Heute gibt es endlich die Fortsetzung meines Erlebnisberichts von der republica09. Inzwischen habe ich auch ein paar Bilder ausgewählt, bearbeitet und hochgeladen. Über diesen Kongress zu schreiben, war mir schon wichtig, da er mir die Gelegenheit bot, mich darüber auf dem Laufenden zu halten, was die Bloggerszene in Deutschland bewegt, inwieweit die überhaupt Einfluss auf die breite Öffentlichkeit hat, welche gesellschaftlichen Entwicklungen mit der Entwicklung des Internets, der Technik, sich (nicht nur in Deutschland, überhaupt) abzeichnen. Welche technischen Neuerungen es gibt? Auch ist da das Motiv der Integration in diese Welt der Blogger. Wie sind die Macher der erfolgreichen Blogs so drauf? Wie schreibt man interessant, was kommt gut bei den Usern an? Dank dieses Berichts und der Arbeit daran wird das Erlebte sich nicht gar so schnell aus meinem Gedächtnis verflüchtigen.
Weiter geht´s nun im erweiterten Eintrag mit Tag 2 der rp09.
Markus Hündgen von "Der Westen" (WAZ-Gruppe) darf nicht, wie vorgesehen, um Halbzwölf mit seinem Vortrag anfangen, sondern kommt erst um 12.07 Uhr dran. Er erzählte über sein Faible, dem Videojournalismus, meint, Fernsehen kann jeder machen. Das beweist er anhand eigener Videos. Mal kombiniert er sie mit Mikroblogging (Twitter) und mit Bildern, mal mit längeren Texten, in die er sie eingebunden hat wie Bilder. Er ermuntert die Zuschauer, einfach zu experimentieren. Man solle nicht versuchen, den TV-Sendern nachzueifern. Die haben ganz andere Kapazitäten. Man kann auch mit einem Smartphone mit brauchbarer Videofunktion wie dem Nokia N 95 filmen. Entscheidend für den persönlichen Erfolg, also dass solche selbstgemachten Videos im Internet angesehen werden, ist Schnelligkeit. Da kann man die Journalisten schlagen. Ein paar Tage später vermisst er auf seinem Blog gerade diese Schnelligkeit und Experimentierfreude unter Inkaufnahme von Abstrichen bei der Filmqualität und beim journalistischen Handwerkszeug. Perfektion macht langsam ("Reality bytes Videopunk!, http://www.derwesten.de/blogs/fliegendesauge/stories/5366/. 13.12.2022 Seite nicht mehr vorhanden.).
Er zeigt ein Beispiel: Bei einer Demo von Nazis war er, unauffällig gekleidet (nämlich schwarz, wie viele andere und mit Kapuze?) mit seinem Smartphone dabei und die Polizei, hinter deren Reihe er damit draufhielt auf die Auseinandersetzungen, bekam das gar nicht mit. Er musste sich vor den Nazis verbergen, denn die sammeln Daten von Journalisten, die über sie Bericht erstatten und stellen dann eine Gefahr dar. Binnen zwei bis drei Stunden sahen 25.000 sein Video über die Auseinandersetzungen mit der Polizei; er war schneller als jede Internetagentur. Natürlich bleibt da nicht Zeit, die Videos noch zu bearbeiten, zu schneiden. So sind die einzelnen Filme eher länger als bei der abendlichen Berichterstattung der Fernsehsender, aber eben auch authentisch. (Ich erinnere mich an die kurzen Videos von Nichtjournalisten, die unkommentiert bei Euronews gezeigt werden.) Um seine Berichterstattung abzurunden, hat er zu seinem Bericht noch Bilder über Twittpic dazu gestellt und einen Nachbericht geschrieben. Nach der Veröffentlichung des Videos kann man also noch einen Text nachschieben, für den die Zeit zum Recherchieren und Formulieren bleibt. Dann hat man beides, Aktualität und Qualität.
Aus Erfahrung weiß er, wie man an interessantes Material kommt. Beliebt sind bei den Usern Porträts von Personen, die man einen Tag oder ein paar Stunden begleitet, Reports. - Zum Diskutieren ist anschließend keine Zeit mehr.
