Im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung arbeite ich jetzt ein Jahr als Deutschlehrer in Gorno-Altaisk. Klar, das sind jetzt böhmische Dörfer. Ich musste auch erstmal auf der Landkarte nachsehen, wo das genau liegt.
Gorno-Altaisk ist die Hauptstadt der autonomen Republik Altai in Südsibirien, zirka. 400 Kilometer südlich von Nowosibirsk im Vierländereck Russland – Kasachstan – China - Mongolei. Vier Stunden Zeitunterschied zu Deutschland (3 Stunden zu Moskau), im Winter sogar fünf. Eine Stadt mit zirka 60.000 Einwohnern. Für mich als Leipziger ein winziges Nest. Es gibt einen Nachtklub, 4.000 Studenten und wenn man sich von der ewig langen Hauptstraße, dem Prospekt Kommunistitschesky entfernt, landet man sofort in Gegenden, die sich seit 100 Jahren wohl nur minimal verändert haben. Holzhäuser, Straßen ohne Asphalt, sogar grasende Kühe auf dem Campus der hiesigen Universität. Aber alles der Reihe nach.
Anreise
Am 24. August 2015 fiel der Startschuss für meine Reise. Mit dem Zug fuhr ich von Leipzig nach Berlin, mit dem TXL-Bus zum Flughafen Tegel. Am Gepäckschalter des Flughafens traf ich einen Kollegen der Bosch-Stiftung, der wie ich auch für ein Jahr nach Russland geht. Ihm hat man eine Stelle in Wladiwostok angeboten, die hatte er angenommen.
Die Schlange am Flugabfertigungsschalter von Air Berlin war ewig lang. Mein Kollege musste noch sein Übergepäck bezahlen, genau wie ich nach ihm. Ein einziges Hin und Her. Ich reise mit zwei großen Koffern und einem Rucksack, soviel wie noch nie zuvor. Einen Koffer darf man gleich an der Gepäckabfertigung abgeben. Mit dem anderen rennt man durch die Massen von Passagieren und deren Angehörigen zur Kasse. „Nein, hier sind Sie falsch. Sie müssen an die Kasse nebenan“, wurde mir von einer mürrischen Frau mitgeteilt. Mein Kollege, der mittlerweile auf mein restliches Hab und Gut aufpasste, gab mir Handzeichen, dass das doch die richtige Kasse ist. Letztendlich konnte ich diese Dame überzeugen, dass ich bei ihr an der richtigen Adresse bin. Dann ging es zur Passkontrolle. Mein Kollege und ich wurden zur Stichprobe herausgefischt. Mein Kollege wird von dem Kontrolleur angefahren, wie denn sein Reisepass aussieht. Mit ihm ist er schon durch halb Russland gereist. Klar, dass da Gebrauchsspuren zu sehen sind.
Überhaupt ist die Passkontrolle so ein potentieller Punkt für Ärger. Es kommt immer auf den Kontrolleur an. Egal ob russischer, deutscher, amerikanischer „Pogranitschnik“ 1 wenn diese Person einen schlechten Tag hat, lässt er das zu 80 % an Dir aus. Ein Beispiel:
Vor einigen Jahren hatte ich Freunde in Sotschi besucht. Die sind sehr fürsorglich und haben einfach mal meine Hosen gewaschen. Leider steckte da aber noch der Reisepass drin. Nun hat der deutsche Reisepass den Vorteil, dass die wichtigen Daten eingeschweißt sind. Trotzdem sah er hinterher entsprechend mitgenommen aus. Als ich in Moskau ankam, warf die Kontrolleurin, eine stramme russische Frau, einen entrüsteten Blick auf meinen Reisepass, dann auf mich. Ganz ruhig fragt sie, ob ich der russischen Sprache mächtig bin. Ich zuckte mit den Schultern und nickte. Dann legte sie los: Es ist in der Russischen Föderation nicht üblich, mit einem Dokument in einem solchen Zustand zu reisen, was ich mir denn einbilde, bla bla bla. Nun, der genaue Wortlaut ist mit über die Jahre entfallen. Interessant war der Kontrast dazu in Deutschland: Die deutschen Passkontrolleure hatten bei meiner Ankunft in Berlin nur ein müdes Lächeln übrig und meinten trocken: "Na, mitgewaschen wa?"
