"To the Convention of the International Chess Olympiade" tönte es in diesen Tagen in den Dresdner Straßenbahnen im Zentrum. Die Leute wundern sich ein bisschen. Eine Olympiade? Jetzt? Etwas spät, wie? Sagt man im Englischen auch so: O-l-y-m-p-i-a-d-e, nicht Olympics? "Olympic Chess Games" verstößt wohl gegen den geschützten Begriff "Olympic Games"? Und: Warum "convention"? Naja, manche kennen die Games Convention, eine sehr erfolgreiche Messe für Computerspiele, die die Wessis den Leipzigern wegnehmen wollen. Beim Schach gehts ja auch ums Spielen. Und heutzutage ist hier auch schon viel computertechnisiert. - Was heißt doch gleich "convention"? Konvention = Brauch, Sitte; Abkommen. Aha! Auch: Tagung. Aber wie, ist das nun eine Olympiade oder eine Tagung? Da sind ja viele Schacholympioniken ganz schön leger angezogen. - Warum so rätselhaft? Kann man sich nicht verständlicher ausdrücken?
Heute ist der vorletzte Tag der Schacholympiade in Dresden gewesen. Früher war ich ein aktiver, begeisterter Schachspieler. Etwas davon ist noch übrig geblieben. Das nach der Einzel-WM der Männer, die gerade erst Ende Oktober zu Ende gegangen ist, wichtigste Schachereignis, wollte ich mir nicht entgehen lassen, wo es doch nur ein Katzensprung von Berlin entfernt statt findet. Dagegen wäre der Weg beim nächsten Mal sehr weit: nach Sibirien. Am letzten Wochenende war ich zu Gast, in der Hoffnung, die deutschen Herren können was reißen, nachdem sie letzten Mittwoch gegen Russland ein 2:2-Unentschieden geschafft hatten. Von meinem Erlebten im Kongresszentrum Dresden will ich berichten.
Für Dresden habe ich was übrig, trotz des großen Loches an der Prager Straße, neben dem Autotunnel, das es schon über fünf Jahre gibt, trotz der halbierten Prager Straße wegen der Bauarbeiten gegenüber von Wöhrl, trotz des politischen Willens, die Waldschlösschenbrücke zu bauen. Bei Russen ist die Stadt sehr gefragt. Ziemlich genau vor einem Jahr habe ich mit zwei Maschas aus St. Petersburg an einem Wochenende all die Pracht bewundert. - Für die Schacholympiade hatte ich eigentlich nur den Samstag eingeplant, am Sonntag wollte ich einem russischen Freund, der für Dresden ja Monate Zeit hat, ein bisschen von der Sächsischen Schweiz zeigen, wo er inzwischen die Stadt fast besser kennen dürfte als ich, raus in die Natur. Aber bei diesem Wetter, kalter Wind, Schnee, vielleicht Regen und dann Matsch, musste es ausfallen. Er smste mir am Samstagabend, als ich mit einem Freund vom Kongresszentrum am Elbeufer zurück gekehrt war, dass er dann doch auch gerne die Olympiade besuchen wolle. Das konnte er haben. Bis zum Überdruss.
Und so habe ich wieder einen Beitrag geleistet, mich um interessierte russische Gäste der Stadt gekümmert. Gerade ist ja die "Dresden-Werbung und Tourismus" (DWT) von der Insolvenz bedroht, las ich kürzlich im Fachmagazin für Touristiker FVW (Heft 22/08), das titelte im Oktober: "Krise in Dresden". Hauptgesellschafterin der DWT ist die Stadt Dresden. Sie ist nicht mehr bereit, die Schuldenlöcher zu stopfen, bis zum Jahresende werden wohl 260.000 € zusammen kommen. Einer der Vorwürfe gegen die DWT von lokalen Touristikern ist der, dass sie die Werbung im Ausland vernachlässigt hat. In keiner deutschen Großstadt ist der Anteil ausländischer Übernachtungen so gering wie in der sächsischen Hauptstadt, nämlich 15,5%, schreibt die FVW. - Vielleicht sollten sich die Marketing-Verantwortlichen der Stadt mal was von den russischen Städten St. Petersburg und Krasnodar abkucken?! Zumal St. Petersburg, eine Partnerstadt von Dresden.
Noch mal zurück zum Begriff der Schach-Olympiade: Einem Interview des ND-Autors René Gralla mit dem derzeitigen FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumschinow vom Dezember 2006, das auch auf SCHACH veröffentlicht ist, entnehme ich, dass es tatsächlich ernsthafte Bestrebungen der FIDE gibt, in der olympischen Bewegung integriert zu werden, Gespräche mit dem IOC laufen; aber offen ist danach, ob Schach zur Sommer- oder Winterolympiade kommt. Allerdings soll der amtierende IOC-Präsident Jacques Rogge die Linie vorgegeben haben, dass zuerst eine andere Sportart aus dem Kanon gestrichen werden müsste, bevor Schach olympisch werden könnte. Karpow schätzte auf der Podiumsdiskussion am Samstag mit Susan Polgar und Alexander Chalifmann, dass es wohl erst 2020 so weit sei.
