7. Condor
Ausgleichszahlungen an Fluggäste wegen erheblicher Verspätungen (mehr als drei Stunden) beim Abflug und bei der Ankunft. Eine Berufung der Airline auf höhere Gewalt bei technischen Problemen am Flugzeug als Grund für eine schuldlose Flugverspätung nicht akzeptiert.
BGH, Urteil vom 18.02.2010, Xa ZR 95/06. Urteil gegen Condor Flugdienst GmbH
Die klagenden Fluggäste, eine Familie mit zwei Kindern, hatte einen Flug bei der beklagten Fluggesellschaft von Frankfurt am Main nach Toronto (Kanada) und zurück gebucht. Der Rückflug war gebucht für den 09.02.2005, fand dann aber erst am 10.02.2005 statt. Die Familie kam in Frankfurt erst etwa 25 Stunden später als geplant an. Wegen der Verspätung verlangten sie von Condor eine Entschädigung in Höhe von 600,00 EUR pro Person (insgesamt damit 2.400 EUR). Der Familienvater verlangte darüber hinaus Verdienstausfall und damit verbundenen Aufwendungen in Höhe von 181,45 EUR.
Die Kläger machten zunächst am Amtsgericht ihre Rechte aus Artikel 7 der EG-Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste in Fällen der Nichtbeförderung, Annulierung oder großer Verspätung von Flügen geltend. Das Amtsgericht sprach dem Familienvater die 181,45 EUR zu und sonst wegen der Verspätung einen Minderungsanspruch in Höhe von nur 104,40 EUR und bei den Kindern jeweils 34,95 EUR. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Die Berufung der Kläger, die mehr forderten, blieb erfolglos. Die Revision wurde vom Berufungsgericht aber zugelassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) als Revisionsinstanz hat durch den Beschluss vom 17.07.2007 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) zwei Fragen zur Auslegung der oben genannten EG-Verordnung vorgelegt.
Mit Urteil vom 19.11.2009, Az.: Rs C-402/07 und Rs C-432/07 entschied der EuGH die ihm vom BGH gestellten Rechtsfragen so (gekürzt):
"Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/ 91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/ 2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind."
Daraufhin entschied der BGH den Rechtsstreit zwischen der Familie und Condor. Das Berufungsurteil wurde aufgehoben. Der BGH korrigierte die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Absatz 1 der EG-Verordnung 261/2004 nicht vorgelegen hätten. Der BGH bestätigte aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es eine Annulierung des Flugs im Sinne des Artikels 5 der genannten Verordnung nicht gegeben habe. Der BGH erklärte nun gemäß der Auslegung des EuGH, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden könne, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird. Der Flug von Toronto nach Frankfurt ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Entschädigung nach der EG-Verordnung haben vorgelegen. Da der Sachverhalt geklärt war, hat der BGH nicht an das Berufungsgericht zurückverwiesen, sondern den Rechtsstreit selbst entschieden und den Schadensersatz zugunsten der Fluggäste ausgeurteilt.
Condor hat die Verspätung mit technischen Problemen begründet. Diese Probleme seien für Condor nicht vorhersehbar gewesen. Probleme seien an einem Triebwerk sowie an der Treibstoffanzeige aufgetreten. Condor betrachtete die technischen Schäden als höhere Gewalt. Doch der BGH erklärte nun, dies seien keine außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung gewesen. Schon in einer anderen Entscheidung zuvor hatte der BGH, der Rechtsprechung des EuGH folgend, erklärt, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände begründen, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können.
Condor hat die Höhe der vom Kläger geforderten Entschädigung als unverhältnismäßig angesehen. Der BGH, vor dem keine Tatsachen mehr erörtert wurden, erklärte nun dazu, dass Condor hierzu in den unteren Instanzen nichts Substantiiertes zur Begründung hervorgebracht habe (Darlegungslast auf seiten Condors zur Entkräftung des Anspruchs in der geforderten Höhe, siehe ).