Zurück zum Flughafen Tegel: Jedenfalls waren wir endlich durch die Kontrolle gekommen und verstauten unser Handgepäck über den Sitzen unseres Flugzeuges nach Moskau. Als ich meinen Sitzplatz hier erreichte, stand da mein Sitznachbar, der hektisch in seinen Unterlagen wühlte. Geduldig wartete ich, bis er sich setzt. Er bedankte sich höflich dafür. In Deutschland ist geduldiges Warten ja nicht selbstverständlich. Alles muss immer schnell schnell gehen. So kamen wir dann ins Gespräch. Er ist Schauspieler und fliegt gerade zu seiner nächsten Arbeitsstelle, zu einem Dreh nach Russland, stellt er sich vor. Es stellte sich sogar heraus, dass er in einem russischen Film mitgespielt hat, den ich gesehen habe; zwar nur eine Nebenrolle, aber immerhin. Anschließend gingen wir zusammen seinen Text für seine Rolle durch, ....auf Russisch.
Darum liebe ich das Reisen. Man trifft Leute, die man sonst nie treffen würde, lebte man sein ganzes Leben nur in seiner Stadt. Diese Leute sind zwar komplett anders als man selbst, aber dadurch auch eine Bereicherung. Neue Blickwinkel eröffnen sich, eigene Sichtweisen können revidiert oder erweitert werden.
In Moskau auf dem Flughafen Domodedowo angekommen verabschiedete sich mein Nachbar und meinte noch, hier muss man schnell sein. Er meinte die Passkontrolle: An den Schaltern bilden sich nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug und Erreichen des Gebäudes immer sofort lange Schlangen. Ich hatte aber keine Eile. Es war noch früher Nachmittag. Mein Anschlussflug mit der russischen Fluggesellschaft S7 (Partner von Air Berlin) sollte erst um 00.45 Uhr losgehen. Mein Kollege sollte gegen 19 Uhr nach Wladiwostok weiterfliegen. Also noch genug Zeit sich ein zwei Bierchen zu gönnen und mit ihm zu bequatschen, was auf uns in den nächsten Monaten zukommen mag. In Russland gehört Bier wie selbstverständlich ins Sortiment von Burger King.
Nach Moskau gibt es auch einen Flug direkt von Leipzig, aber dann zum Flughafen Wnukowo. Aber nach Gorno fliegt man nur von Domodedowo.
Wir holten uns dann noch Bargeld. Seit der Krise im Dezember 2014, als der Rubel fiel, sind die Abhebesummen begrenzt. 9.000 Rubel waren das Maximum. Aber dafür lohnte es sich: 80 Rubel für einen Euro, das gab es lange nicht.
Den Abend verbrachte ich damit, Filme auf dem Laptop anzuschauen. Eine Mitarbeiterin des Flughafens ermahnte mich, ich solle mich in die Wartehalle setzen. Ich saß nämlich irgendwo am Rand der Halle auf dem Boden. Ich glaube, in Deutschland kümmert es niemanden, wo man genau wartet. Strenges Regime eben, nach wie vor.
Gegen 01.00 Uhr nachts Moskauer Zeit hoben wir endlich vom Boden ab. Vier Stunden fliegt man bis Gorno Altaisk. Gott sei Dank hat Gorno einen Flughafen. Die kleine Stadt mausert sich gerade zu einem Touristezentrum. Die Stadt hat aber, was für Städte mit Flughafen (in Deutschland jedenfalls) eher ungewöhnlich ist, keinen Bahnhof.