Soviel zu einigen Hintergründen. Jetzt wollen wir aber die Kreise enger um das Thema Schach in Dresden 2008 ziehen und näher auf die Großveranstaltung eingehen. Der FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow war am ersten Spieltag (13.11.) auf dem Wege nach Dresden in einen Verkehrsunfall im Westen Moskaus verwickelt worden. Infolgedessen konnte er nicht kommen. Laut einem Bericht von The Moscow Times passierte der Unfall gegen 11 Uhr russischer Zeit, als er in Begleitung von Polizei in einem schwarzen Mercedes unterwegs zum Flughafen war. Daraus lässt sich schließen, dass er bis zum Spielbeginn um 15 Uhr deutscher Zeit nicht rechtzeitig angekommen wäre, um den ersten Zug am Spitzenbrett der Herren auszuführen. Wer Schuld an dem Unfall hatte, war zunächst laut der Meldung unklar. Der Präsident war in eine Klinik gebracht worden, nicht hingegen die 21-jährige Fahrerin eines Ford Focus, die wohl den Mercedes angefahren hatte und auch gelitten hatte. Der Präsident erlitt eine Kopfverletzung, aber nichts Lebensbedrohliches.
Neu an einer Schacholympiade war dieses Mal die Regel, dass, wenn ein Spieler nicht pünktlich um 15 Uhr an seinem Brett ist, seine Partie als verloren gewertet wird. Bisher war es so, dass die Verspätung eines Spielers zu Lasten der eigenen Bedenkzeit ging, die aber auch reichen konnte, die Partie zum Siege zu führen.
Neu war außerdem, dass alle Turnierpartien gleichzeitig live übertragen wurden. Im Internet konnte man unter http://schachlive.dresden2008.de/ live dabei sein, vorausgesetzt, man hat Java auf seinen Rechner installiert bzw. Flash. Alle Turnierschachbretter waren verkabelt und mit Sensoren ausgestattet. Jeder Zug wurde automatisch sofort registriert und an einen Server weiter geleitet. Die FIDE, nach der FIFA der zweitgrößte Sportverband der Welt, hat diese Bretter von der holländischen Firma Digital Game Technology (DGT) gekauft, erzählte mir deren Vertriebsfrau am Samstagabend nach dem Ende der letzten Partie an ihrem Stand. Nach der Olympiade wird die FIDE diese Bretter wohl an förderbedürftige, arme Mitgliedsländer verschenken oder günstig weiterverkaufen. Solch ein Brett mit Figuren wird für 470 € verkauft. Die Bretter sind noch aus Holz, sie werden in Spanien gefertigt. Dann werden sie nach Holland gebracht, wo die Technik ein- oder angebaut wird. Ich habe leider nicht mal unter so ein Brett sehen können. Das Brett ist mit einem USB-Anschluss oder mit einer seriellen Schnittstelle, die es ermöglicht, viele dieser Schachbretter an nur wenige Computer anzuschließen, bestückt. Über Kabel wurden die Partien dann im Saal des Kongresszentrums auf Leinwände übertragen. Außerdem wurde eine Auswahl von Partien mithilfe dieser Technik und mit einer speziellen Präsentationssoftware von DGT im Foyer vor interessierten Zuschauern kommentiert, hauptsächlich von Großmeister Bischoff, aber auch von der ungarischen Ex-Weltmeisterin Susan Polgar. Bischoff machte das sehr gut, Susan in englisch. Der Andrang der Besucher war groß, die Stühle reichten oft nicht für alle Zuschauer.
Eine Etage höher wurden ebenfalls aktuelle Partien analysiert, aber für alle Fans, die das Großereignis über das Internet verfolgen. Hier machte es aber am Samstag und Sonntag meistens kaum Sinn, zuzusehen und zuzuhören, da meistens die kommentierte Partie für die anwesenden Besucher nicht angezeigt wurde oder etwas anderes zu sehen war, als die Kommentatoren besprachen; das war verwirrend. Hier wurde für das Internet-Schach-Fernsehen kommentiert, zu empfangen wohl über
www.schach.de. So ein Schach-Internet-Fernsehen gibt es schon ein paar Jahre. Sowas hatte ich mal benutzt, als Kasparow gegen einen Computer spielte. Auch die auf dem Turnier eingesetzten digitalen Schachuhren kommen von dem Hersteller DGT. Die haben den Vorteil, dass die Bedenkzeit im Unterschied zu mechanischen Schachuhren für beide Seiten exakt gleich eingestellt wird. Ich habe nie mit einer digitalen Schachuhr gespielt. Es hat aber wohl mehrmals technische Probleme mit der Elektronik gegeben. Passende Beispiele fand ich heute auf einem
Blog. Da berichtet ein Schiedsrichter oder sonstiger Aufpasser, was seiner serbischen Schiedsrichter-Kollegin passierte: Die Uhr eines Spielers sprang von 0:20 auf 9.59 um! Die beiden fanden dann heraus, "das die vorderste Anzeige wohl ihren Geist aufgegeben hat." Weiter schreibt er: "Einen weiteren Vorfall gab es vor ein paar Runden, als ein Spieler im 36. Zug die Zeit überschritt, und die DGT-Uhr zwar die Zeitüberschreitung anzeigte aber auf der Uhr 0:31 min zu sehen war. Der Spieler akzeptierte die Zeitüberschreitung und im Gegensatz zur Partie von P.H. Nielson aus Runde 1 war die Partie vorbei." Was ich selbst sah, war, dass die Übertragung der Züge auf die Leinwand oder ins Internet bei Zügen im Blitztempo nicht hinterher kommt, da werden gespielte Züge übersprungen.
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