Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Vorgestern brachte das ARD in der Sendung "Titel Thesen Temperamente" einen Beitrag zum Krieg in Südossetien, in dem von gezielten Zerstörungen von Gebäuden der Kultur und Bildung berichtet wird.
Die georgische Armee hat in Zchienwali unter anderem zerstört die Universität, die älteste jüdische Synagoge im Kaukasus, Schulen, das Museum namens Wasilee Abajews, eines Ethymologen, der ein Wörterbuch der ossetischen Sprache in fünf Bänden verfasst hat; sein gesamter Nachlass ist jetzt verbrannt.
Es kommen Augenzeugen zu Wort. Auch werden Ausschnitte aus dem russischen Fernsehen gezeigt. Darin kommt eine Augenzeugin zu Wort, die ein paar Tage im Keller einer Schule oder eines Museums ausharrte, bevor die russischen Soldaten anrückten.
So etwas ist krank. Saakaschwili will Südossetien nicht aufgeben, betrachtet es als Teil Georgiens, aber lässt deren Zeugnisse ihrer Geschichte, ihre Kultur zerstören. So ein Verhalten ist so weit von einem Humanismus entfernt, ... Da sehe ich gar keine Möglichkeit, dieses Land als Mitglied der westlichen, der europäischen Gemeinschaft aufzunehmen. Verbrechen passierten auf beiden Seiten. Daher sollte sich die Europäische Union möglichst neutral zu diesem Konflikt stellen.
- Und dann rächten sich die Russen an den Georgiern mit gezielten Vernichtungen georgischer, einzigartiger Kulturgüter.
Wie passt das zusammen mit einer Erklärung des südossetischen Präsidenten Eduard Kokojty vor wenigen Tagen, wonach man nicht verfeindet ist mit dem georgischen Volk, sondern nur mit Georgiens Führung, mit der keine Versöhnung vorstellbar ist, und mit in diese Richtung gehenden Äußerungen Putins, Saakaschwili sollte von sich aus zum Wohle seines Volkes als Präsident abtreten? Was ist mit der angeblichen friedensstiftenden Funktion der russischen Truppen in Georgien?
In den vorwiegend von Georgiern bewohnten Dörfern rund um Zschienwali gab es Kulturschätze, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung des georgischen Kulturerbes darstellten. Fachleute vom Internationalen Museumsrat ICOM haben aufgrund von dokumentierten Satellitenaufnahmen die Zerstörungen eindeutig nachgewiesen. Die russischen Truppen hätten den Weg für russische Marodeure erst freigemacht, die nach dem Kriegsende in georgischen Dörfern im südossetischen Liachwi-Tal brandschatzten.
Hass kennt keine Regeln für die Kriegsführung. Der Hass der Kaukasier auf die Russen ist groß, liegt in der russischen Geschichte begründet, in der Einverleibung kaukasischer Gebiete in das russische Reich. Ich habe diesen Eindruck während zweier Besuche in der Hauptstadt der Tscherkessen, Majkop, gewonnen, als mir ein Mann meines Alters von den Verbrechen der Russen an seinem Volk erzählte. Und die Kaukasier werden in Moskau und St. Petersburg benachteiligt, ja von der Miliz regelrecht verfolgt. Man hält dort die kaukasischen Völker für nicht gleichwertig, für primitiv, gewalttätig und hinterhältig. Ich wurde oft gewarnt, in den Kaukasus zu reisen, auch in Krasnodar und in Sotschi. Nun, was die Gefährdung angeht - die ist tatsächlich erhöht. Dazu später mal mehr.
Mir kommt aber jetzt dieser Gedanke: Wenn soviel Abneigung auf beiden Seiten besteht - wieweit können da völkerrechtliche Regeln der Entstehung unabhängiger Staaten entgegenstehen? Inwieweit können da nicht involvierte Länder als Bewahrer völkerrechtlicher Regeln eingreifen, ohne die Souveränität dieser sich im Konflikt befindenden Nationalitäten zu missachten? Wie weit reicht das moralische Recht der (westlichen) Staatengemeinschaft oder der UNO, darüber bestimmen zu können, ob eine Nationalität mit dem Boden, auf dem sie als Majorität lebt, Teil eines Landes bleibt, bleiben soll?
Ich muss mich entschuldigen dafür, dass ich mich seit Jahren nicht mehr wirklich mit Völkerrecht beschäftige. Ohne Kenntnis der schriftlichen völkerrechtlichen multilateralen Vereinbarungen und sich inzwischen herauskristallisierten soft law des Völkerrechts, also nicht kodifizierten Rechts, ist es schwer diese Fragen zu diskutieren. Man muss den rechtlichen Status quo kennen, um das Verhalten anderer Länder in Bezug auf den Kaukasus-Konflikt bewerten zu können und die Frage, ob sie sich widersprüchlich verhalten. Widersprüchliches Verhalten wird von Russland den westlichen Ländern in Bezug auf den Kosovo vorgeworfen, der nach internationalen Vereinbarungen Teil Jugoslawiens bleiben sollte. - Ich stehe da zu wenig im Stoff, fand aber entsprechende Argumente von Putin im Interview mit Roth einleuchtend.
Ich will hier nur meiner Skepsis gegenüber journalistischen Beiträgen Luft machen, in denen diese Fragen ausgeblendet sind/waren und in denen sich Journalisten trotzdem moralische Bewertungen des Verhaltens der am Krieg beteiligten Parteien erlauben.
Wer waren nun jene Marodeure, die in den vorwiegend von Georgiern bewohnten Dörfern brandschatzten? Wo waren da die russischen Soldaten? Die russische Führung sollte hierzu Antworten liefern, gegebenenfalls Offiziere zur Verantwortung ziehen, um sich nicht unglaubwürdig zu machen.