Es war also mitten in der Nacht und ich hoffte etwas Schlaf in diesem Flieger nach Sibirien, einem Airbus 320 oder 321, zu finden. Fehlanzeige! Das Licht blieb nach wie vor angeschaltet und andauernd liefen Leute durch das Flugzeug. Ich dachte: „Sind die denn nicht müde?“ und legte mir eine Decke auf mein Gesicht und versuchte den Trubel zu ignorieren.
Gegen 8 Uhr Ortszeit (4 h Flug + 3 h Zeitverschiebung) erreichten wir den Altai. Im Flughafengebäude traf noch kurz meine Vorgängerin. Wir wechselten ein paar Worte. Dann brachte mich mein Chef, Iwan, mit seinem Auto zum Wohnheim, in dem ich wohnen sollte; kostenlos, versteht sich. Iwan ist für einen Lehrstuhlleiter mit seinen 30 Jahren noch recht jung, aber ganz in Ordnung. Er teilte mir nebenbei mit, dass die Studenten erst im Oktober kommen werden, denn das eine von zwei Wohnheimen werde gerade renoviert. Ich dachte: „Puh! Einen Monat nichts tun oder wie? Na super!“
Von der Stadt bekam ich auf der Fahrt vom Flughafen nicht so viel mit. Ich war hundemüde. Ich bezog mein Zimmer und schlief sofort ein.
Die Woche nach meiner Ankunft
Wie genau die erste Woche ablief weiß ich gar nicht mehr so genau zu sagen. Es war wohl eine Mischung aus leichtem Jet Lag und langen Spaziergängen, um die Stadt zu erkunden. Das Wetter war noch recht sommerlich und sonnig. Ich bestieg einen Berg. Es gibt rund um die Stadt viele Berge, allerdings nicht so hoch wie der von mir bestiegene. Der ist 650 Meter hoch.
Im internationalen Büro der Uni sagte man mir, dass nebenan eine belgische Studentin gerade ihre Masterarbeit schreibt. Wahnsinn! Westler, in meinem Wohnheim! Am Nachmittag klopfe ich also an die Nachbartür. Ein Mädel öffnet, schulterlange braune Haare, braune Knopfaugen, vielleicht Anfang Mitte 20. Ich begrüße sie auf Russisch, aber nach wenigen Sekunden sind wir automatisch bei Englisch angekommen. Schade. Ihr Freund ist gerade zu Besuch. Ein freundlicher Petersburger, Vegetarier. Wir unterhalten uns bei einem Tee. Er ist nur für eine Woche da, in der sie noch reisen wollen. Reisen würde ich jetzt erstmal nur in die große Stadt zum Einkaufen. In den Läden meiner kleinen Stadt gibt es nicht alles zu kaufen, was der verwöhnte deutsche Öko gewohnt ist. Leinsamen gibt es nicht, dafür Sonnenblumenkerne (Semetschki). Als Bratöl kennt man ebenfalls nur Sonnenblume, abgepackt in Plastikflaschen. Von dem Zeug bekommt man Kopfschmerzen, ich jedenfalls. Zum Glück habe ich mir extra Kokosöl mitgebracht. Da kann man nichts falsch machen.
Jedenfalls hat auch die Belgierin erfahren, dass die Uni offiziell erst im Oktober losgeht. Also beschließt sie den Rest des September bei ihrem Freund in Piter 2 zu verbringen.
Am 1. September ist ein Feiertag in Russland, der "Djen znanij", also der Tag des Wissens. In Sibirien scheint jeder Anlass gelegen zu kommen, um Alkohol zu trinken. Es muss aber auch dabei gegessen werden. So versammeln sich also alle Dozenten in einem Auditorium und eröffnen ein Buffet aus belegten Brötchen, Tomaten, Gurken, Kuchen und natürlich Sekt sowie für die ganz harten Cognac. Die Uhr schlägt 12 Uhr mittags.