Anmerkung:
Das Amtsgericht war anscheinend nicht fähig, europäisches Verbraucher-Recht anzuwenden. Ein Schwerpunkt des Falles war die Frage der Grenzfindung, wo höhere Gewalt beginnt, u.a. auch bei schlechten Witterungsbedingungen, bei denen dennoch geflogen wird (Schnee und Eis). Inwieweit ein flüssiger Flugbetrieb auch unter schlechten Wetter-Bedingungen gewährleistet ist, ist eine Frage der Organisation, des Flughafens, der Fluglotsen, der Airlines. Airlines mit schlechter Organisation ihrer Abläufe können sich also nicht unter Verweis auf das Wetter oder die Krankheit des Flugpersonals herausreden. Der Flugbetrieb ist eine gefahrengeneigte Tätigkeit. Das Ankämpfen gegen die typischen Gefahren, zu denen auch die Unwägbarkeiten des Wetters gehören, verlangt Anstrengungen von der Airline, die mit hohen Kosten verbunden sind. Die Rechtsprechung bestimmt in Einzelfällen die Grenzen dafür, wo Einsparungen zu Lasten der Passagiere denen nicht mehr zuzumuten sind. Wer die Gefahren nicht beherrscht, sollte das Geschäft nicht ausüben.
Die Frage ist, inwieweit sich Airlines Mismanagement der Flughafengesellschaften (z.B. Freihalten der Start- und Landebahnen von Eis und Schnee) zurechnen lassen müssen. Da geht es um die Bestimmung der Grenze zur höheren Gewalt. Ein typische Vorkehrung, die zu treffen ist, ist das Bereithalten von ausreichenden Mengen an Enteisungsmitteln zur Behandlung der Flugzeuge. Die Verantwortlichkeiten dafür müssen die Fluggesellschaft und die Flughafengesellschaft untereinander aushandeln. Das geht aber nicht zu Lasten der Flugpassagiere, wenn Flüge auch im Winter angeboten werden. Die Fluggesellschaft ist hier auf alle Fälle in der Pflicht gegenüber dem Passagier (Sie mag Regress bei der Flughafengesellschaft nehmen, wenn diese das Enteisungsmittel bereitzustellen hat und das am Flughafen ausgeht.)
Das Angewiesensein auf Dritte ist nichts Neues bei der Frage der Verantwortlichkeit für das Entstehen von Schäden, für die Störung von Leistungen. Hier haben sich schon lange Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung herausgebildet. Fallgruppen sind z.B. Fluglotsenstreik oder Streik beim Zulieferer für einen beklagten Hersteller.
(Man kann sich hier wieder wundern, was für ein Rechtsgefühl einige Richter haben. Schuld daran, dass wir viele solcher Richter haben (mein persönliches Empfinden), ist das Ausbildungssystem für Juristen in Deutschland. Massenbetrieb, bei dem Recht doch nicht als Wissenschaft verstanden wird, sondern als Handwerk. Hier konnten und können sich viele untalentierte Studenten mit Pauken von Floskeln und Schlagwörtern und durch Teilnahmen an Repetitorenkursen durchmogeln.)
Eine andere Frage des Condor-Falles war, ob die Auslegung der genannten EG-Verordnung durch den EuGH mit Artikel 29 des Montrealer Abkommens vereinbar ist, wonach die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen zwar nicht berührt sei, aber "bei einer derartigen Klage ... jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen ist". Zu dieser Frage hatte der BGH bereits in seinem Urteil vom 10.12.2009, Xa ZR 61/09 Stellung genommen (es ging um Entschädigung nach EU-Recht für Fluggäste wegen einer Flugannulierung aufgrund Defekts am Flugzeug) und diese Frage bejaht.
Die Entschädigung von Flugpassagieren wegen großer Verspätung nach EU-Recht (Artikel 7 EG-Verordnung 261/2004) ist gestaffelt nach der Entfernung des Ziels.