Dr. Julian Kücklich spricht (in englisch) in seinem Beitrag "ludic journalism and the future of news" über die Zukunft der Nachrichtenerstattung und wie diese Spiele integriert. Dass Jugendliche zuviel vor dem PC-Monitor verbringen, von Spielsucht und Gefahren von Ballerspielen, diese Themen sind sehr präsent in den Medien und zwingen die Politik dazu, sich mehr mit der Jugend zu beschäftigen. Doch Spiele sind nicht zwangsläufig - in Bezug auf die persönliche Entwicklung - reine Zeitvergeudung. Man trainiert damit sein Gedächtnis, Ausdauer, komplexes Denken, Stressresistenz. Wii-Sportspiele animieren gar zur körperlichen Aktivität (Vielleicht: erst Tennis im Wohnzimmer und bald real auf dem Tennisplatz?). Man denke auch an die Simulatoren, mit denen Flug- und Seekapitäne trainieren. Spiele bereichern die Nachrichtenerstattung und kommen damit Menschen entgegen, die Informationen besser über (bewegte) Bilder oder Bewegung aufnehmen.
Interessant fand ich den Vortrag "collaborative creativety and the test of time" von Rishab Aiyer Ghosh vor meiner Mittagspause.
Gegen 15 Uhr in einem kleinen Raum in der Kalkscheune weiß ich nicht, was mich unter dem Titel "Augmented Reality" erwartet. Martin Lechner stellt dar, wie ein Hobby, an einem Travel Guide für Mobile Devices zu programmieren, zu einem von zahlungskräftigen Firmen nachgefragten Projekt wurde und warum. Zusammen mit Philip Reus hat er die Firma Wikitude gegründet (oder ist noch in Gründung). Mit der von ihnen entwickelten Software wird einem erspart, Karten auf dem Smartphone oder Navi zu lesen und dann die darauf eingetragenen Points of Interest in die reale Welt umzusetzen. Man hält sein Smartphone mit eigebauter Kamera einfach auf Objekte oder in eine Richtung und bekommt auf dem display angezeigt, um was für ein Gebäude es sich handelt, wie weit es entfernt ist und weitere Infos. Jeder Zuschauer kann das gleich selbst testen auf einem G1 (von T-Mobile). Da ist natürlich GPS drin, aber auch Orientierungssensoren und ein Kompass. Diese drei Komponenten sind erstmals im G1 vereint. User sollen selbst Points of Interest erstellen und ins Internet hochladen können, die dann für alle Nutzer angezeigt werden "Ich war hier!").
Diese Applikation soll für User sehr günstig sein. Geld verdient wird mit Firmen, die hier ihre Daten angezeigt haben wollen. Man hat schon Projekte (oder strebt solche an) mit Reiseführerverlage, Banken, Museen, Ausstellern.
Einer fragt: Aber wird die Nutzung dann nicht schnell zu unübersichtlich wegen der Fülle? Nein, das muss nicht sein. Die Infoflut lässt sich reduzieren über Kategorienfilter, selbst wählbare Umkreisbeschränkung. - Also hier zeichnet sich ein großer kommerzieller Erfolg ab. Übrigens sind im großen Saal der Kalkscheune solche G1-Modelle an einem Stand der T-Mobile ausleihbar (, womit ein weiterer starker Sponsor genannt ist) gewesen.
Lechner stellt ein zweites Projekt seines Startups Wikitude vor: das Programm "Zenith" erklärt den Himmel. Hier arbeitet man mit dem astronomischen Institut in Wien zusammen. Eine gute Zeit zur Werbung. 2009 ist das internationale Jahr der Astronomie.
Der um Halbvier anschließende Vortrag der Firma Value5 (der Referent stellte sich gar nicht richtig vor), ein weiterer Aussteller auf der republica09, kommt weniger gut im voll besetzten Raum an. Thema: Wissen zu Geld machen.
Frage-Antwort-Portale gibt es ja schon einige im Web, auch solche, auf denen Experten gegen Geld antworten, insbesondere Rechtsanwälte. Es gibt hier den Slogan "User" helfen "Usern", leitet der Value5-Mann ein. Qualität der Expertenantworten auf der Website von Value5 soll hier über ein Bewertungssystem erreicht werden.
