Der Wechsel in ein neues Jahr bietet Anlass, über Wünsche, Ziele und notwendige Korrekturen eigener Verhaltensweisen (bzw. die
Erfolgschancen dafür) nachzudenken. Ich habe mir auch so meine Gedanken gemacht - über eigene Vorsätze als Blogger. Mit dem nachfolgenden Beitrag über Stil und
Etikette des Bloggens komme ich ein wenig aus der Deckung hervor und tauche ein wenig ein in den Teil der Blogosphäre, in dem es schwerpunktmäßig um die GUS-Länder, um die Beziehungen der deutschsprachigen Länder zu ihnen, um Russland-Deutsche, Ukrainisch-Deutsche, Spätaussiedler und Touristen geht. Als Anknüpfungspunkt dient mir eine Debatte in der Szene, die im Frühjahr 2007 ihren Anfang nahm.
Hohe Wellen schlug ein Streit Mitte 2007 zwischen Heribert Schindler (Blog Rossijskaja Federazija unter http://rossijskajafederazija.wordpress.com. Nicht mehr erreichbar im Februar 2012. JS, aktualisiert am 12.2.2012) und Jürg Vollmer (Blog Krusenstern", aktualisiert 12.05.2013: nicht mehr abrufbar unter der ursprünglichen Domain krusenstern.ch), in die sich ein paar weitere Blogger warfen, z.B. eine Gruppe, die anonym unter "Blog Admiral Golowko" (Anmerkung 13.2.2012: stand hier: http://golowko.blogspot.com, seit mindestens Winter 2012 offline) eine Art Krusenstern-Watchblog betreibt betrieb (13.2.2012: aktualisiert). Es gab Solidaritätsbekundungen für die eine oder andere Seite, andere, die sich neutral kritisch äußerten.
Was Ihr wollt - Inschutzname selbstverteidigungsfähiger Dritter
Ein wohl schon schwelender Streit - ist es unzutreffend, wenn ich schreibe, um Stil und Journalismus? - nahm an Heftigkeit zu, als Krusenstern-Blogger Jürg Vollmer in einem Artikel über Schröders Rolle bei der Entwicklung des deutsch-russischen Erdgasgeschäfts Schröder einen "Gazprom-Söldner" nannte. (Nebenbei: das Gemeinschaftsunternehmen Nord Stream AG, dessen Aufsichtsratsvorsitzender Schröder wurde, hat seinen Sitz in der Schweiz, dem Heimatland von Jürg.).
Daraufhin verlangte Heribert Schindler vom deutschen Blog Rossijskaja Federazija (anscheinend ohne sich von einem Anwalt hat beraten zu lassen) von ihm die Zurücknahme und Löschung dieser Äußerung und eine Entschuldigung bei Gerhard Schröder unter Androhung einer Strafanzeige wegen Beleidigung und Verleumdung. Jürg Vollmer kam dem Verlangen nach einer Löschung und Entschuldigung wohl nach, aber nutzte diese Drohung zur eigenen (Selbst-)Darstellung auf Kosten von Schindler, was die Stimmung weiter anheizte. Admiral Golowko verlieh Jürg dann den Titel eines Wichtigtuers. Seinerseits musste sich das Team von Admiral Golowko Schelte wegen seines anonymen Auftretens gefallen lassen.
Heribert Schindler erklärte später in einer Entschuldigung bei seinen Lesern auf seinem Blog seine Motive, so (übereilt) gehandelt zu haben. Diese sollte man am besten bei ihm nachlesen, wen es interessiert.
Soweit ich das mal als Unbeteiligter sehe, war er nicht damit einverstanden gewesen, dass seine Kommentare auf Jürgs Blog nicht (so) zugelassen worden sind, wie er sie geschrieben hatte. Heribert Schindler verzichtet auf seinem Blog anscheinend ganz auf sein Haus-Zensurrecht und erwartet das vielleicht – eine Vermutung – auch von allen anderen Bloggern. Er äußerte zu seiner Tat, er habe nur Gleiches mit Gleichem heimzahlen wollen. Beweise oder Indizien dafür, dass Jürg ihm, wie er schrieb, auch gedroht haben soll, sind mir keine bekannt geworden. Weil das auch gar keine Rechtfertigung sein könnte, wenn es wahr wäre, weil die Drohung mit einem Anwalt so oder so unverhältnismäßig war und womöglich den Tatbestand eines Nötigungsversuchs (§ 240 Abs. 3 StGB) verwirklicht haben könnte, ist es müßig, darüber zu mutmaßen, ob das eine Schutzbehauptung ist.