Entfernung |
Höhe |
<1.500 km |
250,- EUR |
1.500 - 3.500 km |
400,- EUR |
>3.500 km |
600,- EUR |
Diese Entschädigungsbeträgekommen nicht nur bei einer Flugannulierung zur Anwendung, sondern auch bei Verspätungen von mehr als 3 Stunden.
Die sich hieran anschließenden Fragen sind: Wie verhält es sich damit bei verpassten Anschlussflügen? Auch dazu gab es vor kurzem gerichtliche Entscheidungen. Siehe dazu oben 5. die Entscheidung gegen KLM.
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8. Easyjet
Anwendbarkeit ausländischen Rechts in easyJet-AGB rechtswidrig
Die folgenden Klauseln aus den AGB von easy Jet benachteiligen den Verbraucher in Deutschland durch die getroffene Rechtswahl:
"Alle Erstattungen unterliegen den anwendbaren Gesetzen, Bestimmungen und Vorschriften von England und Wales sowie allen Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft (...)"
und
"Vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen des Abkommens, einschlägiger Gesetze, staatlicher Vorschriften oder Regelungen gilt folgendes:
(a) Für diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen und alle Beförderungen, zu deren Durchführung wir uns verpflichten (für Sie und/oder Ihr Gepäck), gilt das Recht von England und Wales (…) (Art. 29).“
Zwar können die Parteien bei dem vorliegenden Personenbeförderungsvertrag das anzuwendende Recht frei wählen. Die konkrete Rechtswahlklausel genüge jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie müssten stets klar und verständlich abgefasst sein. Hierbei sei auch das zu Lasten des Verbrauchers bestehende Informationsgefälle zu berücksichtigen. Werden die Wirkungen einer Rechtswahlklausel durch bindende Rechtsvorschriften bestimmt, habe der Unternehmer den Verbraucher über diese Vorschriften zu unterrichten. Diese Voraussetzungen erfülle easyJet nicht.
LG Frankfurt a.M, Urt. v. 14.12.2017 – 2-24 O 8/17
Meine hier zitierte Quelle: RA Dr. Bahr, Rechtsnewsletter, 11. Kalenderwoche 2018 vom 14.03.2018 sub 5.
9. Gerichtsentscheidungen, bei denen die Fluggesellschaft von mir noch nicht herausgefunden wurde
9.1. Zutritt zu einem Anschlussflieger darf nicht mit der Begründung verweigert werden, dass das Gepäck der Fluggäste nicht mehr in den Anschlussflieger gebracht werden konnte
Der Bundesgerichtshof entschied mit Urteil vom 28.08.2012 (Az: X ZR 128/11) zugunsten der Reisenden mit der Folge, dass die Fluggesellschaft, deren Mitarbeiter ihnen den Zutritt in das Anschlussflugzeug beim Boarding verweigerte, Schadensersatz zu leisten hat.
Der Fall
Die Reisenden buchten über ein Reisebüro eine Flugpauschalreise nach Curaçao. Der Hinflug von München über Amsterdam nach Curaçao sollte von der Beklagten am 7. Februar 2009 durchgeführt werden. Die Reisenden erhielten bereits bei der Abfertigung im Münchener Flughafen die Bordkarten für den Anschlussflug. Die Ankunft des Zubringerflugs in Amsterdam war für 11.15 Uhr vorgesehen. Der Weiterflug sollte um 12.05 Uhr erfolgen. Tatsächlich kam der Zubringerflug erst um 11.35 Uhr an. Die Reisenden trafen zwar noch innerhalb der Einstiegszeit am Flugsteig des Anschlussfluges ein. Ihnen wurde jedoch der Zustieg ins Flugzeug verweigert, weil ihr Gepäck noch nicht in das Flugzeug nach Curaçao umgeladen worden sei. Die Reisenden wurden daher erst am Folgetag gegen 14.00 Uhr nach Curaçao geflogen.
