Zu dem nachfolgenden Text schrieb meine russische Freundin in meiner Stadt mir:
"Diesen furchtbaren Text zu übersetzen fand sich nur Vlad imstande. Das ist eine Illustration zum Thema "Habt mit Russland nie zu tun!". Die Leute haben sich bis zum Obergericht durchsetzen müssen, um ihre offensichtliche Rechtlichkeit bestätigen zu können. Die Gesetzlosigkeit herrscht dort überall."
Vlads Übersetzung musste ich noch stark überarbeiten.
Einige Begriffe müsste man, auf das deutsche Rechtssystem übertragen, eigentlich anders übersetzen als ich es hier tat, z.B. "unpassende Erfüllung". Hierunter dürften wohl sowohl Zuwenig-Leistung und auch Andersleistung zählen. Fällt darunter auch noch das Anbieten eines 4-Sterne-Hotels bei Vereinbarung der Unterbringung in einem 5-Sterne-Hotel, wenn dieses Ersatzangebot berechtigt abgelehnt wird?
Das Kollegium der Richter eines Gerichts nennt man bei uns Senat oder Kammer. Der Rechtsstreit wurde über vier Instanzen hinweg ausgetragen. Man sieht hier gleich einige Unterschiede zum deutschen Zivilrechtsstreit. Bei uns gibt es nichts Vergleichbares im Zivilprozessrecht wie den Protest eines Richters des obersten Gerichts, durch den dieses Gericht sich von selbst mit einem Rechtsstreit beschäftigen kann, ohne dass der Streit durch Veranlassung von einem der Streitbeteiligten zu ihm gelangte. Auf der Website der Russischen Botschaft in Berlin bekommt man einen knappen Überblick zur Rechtsprechung in Russland. Dort wird das Oberste Gericht der Russischen Föderation wie folgt erklärt:
Es "ist das höchste Gerichtsorgan für Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und andere Rechtsfälle, die in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte fallen. Es hat die Aufsicht über die Tätigkeit dieser Gerichte und gibt Erläuterungen zu Fragen der Gerichtspraxis. ..."
Unklar für mich bei der Übersetzung ist, ob (bzw. auf welcher Ebene des Instanzenzuges) die Entscheidung des Gerichts (Kollegiums/Präsidiums) als Beschluss zu bezeichnen ist, als Urteil oder als Anordnung. Dazu müsste ich mich erst noch ins russische Prozessrecht vertiefen, was ich jetzt nicht beabsichtige. Daher übersetzte ich "Postanowlenije" außer hier am Anfang sonst als "Entscheidung".
Beschluss des Obergerichts der Russischen Föderation vom 01.04.2002, Aktenzeichen 18-В02-5K
Das gerichtliche Kollegium für bürgerlich-rechtliche Angelegenheiten des Obersten Gerichtes der Russischen Föderation in der Zusammensetzung:
G. V. Manochina (Vorsitzende),
und die Richter N. K. Tolcheewa,
und V. N. Pirozhkowa V.N.
hat in seiner gerichtlichen Sitzung am 01.04.2002 den Zivilrechtsstreit zwischen Р. und der Demetra-Tour OOO um Schadenersatz und Ersatz des immateriellen Schadens nach dem Protest des stellvertretenden Vorsitzenden des Obergerichtes der Russischen Föderation gegen den Beschluss des Präsidiums des Krasnodarer Gebietsgerichtes von 01.11.2001 untersucht.
Mit seiner Entscheidung hat das Präsidium des Krasnodarer Gebietsgericht die der Klage stattgebenden Entscheidung des Kollegiums des Krasnodarer Gebietsgerichts aufgehoben und den klageabweisenden Beschluss des Kreisgerichts Krasnodar (Gericht erster Instanz = Ausgangsgericht) vom 18.05.2001 bestätigt.
Nach dem Vortrag der Berichterstatterin N.K Tolcheewa stützt das Gutachten des General-Staatsanwaltes der Russischen Föderation, M. M. Germaschewoj, den Protest des stellvertretenden Vorsitzenden des Obergerichts der Russischen Föderation.
Das gerichtliche Kollegium hat die folgende Entscheidung gefasst:
Sachverhalt
Р. hat am Gericht Klage erhoben gegen die Demetra-Tour OOO auf Zahlung von Schadensersatz und Kompensation des immateriellen Schadens, sich darauf berufend, dass laut dem geschlossenen Vertrag über Reisedienstleistungen vom 01.08.1998 und nach dem bezahlten Reisescheck die Beklagte sich verpflichtete, ihm mit seiner vierköpfigen Familie die Plätze für den Aufenthalt im 5-Sterne-Hotel "Ali-Bej" in Antalya (Türkei) vom 17.08.1998 bis 31.08.1998 zu gewähren. Nach der Ankunft dort wurde ihnen abgesagt, dass die Beklagte die Bezahlung für den Aufenthalt des Klägers und seiner Familie im betreffenden Hotel nicht ausgeführt hatte. Deswegen waren sie gezwungen, wieder nach Hause zurückzukehren.
