Mit einem Rucksack, in dem sich der Karton mit den Büchern befand, und einer Umhängetasche, in der ich immer ein paar Bücher zum schnellen Hervorzaubern hatte, begab ich mich gegen Mittag in die Stadt. Auf dem S-Bahnsteig dachte ich, warum nicht gleich mal Angestellte des DB-Servicepoints was schenken? Bei Angestellten sind die Chancen bestimmt nicht schlecht.
Zufällig waren gleich zwei Mitarbeiter in dem Häuschen. Nein, vom Tag des Buches hat die Verkäuferin noch nichts gehört. Sie freute sich über ein Buch. Und wenn es ihr nicht gefällt, könne sie es ja an einen Kunden verschenken, sagte ich. Der Gerechtigkeit halber bot ich ihrem Kollegen auch ein Buch an. Auch er nahm es gern an. Wann bekommt man hier mal etwas von Kunden geschenkt? Außerdem ist die Arbeit auch anstrengend hier, dachte ich mir, sehr warm hier. Er sagte, er habe bereits ein E-Book, wisse nicht, wie lange das Akku reicht, vielleicht für das Lesen eines E-Books? Er benutzt es so selten. (Ich hatte selbst das Thema e-book und Smartphone angerissen).
Mit gutem Gefühl stieg ich kurz vor Zwölf in die S-Bahn ein.
Diese Aktion erinnerte mich an eine Sendung, die am frühen Abend im Programm des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) lief - Der Sonne entgegen.
Tipp: http://www.hahn-tv.de/projekte.html?o=der_sonne_entgegen_das_duell
Da wurde pro Sendung eine Reise für etwa eine Woche oder fünf Tage verschenkt, meistens ans Mittelmeer, oder ans Rote Meer oder auf die Kanaren.
Der Moderator fuhr mit dem Fernsehteam in eine Stadt im Lande Brandenburg und suchte dort eine Person, die sofort bereit war, die Reise anzutreten. Es gab dabei auch Fälle, wo der Arbeitgeber damit einverstanden war.
Bei mir ging es darum, möglichst viele der Bücher persönlich abzugeben an Menschen, die sich freuen.
Das ist gar nicht so einfach. Ich musste meine Kandidaten wirklich suchen, wollte mir nicht Körbe geben lassen und Menschen stören, die nicht offen für ein Gespräch waren. Dafür gab es viele Gründe:
Mütter mit Kindern, mit oder ohne Kinderwagen, mit Taschen, in denen sich Krümel der Kindesverpflegung befinden, Mütter, die an der Kleidung ihrer Kinder nesteln, sie immer wieder richtig zurück in den Kinderwagen setzen müssen, aufpassen müssen, dass sie nicht heulen und stören. Müttern fehlt die Ruhe zum Lesen und Verstehen.
Leute mit Hunden. Ähnliche Situation. Sie lieben und beobachten ihre tierischen Freunde, passen auf, dass die andere nicht belästigen (naja, nicht immer), unterhalten sich mit anderen Leuten über ihre Hunde, haben oft auch keine Tasche dabei, wo sie das Buch verstauen können.
In der S-Bahn haben etwa die Hälfte der Passagiere ihr Handy oder Smartphone oder Handheld in der Hand, schauen sich Bilder an, sind bei Facebook, hören Musik.
Knöpfe in den Ohren haben wohl auch so 25 bis 33 % aller Nahverkehrsreisenden.
Gefühlte ein Fünftel bis ein Viertel aller einzeln Reisenden lesen bereits ein Buch oder in einer Zeitung oder Zeitschrift.
Freunde, Familien oder Kollegen, die schon in der Unterhaltung sind.
Ausländer, die die deutsche Sprache nicht beherrschen (Z.B. ein amerikanischer Mann an der Touristinfo am Brandenburger Tor, der als Tourist mit seiner Mutter unterwegs ist, auf die er gerade wartet. War ja äußerlich nicht erkennbar.), Touristen, Migranten.