In den folgenden Tagen war nicht viel los. Ich schloss einen Handy-Vertrag ab, holte mir Internet und ging auf den Markt, um mir Äpfel zu kaufen. „1 kg bitte!“, sagte ich. Die Verkäuferin hatte an ihrem Stand keine Waage. Es standen nur diverse Eimer auf dem Tisch, bis zum Rand gefüllt mit Äpfeln. Sie nahm einen der Eimer und schüttete dessen Inhalt ohne viel Federnlesen in eine Plastiktüte, drückte sie mir in die Hand und meinte: „200 Rubel bitte!“ Ich guckte sie verblüfft an. Was soll ich denn mit einem ganzen Eimer Äpfel, wer soll das essen? Immerhin waren es Bio-Äpfel aus dem eigenen Garten. Am Nachmittag entschloss ich mich dazu Apfelmus zukochen.
Seit einigen Tagen fragt man mich in der Wachta 3 andauern, ob ich im Zimmer rauchen würde. Die Rauchmelder in meiner Küche spielen verrückt und geben andauernd Fehlalarm.
Meine Wohneinheit teilt sich übrigens in zwei Zimmer, Küche und Bad. Mein Zimmer ist relativ groß, geschätzt 15-20 Quadratmeter. Es hat einen modernen Schreibtisch, einen Fernseher und zwei Betten.
Eins meiner liebsten Hobbys ist das Akkordeon. Ich bin vielleicht kein Meister, aber es macht trotzdem immer Spaß zu spielen. Das Instrument im Flugzeug zu transportieren hielt ich für zu riskant. Also versuchte ich in der örtlichen Musikschule eins aufzutreiben. Kein einfaches Unterfangen. In Russland wird die Verantwortung immer auf den Vorgesetzten abgewälzt. So musste ich bis zum Direktor vordringen, um eine Erlaubnis zu erhalten, im Wohngebäude spielen zu dürfen. Eventuelle Auftritte in der Uni seien wohl theoretisch auch machbar, bot ich als Gegenleistung an.
Stadtfest
Am 5. September war Stadtfest. Gefühlt haben alle russischen Städte ihre Stadtfeste immer im September, warum auch immer. Erstaunlich, wie viele Leute sich plötzlich auf dem zentralen Platz der Stadt herum trieben. Die Minderheiten (Armenier, Ukrainer, Polen, Deutsche, Kasachen) hatten Stände aufgebaut. Für die deutsche Kultur interessierte man sich dahingehend, dass das Angebot des kostenlosen Tees und selbstgebackener Schweinsohren gerne angenommen wurde. Das wars dann aber auch schon. Wer interessiert sich in Russland schon für die deutsche Kultur? Dort leben, ja das wäre schon was. 4 Aber wo man in Gorno Deutsch lernen könnte, das interessiert die Wenigsten. Auch das Akkordeon kann diesen Umstand nicht ändern, da mich die Ukrainer nebenan mit Akkordeon und Frauenchor (in Nationaltracht) locker übertönen.
Busreise nach Barnaul
Vom 8. bis 10. September weilte ich in Barnaul, der „großen Stadt“, zirka. 250 km (und 4 Stunden per Bus) nordwestlich von Gorno mit über 600.000 Einwohnern, also 10 mal so groß. Doch auch hier finde ich keine Leinsamen. Die Stadt ist nicht besonders hübsch. Von den sibirischen Großstädten soll wohl nur Tomsk sehenswert sein. Die Luft in Barnaul ist schlecht. Der „Russensprit“ quälte meine Nase. Wie verwöhnt wir doch in Deutschland sind. Auspuffgase nehmen wir eigentlich nur noch bewusst wahr, wenn ein altes Auto an uns vorbei fährt. Aber hier? Die Busse könnten ruhig mal einen Rußpartikelfilter vertragen. Zudem wird nachts noch irgendwas verbrannt, Laub oder was weiß ich. Ein feiner Smog lag über die Stadt.
