Fahrkartenkauf in Deutschland
In Deutschland ist anonymes Reisen mit der Bahn schon ziemlich schwierig geworden. Erstens sind Reisebüros zum Teil Verkäufer von Bahntickets und über die RIT-Schnittstelle an die Deutsche Bahn (DB) angeschlossen. Der Reisekunde kann mit einem RIT-Ticket zum Flughafen fahren, dafür jeden beliebigen Zug binnen 30 Tagen nehmen, zu einem festen Preis, der sich bei weiten Entfernungen lohnt. So fließen Informationen über die Benutzung der Bahn in den PNR (--> Glossar) in der vom Reisebüro benutzten Buchungssoftware mit ein. Wenn der Kunde an einem Bonussystem der Bahn teilnimmt, ist sicher auch eine Mitteilung dieses Kaufs an sein Bahnkonto gewünscht. Welche Informationen jetzt allein schon an die Bahn übermittelt werden, weiß ich nicht. Aber spätestens wenn die Zugbegleiterin später kommt und die Fahrkarte scannt, dürfte eine Identifizierung des Passagiers gelungen sein. - Also mit einem RIT-Ticket haben Sie einen schlechten Start, wenn Sie anonym ins Ausland reisen wollen.
Die Deutsche Bahn versucht, die Bahnkunden dazu anzuhalten, im Internet Fahrkarten zu buchen. Das gelingt z.B. ganz gut bei Fahrradfahrern, die sich einen Platz für ihr Fahrrad im Zug sichern wollen. Man muss sich bei der Bahn für seinen Account registrieren und dazu das Geburtsdatum angeben. Damit wird der Fahrkartenverkauf personalisiert, natürlich nur in Richtung Käufer. Ärgerlich ist es dann, wenn man erfährt, dass man die gewünschte Fahrkarte, die gerade noch günstig zu bekommen ist, nicht bezahlen kann, weil eine ec-Karte nicht akzeptiert wird, sondern nur eine Kreditkarte. - Ist mir so passiert. So musste ich am folgenden Tag doch den Schalter im Bahnhof aufsuchen, um noch schnell ein günstiges Gruppenticket mit Fahrradberechtigungskarten zu kaufen. Seitdem habe ich über diesen Internet-Account noch gar nicht gebucht. Eine Bahncard lohnt für mich nicht.
Auf der ITB 2011 berichtete Matthias Hüske (Director Online & Agency Sales) auf der Veranstaltung der Bahn am 11. März stolz, dass man schon 5.5 Millionen registrierte Kunden habe und bis zu 2,2 Millionen Besuche pro Tag auf der Website. Unter den Reiseseiten belegte die Bahn im Juni 2010 Platz 1 mit 5.678.000 Besuchern in diesem Monat. Und man verkaufe aktuell pro Tag bis zu 150.000 Fahrkarten.
Fahrkartenschalter mit Personal hat die Bahn schon viele geschlossen, dann eine extra Gebühr von 2 € für den Verkauf von Fahrkarten (mit Beratung) am Schalter im Bahnhof eingeführt. Man soll aus Sicht der Bahn-Manager am Automaten kaufen (wenn schon nicht im Internet). Man kann mit Kreditkarte zahlen, die man da einführt. Das ist natürlich kein anonymer Fahrkartenkauf. Die Karten, die die Automaten ausspucken, enthalten einen RFID-Chip, las ich jetzt bei Focus (Meldung von 2009). Und deshalb hat die DB den Big Brother Award in der Kategorie Wirtschaft verliehen bekommen.
Im Januar 2011 kommt nun ein weiterer Angriff der DB auf die Privatsphäre der Bürger. Ich fand am 21.1.2011 (gestern) im DB-Twitter-Feed dazu die Ankündigung.
Jetzt führt die DB ein Bonussystem ein, das dem Miles & More-Programm der Airliners der Star Alliance ähnelt. (Da ist die Lufthansa Mitglied, schrieb ich ja im letzten Artikel.)