Mir fällt dazu Amazon ein. Eine gegenseitige Bewertung von Käufern und Verkäufern funktionierte häufig nicht verlässlich, weil Verkäufer ihre Bewertungsmöglichkeit als Rache missbrauchten, wenn sie von Käufern kritisiert wurden. Man kann als Experte auf dem hier beworbenen Website schnell weg vom Fenster sein, wenn man unfair bewertet wird, schätze ich. Das könnten ja auch versteckt agierende Konkurrenten sein. Also Streitigkeiten um Bewertungen werden nicht ausbleiben. Ein Zuhörer kritisiert den Vortrag hier als Modell der Call-Center-Agent-Gewinnung. Die Agents sollen freiberuflich arbeiten. Aber so gesehen sei die Bezahlung hier für ihn nicht attraktiv. Man verdient, verspricht der Referent, mindestens 17 EUR pro Stunde, nebenberuflich. Er meint, das ist doch einfach verdientes Geld, natürlich nicht für alle Gewerbetreibende oder Freiberufler interessant, aber für Otto Normalverbraucher mit einem Steckenpferd oder der gerne anderen hilft.
Mir gefällt dieser Vortrag nicht, es fehlt der rote Faden. Da wird zu sehr mit Schlagwörtern um sich geworfen, alles bleibt zu sehr an der Oberfläche, ähnliche Modelle werden nur genannt (SkypePrime, Get Satisfaction, Salesforce), aber echte Vergleiche mit ihnen gibt´s nicht. Statistische Zahlen wie "rund 5,7 Mio 14- bis 64-Jährige sind bereit, für Online-Inhalte zu bezahlen" werden nicht mit Quellen belegt und sind doch ziemlich vage. Man müsste hier mal schauen, welche Inhalte das sind. Rechtsanwälte und Steuerberater haben ihre gesetzlich gesicherten berufsständichen Privilegien. Hier mag zwar unter Usern die Bereitschaft bestehen, für Infos aus dem Internet zu zahlen, aber vielleicht mit dem Wunsch, trotzdem zu sparen gegenüber einer etwa anwaltlichen Beratung in der Kanzlei. Da ist aber gar kein Kuchen zu verteilen. Denn dass insofern Bereitschaft zum Zahlen für Beratung besteht, sagt nichts darüber aus, inwieweit auch zu nichtrechtlichen Problemen jene Bereitschaft besteht. Das Publikum im Raum erscheint mir hier zu gut gebildet, als dass es sich beeindrucken ließe. Aber das ist eigentlich die Klientel, die er erreichen will, denn (noch ein vermeintliches Zitat aus dem eigenen Businessplan?) "die Akzeptanz bezahlter Inhalte wird auch in Zukunft wachsen, Chancen ergeben sich aber nur für exklusiven und hochwertigen Content." Nur - Leute, die diesen Content liefern können, werden in der Regel schon einen angemessen gut dotierten Arbeitsplatz oder ihre Firma haben, so dass im Verhältnis dazu regelmäßig kein Interesse oder schlicht nicht die Zeit bestehen wird, auf Kosten der Freizeit, der Familie noch mehr zu arbeiten.
Anderes Thema. Ich mache einen Abstecher zum Privacy Open Space - 9th Slot im Hof des Mediacenters (Gebäude neben der Kalkscheune) und höre mit wenigen anderen Teilnehmern dem Philosophen Max Senges zu, der über Human Readable Privacy Rights spricht, also Creative Commons-Regeln für den Privatsphärenschutz. Diese, sobald es sie denn gibt, sollten von Internet Service Provider anstelle ihrer eigenen langen unübersichtlichen Bedingungen verwendet werden, wünscht er sich. Das bedeutet dann aber, dass sie sich von ihren Kunden ein explizites Einverständnis in jede (Weise der) Nutzung ihrer Daten einholen müssen. Das Projekt ist noch nicht sehr weit gediehen und Senges sucht hier die Zuhörer zur Kundgabe ihrer Meinung zu ermuntern, sucht noch nach Partnern, insbesondere auch in der Politik. Jan Schallaböck vom Forschungsreferat des Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein(ULD) ergänzt, wie das mal aussehen könnte, kann man schon unter sehen. Solche Regeln müssen in aller Kürze übersichtlich die Privacy Policy ausdrücken. Ehe man die Provider soweit hat, werden sicher noch einige Jahre verstreichen.
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