Naja. Einen rüden Umgangston haben wir im vergangenen Jahr ja auch auf ganz hoher politischer Ebene erlebt, Stichwort Georgien-Krieg, Raketenstationierung in Polen. Und was es nicht alles für verzerrte, einseitige Berichterstattungen gab; da kann man schon mal aus der Haut fahren ...
An dem Streit zwischen einem schweizer und einem deutschen Blogger lässt sich beispielhaft einiges Grundsätzliches erläutern. Für mich wäre dieser Streit es wert, als Klassiker-Fall in ein (Lehr-)Buch über Web 2.0 oder wenigstens über das Blog-Schreiben aufgenommen zu werden.
Ein paar Anmerkungen zur Bloggerehre und zu Does und Dont´s
Nun, der Streit um die mögliche Beleidigung Schröders (Ob es eine war, lasse ich mal dahingestellt sein.) ist wohl erledigt, wie ich aus dem Eintrag im xsized-Blog mit zugehörigen Kommentaren herauszulesen meine. (... hoffe ich. Es muss im Kommentar hierzu nicht wieder eine Fortsetzung geben.).
Die Auseinandersetzung um die Verwendung fremder Nachrichten und die redaktionelle Bearbeitung fremder Kommentare im eigenen Blog ist mitnichten zu Ende. Amositäten zwischen Bloggerkollegen wird es weiterhin geben, weil die Blogger unterschiedliche Ansprüche an die Qualität des Bloggens (ihres Blogs) haben, mit ihrem Blog unterschiedliche Zwecke verfolgen. Manche mögen sich auch für den Ruf ihrer Gilde und ein gewisses Niveau des Online-Journalismus einsetzen, aber auch für eine wahrheitsgemäße Berichtserstattung über Russland einerseits, die Ukraine andererseits. Es ist nicht immer leicht in jeder Wortmeldung zu jenem Streit erkennbar, ob dieser individuelle Qualitätsanspruch die Motivation für die Beteiligung an dem Streit war oder etwas anderes. Es beteiligen sich ja auch nicht nur Journalisten (Profis), sondern sich betroffen Fühlende, citizen journalists. Nach dem Lesen weiterer Einträge auf Rossijskaja Federazia erkenne ich, dass es nicht (nur) um die Qualität des Online-Journalismus geht, sondern um Moralfragen wie widersprüchliches Verhalten, Scheinheiligkeit oder Verantwortungsgefühl. Da klingt echte Antipathie mit, wo moralisches Fehlverhalten vorgeworfen wird. Da erscheint mir das Motiv-Muster: Erfolg (eines Blogs) wegen oder trotz fehlender Skrupel? - Warum?
Ich hoffe, mir bleiben derartige Anfeindungen oder öffentliche Verrisse, wie ich sie hier nachträglich teilweise nachvollzogen hatte, erspart und dass mir ehrverletzende Ausrutscher in dieser Öffentlichkeit nicht unterlaufen. - Freilich hat jeder seinen eigenen Begriff von Wertigkeit und Ehre. Die verletzte Ehre des Einen ist die Zensur für den Anderen (oder: Die Verteidigung der Ehre des Einen war der Angriff auf die journalistische Freiheit des Anderen). Man kann als Blogger sich nie sicher wähnen, niemanden zu verletzen. Aber wenn man durch Preisverleihungen öffentlich Anerkennung und mehr Aufmerksamkeit erhält, kann man sich im Umgang mit Kritikern (vielleicht gar Neidern) bewähren. Gegen aufkommende Neidgefühle bin ich auch nicht immunisiert.
Auch bin ich nicht frei von jeglichen Vorurteilen gegen Russland, (auch ein Stichwort für heftige Kontroversen in diesem Bereich der Blogoshäre), denn woher ich meine Informationen beziehe - das ist häufig schon vorgefärbt, ohne dass ich das immer erkennen kann. Derweil möchte ich erst mal bei meinem weniger emotionalen, distanzierteren Schreibstil bleiben. Das hat, denke ich, gerade auch den Vorteil, dass es mir leichter fällt, mich gegen polarisierende Vereinnahmungen zu erwehren, ohne dabei unhöflich zu werden.
Ist doch interessant, diese Vielfalt der Perspektiven in der Russland- und GUS-bezogenen Blogoshäre: Russische Blogs von Russen in Russland (Kenne keinen von dort in deutscher Sprache über Deutschland, aber Jürg Vollmer erwähnte in einem Kommentar auf dem Blog Journalist und Optimist, dass es einige im russischen LiveJournal geben soll.), von Russen in Deutschland, von Deutschen in Deutschland, von Schweizern und Deutschen in der Ukraine ... Deutsch-Russische Blogger in Deutschland gegen Deutsch-Ukrainische Blogger (aktuelles Themenbeispiel: Russland dreht die Gasleitung in die Ukraine zu.). Da sprühen schon mal die Funken... Das kann sehr unterhaltsam und lehrreich sein.
