Vorige Woche (25.11. - 02.12.2009) hatten wir in Berlin die Tage des Russischen Films. Es wurden wieder neue Kinofilme gezeigt, in zwei Kinos. Ich sah mir den Film "Sauerstoff" ("Kislorod") im Haus der Russischen Kultur und Wissenschaften an. In der Nähe der Tür zum Kleinen Saal hingen Filmposter zu alten und neuen russischen Filmen. Das andere Kino war übrigens das Broadway Kino. Auftakt war wieder im "International".
Den Film "Sauerstoff" habe ich wahrgenommen als eine R(h)apsody auf die Gebote, die Brutalitäten und Widersprüchlichkeiten im Leben - und Leidenschaften. Der ungefähr 70 Minuten lange Film besteht aus mehreren Kapiteln. Aber die entsprechen nicht den zehn Geboten, so, wie ich das von Kieslowski in Erinnerung habe. Es fängt in einem Studio an. Mikrofon, Hocker, ein schwarzhaariges wuschelköpfiges Mädchen, das durch ihre schwarzrahmene Brille intellektuell wirkt, und ein schlanker kahlgeschorener junger Mann im T-Shirt, der mich an einen Protagonisten aus "Trainspotting" erinnert. Als er nun los-rapt, über sich selbst singt, wie er wahnsinnig in einem nicht voll zurechnungsfähigen Zustand tanzt, bekommt der Zuhörer die Bilder zum Text. Es ist wie Bilderbuch zu Musik angucken. Vidiotisierte Musik sozusagen [oh, vielleicht sollte ich mir den Begriff schützen lassen]. In welches Genre könnte man den Film einordnen?
Weiß nicht. Musikfilm. Auf meiner Eintrittskarte steht aber "Drama". Ich lese die Erläuterung auf Wikipedia. Ja, kann man sagen.
Die Reime und Texte der beiden Protagonisten tragen philosophische Ideen. Etwa die Beziehungen zwischen Leidenschaft und verbrecherischer Gewalt. Splash! Die brutalsten Kriege sind die, in denen es um religiöse Leidenschaften geht, hörte ich in Diskussionen um Krieg und Frieden öfter. Hier im Film werden Parallelen zwischen Mord aus Liebe und Morden der Israelis an den Libanesen (oder zwischen Juden und Moslems) gezogen. Splash. Es geht auch um Hedonismus. Ich fühle mich erinnert an Schicksal-Diskussionen mit jungen Russen im privaten Kreis, an groteske Vergleiche und gekünstelte Lebensentwürfe. Der Regisseur scheint ein Fan von Quentin Tarrantino und comics zu sein.
Splash. Es spritzt das Blut. Szenen zum Lachen - ich erinnere mich nur ein oder zweimal gelacht zu haben. Weltuntergangs-Gleichgültigkeit. Solche Leute sind gefährlich, die sich nicht (mehr) an die Regeln für die kleinen Bürger gebunden fühlen, wo sie Dammbrüche an Brutalität und Verlogenheit gesehen haben, bei denen Maßstäbe ausgelöscht wurden. Wie lange trösten noch leidenschaftliche Liebe und Cannabis, Pilze und Tanzen? Tanzen bis zum Kollaps. Damit der ekstatische Zustand länger anhält, braucht man Ecstasy. Und das ist ernst. Menschen im Rausch zerstören, machen Dreck.
Man soll sich Fragen stellen. Flashbacks tauchen auf. Es ist, als ob der Regisseur oder Drehbuchautor seine Träume und letzten Philosophierunden mit Studentenfreunden bei Bier und Zigarettenqualm zusammen gekratzt hat. Manches kommt mir zu gekünstelt vor. Als die Liebenden durch Londons Zentrum laufen, mit der Kamera vor der Brust, sich anscheinend suchend oder flüchtend.
Ja, Kunst ist das. Es ist auch typisch russisch. Aber fragt nicht mehr, woran ich das festmache. Ich habe doch mit Russen zusammen gelebt und gearbeitet, Museen besucht, mit ihnen getrunken und gefeiert.
Übrigens gibt es jetzt gerade auch die Tage des Deutschen Films in Russland, in St. Petersburg vom 5. bis noch zum 11. Dezember und Moskau gingen sie vom 3. bis 6. Dezember. Da sind Mitwirkende am Film bei der Präsentation dabei. So, wie es auch hier bei diesem Festival Tradition ist. Aber der Regisseur unseres Films heute musste leider schon weiter zum nächsten Filmfestival und konnte keine Fragen der Zuschauer mehr beantworten.
Dann geht die Tournee weiter, in andere russische Großstädte.
Link-Empfehlungen
Wer jetzt Lust hat, sich russische Filme anzuschauen: bitte hier entlang. Hier gibt es mehrere (auch Serien) mit englischen Untertiteln.
Die Mosfilm-Studios in Moskau verfügen über ein virtuelles Kino, in dem man auch kostenlos deren Filme sehen darf. Aber man muss sich zuvor registrieren und deren Bedingungen akzeptieren.
Kinofestival "Kinotawr" in Sotschi
Internationales Moskauer Filmfestival,
Kinoforum - Internationales Filmfestival in St. Petersburg vom 10 bis 15. Juli 2011
Jürgen, ein Bekannter von mir in Karlsruhe, hat Kontakte zur alternativen Filmszene oder zu Deutschen, die mit jungen Russen in Krasnodar Videos filmen. Oder so herum: Krasnodarer, die in Karlsruhe gefilmt haben.
Filmboard Karlsruhe
Wossidlo-Film
Auch auf der von Jürgen mitbetreuten Seite zur Städtepartnerschaft Karlsruhe-Krasnodar gibt es Infos übers Filmschaffen.
Silberne Bären für russischen Film auf der Berlinale 2010
Kinoprogramm in der Kinokette Mirage in St. Petersburg