Menschen, bei denen ich glaube, dass sie keinen emotionalen Bezug zu dem haben, was Wladimir Kaminer schreibt, z.B. Afrikaner und Vietnamesen.
Menschen, die an Wurstbuden und Bistros gerade essen, haben oft fettige Hände und beim Essen darf man natürlich auch nicht stören.
Bei Trinkern, die ihr Bier dabei haben, wenn nicht obdachlos, dann oft in Arbeitskleidung, von der Baustelle kommend.
Menschen, die ohne Tasche (außer Brieftasche) unterwegs sind, gut Gekleidete, Autofahrer, Handheldbesitzer in einer Kommunikationspause.
Eilende Personen (Hauptbahnhof, der ICE hat gerade gehalten, die Massen strömen in die Treppe hinunter ihrem Ziel entgegen) .
In sich vertiefte Personen. Ich möchte ja niemanden erschrecken.
Da muss man also schon Lesefreunde suchen und sie im richtigen Moment ansprechen.
Die dritte Person, die sich über ein Buch freute, saß neben mir in der U-Bahn, lesend. Ich konnte die Überschrift des Kapitels erkennen. Las das Wort "Russen". Es hatte das Taschenbuchformat (Kaminers Bücher haben wohl alle dieses Format). Ich fragte: "Lesen Sie Kaminer?"
Sie staunte. Treffer!
Und würden Sie noch ein Buch von Kaminer lesen?, frage ich.
Sie erzählte, das hier ist nicht ihr erstes Buch. Sie ist sehr gesprächig, mit sächselndem Dialekt, aber gleich kommt die Haltestelle, der Alex, an dem ich aussteigen muss.
Sie freut sich sehr über mein Geschenk. Die fast ideale Person (Sie wird wohl zunächst das angefangene Buch zu Ende lesen).
Zwei Ansprachen, drei Buchschenkungen, gutes, effizientes Ergebnis.
***
Auf dem Alex gibt es Sitzgelegenheiten. Leute nehmen ihre Mittagspause, warten auf ihre Familie, sonnen sich, treffen sich an der Weltzeituhr (leider jetzt gerade kaum welche).
Und doch ist es schwierig, auch an dem Brunnen vor dem Kaufhaus Galeria. Leute halten ihr Essen, erfrischen sich gerade mit dem Wasser, reinigen den Fleck in der Hose, Jugendliche in Unterhaltung (nein, die Zielgruppe der Leser ist etwas älter). Ungepflegte Männer mit aufgehaltener Hand machen die Runde um den Brunnen oder suchen nach leeren Flaschen in Abfallbehältern. Eine ältere Frau auf der Steinbank frage ich. Nein, kein Interesse.
Dann fällt mir ein: Es gibt doch hier diesen Buchdiscount, ehemals Wohltats Buchladen (heißt heute anders). Davor stehen Grabbelkisten. Mein zweiter Anlauf klappt. Eine Frau, die tatsächlich zugibt viel zu lesen. Nicht nur das, sogar auch zu schreiben. Was schreibt sie? Schon veröffentlicht? Nein. Über einen Engländer aus dem neunzehnten Jahrhundert, der seinen Namen geändert hat. Sie schreibt seine Biografie, soweit sie dessen habhaft wird. Sie recherchierte nach ihm, z.B. in Dahlem (dort gibt es ein Osteuropa-Archiv). Sie erzählt mir davon. Geschichte und Philosophie interessieren sie und, ja, dieser Mann ist ein Vorfahre. Sie nennt mir den Namen. Sie hat kaum noch Hoffnung, an weitere Informationen zu kommen. In Dahlem hat sie sich alles kopiert, Urkunden seinen Namen betreffend.
