Der Verein Berliner Journalisten gehört zum Deutschen Journalistenverband (DJV). Am 28. Februar 2006 war der Verein Berliner Journalisten Ausrichter einer Podiumsdiskussion in der Vertretung der EU-Kommission, Unter den Linden 78. Thema war die Situation der Medien unter Putin.
Ich hatte mir ein paar Notizen gemacht. Auch wenn es schon über zwei Jahre her ist, möchte ich den Inhalt der Veranstaltung hier widergeben. Damals hatte ich noch kein Blog. Und es gibt weitere Gründe. Im Herbst 2006 ist die angesehene Journalistin Anna Politkowskaja ermordert worden. Die Suche nach dem Mörder verlief lange Zeit schleppend. Weitere Morde an russischen Journalisten folgten. Das Thema halte ich weiterhin für akut.
Nun berichtete Ignaz Lozo vor knapp zwei Wochen im Russland-Blog des Nachrichtenprogramms Phoenix, http://blog.phoenix.de/russland/, dass der neue Präsident Medwedjew eine geplante Verschärfung des russischen Mediengesetzes, die schon von der Duma im April in erster Lesung angenommen worden ist, abgelehnt hat. Bravo! Dem ging ein von Medwedjew in Auftrag gegebenes Kreml-Gutachten voraus, wonach der Willkür Tür und Tor geöffnet worden wären. So hätten z.B. Zeitungen "bei wiederholter Verleumdung oder Rufschädigung" geschlossen werden können. Diese Gesetzesänderungen gehen auf die von Putin geführte Partei "Einiges Russland" zurück.
Zusammen mit seiner Äußerung während seines Besuches in Berlin Mitte voriger Woche bei Angela Merkel, dass für ihn die Fortentwicklung des russischen Rechts- und Gerichtssystems höchste Priorität hat, lässt das hoffen. Positiv stimmt ebenfalls, dass er auch dem Umweltschutz mehr Aufmerksamkeit schenken will als Putin. Aber das gehört thematisch zu einem weiteren Eintrag zum Thema erneuerbare Energien, [Professor Sadilows Traum von einem neuen russischen Energiemarkt]. - Lassen wir hier Revue passieren, was Journalisten zur Behinderung ihrer Arbeit oder der von Kollegen in Russland berichteten. Das folgende Protokoll beruht auf meinen Beobachtungen und Aufzeichnungen, die ich am 5. März 2006 abschloss.
Der DJV hat bundesweit 40.000 Mitglieder. Mit Russland hat sich der Verband bisher noch nicht groß beschäftigt.
Auf dem Podium haben vier Leute Platz genommen:
Frau G. Dornblüth, DJV – Gesprächsleiterin
Frau S. Adler – war 6 Jahre lang Korrespondentin für Radio Moskau und ist bei der Deutschen Welle.
Herr. A. Sosnowski, Journalist – ist in Kiew aufgewachsen, hat für das staatliche Fernsehen gearbeitet, z.B. für RTR, wanderte 1990 nach Deutschland aus.
Herr D. Tultschinski – Diplomdolmetscher und Übersetzer, kam zu RIA Nowosti, seit 2001 in Berlin. Verfolgt die russische und die deutsche Medien.
Dornblüth:
Im Jahre 2005 sind in Russland acht Journalisten tätlich angegriffen worden, weitere acht sind festgenommen worden und zwei sogar getötet worden. Weitere Beispiele aus anderen Jahren werden von Frau Dornblüth genannt.
Adler:
Zeitung lesen ist in Russland ein mühsames Geschäft, weil (objektive) Nachrichten und Berichte (mit Meinungsäußerungen) in den Artikeln vermischt sind. Man weiß nicht, wann der Autor seine persönliche Meinung wiedergibt.
In Moskau gibt es unendlich viele Radiosender.
Immer wichtiger für die journalistische Tätigkeit wurde die Internetrecherche.
Sosnowski:
Über Satellit kann man in Deutschland über 30 russische Fernsehprogramme empfangen. Aber es gibt überhaupt keine Vielfalt in ihren Nachrichten. Überall die gleichen Meldungen und Bilder. Das kann kein Zufall sein. Es ist offensichtlich, dass dahinter Zensur steht.