Der Kläger, der sich die Rechte der Gruppenmitglieder hat abtreten lassen, klagte in zwei Instanzen erfolglos. Aber vor dem Bundesgerichtshof hatte er Erfolg. Er verurteilte die Fluggesellschaft (ich weiß noch nicht, welche) dazu, für jeden Fluggast, für den der Kläger geklagt hatte, 600 € Schadensersatz zu zahlen. Es bestand kein Grund, die Personen zurückzuweisen. Insbesondere nicht mit dem Sicherheits-Argument. Das Gepäck ist beim Zubringerflug geprüft worden, die Passagiere hatten dort bereits die Tickets für den Anschlussflug erhalten und keine Gelegenheit, an ihr Gepäck zu kommen. Gemäß Nr. 5.3 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 vom 11. März 2008 stellt der vom jeweiligen Reisenden unbegleitete Transport von Reisegepäck nur dann ein Sicherheitsrisiko dar, wenn der Reisende darauf Einfluss nehmen konnte. Aus diesen Gründen besteht keine Rechtfertigung, eine Regel anzuwenden, wonach der Fluggast bis spätestens 45 Minuten vor Abflug einchecken muss. Es reicht vielmehr aus, dass der Fluggast in dieser Konstellation rechtzeitig erscheint, um das Flugzeug zu betreten, solange das Boarding noch nicht beendet ist.
gefunden und übernommen von www.digiversum.de
Anmerkung
Erfahrungen mit Flügen mit Wechsel des Flugzeugs hatte ich bereits in zwei Artikeln geschildert. Im ersten Falle war (Berlin - Moskau - Adler) wegen Verspätung des ersten Flugs der Anschlussflug nicht mehr zu erreichen. Dabei war von mir mein Gepäck für den ersten Flug zurückzunehmen und dieses erneut einzuchecken. Im zweiten Falle (Berlin - Frankfurt - Moskau) haben wir gerade so das zweite Flugzeug zum Boarding erreicht. Unser Gepäck war auch im Anschlussflieger. Hätten wir es nicht geschafft, hätten wir dem Gepäck hinterherlaufen müssen in Moskau.
Der BGH hat hier eine für Verbraucher/Flugreisende allgemein sehr wichtige Entscheidung getroffen. Eine bodenständige Entscheidung. Hier drängt sich die Frage auf, ab welcher Zeit Fluggesellschaften die Kombination von zwei eigenen Flügen nicht mehr zulassen sollten, wenn das Erreichen des Anschlussfluges zu unwahrscheinlich wird. Jeder Flughafen ist anders. Wieviel Minuten für ein Erreichen des Anschlussfluges ein Kunde gewöhnlich benötigt, sollte jeweils mal durchgespielt werden und dazu ein Sicherheitszuschlag gegeben werden. Liegen die Flüge zeitlich enger zusammen als ermittelt, müsste die Fluggesellschaft ein Verbot oder eine Empfehlung an Reisebüros herausgeben, diese Flüge als Kombiflüge zu vermitteln. Bei Nichtbeachtung könnte eventuell das Reisebüro in die Schadensersatzhaftung mit aufgenommen werden, das dieses Verbot missacht hat (Das Reisebüro seinerseits könnte sich durch explizite Erklärung des Kunden bei der Buchung freizeichnen lassen, wenn der Kunde das Risiko tragen will. Bloß: Lässt sich ein solches Verbot einfach in den Buchungssystemen bewerkstelligen? Und auf den anderen Wegen, über die gebucht werden kann?
Mir scheint, dass die Mitarbeiter, die das Boarding kontrollierten, schlecht geschult waren oder eben die Anweisung an sie, solche Fluggäste nicht an Bord zu lassen, geht zurück auf einen inkompetenten Chef oder Managergremium. Hier fehlte es an menschlicher Vernunft.
Lesetipp:
Kein Anschluss unter dieser Flugnummer - lange Verspätungen, gestrichene Flüge und überfordertes Bodenpersonal. Der Billigflieger Easyjet hat ein ernstes Problem. In: Die Welt, 7.8.2010, S. 16 Wirtschaftsteil.