Im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Vertragsbedingungen forderte der Kläger von der Demetra-Tour OOO die Rückerstattung des Reisepreises i.H.v. 28.600 Rubel sowie der Zahlung in Höhe von 15.205 Rubel auf den Reisescheck, das Fahrgeld für die Reiseroute Istanbul - Antalya - Istanbul i.H.v. 200 US-Dollar, die Zinsen für die illegitime Benutzung ihrer Geldmittel und auch Kompensation des immateriellen Schadens in Höhe von 100.000 Rubel. Die Akte wurde von verschiedenen gerichtlichen Instanzen mehrfach betrachtet.
Mit Beschluss des Sowjetskij-Kreisgerichtes vom 18.05.2001 wurde die Klage abgewiesen. Durch Entscheidung des Kollegiums des Krasnodarer Gebietsgerichts für bürgerlichrechtliche Angelegenheiten vom 19.07.2001 ist der Rechtsspruch des Kreisgerichts aufgehoben und der Klage teilweise stattgegeben worden. Demetra-Tour OOO wurde verurteilt, an Р. als Ersatz des materiellen Schadens einschließlich der Zinsen für die Benutzung der Geldmittel 83.376,72 Rubel zu zahlen und außerdem als Kompensation für den erlittenen moralischen Schaden insgesamt 15.000 Rubel zu zahlen.
Durch Beschluss des Präsidenten des Krasnodarer Gebietsgerichts vom 01.11.2001 wurde die Entscheidung des Kollegiums des Krasnodarer Gebietsgerichts aufgehoben und die Entscheidung des Kreisgerichts Krasnodar (erste Instanz) vom 18.05.2001 wieder in Kraft gesetzt. In der Begründung des Protests durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Obergerichtes der Russischen Föderation, die zur Entscheidung des gerichtlichen Kollegiums für bürgerliche Angelegenheiten des Obergerichtes der Russischen Föderation beigetragen hat, wird die Frage über die Aufhebung des Beschlusses des Präsidiums des Gebietsgerichts Krasnodar und der Bestätigung der Entscheidung des Kollegiums des Gebietsgerichts Krasnodar vom 19.07.2001 aufgeworfen. Nach Erörterung der Argumente im Protest hält das Obergericht der Russischen Föderation die Klage aus den nachfolgenden Gründen für begründet:
Begründetheit der Klage
Die Berufungsinstanz prüfte innerhalb ihrer Befugnisse die Begründetheit des Rechtsspruches des Gerichts der ersten Instanz unter Beachtung der Regeln der Art. 294 Abs. 4, Art. 305, Art. 306 BPG RSFSR. Das oberste Gericht stimmt den Schlussfolgerungen, die im Beschluss des Gerichts der ersten Instanz dargelegt sind, nicht zu und sieht es aufgrund der in der Akte vorhandenen Materialien als erwiesen an, dass der Kläger den Preis der Reise im vollen Umfang bezahlt hat. Der Reisescheck deckte den Aufenthalt im 5-Sterne-Hotel "Ali-Bej" in Antalya (Türkei) in der gewählten Kategorie. Durch das Verschulden der Firma Demetra-Tour GmbH waren Р. und die Mitglieder seiner Familie nicht in dem Hotel untergebracht worden. Das Verschulden beruht auf der Verletzung des Vertrags über den Aufenthalt des Klägers und seiner Familie im Hotel durch Nichtzahlung der versprochenen Reisedienstleistungen. Daher ist die Beklagte laut dem
Gesetz der Russischen Föderation "Über den Schutz der Rechte der Konsumenten" zum vollen Ersatz der verursachten Schäden verpflichtet, deren eingeklagter Betrag von den dem Gericht vorgelegten Beweismitteln bestätigt wird. Darüber hinaus ist die Beklagte verpflichtet, Zinsen für die illegitime Benutzung der Geldmittel des Klägers zu erstatten, schließlich auch den moralischen Schaden, der vom Obersten Gericht mit 15.000 Rubel bewertet wird, zu kompensieren.
Die vom gerichtlichen Kollegiums des Krasnodarer Gebietsgerichts festgestellten Umstände, die zur Aufhebung des Beschlusses des Sowjetskij Bezirksgerichts Krasnodar vom 18.05.2001 und zur Stattgabe der Klage in seiner Entscheidung vom 19.07.2001 führten, stehen im Übereinklang mit den Bestimmungen
a) der Art. 13 und 15 des Gesetzes der Russischen Föderation "Über den Schutz der Rechte der Konsumenten",
b) des Artikels 6 des Föderalen Gesetzes "Über die Grundlagen touristischer Tätigkeiten in der Russischer Föderation", die das Recht des Konsumenten (des Touristen) auf den Schadenersatz und Kompensation des moralischen Schadens im Falle der Nichterfüllung der Vertragsbedingungen vom Auftragnehmer vorsehen, und
c) des Artikels 395 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation, der die Haftung für die Nichterfüllung der Geldverbindlichkeit regelt, in diesem Fall für die Rückgabe der Geldbeträge, die die Beklagte für Dienstleistungen erhalten hat, die sie nicht erbracht hat.