Link: Fahrplan der Busse vom Busbahnhof in Gorno-Altaisk
Meine Unterkunft in Barnaul sollte ein Hostel sein. Von vornherei habe ich mir gleich zwei ausgesucht, nämlich falls eins nicht (mehr) existiert, man weiß ja nie. Am Bahnhof stieg ich ganz cool in eine alte tschechische Tatra-Straßenbahn, die aussah, als wäre sie frisch vom Schrottplatz gekommen. Aber draußen dran prangt immerhin ein Emblem der roten Armee mit Hammer und Sichel und darunter der fette Schriftzug „70 Jahre!“. Gemeint ist das 70-jährige Jubiläum des Sieges der Sowjetunion über das faschistische Deutschland. Wer in den 1990er Jahren (oder davor) in den ostdeutschen Großstädten lebte, wird die liebenswürdigen Straßenbahnen mit den runden Scheinwerfern und den grau-roten Plastiksitzen, die irgendwie perfekt an den sozialistischen Körper angepasst waren, noch gut in Erinnerung haben. Hier hat man nun improvisierte Polster auf die Sitze geschnallt. Luxus in einer Zeit, wo man bei uns die Bahnen komplett überholt hat und allmählich aus dem Verkehr zieht. Obwohl es die einzigen Straßenbahnen sind, die auch im Winter bei gefrorener Oberleitung noch fahren. Während die modernen Modelle bei dem massiven Funkenflug per Notsicherung abschalten, fahren die Tatra-Bahnen mit diskoartigen Strobo-Lichteffekten im Inneren einfach weiter.
An der vermeintlichen Adresse des angepeilten Hostels angekommen fand ich erstmal nichts. Ich meine nichts, was auf ein Hostel hinweisen würde. Überhaupt ist hier selten etwas ausge- oder beschildert. Ich fragte in den umliegenden Geschäften nach dem Dostojewski-Hostel. Man verweist mich auf ein stinknormales Wohnhaus. Ich ging hin. Die Tür war fest verschlossen. Auf mein Klopfen kam keine Antwort. Na super! Sowas konnte mich nun wieder aufregen.
Also hopp hopp zurück in die Bahn zum Bahnhof, wo mein „Ersatz-Hostel“ irgendwo sein sollte. Nur leider fuhr die gleiche Straßenbahn nicht den gekommenen Weg zurück, sondern bog vorher ab. Nur gut, dass in jeder Bahn eine Service-Kraft sitzt. Das sind meist dicke ältere Frauen, die die Fahrkarten verkaufen. Diese Servicekraft5 sagte: „Ja nee, hier müssen Sie eine andere Bahn nehmen!“ Ich stieg an einer Haltestelle aus, die eigentlich nur durch einen blauen senkrechten Mast und ein nicht minder blaues kurzes Geländer als solche zu identifizieren war. Kein Schild „Haltestelle“, kein Dach, geschweige denn ein Fahrplan.
Zurück am Bahnhof suchte ich verzweifelt das Hostel. Die Leute, die ich ansprach, äußerten alle (auch) keine Einheimischen zu sein. Schließlich betrat ich einen Telefonladen und fragte die junge Angestellte. Sie war zwar auch nicht aus Barnaul, konnte aber helfen. Sie zog ganz verschmitzt ihr Smartphone und lotste mich letztendlich per google-maps zum Hostel. Hm, wenn mein Telefon nur Internet hätte.
Die Unterkunft ist preiswert (5 Euro pro Nacht). Dafür befand sich mein Bett in einem Zimmer für 8 Männer. Sogar einen großen Flachbildfernseher gab es im Raum, der den ganzen Tag lief. Die „Insassen“ waren überwiegend junge Männer, die soffen oder einen Job in der Stadt suchen. Einer war sogar extra aus Omsk angereist. Ansonsten kam ich mit ihnen nicht groß ist Gespräch. Tagsüber spazierte ich durch die Stadt. Abends nutzte ich das Angebot des nahen Kinos.
Ansonsten gibt es nicht viel über die Stadt zu sagen. Das Zentrum 6 ist nicht so übel. Auch das Ufer des Ob, eines mächtiges sibirischen Stromes, ist sehenswerter als die Region um den Bahnhof mit seinem Heer an obdachlosen Menschen.
