"Witali ist zurück!" leuchtete es mir heute, am Samstagabend, in riesigen Buchstaben aus gelbem Licht von der O2-World entgegen, als ich eine gute Stunde vor Beginn der Live-Übertragung vom Box-WM-Kampf mit dem Rad aus dem Zentrum kam.
Da packte mich die Neugier, fuhr also an den vielen parkenden Autos vorbei hin zu den Eingängen und Kassen. Zwei Schalter gab es nur für Abholer von Karten, die Leute bei RTL gewonnen haben. Lange Schlangen gab es nirgends, die Leute verteilten sich locker auf dem Vorplatz. Nun, da es keine Wartenden am Schalter mehr gab, fragte ich dort nach den Preisen für das Comeback von Witali gegen den Nigerianer Peter.
Ab 97 EUR hat der Kassierer welche; die sind herabgesetzt worden. Ein paar Balkaner um die 45 kommen an, fragen, ob es noch Karten gibt. Ja, verschiedene. Der Kassierer zeigt an seinem PC-Monitor auf dem Programm, wo die Plätze sind. In dem Block xy in der dritten Reihe. Und der Block B direkt am Ring. Nö, war schon nach zwei Tagen des Vorverkaufs weg, antwortet er. Diese Karten haben zuerst 256 EUR gekostet, sagt der Kassierer. Die Balkaner riechen das Schnäppchen und greifen zu. Drei Meter weiter fragt mich ein einzelner Mann um die 50, der nicht ausieht, als hätte er Lust und das Geld, nachher live dabei zu sein, ob ich ne Karte will. Er verlangt 60 EUR. Natürlich ist das kein so toller Platz. Ich verhandle nicht - radle nach Hause und schaue mir das Spektakel bei der Freundin an. Im Fernsehen sehe ich, dass es noch so einige freie Plätze in Europas größter Multifunitionsarena gibt. Insgesamt gibt es laut dem Berliner Abendblatt 17.000 Steh- und Sitzplätze und 59 VIP-Logen.
Im Zentrum war ich zuvor, am späten Nachmittag, um den Demonstranten für die Erhaltung unserer Grundrechte die Ehre zu erweisen. Nein, um selbst noch mitzudemonstrieren. Heute war in verschiedenen Ländern ein Protesttag gegen staatliche allmächtige Überwachung und den Abbau von Grundrechten als Abwehrrechte gegen den Staat. In Berlin auf dem Platz hinter dem Brandenburger Tor - aus Perspektive der Touristen, die durch einen Zaun von der Polizei ausgesperrt worden waren -. Halt, da war ein Nadelöhr offen gelassen worden, eine kleine Lücke im Geländerzaun. Eine Frau stieg nebenan durch das Geländer durch, weil sie nicht warten wollte, bis sie endlich an jenem "Nadelöhr" herangekommen war. Ein Polizeibeamter war gleich zur Stelle und es gab Stress. Sie sah nicht ein, warum hier die Leute am Gehen gehindert werden. Der Polizist schien zu überlegen, was er mit der Frau machen soll, denn sie stand schon auf seiner Seite. Ich dachte erst, er wollte sie noch mal zurück auf die andere Seite bringen, durch das Nadelöhr, damit sie es noch mal richtig macht. Aber das wäre zu albern gewesen. Es gab viele Zuschauer.
[Update]
Ich war erst um 17 Uhr hier an der Protestbühne. Schwer zu schätzen, wieviele hier noch waren nach dem Demomarsch vom Alex aus, extra aus Protest. Einen Bericht mit Zahlen bietet Heise in einem Bericht am darauffolgenden Sonntag.
Samstag, 11. Oktober: Demo gegen den Überwachungsstaat - schäublefreie Zone vor der amerikanischen Botschaft
Außer ein paar Diskussionen später am Straßenrand zwischen einzelnen jungen, halbstarken Polizisten und ein paar friedlichen Dissidenten, die nicht den Anweisungen, sich aufzulösen, folgen wollten, verlief die Veranstaltung ordnungsgemäß. Der Versammlungsleiter und der Hauptredner nutzten die Lautsprecher der Polizei, um mitzuhelfen, die Straße des 17. Juni wieder für den Verkehr schnellstmöglich frei zu kriegen. Da war die Techno-Musik von der Ladefläche des LKWs, der hinten am Panzer gewartet hatte und dann in Richtung Brandenburger Tor vorgerollt war, als der letzte Redner gesprochen hatte, schon abgestellt. Die Piratenpartei sammelte noch gut Unterschriften, die sie braucht, um an der Europawahl teilnehmen zu können.
Ich genoss die für Oktober noch relativ milde Abendluft, die Fahrt an der Spree entlang am Kanzleramt vorbei hin zum Haus der Kulturen der Welt, wo ich von einer interessanten Ausstellung über Afrika von und mit afrikanischen Künstlern überrascht wurde. Ich besuchte dieses Haus zum ersten Mal und war ganz auf Entdeckung; wunderte mich, dass es noch offen hatte, sah aber nur wenige Besucher. Da lief noch ein Film im Saal im Kern des Gebäudes.
Da waren drei Personen, die, versteckt hinter einem Kostüm von weißen langen Papierschnipseln und Textilien, still nebeneinander meditierend da saßen, so still, als wären es nicht Menschen, sondern Puppen. Erst war ich gar nicht sicher, ob das wirklich Menschen sind, sondern Roboter, mit Batterie betrieben, als ich Bewegungen bemerkt hatte. Denn wer hockt sich schon den Tag über als Kunstobjekt so hin, Tag für Tag? Wenn sie sich mal die Beine vertreten mussten, bewegten sie sich nur in Zeitlupe. Sie saßen als Wächter neben einen künstlichen Raum, in dem auf Regalen Platten mit Mist von Ventilatoren getrocknet wurden. Diese Künstler wollen anonym bleiben. Ein Mitarbeiter im Haus sagte mir, dass sie sich ablösen, da sind noch ein paar Leute mehr. Er hat mit ihnen mal gesprochen. Zu sehen waren auch viele Siebe und Gerätschaften, die man wohl braucht, um Bodenschätze zu gewinnen. Und ein Holzboot, aufgebahrt, darunter Knochen, zusammen gelegt unter dem Schatten des Bootes. Das bezieht sich auf die Flüchtlinge, die auf dem Wege nach Europa ertrinken. Gestern hatte ich so eine Meldung gerade wieder gehört. Die Schleuser trauen sich nicht an Ufer heran und zwingen die Flüchtlinge weit weg vom Strand ins Wasser.
Im Foyer kann man sich mit Kopfhörern auch Ausschnitte aus Filmen ansehen, die hier im Kino auf der Leinwand gezeigt werden. Africa Screens - neues Kino aus Afrika, noch bis zum 9. November.
Ich fahre weiter, vorbei am Tipi, dann dem Kanzleramt, über die Fußgängerbrücke zum Hauptbahnhof. Der Mond scheint schön, überübermorgen ist Vollmond. Aber schon heute Nacht feiern die Klitschkos, unsere Ukrainer. Die Russen dagegen verließen heute abend den Platz als Verlierer - gegen uns, auf dem Wege zur nächsten WM. Ich habe nur mitbekommen, dass die Deutschen unansehnlichen Fußball spielten in der zweiten Halbzeit. Nichts verpasst. - Gute Nacht, Berlin.
Protestplakat gegen unkontrollierte staatliche Überwachung