Dass die hier lebenden Russen und Ukrainer die inhaltlichen Fehler von uns Deutschen und den Schweizern über Russland, die Ukraine oder anderen ehemaligen Republiken der UdSSR korrigieren, ist doch in Ordnung. Es ist doch häufig deren Heimspiel und mein Auswärtsspiel, wenn ich Tatsachen behaupte, über die ich meine Meinung kundgeben möchte. Ich lerne dadurch zusammen mit meinen Lesern. Völkerverständigung ist doch ein akzeptables Motiv für einen Deutschen zum Bloggen, der Russland mehrfach bereiste, oder? Lernen aus Diskussionen sowieso. Es fällt nur schwerer, Korrekturen anzunehmen, wenn diese zu bitter serviert werden. Wo hört Satire (Beispiele dafür bietet das Fernsehen mit Politkabaretten wie dem Scheibenwischer oder "Neues aus der Anstalt" mit Urban Priol) auf und fängt Zynismus an? Wenn man verbal ein paar reingehauen bekommt, macht man die Deckung zu.
Ich schreibe auch über meine eigenen Erlebnisse in Russland. Da bin ich knausriger gegenüber Korrekturen Dritter, was die berichteten Tatsachen betrifft, doch auch offen gegenüber Rückmeldungen über meine Interpretationen der von mir in Russland erlebten Vorfälle, Hilfe bei der Aufklärung von Missverständnissen. Wenn es in einer Weise passiert, die mir die Chance bietet, mein Gesicht zu wahren.
Der Blogger als Zensor
Man kann dem Blogger generell keinen Vorwurf machen, wenn er manche Kommentare nicht zur Ansicht freigibt. Der (Selbst-)Zensur, der er sich (als Chefredakteur) unterwirft, müssen sich auch die Gäste unterziehen. Es gibt generell keinen Anspruch gegen den Blogger, als Kommentator zu Wort kommen zu dürfen, genauso wenig wie Leser einer Zeitung Anspruch gegen diese haben, dass ihr Brief auf der Leserseite veröffentlicht wird. Man mag aus so einer Zensur (=Ausübung des Hausrechts) seine Schlussfolgerungen ziehen - sollte aber doch nicht erwarten, dass andere ebensolche Ehrenmänner sind wie man selbst. Besser, man stellt an sich höhere Ansprüche als an andere. Dann geht man weniger frustriert durchs Leben.
Interessant ist die Frage, ob Gerichte einer Person, über die in einem Blog/Posting geschrieben wird, wie bei Printmedien einen Anspruch auf Gegendarstellung zusprechen würden, wenn die betroffene Person meint, dass sie sinnentstellend zitiert oder interpretiert worden ist oder wenn ihr Kommentar sinnentstellend redigiert worden ist. Bisher ist mir keine Gerichtsentscheidung zu dieser Frage bekannt. Einige für Blogger wichtige Gerichtsurteile sammele ich an einer Stelle dieser Website.
Kommentare zu meinen Postings müssen freilich erst meine Stil- und Etikette-Prüfung passieren, bevor sie online frei gegeben werden. Zurzeit sind Kommentare rar und jedes Gericht würde mir zumuten, dass ich aufpasse, dass in meinen Kommentaren nicht Dritte beleidigende Äußerungen geschehen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, sogar noch etwas strenger zu kontrollieren, selbst dann noch Kommentare herauszufiltern, wenn sie rechtlich nicht bedenklich sind, weil ich eben einen gewissen sachlichen Bezug zu den Postings erwarte. Und da mag es Kommentare geben, die stilistisch nicht zu meinem Eintrag passen. Dann stellt sich die Frage, ob sie noch für eine Veröffentlichung zu retten sind, indem Stilblüten beseitigt werden, ohne den Sinn der Aussagen zu entstellen. Das ist Ermessenssache.
Aber die Kommentare sollten wirklich nicht sinnentstellt werden. Im Zweifelsfalle sollte der Blogger als Chefredakteuer vielleicht doch mal den Kommentator fragen.
Wenn ich den Kommentator kenne, ihn ohne großen Aufwand kontaktieren kann, könnte ich ihn um eine Klarstellung bitten, ihm eine Anhörung anbieten, bevor ich mich entscheide, was ich mit seinem Kommentar mache. Ich würde hier mal eine E-Mail an ihn/sie anstelle eines Gegeneintrags in dessen/deren Blog [...Next]