Als Sprachlehrer in Gorno Altaisk - freiwillig für ein Jahr Sibirien
Seit einigen Tagen fragt man mich in der Wachta 3 andauern, ob ich im Zimmer rauchen würde. Die Rauchmelder in meiner Küche spielen verrückt und geben andauernd Fehlalarm.
Meine Wohneinheit teilt sich übrigens in zwei Zimmer, Küche und Bad. Mein Zimmer ist relativ groß, geschätzt 15-20 Quadratmeter. Es hat einen modernen Schreibtisch, einen Fernseher und zwei Betten.
Eins meiner liebsten Hobbys ist das Akkordeon. Ich bin vielleicht kein Meister, aber es macht trotzdem immer Spaß zu spielen. Das Instrument im Flugzeug zu transportieren hielt ich für zu riskant. Also versuchte ich in der örtlichen Musikschule eins aufzutreiben. Kein einfaches Unterfangen. In Russland wird die Verantwortung immer auf den Vorgesetzten abgewälzt. So musste ich bis zum Direktor vordringen, um eine Erlaubnis zu erhalten, im Wohngebäude spielen zu dürfen. Eventuelle Auftritte in der Uni seien wohl theoretisch auch machbar, bot ich als Gegenleistung an.
Stadtfest
Am 5. September war Stadtfest. Gefühlt haben alle russischen Städte ihre Stadtfeste immer im September, warum auch immer. Erstaunlich, wie viele Leute sich plötzlich auf dem zentralen Platz der Stadt herum trieben. Die Minderheiten (Armenier, Ukrainer, Polen, Deutsche, Kasachen) hatten Stände aufgebaut. Für die deutsche Kultur interessierte man sich dahingehend, dass das Angebot des kostenlosen Tees und selbstgebackener Schweinsohren gerne angenommen wurde. Das wars dann aber auch schon. Wer interessiert sich in Russland schon für die deutsche Kultur? Dort leben, ja das wäre schon was. 4 Aber wo man in Gorno Deutsch lernen könnte, das interessiert die Wenigsten. Auch das Akkordeon kann diesen Umstand nicht ändern, da mich die Ukrainer nebenan mit Akkordeon und Frauenchor (in Nationaltracht) locker übertönen.
Busreise nach Barnaul
Vom 8. bis 10. September weilte ich in Barnaul, der „großen Stadt“, zirka. 250 km (und 4 Stunden per Bus) nordwestlich von Gorno mit über 600.000 Einwohnern, also 10 mal so groß. Doch auch hier finde ich keine Leinsamen. Die Stadt ist nicht besonders hübsch. Von den sibirischen Großstädten soll wohl nur Tomsk sehenswert sein. Die Luft in Barnaul ist schlecht. Der „Russensprit“ quälte meine Nase. Wie verwöhnt wir doch in Deutschland sind. Auspuffgase nehmen wir eigentlich nur noch bewusst wahr, wenn ein altes Auto an uns vorbei fährt. Aber hier? Die Busse könnten ruhig mal einen Rußpartikelfilter vertragen. Zudem wird nachts noch irgendwas verbrannt, Laub oder was weiß ich. Ein feiner Smog lag über die Stadt.
Link: Fahrplan der Busse vom Busbahnhof in Gorno-Altaisk
Meine Unterkunft in Barnaul sollte ein Hostel sein. Von vornherei habe ich mir gleich zwei ausgesucht, nämlich falls eins nicht (mehr) existiert, man weiß ja nie. Am Bahnhof stieg ich ganz cool in eine alte tschechische Tatra-Straßenbahn, die aussah, als wäre sie frisch vom Schrottplatz gekommen. Aber draußen dran prangt immerhin ein Emblem der roten Armee mit Hammer und Sichel und darunter der fette Schriftzug „70 Jahre!“. Gemeint ist das 70-jährige Jubiläum des Sieges der Sowjetunion über das faschistische Deutschland. Wer in den 1990er Jahren (oder davor) in den ostdeutschen Großstädten lebte, wird die liebenswürdigen Straßenbahnen mit den runden Scheinwerfern und den grau-roten Plastiksitzen, die irgendwie perfekt an den sozialistischen Körper angepasst waren, noch gut in Erinnerung haben. Hier hat man nun improvisierte Polster auf die Sitze geschnallt. Luxus in einer Zeit, wo man bei uns die Bahnen komplett überholt hat und allmählich aus dem Verkehr zieht. Obwohl es die einzigen Straßenbahnen sind, die auch im Winter bei gefrorener Oberleitung noch fahren. Während die modernen Modelle bei dem massiven Funkenflug per Notsicherung abschalten, fahren die Tatra-Bahnen mit diskoartigen Strobo-Lichteffekten im Inneren einfach weiter.
An der vermeintlichen Adresse des angepeilten Hostels angekommen fand ich erstmal nichts. Ich meine nichts, was auf ein Hostel hinweisen würde. Überhaupt ist hier selten etwas ausge- oder beschildert. Ich fragte in den umliegenden Geschäften nach dem Dostojewski-Hostel. Man verweist mich auf ein stinknormales Wohnhaus. Ich ging hin. Die Tür war fest verschlossen. Auf mein Klopfen kam keine Antwort. Na super! Sowas konnte mich nun wieder aufregen.
Also hopp hopp zurück in die Bahn zum Bahnhof, wo mein „Ersatz-Hostel“ irgendwo sein sollte. Nur leider fuhr die gleiche Straßenbahn nicht den gekommenen Weg zurück, sondern bog vorher ab. Nur gut, dass in jeder Bahn eine Service-Kraft sitzt. Das sind meist dicke ältere Frauen, die die Fahrkarten verkaufen. Diese Servicekraft5 sagte: „Ja nee, hier müssen Sie eine andere Bahn nehmen!“ Ich stieg an einer Haltestelle aus, die eigentlich nur durch einen blauen senkrechten Mast und ein nicht minder blaues kurzes Geländer als solche zu identifizieren war. Kein Schild „Haltestelle“, kein Dach, geschweige denn ein Fahrplan.