Mir fällt beim Gespräch ein, dass ich ja einen Verlagsinhaber kenne, der an diesem Stoff wahrscheinlich interessiert wäre. Ich bin dann gleich auf dem Weg zu seinem Laden, sage ich und kann die Frau überreden, mitzukommen. Einen Verleger hat sie ja noch nicht. Und bisher hat als Lektorin ihre Enkelin fungiert, mit Lieblingsfach Deutsch im Abi. Außerdem könne man bei ihm recherchieren und er hat Kontakte zu seinen Schriftstellern, die aus Osteuropa kommen, vielleicht gerade auch aus Kaliningrad, wo dieser Vorfahre gelebt hat.
Ja, wenn nicht ein Bezug zu unserem Blog hier ist! Sie hat wenig Zeit, kommt aber doch mit ins Nikolaiviertel. Leider ist der Laden geschlossen und wir gehen zurück, sie hat die Visitenkarte des Osteuropa-Experten und mir weiter von ihrer Schreibtätigkeit erzählt.
Ich meinte, man müsste doch in Kaliningrad weiterrecherchieren. Sie glaubt nicht, dass sie dort mehr in den Bibliotheken finden wird. Aber wo wenn nicht dort könnte man noch auf neue Quellen stoßen? Leider will keiner mit ihr mit nach Kaliningrad kommen. Die Recherchen, die sie dort machen würde - das ginge nicht während einer Gruppenreise. Sie hat sich schon über Königsberg-Reisen informiert.
Wenn ich mehr Informationen bekomme, könnte ich ja hier einen Eintrag machen mit der Bitte um Hilfe, bot ich an. Oder ich werde mal Kontakt nach Königsberg herstellen, mal schauen.
Na, das war ja ein tolles Erlebnis! Mit der Beschenkten habe ich etwa eine halbe, dreiviertel Stunde meiner Zeit verbracht.
Das Verschenken sehe ich nicht als Sport, sondern eben diese Kommunikation ist das Interessante, für die das Buchgeschenk der Auslöser ist.
Mit der S-Bahn fahre ich zur Friedrichstraße. Der Tränenpalast wäre ein brauchbarer Ort, da es dort um die Geschichte der DDR und des Grenzübergangs geht. Leider am Montag geschlossen.
Auf der anderen Seite, der Platz, nichts. Nur an dem kleinen Brunnen Personen in der Mittags-Esspause. Gehe zu Fuß zum Brandenburger Tor, auf dem Fußgänger-Mittelstreifen, der längsseitig aufgebuddelt ist. An den teuersten Imbissbuden Berlins (Döner hier 3,50 €) nur Touristen, fremdsprachig. Auf dem Alex Gemächlichkeit. Die Leute haben hier Zeit. Fotozeit. Eine Frau mit Kamera verliert ihre Tempotaschentücher. Ich mache sie darauf aufmerksam und biete ihr zusätzlich ein Buch an. Bingo. Sie ist überrascht. Auch noch nichts vom Tag des Buches gehört. Die Begegnung war nur kurz.
Ich schlendere weiter, ein Fehlversuch an der Touristinfo (Amerikaner), gehe auf den Platz des 13. März. Da! Die Velotrikes, die müssen öfter auf Kunden warten. Ich trete näher und ein Mann trennt sich gerade von seinem Kollegen. Gute Gelegenheit, mit ihm komme ich ins Gespräch. Sehr aufgeschlossen, Zeit habend. Gibt auch eine eingebaute Tasche hinter dem Fahrersitz. Nimmt er gerne an. Und bietet mir als Gegenleistung eine Tour. Okay, denke ich. Ich wollte ja dann zum Russischen Haus. Ist auch nicht zu weit. Abgemacht. Habe so die Gelegenheit, ihm noch ein paar Fragen zu stellen und Bilder von dieser Velodroschke zu machen. Wir fahren durch das Brandenburger Tor. Das Dreirad passt geradeso hindurch - zwischen den Pollern (nicht den Säulen), ist etwa einen Meter breit. Er meint, er könne auch was erzählen. Da frage ich, ob er ausgebildeter Stadtführer ist. Nein, aber er hat Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft studiert. Und so kam er auch mit der Stadtgeschichte öfter in Berührung.
Er heißt [...Next]
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