Oder dem Bonussystem, dass manche Discounter benutzen (wie z.B. Rewe). Jeder kann jetzt bei der Bahn Vorteils-Punkte sammeln. Ein Euro an Kaufwert ergibt einen Bonus-Punkt. Man braucht gar keine Bahncard dafür, für die neue Bahn.bonus.Card. Kostet keinen Cent.
Werbesprache:
"Es erwarten Sie 500 attraktive Preise!"
(Wenn das mal nicht eine wettbewerbswidrige Werbung ist! Werbeleute nehmen es mit der Sprache ja nicht so genau wie Juristen. Sie lieben Mehrdeutigkeiten.)
Aber es funktioniert nur, wenn man sich bei der DB registriert und seine gefahrenen Kilometer der Bahn zeigt. Aber dafür gibt es ziemlich viele Punkte (wenn man sich die mal in Euro zurückrechnet! Allerdings wenn man vorrechnet und sich die ersten 500 Punkte, die schon mit der Registrierung insgesamt zu erhalten sind ...
[100 Willkommenspunkte, dann noch 250 Punkte für die Zustimmung für Informationen über Angebote per E-Mail, plus 150 Extra-Punkte für die Beantragung der bahn.bonus Card]
... , einlösen will [Klicken Sie auf die Preisauswahl auf der Landingpage der Aktion!], bleibt nur ein Hundertstel übrig: 5 € Verzehrbon für die Bahnfahrt - in den teuren Fernzügen.).
Lassen Sie sich nicht blenden! Halten Sie die Augen offen und Ihren Verstand wach!
Das ist ein neues Kundenbindungssystem, damit die Nicht-Bahncard-Besitzer nicht so leicht auf die günstigeren Fernbusse ausweichen, die jetzt der Bahn entlang von Eisenbahnstrecken Konkurrenz machen dürfen. Diese Konkurrenz war nach § 13 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz (aus dem Jahre 1931) bisher verboten, doch Ende Juni 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht innerdeutsche Fernbuslinien für im Grundsatz zulässig erklärt. Bedingung: Sie müssen günstiger als die Bahn sein. Fragt sich, ob die Bahn das torpedieren kann mit zeitweiligen Aktionen auf der betreffenden Strecke. FDP und Union wollen den betreffenden Paragrafen in diesem Jahr (2011) ändern.
Hier ist neue Konkurrenz in Gestalt eines jungen Unternehmens für die Bahn, die gegen das junge Unternehmen vor Gericht ankämpft: DeinBus - Geschäftsmodell: Wie bei Mitfahrgelegenheit.de werden Mitfahrer für eine Route gesucht, für einen Bus. sind genug zusammengekommen, fährt der Bus.
Günstige Busstrecken sind z.B. Berlin-Hamburg; Berlin-Dresden (bis Prag). Aber die werden von Bayern-Express (BEX) bedient, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn.
Kommt die Bahn.bonus-Card auf für die Busse der Deutschen Bahn?
Übrigens war auch die Deutsche Bundesbahn (wie die Lufthansa auch) Mitgründerin von Amadeus, damals noch unter dem Namen "Start". 1997 hatte die DB ihre Anteile an Amadeus abgegeben. Eines der Produkte von Amadeus ist nun "DB Online Ticket". Seit Anfang 2008 können Reise-Agenturen darüber Online-Tickets der DB buchen und ihren Kunden den Fahrschein nebst Reservierung nach Hause schicken - als pdf-Datei; der Kunde kann sie sich ausdrucken.
Link: Bahn startet Versuch mit virtuellen Tickets
Ergänzung 16.03.2011: Gerade ist die ITB zu Ende gegangen. Die DB warb dort mit einem 6-seitigen broschürtem Flyer mit dem Aufmacher
"Geschenkt*: Ihr 5 Euro-Gutschein! Einfach gleich einlösen mit Ihrem Code (hier freirubbeln)"
Auf der Rückseite steht dann, dass der eCoupon (nur) bis zum 31.3.2011 eingelöst werden kann, bei einem Kauf eines Online-Tickets im Wert ab 49,- € (ohne Reservierungsgebühr).