Zurück am Bahnhof suchte ich verzweifelt das Hostel. Die Leute, die ich ansprach, äußerten alle (auch) keine Einheimischen zu sein. Schließlich betrat ich einen Telefonladen und fragte die junge Angestellte. Sie war zwar auch nicht aus Barnaul, konnte aber helfen. Sie zog ganz verschmitzt ihr Smartphone und lotste mich letztendlich per google-maps zum Hostel. Hm, wenn mein Telefon nur Internet hätte.
Die Unterkunft ist preiswert (5 Euro pro Nacht). Dafür befand sich mein Bett in einem Zimmer für 8 Männer. Sogar einen großen Flachbildfernseher gab es im Raum, der den ganzen Tag lief. Die „Insassen“ waren überwiegend junge Männer, die soffen oder einen Job in der Stadt suchen. Einer war sogar extra aus Omsk angereist. Ansonsten kam ich mit ihnen nicht groß ist Gespräch. Tagsüber spazierte ich durch die Stadt. Abends nutzte ich das Angebot des nahen Kinos.
Ansonsten gibt es nicht viel über die Stadt zu sagen. Das Zentrum 6 ist nicht so übel. Auch das Ufer des Ob, eines mächtiges sibirischen Stromes, ist sehenswerter als die Region um den Bahnhof mit seinem Heer an obdachlosen Menschen.
Nach der Rückkehr nach Gorno gibt es plötzlich Neuigkeiten. Ich ging einfach mal so mir nichts dir nichts ins Institut, weil es zu Hause langweilig war, eben mal zum Quatschen. Und dann sagt man mir doch so nebenbei, ich hätte heute Unterricht gehabt. Ich falle aus allen Wolken, ist das etwa ein Scherz? Man hatte mir doch vor ein paar Tagen gesagt, die Studenten kämen erst im Oktober. Und dann rief ich mein Chefchen an, der mir etwas peinlich berührt verklickert, dass sich das nun geändert hat. Aber von sich aus kommt da keiner mal auf die Idee mich einzuweihen. Sind die Studenten etwa auch aus Langeweile früher an die Uni zurückgekehrt als sie hätten müssen?
Das ist Russland. Immer für Überraschungen gut.
Zusätzlich habe ich mich um die Verlängerung des Visums gekümmert. Dafür braucht man alle möglichen Unterlagen plus man muss in der Bank bezahlen. Ein Erlebnis!
Die von mir besuchte Bankfiliale ist natürlich voller Leute gewesen. Ich zog eine Nummer. Eine Mitarbeiterin sprach mich an und sagte, man könne auch am Automaten bezahlen, nicht bloß am Bankschalter. Ich ging also in die Ecke zu den Automaten. Die Automaten sind ein Mysterium schlechthin, versteht man nicht, vor allem als Ausländer. Aber auch die einheimischen Leute dort wussten nicht, wie es funktioniert. An jedem Automaten steht eine hübsche asiatische Mitarbeiterin und erklärt den Bankkunden, wie sie am Automaten zu bezahlen haben. Ich musste so viele Codes, Zahlen, Daten eingeben ....Irre! Und kurz vor Abschluss der Bedienungsprozedur will ich eine Zahl korrigieren und komme anstatt auf die Korrekturtaste auf die "Abbruch"-Taste. Der Vorgang bricht ab. Alles nochmal von vorne! Die Mädels, die dort arbeiten können einem Leid tun.
Jedenfalls sollte ich am nächsten Tag den ersten Unterricht halten. Blieb mir noch dieser Tag zur Unterrichtsvorbereitung. Das erinnerte mich an meine vorherige Stelle in Brest. Das Einzige, was ich dort gelernt habe, war, improvisieren was das Zeug hält.Planung ist was für Deutsche! Nun musste ich mir also für den nächsten Tag schnell etwas aus dem Hut zaubern, um die Studenten zu unterhalten.
Dann kam der Tag mit meinem ersten Unterricht. Und der verlief dann doch ganz gut. Ein erstes Kennenlernen mit den Kursteilnehmern im zweiten Studienjahr. Alles Mädchen zischen 19 und 21 Jahren alt. Viele hübsche Gesichter. Und die Deutschkenntnisse eigentlich auch schon passabel. Ich bin gespannt, wie es mit dieser Gruppe weitergeht.
Alkoholverbot
Es ist mittlerweile Wochenende. Der 20.09.2015 ist ein grauer Tag, nicht nur wetterbedingt. Im Supermarkt sind die Regale mit alkoholischen Getränken abgeklebt. Daneben klebt ein Zettel: Auf Grund des Besuches des obersten Moskauer Patriarchen Kyrill in Gorno-Altaisk ist jeglicher Verkauf von alkoholischen Getränken untersagt.“ 7 In Deutschland undenkbar, vor allem im September! Was würde die Bildzeitung in so einem Fall schreiben?: „München ausgetrocknet – auf Grund des Papstbesuchs ist jeglicher Bierausschank auf der Wiesn untersagt.“ Weitere Leitartikel würden wohl lauten: „CSU verliert massiv an Umfragewerten.“ oder: „Bevölkerung unter Schock – Ernüchternder Papstbesuch in München.“ Aber selbst für für den Altai war es eine mittelschwere Katastrophe. Viele Einwohner haben versucht vorzusorgen. Dabei kam es zu langen Warteschlangen.
Fortsetzung folgt