Er hat mal als Korrespondent in Ex-Jugoslawien gearbeitet. Er wollte Tschernomyrdin interviewen. Vorneweg ist ihm gesagt worden, welche Fragen er zu stellen hat und wie. Andernfalls, wurde schon angekündigt, würden die Antworten für die Ausstrahlung herausgeschnitten.
Schlussfolgerung: Das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Adler:
Nennt weiteres Beispiel: die Kältewelle in diesem Winter in Russland. Die drei wichtigsten TV-Sender brachten jeden Tag Berichte aus verschiedenen Städten. Jeden Tag kam eine andere Stadt dran. Aber von Sender zu Sender jeweils immer die gleiche Berichterstattung, mit den gleichen Bildern. Schlussfolgerung: Das ist so von oben gewollt. Gleichschaltung. Die Medien sind nicht mehr dazu da, Politik zu kontrollieren, sondern nur Werkzeug der Politik.
Aber was heißt das für das Land?
Die Politiker haben in der Folge aber auch keine Möglichkeit mehr, Realität zu erfahren. Frau Adler hält diese Medienpolitik für unklug. Das wird später einmal herb auf die Politiker zurückschlagen. Sie erinnert an die DDR-Verhältnisse, die Ausblendung der Realität durch die DDR-Führung.
Eine kritische Putin-Berichterstattung findet praktisch nicht statt. Es findet eine unglaubliche Entpolitisierung im Fernsehen statt. Also: statt Politmagazine Spielshows.
In den Zeitungen gibt es noch kritische Berichterstattungen. Aber aber das Medium Zeitung spielt im Lande praktisch keine Rolle, nur in Moskau und vielleicht noch in St. Petersburg und Jekaterinburg.
Tultschinski:
Meldet sich zu Wort und macht auf mich den Eindruck, als möchte er beschwichtigen, entdramatisieren, verharmlosen. Das sind deutlich andere Töne als von seinen VorrednerInnen. Ich stelle mir gerade vor, dass der russische Geheimdienst in diesem Raum mit anwesend ist und Tultschinski das sehr bewusst ist. Ich habe das Gefühl, er traut sich nicht, offen zu sprechen. Er ist auch am wenig konkretesten in seinen Äußerungen.
Er wird aus dem Publikum gefragt: Wie fanden Sie die Berichterstattung zu Beslan?
Da hat er ein paar Schwierigkeiten, sich zu erklären. Er stammelt, stottert, windet sich.
Sosnowski:
Kommt noch mal von allein, obwohl nicht er dazu gefragt worden ist, auf Beslan zu sprechen. Er ist offensichtlich mutiger mit dem, was er hier sagt. Er sagt, auf der Liste der Vereinigung „Reporter ohne Grenzen“ steht Russland auf dem 138. Platz, was Angriffe auf Journalisten betrifft. Es laufen zwar Gerichtsprozesse zur Ermordung von Journalisten. Aber die kommen einfach nicht voran. Scheinbar besteht kein Interesse an der Aufdeckung dieser Straftaten. Sosnowski spricht auch den Karikaturenstreit an, der im Februar sich von Dänemark über viele Länder zog. Ungeachtet der Proteste in der islamischen Welt gab es doch in Russland einige Karikaturisten, die sich davon nicht einschüchtern lassen haben. Er teilt als Beispiel unter dem Publikum Kopien einer Karikatur aus, die umgeben ist von einem Kreuzworträtsel. Aber sämtliche Karikaturisten wie dieser hier sind von ihrer russischen Zeitung daraufhin entlassen worden.
Tultschinski:
Er greift die Äußerungen von Sosnowski an. Wie könne der es wagen, verschiedene Tatsachen oder Sachverhalten vor diesem deutschen Publikum in einen Zusammenhang zu bringen, dass es einen falschen Eindruck erhalten müsse.
Also: Sosnowski spricht erst von der fehlenden Pressefreiheit, dann spricht er die Ermordung von Journalisten an. Unerhört findet das Tultschinski.