Das Präsidium des Krasnodarer Gebietsgerichtes, das die erwähnte Entscheidung des gerichtlichen Kollegiums mit seiner Entscheidung vom 01.11.2001 aufhob, hat die Begründetheit der Klage bezweifelt und die vorliegenden Beweise neu bewertet. Danach erkannte es an, dass die Demetra-Tour OOO die Vertragsbedingungen erfüllt und die entsprechende Bezahlung ausgeführt hat, aber als Ergebnis der schlagartigen Veränderung des Kurses der nationalen Währung Russlands im Verhältnis zum US-Dollar am 18.08.1998 waren die geleisteten Beträge für den Aufenthalt im 5-Sterne-Hotel "Ali-Bej" plötzlich ungenügend. Der Kläger hatte der Unterbringung in einem 4-Sterne-Hotel widersprochen. Deshalb war die unpassende Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen eine Folge höherer Gewalt.
Unterdessen ist das Gericht der Aufsichtsinstanz nicht mit dem Recht ausgestattet, die gesammelten Beweise, den Beweis der juristisch bedeuteten Umstände, die Übereinstimmung der Schlussfolgerungen des Gerichtes mit den Umständen der Akte zu bewerten und auf dieser Grundlage andere Schlussfolgerungen zu treffen als das Gericht der ersten Instanz.
Gemäß Artikel 327 BPG RSFSR prüft das Gericht bei der Betrachtung der Akte in seiner Aufsichtsfunktion die Richtigkeit der Anwendung und der Deutung der Normen des materiellen Rechts und Prozessrechts durch die Gerichte der ersten und Berufungsinstanzen nach in der Akte vorhandenen Materialien im Rahmen der Argumente des Protestes.
Die vom Präsidium des Krasnodarer Gebietsgerichtes aufgeführten Argumente rechtfertigen, ausgehend von den Grenzen der Betrachtung der Akte hinsichtlich der Überwachung, der Vollmachten des Gerichtes, der Gründe zur Aufhebung der gerichtlichen Beschlüsse, die in den Artikeln 327, 329, 330 BPG RSFSR bestimmt sind, nicht die Aufhebung der Entscheidung der Berufungsinstanz.
Man muss auch den Verweis in der Entscheidungsbegründung auf die Artikel 779, 781 des Zivilgesetzbuches der Russischer Föderation, den Punkt 4 des Artikels 13 des Gesetzes der Russischen Föderation „Über den Schutz der Rechte der Konsumenten“, wonach der Verkäufer (der Hersteller, der Auftragnehmer) von der Haftung für die Nichterfüllung oder die unpassende Erfüllung der Verpflichtungen befreit wird, wenn er beweist, dass die Nichterfüllung der Verpflichtungen oder ihre unpassende Erfüllung infolge der höheren Gewalt oder anderer vom Gesetz vorgesehenen Gründe geschehen ist, als nicht korrekt ansehen.
Der Kläger hat seine Verpflichtung zur Bezahlung der Reise im vollen Umfange am 31.07.1998 erfüllt. Die Beklagte verpflichtete sich, die Plätze für den Aufenthalt im Hotel „Ali-Bej" vom 17.08.1998 an zu gewähren, das heißt vor dem Datum der schlagartigen Veränderung des Kurses der nationalen Währung Russlands. Folglich hatte sie die Möglichkeit gehabt, mit der entsprechenden Währung die Dienstleistungen seines Leistungsträgers zugunsten des Klägers vor dem Datum des Währungseinbruchs bezahlt zu haben. Es gab demzufolge nicht solche Umstände, die die gehörige Erfüllung der vom Beklagten übernommenen Verpflichtung verhinderten. Nach den Vertragsbedingungen war die Beklagte berechtigt, dem Kläger ersatzweise ein Hotel mit einer äquivalenten oder einer besseren Kategorie (nach Punkt 3.9 des Vertrages) anzubieten. Jedoch hat die Beklagte dem Kläger ein Hotel der niedrigeren Kategorie angeboten. Hier war das Einverständnis des Touristen erforderlich, das dieser jedoch nicht gegeben hat.
Der wesentliche Verstoß gegen die Normen des prozessualen Rechtes, der in der Überschreitung der der Aufsichtsinstanz eingeräumten Zuständigkeit besteht, ist ursächlich für die Verkündung der gesetzwidrigen Entscheidung, so dass gemäß Punkt 2 des Teiles des ersten Artikels 330 BPG RSFSR der Grund zu ihrer Aufhebung nach der Aufsichtsordnung gegeben ist.
Gemäß Punkt 4 des Artikels 329 des Zivilprozessgesetzes der RSFSR bestimmt das gerichtliche Kollegium für bürgerlich-rechtliche [...Next]