Um 7.30 Uhr werde ich, nach vier Stunden des Herumgeschütteltwerdens im Minibus auf glatter Piste (inklusive einer 15-minütigen Pause in einem abgeschiedenen Bistro-Häuschen am Rande eines kleinen Waldstückes abseits der Fernstraße) in Kasan an dem Parkplatz für die Bahnhöfe abgesetzt. Es ist Anfang November. Es ist ein feuchtkalter, trüber Morgen. Es gibt in der Hauptstadt der Tataren drei große Gebäude für die Eisenbahn-Passagiere. Will man in eine nahe Stadt (=Prigorodnuj gorod) fahren, muss man sich sein Ticket in dem roten Prachtbau holen. Das ist der Hauptbahnhof (=glawnui woksal).
Der ist mir jetzt am nächsten; ich stehe am Parkplatz davor. Dieses Bahnhofsgebäude ist das schönste, zugleich älteste (aber restaurierte) Gebäude, mit roten Steinen, die so aussehen wie die, aus denen das Geschichtsmuseum am Moskauer Roten Platz gebaut ist.
Nebenan steht ein Bahnhofsgebäude, das ziemlich neu aussieht, der Bahnhof für den Regionalverkehr.
Innen sieht alles neu gemacht aus, sehr sauber, aber auch steril.
Ich sehe hier zum ersten Mal in Russland Fahrkartenautomaten für Züge. Und Rolltreppe gibt es auch. Das ist auch eine Seltenheit 5 Jahre nach der Jahrtausendwende. Eine Rolltreppe habe ich auch ein paar Tage zuvor in Samara gesehen, einem brandneuen Bahnhof, wie es hieß, der modernste in Russland.
Fernstreckenfahrkarten bekomme ich in diesem neuen und sterilen Bahnhofsgebäude nicht zu kaufen, jedenfalls nicht am Schalter. Am Automaten habe ich es nicht versucht, wollte ja auch Beratung beim Ticketkauf. Außerdem bekommt man hier kein Wechselgeld.
Deswegen muss ich mit all meinem Gepäck zum dritten, hintersten Gebäude weiterziehen. Das ist das sogenannte Gebäude für Passagierdienstleistungen. Ich kaufe hier meine Fahrkarte nach Moskau und gebe neben dem Eingang meine schweren Gepäckstücke zur Aufbewahrung ab. Dann warte ich auf Rufia, die Cousine meines Freundes in Almetjewsk, von wo aus ich angereist bin. Bis zum Abend ist Zeit, mir Kasan anzusehen.
Während ich warte, mache ich einen kleinen Rundgang in der Nähe des Bahnhofs. Ich entdecke zwei Hotels. Rufia kam dann auch bald und wir verbrachten ein paar Stunden zusammen in der City.
Wieder am Bahnhof
Als ich von meiner Tages-Exkursion durch Kasan wieder am Bahnhof anlangte, verbrachte ich dort noch wartend gut anderthalb Stunden. Dumm dabei war nur, dass der Wartebereich in der zweiten Ebene des neuen, mittleren Gebäudes inzwischen abgeschottet war. Er war um 20 Uhr geschlossen worden, die Rolltreppe lief nicht mehr und war abgesperrt. Jetzt fiel mir auf, dass hier eine normale Treppe zur zweiten Ebene hoch fehlte. Viele Fernzüge fahren gerade erst (wieder) abends von Kasan ab. Wo sollen die vielen Passagiere warten? In dem roten Gebäude nebenan gibt es zwei Wartesäle. Der Zugang wird aber jeweils von Frauen in Uniform bewacht. Man kann sich dort nicht einfach hinsetzen. Sie wollen Tickets sehen, vielleicht auch noch den Reisepass. Und dann muss man auch noch bezahlen.
Kostenpflichtige Wartesäle, die als VIP-Wartesäle deklariert wurden, gibt es auch in Moskau im Kasaner Bahnhof (Dort war ich am nächsten Tag angekommen. Der W-Lan-Internetzugang, mit dem am Eingang geworben wurde, funktionierte aber nicht.) und in St. Petersburg im Moskauer Bahnhof.
Sehr ärgerlich war, dass man zu den Bahnsteigen nur durch die Tür in dem roten Bahnhofsgebäude kommen konnte. Nun gab es zwischen dem mittleren Bahnhofsgebäude und dem rechten (, in dem ich mein Ticket gekauft und das Gepäck zur Aufbewahrung gegeben hatte,) ein Tor im übermannshohen Metallzaun. Ich hatte beobachtet, wie die Passagiere vom Bahnsteig als auch solche, die zum Zug wollten, hier durchliefen, als es mal für kurze Zeit geöffnet war: Ein Arbeiter, der vom Bahnsteig kam, schob seine Karre hier durch, schloss dann aber wieder ab.
Der Eingang im roten Gebäude ist wie ein Nadelöhr. Gerade jetzt am Abend, wo die Fernzüge fahren, stauen sich zig Dutzende auf jeder Seite des Eingangs, wenn es nicht gar Hunderte sind. [siehe Foto unten vom Eingang]
Vor allem Männer unter 35 Jahre nehmen wenig Rücksicht auf Kinder, um deren Gesundheit man wirklich fürchten muss. Ein Beispiel für Bahnhofsmismanagement!
Es schien so, als wollte man die Passagieren gar nicht haben. Ich wartete dann also im hintertesten Gebäude. Man läuft von dort aus schon ein paar Minuten mit schwerem Gepäck bis zu seinem Zug.
Ich möchte also Kasanbesuchern empfehlen, dass sie sich ihr Gepäck rechtzeitig von der Aufbewahrung im dritten Gebäude abholen (möglicherweise muss man sich an eine Schlange anstellen) und zum Bahnsteig geht, mindestens eine halbe Stunde vor Zugabfahrt. Es sei denn, der Zaun, der den ersten Bahnsteig absperrt, wurde inzwischen entfernt.
Auf den Bahnsteigen gab es keine Anzeige für die Züge. Es gab auch keine Lautsprecher-Ansagen. Die Fußgängerüberführung über Gleise war ein ganzes Stück weg vom Bahnhofsgebäude. Wenn es regnet, wird man auf dem Weg zum Bahnsteig nass. Die meisten Leute überquerten deshalb einfach die Gleise, um abzukürzen. Da die Bahnsteige aber ziemlich hoch sind, benutzte ich lieber die Überführung. Die war auch noch glatt und also gefährlich. So brauchte ich einige Minuten mit meinem schweren Gepäck bis zu dem Zug, bei dem ich dachte, das wäre meiner. War es aber nicht und ich musste wieder zurück. Wie erwähnt: es gab keine Ansagen und keine elektronischen Anzeigen.
Es waren für mich frustrierende Erlebnisse in den letzten Stunden in Kasan. Als ich in meinem Abteil meines Zuges nach Moskau war und mein Notebook einschaltete, um meine Erlebnisse der letzten Tage einzutippen, crashte auch noch die Festplatte. Sie hat vermutlich nicht verkraftet, dass ich, einen Moment nicht konzentriert, im Kreml durch ein Metalldetektorgerät gelaufen bin, als ich die Kul-Scharif-Moschee besuchte.
Was ich dann mit meinem Notebook machte, kann man in einem weiteren Artikel lesen über die Mitnahme von Notebooks nach Russland.
Nachtrag, 16.09.2014: Inzwischen gibt es auch ein Dach über dem Bahnsteig, teilweise. Nachts kann man den Wartesaal benutzen, wenn man eine Fahrkarte hat.