Honig (auf russisch: mjod) ist immer in meiner Küche. Bei der weihnachtlichen Kaffeetafel mit Dresdener Stollen kam mir die Idee, etwas über Honig in und aus Russland zu schreiben. Im Winter darf er noch weniger fehlen, für die heiße Milch. Wer trinkt die schon im Sommer? Nun, der Winter hat begonnen. Hochsaison für diese Medizin.
Es gibt mehrere Erlebnisse in Russland, die ich mit Honig verbinde.
Vorausschicken muss ich, dass in meiner Kindheit mein Opa ein kleiner Imker war. Manchmal, wenn meine Familie zu ihm und den anderen Verwandten auf der anderen Flussseite an einem Sonntagnachmittag zu Besuch kamen, nahmen wir abends ein oder zwei Marmeladengläser Honig mit nach Hause. Opas Wohn- und Bienenwagen stand von Frühjar bis Sommer am Garten, am Feldesrand oder im Wald, immer in der Nähe seines Dorfes.
Honig soll aus der eigenen Umgebung kommen
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass der Honig am heilsamsten ist, den die Bienen aus dem Blütennektar aus der nahen Wohnumgebung eingesammelt haben. Ich weiß nicht, ob sich diese Erfahrung nur auf die Pollenallergie bezieht oder allgemeingültig ist. Jedenfalls scheint mir das ein plausibler Grund dafür zu sein, dass Stadtmenschen häufiger Pollenallergie haben als Landbewohner, welche eben durch ihren Haushonig desensibilisiert sind.
Es wäre ein Leichtes für meinen Opa gewesen, auch ein Stück Wabe mit ins Honigglas zu tun. Letztens im russischen Lebensmittelgeschäft in der Berliner Kantstraße sah ich unter den verschiedenen Honiggläsern auch welche mit Wabe drin. Das waren die teuersten. Ich glaube, dabei denkt man an "handgemachten" (von Hand kalt geschleuderten?) Honig anstatt von Massenware. Bei Honig von Aldi steht ja nicht mal mehr eine Herkunftsbezeichnung, sondern nur, dass es ein Produkt aus der EU und aus Nicht-EU-Ländern ist, ein Gemisch aus verschiedenen Honigen.
Im Winter kaufte mein Opa immer viel Zucker, reicherte damit Wasser an. Das war die Ersatznahrung für die Bienen. Wie ist das heute eigentlich? Wie versorgen Deutschlands Imker ihre Bienen den Winter über?
Ein Bruder meiner Mutter, der in dem Dorf meines Opas heute noch wohnt, hatte nach dessen Tod den Wohn- und Bienenwagen übernommen. Er hatte sich dann auch erst das Wissen um die Bienen aneignen müssen, hat sich um die Bienen gekümmert trotz seines Handycaps, dass er einen Arm seit einem Unfall nicht benutzen kann. Bei Besuchen bekamen wir weiterhin diesen "Haus-Honig". Vor ein paar Jahren starben viele Bienenvölker, vielleicht durch einen nach Deutschland/Europa eingeschleppten Parasiten (die Ursachen sind anscheinend nicht ganz klar). Und ganz war es mit des Onkels Imkerei aus, als der Bienenwagen durch jugendliche Dummheit abbrannte.
Mir scheint heutzutage im Frühjahr, dass ich (inzwischen) auch häufig wegen der Pollen nießen muss. Wo ist der Imker meines Vertrauens?
Diese Zeiten sind für mich fast vorbei, wo ich landwirtschaftliche Produkte von den Wiesen und Feldern rund um mein Dorf aß und trank. An die Empfehlung von oben mit dem Honig aus der Umgebung (Umkreis 10 Kilometer?) können sich die meisten nicht halten, einige Randgroßstädter und Kleinstädter, ja. Randberliner können sich ihren Honig bei einem Ausflug nach Kleistow kaufen oder in Caputh, von kleinen Imkern, wie mein Opa einer war. Es soll in Berlin aber etwa 500 Hobby-Imker geben.
Blicken wir jetzt nach Osten.
Honigmesse zur Landwirtschaftsausstellung auf der Lenexpo
Auf dem Lenexpo-Gelände auf der Wassiliew-Insel in St Petersburg findet alle zwei Jahre Anfang September eine große Landwirtschaftsausstellung statt. Sie heißt "Agrorus". Dann kommen auch Imker aus weit entfernten Regionen Russlands, um Ihren Honig an die reichen St. Petersburger zu verkaufen. 2005 besuchte ich diese Messe mit einer Künstlerin, die auf einer Bühne einen Gesangsauftritt hatte.
Während sie sich umzog, sah ich mich auf dem Gelände um. Wenn man schon mal zu dieser Zeit in Pieter ist, sollte man sich auch das Treiben an den Honigständen auf dem Gelände ansehen. Oder waren Sie schon einmal auf einem Honigmarkt?
Wilder Honig aus Baschkirien
Nur wenige Tage vorher war ich bei einem Baschkirien für ein paar Tage zu Gast gewesen, den ich ein Jahr zuvor in Berlin kennen gelernt hatte. Daher wusste ich schon, dass der baschkierische der beste, der gesündeste ist (sein soll).
Mit Freunden meines Freundes besuchte ich kurz vor der Messe ein junges Kloster nördlich von Blagoweschtschensk, wo wir von den Klosterbrüdern mit Tee, Weißbrot und eigenem Honig bewirtet worden waren. Ich hatte ein großes Glas mit hellgelbem Honig von dort mitgenommen. Der Honig wird von wild lebenden Bienen eingesammelt. Weit und breit keine Industrie.
