzentriere ich mich auf das Abkommen vom 25.05.2006.
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2. Zeitgleiche Durchführung der Verfahrensänderungen
Am 8. Januar 2013 ist die elektronische Antragstellung für russische Visa in Deutschland Pflicht und die Übergangszeit, was den Abgabeort für den Antrag betrifft, zu Ende. Wegen der notwendigen Vorbereitungszeit ist anzunehmen, dass Russland über die deutschen Pläne der Auslagerung eines Teils des Visumerteilungsverfahrens (Das ist eine weitere These, die ich später noch stützen will.) schon 2011 informiert war, so dass Russland jetzt zeitgleich (genauer: sogar noch etwas früher) das russische Visumzentrum eröffnen kann, wo jetzt in Moskau am 14. Januar 2013 das Antragszentrum zur Erlangung deutscher Visa bzw. Schengenvisa eröffnet wird. Ich vermute, dass diese Änderungen in Gesprächen zwischen Russland und Deutschland thematisiert worden waren, z.B. etwa während der Petersburger Dialoge.
Die Ausschreibung für das Finden eines Dienstleisters, der die Annahme von Visumanträgen, die Beratung und die Austeilung der Reisepässe in verschiedenen russischen Städten übernimmt, lief im Jahre 2011 über die Bühne.
Quelle:
Ausschreibung der deutschen Botschaft:
http://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:327319-2011:TEXT:DE:HTML
Es gab die Ausschreibung auch auf russisch. Russische Unternehmen durften sich beteiligen.
Auf die Ausschreibungen gehe ich unten noch kurz ein.
Aber natürlich entgeht Russland nicht, was sich auf seinem Territorium in und an den deutschen Konsulaten abspielt. Die Visumerteilung an Russen ist ein Drama. Das erfahren Sie, wenn Sie sich die Antwort der Deutschen Bundesregierung auf kleine Anfragen der Bundestagsfraktion der Linken hinsichtlich der Überlastung der deutschen Konsulate bei der Erfüllung der Aufgaben bei der Visumerteilung (Drucksache 17/10478) durchlesen. Es kommt da zu massenhaften Ungleichbehandlungen zwischen Touristen als "Privatbürger" und Geschäftsleuten.
3. Abkommen zwischen Völkerrechtssubjekten auf Basis des Prinzips der Gegenseitigkeit
Ausgangspunkt bzw. Hauptfragestellung ist für mich, ob die Installationen der Visumzentren mit den gebührenpflichtigen Leistungen vom Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Erleichterung der Ausstellung von Visa für Bürger der Europäischen Union und der Russischen Föderation rechtlich gedeckt sind oder ob sie nicht dagegen verstoßen.
Auf der Website der Visahandling Service GmbH (VHS GmbH) liegt eine Kopie des Abkommens, nämlich hier:
Quelle:
http://www.vhs-germany.com/image/russlandeu.pdf
[Nachtrag 19.10.2018: Auch dieser Link funktioniert heute nicht mehr. Die VHS hat mit Wirkung zum 01.01.2017 seine Sonderstellung als Visumzentrum für russische Konsulate verloren. Die Filiale in der Berliner Friedrichstraße blieb als Reisebüro geöffnet.]
Allerdings ohne irgendeinen Hinweis auf das Datum, wann das Abkommen geschlossen worden ist. Das ist ein kleiner Mangel an Transparenz. Intransparenz macht mich oft argwöhnisch. Das verführt mich oft dazu zu mutmaßen, dass es etwas zu verbergen gibt, was nicht legitim ist, wenn ich mangelnde Qualifikation nicht unterstellen möchte.
Auf der Website der deutschen Vertretungen in Russland liegt eine Kopie des Abkommens, nämlich hier:
http://www.germania.diplo.de/contentblob/3650056/Daten/95470/visumerleicherungsabkommen2006.pdf
Beide gezeigten Quellen zeigen jeweils identische Fassungen. Daher nehme ich an, es ist jeweils die Version, die am 25.05.2006 vom Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Franco Frattini für die Europäische Gemeinschaft unterschrieben worden ist und von Präsidentenberater Viktor Iwanow für Russland. Dieses Abkommen trat am 01.07.2007 in Kraft.
In diesem Abkommen heißt es, dass die Visagebühren einheitlich 35,00 Euro betragen, in Eilfällen 70,00 Euro. Durch die Installation der Visumzentren wird es nun teurer für Russlandreisende.
EU-Vertrag
Als Nächstes möchte ich einmal auf die europarechtliche Legitimationsgrundlage zum Abschluss des Abkommens hinweisen:
Artikel 62 Absatz 2 EV-Vertrag von Amsterdam (EGV) in Verbindung mit Artikel 300 EGV gibt der Europäischen Gemeinschaft die Legitimation zum Abschluss des Abkommens mit Russland.
4. These
Meiner vorläufigen Auffassung nach stellen die Verfahrensänderungsmaßnahmen beider Seiten, Deutschland wie Russland, einen Verstoß gegen das europäisch-russische Abkommen zur Erleichterung der Visaerlangung dar, weil die Beschaffung des Visums den Touristen jetzt mindestens 60 Euro kostet. Die Konsequenzen der aktuellen Verfahrensänderungen stellen sich aber für deutsche Antragsteller und russische Antragsteller teilweise unterschiedlich dar. Darauf werde ich unten noch eingehen.
[Nachtrag, 19.10.2018: Seitdem die "Bearbeitungsgebühr" vom Visumzentrum von 25,00 Euro auf 27,00 Euro erhöht worden ist, kostet die Beschaffung des Touristen jetzt mindestens 62,00 Euro]
5. Rechtsfragen
Ich greife meinen Gedanken um die Frage der Rechtmäßigkeit der Erhöhung der Visumbeschaffungsgebühr etwas vorweg, wenn ich behaupte, dass man zwei Perspektiven unterscheiden muss, eine Innenperspektive und eine Außenperspektive.
Zur Innenperspektive:
Die Innenperspektive ist ein von Antragstellern gegen ihren Heimatstaat (Deutsche Russlandreisende gegenüber Deutschland, russische Deutschlandreisende gegenüber Russland) gerichtetes Anspruchsdenken in Bezug auf die Unterlassung eines (hier mal unterstellten) Verstoßes gegen das "Visaerleichterungsabkommen", damit die andere Seite ebenfalls (aufgrund des praktizierten Prinzips der Gegenseitigkeit) seinen Verstoß gegen das Abkommen zurücknimmt.
Die Außenperspektive berührt die Frage, ob "wir" den russischen Bürgern ein Recht auf Freizügigkeit anerkennen (zugestehen) wollen und Russland den deutschen Touristen auf Ausstellung eines russischen Visums. Gehen wir zunächst der zweitgenannten Perspektive weiter nach.
5.1. Außenperspektive
Hier muss man auch darauf blicken, wie diese Frage nach der Vertragsmäßigkeit der extra Visumbeschaffungsgebühr in der "Spitze" der [...Next]