Nach der Rückkehr nach Gorno gibt es plötzlich Neuigkeiten. Ich ging einfach mal so mir nichts dir nichts ins Institut, weil es zu Hause langweilig war, eben mal zum Quatschen. Und dann sagt man mir doch so nebenbei, ich hätte heute Unterricht gehabt. Ich falle aus allen Wolken, ist das etwa ein Scherz? Man hatte mir doch vor ein paar Tagen gesagt, die Studenten kämen erst im Oktober. Und dann rief ich mein Chefchen an, der mir etwas peinlich berührt verklickert, dass sich das nun geändert hat. Aber von sich aus kommt da keiner mal auf die Idee mich einzuweihen. Sind die Studenten etwa auch aus Langeweile früher an die Uni zurückgekehrt als sie hätten müssen?
Das ist Russland. Immer für Überraschungen gut.
Zusätzlich habe ich mich um die Verlängerung des Visums gekümmert. Dafür braucht man alle möglichen Unterlagen plus man muss in der Bank bezahlen. Ein Erlebnis!
Die von mir besuchte Bankfiliale ist natürlich voller Leute gewesen. Ich zog eine Nummer. Eine Mitarbeiterin sprach mich an und sagte, man könne auch am Automaten bezahlen, nicht bloß am Bankschalter. Ich ging also in die Ecke zu den Automaten. Die Automaten sind ein Mysterium schlechthin, versteht man nicht, vor allem als Ausländer. Aber auch die einheimischen Leute dort wussten nicht, wie es funktioniert. An jedem Automaten steht eine hübsche asiatische Mitarbeiterin und erklärt den Bankkunden, wie sie am Automaten zu bezahlen haben. Ich musste so viele Codes, Zahlen, Daten eingeben ....Irre! Und kurz vor Abschluss der Bedienungsprozedur will ich eine Zahl korrigieren und komme anstatt auf die Korrekturtaste auf die "Abbruch"-Taste. Der Vorgang bricht ab. Alles nochmal von vorne! Die Mädels, die dort arbeiten können einem Leid tun.
Jedenfalls sollte ich am nächsten Tag den ersten Unterricht halten. Blieb mir noch dieser Tag zur Unterrichtsvorbereitung. Das erinnerte mich an meine vorherige Stelle in Brest. Das Einzige, was ich dort gelernt habe, war, improvisieren was das Zeug hält.Planung ist was für Deutsche! Nun musste ich mir also für den nächsten Tag schnell etwas aus dem Hut zaubern, um die Studenten zu unterhalten.
Dann kam der Tag mit meinem ersten Unterricht. Und der verlief dann doch ganz gut. Ein erstes Kennenlernen mit den Kursteilnehmern im zweiten Studienjahr. Alles Mädchen zischen 19 und 21 Jahren alt. Viele hübsche Gesichter. Und die Deutschkenntnisse eigentlich auch schon passabel. Ich bin gespannt, wie es mit dieser Gruppe weitergeht.
Alkoholverbot
Es ist mittlerweile Wochenende. Der 20.09.2015 ist ein grauer Tag, nicht nur wetterbedingt. Im Supermarkt sind die Regale mit alkoholischen Getränken abgeklebt. Daneben klebt ein Zettel: Auf Grund des Besuches des obersten Moskauer Patriarchen Kyrill in Gorno-Altaisk ist jeglicher Verkauf von alkoholischen Getränken untersagt.“ 7 In Deutschland undenkbar, vor allem im September! Was würde die Bildzeitung in so einem Fall schreiben?: „München ausgetrocknet – auf Grund des Papstbesuchs ist jeglicher Bierausschank auf der Wiesn untersagt.“ Weitere Leitartikel würden wohl lauten: „CSU verliert massiv an Umfragewerten.“ oder: „Bevölkerung unter Schock – Ernüchternder Papstbesuch in München.“ Aber selbst für für den Altai war es eine mittelschwere Katastrophe. Viele Einwohner haben versucht vorzusorgen. Dabei kam es zu langen Warteschlangen.
Fortsetzung folgt