Nun fand ich hier auf der Landwirtschafts-Messe bestätigt: An den Ständen mit Honig aus Baschkirien waren die Menschenschlangen am längsten.
Ja wirklich. Honig gilt als Medizin (russisch: Lekarstwo). Was war wohl zuerst da: Das Wort Medizin oder Med/Met? Auch auf der Honig-Plastikflasche von Aldi steht, der Honig darf nicht Säuglingen bis zu 12 Monaten verabreicht werden.
[Ergänzung, 20.08.2019: Medizinischer Honig wird benutzt für das Heilen von (offenen) Wunden. Er desinfiziert die Wunde. Es gibt ihn auch flüssig. Man sollte ihn nur nach Anleitung dazu verwenden.]
Später hatte ich Probleme mit dem Transport des großen Einweck-Glases von den Geistlichen. In St. Petersburg füllte ich den baschkierischen Honig in zwei kleinere Gläser um und eines bekam zum Abschied meine Freundin Lera, denn ich hatte schon so viel. Mit ihr war ich nämlich auch noch mal am Lenexpo-Gelände.
Anscheinend nicht alle Imker passten auf das Ausstellungsgelände oder wollten die Standgebühren nicht bezahlen oder vielleicht kamen sie auch zu spät in Pieter an. An der Straße nahe dem Eingang zum Lenexpo-Gelände standen Kleintransporter und Ladas mit Anhänger. Auch hier kann man entlang schlendern und sich durchkosten durch die große Honig-Vielfalt, die das flächengrößte Land der Erde zu bieten hat. Je nach Gusto kann man sich Honig in beliebigen Mengen abfüllen lassen. Und ich kaufte am Wagen eines Imkerpaares aus dem Donland, das mit uns scherzte, zwei Plastikbecher mit Honig - obwohl ich ja schon den guten hellgelben von den Klosterbrüdern hatte.
Beeindruckt war ich nun, als ich an einem Messestand auf der Lenexpo blauen Honig sah. Das es sowas gibt, hatte ich nicht für möglich gehalten. Ob der wohl von blauen Lupinen ist? Aber die wachsen doch auch bei uns. Was macht diesen Honig so blau oder - na gut: so violett? Da muss ein Enzym mit im Spiel sein, das beigegeben wird... Oder Preiselbeerensaft?
Noch mal zurück nach Baschkirien:
[Ergänzung 23.02.2012: In der Hauptstadt Ufa gibt es ein wissenschaftliches Forschungsinstitut für Bienenprodukte und Apitherapie (in der Uliza Sorge 9/3, 450059 Ufa). Das hat sogar einen Teil seiner Informationen ins Deutsche übersetzt und mit zur Grünen Woche 2012 gebracht, wo man den Honig kosten und kaufen konnte.]
[Ergänzung, 20.08.2019: Es gibt auch weißen (dicken) Honig. Habe ich im Dezember 2016 in Moskau in einem Laden gesehen, wo Leute aus Baschkirien Honig aus Bottichen verkauften. Ich habe auch den weißen Honig probiert. Ungewöhnliche, süße Note]
Krasnopoljanskij
Neben Honig aus Baschkirien ist auch solcher aus Krasnaja Poljana (Krasnodarer Gebiet) unter Russen berühmt für seine besonders gute Qualität. An der Straße von Adler nach Krasnaja Poljana entlang der Msymta gibt es eine Imkerei, bei der man verschiedene Honigprodukte erwerben kann. Mir schmeckte so ein eher brauner Honig sehr gut, als ich hier im Mai 2008 einen Stop einlegte. Der war von Kastanienblüten, sehr intensiver, würziger Geschmack. Der Honig von hier ist gut transportabel, denn es gibt ihn in Plastikfläschchen in Form eines Braunbären. In der Nähe gibt es den sogenannten Bärenwinkel. Dahin kommt man auf einer Seitenstraße von der Straße aus Adler nach Krasnaja Poljana hin. Man braucht dorthin seinen persönlichen Guide, Taxifahrer oder ein Fahrrad. Dort sind viele Bienenkästen aufgestellt. Und es gibt hier echte Bären. Bär heißt auf russisch übrigens "Medwed". Da steckt schon das Wort "Honig" drin.
Echter Krasnopoljanskaja ist aber nicht jeder als solcher verkaufter Honig hier. Die Nachfrage der Touristen übersteigt die Menge, die hier geerntet (oder sagt man: geschleudert?) wird. Der Honig ist teuer. Man macht Geschäfte mit Touristen und verkauft Honig aus anderen Regionen als solchen von Krasnaja Poljana. Also obacht, liebe Touristen, wo Sie Ihr Honigsouvenir kaufen!
Empfehlen möchte ich auch den Kräutertee aus Krasnaja Poljana, "Tschetyre werschiny" (vier Gipfel). Man riecht die Blumenwiese von diesem Kraut. Mein Kräutertee roch auch irgendwie nach dem Honig.
Einmal war ich bei einer vierköpfigen Familie bei Krasnodar zu Gast. Der Vater begeistert sich für die Imkerei. Im Gemüsegarten hinter dem eigenen Haus in einer jungen, ruhigen Siedlung war der erste Bienenkasten an der Grenze zum Nachbarn aufgestellt. Weitere Kästen sollten aufgestellt werden, mussten aber noch präpariert werden. Irgendwelche Teile fehlten dafür noch. Ob der Honig, der nachmittags zum Kuchenbrot mit Rosinen serviert wurde, bereits von den eigenen Bienen war, kann ich mich heute nicht mehr erinnern.
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