Was für ein tolles Geschenk!
Was ich an Marketer besonders hasse, ist die Verhunzung der deutschen Sprache. Durch Täuschung des Kunden, durch Missbrauch von Attributen sorgen sie für eine Verwässerung des Sinns von Worten und Sprüchen, für eine Verfloskelierung unserer Sprache. Wenn mir jemand ein Geschenk ankündigt, kann ich heute nicht wirklich mehr ein solches erwarten. Nachher soll ich es doch bezahlen.
Übrigens will die Deutsche Bahn dann, wenn Sie die Gutgläubigen mit so einem Schrott auf Ihre Website gelockt hat, auch alles Mögliche verkaufen, weil sie Affiliate-Partner im großen Stil ist. Mietwagen, Hotels, Reiseversicherungen, Souvenirs, ... Und alles, was sich der Kunde ansieht oder kauft, wird getrackt.
[Ergänzung, 21.6.2011: Das Marktforschungsunternehmen Gallup hat im Auftrage der Europäischen Union eine Umfrage zur Zufriedenheit über die Bahn-Dienstleistungen und die Bahnhöfe in den EU-Ländern durchgeführt. Sie wurde im Juni 2011 veröffentlicht. Dort steht auf Seite 18, dass die Deutschen am unzufriedensten sind bei ... na? Genau, dem Kauf von Fahrkarten. 42 % aller Befragten meinten, sie seien sehr unzufrieden damit oder eher unzufrieden.]
Tipp:
Kleine Übersicht über Rechte deutscher Bahnreisender auf der Website der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V.
[Nachtrag 10.06.2015: Auf der Website der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) finde ich in den FAQ diese Frage, die auch die S-Bahn (Tochterunternehmen der Deutschen Bahn) betrifft:
"Können Fahrtenprofile erstellt werden?"
Antwort: "Nein. Es ist weder technisch noch organisatorisch möglich, Bewegungsprofile auf der Karte oder im System zu speichern. Die Vorgaben des Datenschutzes werden eingehalten. Kontrolldaten einerseits und personenbezogene Daten andererseits werden voneinander getrennt, eine Zusammenführung ist nicht möglich."]
Mehr Informationen zu den Berliner Verkehrsbetrieben und dem Moskauer Nahverkehrssystem im Blog hier: Berliner Verkehrsmittel im Vergleich zu Moskau.
Fahrkartenkauf in Russland
Für den Kauf von Zugfahrkarten für Züge der RZD (Russkaja Jeleznaja Doroga = Russische Bahn) werden Daten aus Ihrem Reisepass in das Buchungssystem der RZD eingegeben; Reisepass-Nummer, Name. Ihre Identität wird geprüft. Sie müssen Ihren Reisepass vorlegen. Dass auf das Buchungssystem der RZD Staatsorgane bzw. der Geheimdienst Russlands Zugang haben, davon würde ich an Ihrer Stelle ausgehen. Der Geheimdienst hatte ja schon im Jahre 2000 alle E-Mail-Provider Russlands in die Pflicht genommen, Hintertüren einzubauen für den Zugang zu allen E-Mail-Accounts.
Doch ob hier weiter Informationen zur Erstellung eines Bewegungsprofils über PNR fließen, bezweifle ich. Auch in Russland gibt es Datenschutz. Und der Austausch von Daten zwischen Russland auf der einen Seite und den USA oder EU-Staaten auf der anderen Seite funktioniert gewiss nicht so gut wie zwischen Deutschland und USA. Welchen Anforderungen die Weitergabe von gesammelten Daten an anderen Ländern genügen muss, ist im russischen Datenschutzgesetz geregelt.
Allerdings schwindet die Barriere zwischen Russland und den westlichen Buchungssystemen zusehends. Große Airlines und Reiseveranstalter sind inzwischen schon an die großen Buchungssysteme Sabre, Worldspan und Amadeus (TUI-Reisebüros!) angeschlossen.
Welche Bestrebungen bei der RZD bestehen, müsste man noch recherchieren.
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