9.2. Ausgleichszahlung bei Verspätung des für einen annullierten Flug angebotenen Ersatzfluges
Mitteilung der Pressestelle des BGH Nr 158/2017
Quelle
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=f02260a1d09f7f66761565bdb0074121&nr=79719&linked=pm&Blank=1
Die Kläger begehren eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600 € nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechteverordnung).
Sachverhalt
Die Kläger buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen einen Flug von Frankfurt am Main nach Singapur mit Anschlussflug nach Sydney, der auf beiden Teilstrecken von der Beklagten durchgeführt werden sollte. Die Beklagte annullierte den ersten Flug von Frankfurt nach Singapur am vorgesehenen Abflugtag und bot den Klägern als Ersatz einen Flug eines anderen Luftverkehrsunternehmens an, der am selben Tag starten und am Folgetag um etwa die gleiche Uhrzeit wie der ursprünglich vorgesehene Flug in Singapur landen sollte. Der Start dieses Fluges verzögerte sich jedoch um etwa 16 Stunden, so dass die Reisenden den ursprünglich vorgesehenen Weiterflug in Singapur nicht erreichten und mit einer Verspätung von mehr als 23 Stunden in Sydney ankamen.
Bisheriger Prozessverlauf
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 1.800 Euro nebst Verzugszinsen verurteilt. Die Regelung in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Nr. iii FluggastrechteVO sei nach ihrem Sinn und Zweck dahin zu verstehen, dass Ausgleichsansprüche nicht bereits durch ein Angebot zur anderweitigen Beförderung ausgeschlossen würden, sondern nur dann, wenn der Fluggast mit dem angebotenen Ersatzflug sein Endziel tatsächlich höchstens zwei Stunden später als ursprünglich vorgesehen erreicht habe.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der für das Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil zurückgewiesen. Die Beklagte bleibt wegen der Annullierung des ursprünglichen, von ihr geplanten Fluges ausgleichspflichtig, da die Kläger mit dem ihnen angebotenen Ersatzflug ihr Endziel tatsächlich nicht höchstens zwei Stunden später als ursprünglich vorgesehen erreicht haben. Dass der angebotene Ersatzflug, wenn er planmäßig durchgeführt worden wäre, den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Nr. iii FluggastrechteVO entsprochen hätte, reicht nicht aus, um die Beklagte von ihrer Ausgleichspflicht zu befreien.
Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Kläger gegen das den Ersatzflug ausführende Luftverkehrsunternehmen Ausgleichsansprüche wegen Verspätung geltend machen könnten. Den Zielen der Fluggastrechteverordnung wird allein durch ein Verständnis des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Nr. iii FluggastrechteVO Rechnung getragen, wonach ein Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Fluggast das Endziel mit dem Ersatzflug tatsächlich höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreichen konnte. Die Begründung eines Ausgleichsanspruchs gegen das den Ersatzflug ausführende Luftverkehrsunternehmen genügt hierfür nicht, zumal eine Verspätung des Ersatzflugs nicht in jedem Fall zu einem Ausgleichsanspruch führt. Ein solcher Anspruch ist beispielsweise ausgeschlossen, wenn das denErsatzflug ausführende Luftverkehrsunternehmen nicht dem Geltungsbereich der Fluggastrechteverordnung unterfällt oder dessen Verspätung weniger als drei Stunden beträgt.
Urteil vom 10. Oktober 2017 - X ZR 73/16
Vorinstanzen
X ZR 73/16
AG Frankfurt am Main – Urteil vom 14. Oktober 2015 – 31 C 2494/15 (17)
LG Frankfurt am Main – Urteil vom 16. Juni 2016 – 2-24 S 208/15
Quelle: Pressemitteilung des BGH v. 10.10.2017
Die maßgeblichen Vorschriften lauten
Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Fluggastrechteverordnung
Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Fluggastrechteverordnung
Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
… 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a oder b fallenden Flügen.
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