Ich glaube aber, dass die Mehrheit im Publikum erkennt, um was es Tultschinski geht und dass er anscheinend ein recht regierungsfreundlicher Journalist ist. Mir ist bekannt, das Ria Nowosti ja ein Sprachrohr der Regierung ist, als Nachfolger der größten staatlichen russischen Presseagentur, die es schon zu Breschnew-Zeiten gab.
Hinter mir sitzt eine Frau um die 30, die sich zunehmend aufregt. Sie stellt sich mit deutschem Namen vor. Vielleicht ist sie ja Russlanddeutsche, vermute ich. Sie scheint hier aber Tultschinski zu unterstützen. Sie schreibe für die Nesawisimaja Nowosti und sie kennt viele Journalisten in Russland, vor allem viele junge Journalisten. Vor allem sind die für Zeitungen tätig, aber auch für Radiosender. Und denen wurde nicht aufoktroyiert, was sie zu schreiben hätten.
Ihr geht es wohl darum, die Verhältnisse richtig zu rücken. Also: Was Sosnowski erzählt, sind vielleicht (, wenn die Wahrheit nicht bestritten wird, was für mich nicht deutlich erkennbar wird,) Einzelfälle. Aber die Mehrheit der Journalisten könne frei bestimmt arbeiten.
Auf sie (die hinter mir sitzt) reagiert Frau Adler:
Es sind vor allem Fälle in der Provinz, wo die Journalisten mit Drohungen und Verleumdungsklagen überzogen werden, wenn sie nicht das tun, was ihnen gesagt wird. "Wenn Sie die Freiheit ausreichend finden, haben wir vielleicht ein unterschiedliches Verständnis von dem, was Pressefreiheit ist." Ich höre, wie sich die Dame hinter mir nach diesen Worten wieder aufregt.
Jetzt meldet sich aus dem Publikum eine andere (ich nehme an: deutsche) Journalistin. Sie hat selbst Behinderungen erlebt. Man ließ sie an der Grenze nicht einreisen, als man erfuhr, worüber sie Bericht erstatten wollte. Solche Berichterstattung war nicht erwünscht. Sie musste umkehren.
Jetzt meldet sich aus dem Publikum Herr Franke von Amnesty International. Er gibt sein Statement ab. Es gäbe in Russland und Deutschland unterschiedliche Verständnisse von der Freiheit. Der russische Journalist identifiziert sich doch mit seiner Zeitung, mit seiner Agentur, bei der er Arbeit hat. Und blendet Kritik, die gegen sie geübt wird, aus.
Ja, denke ich, da dürfte was Wahres dran sein. Ich kann eine solche Mentalität nach meinen eigenen Erfahrungen bestätigen. Es ist diese Art Brüderlichkeit, über die ich erst vor wenigen Tagen einen Artikel auf www.007-berlin.de gelesen habe, die der Deutsche so nicht kennt. Diese Brüderlichkeit hat an sich, dass man die Leute, die einem nahe stehen, mit denen man sein Schicksal teilt, nicht kritisiert. Darauf kommt die Diskussionsrunde auch noch zu sprechen…
Adler (auf eine Frage aus dem Publikum antwortend):
Ja, die Akkreditierungsanforderungen an Journalisten sind in letzter Zeit gestiegen. Man kommt oft gar nicht mehr an den Ort heran, über den man berichten will. Der wird von Sicherheitskräften vor Journalisten abgeschirmt. Der Journalist, der da durch will, muss sich Fragen gefallen lassen, was er berichten will, wohl auch, wie, in welcher Form. Es kommt zu erheblichen Behinderungen der journalistischen Tätigkeiten (journalistische Ermittlungen, Interviews vor Ort).
Frau Adler sagt, dass sie aber nicht immer nur negative Erfahrungen sammelte. Als Beispiel für eine positive Erfahrung nannte sie einen Besuch in Archangelsk. Sie wollte dort aus einem Gefängnis berichten. Da hat man ihr angeboten, selbst auszuwählen, aus welchem von mehreren Gefängnissen sie berichten will. Sie konnte dann wohl auch in dem Gefängnis frei arbeiten. Sie sagt, es hänge eben doch oft viel von Individuen ab, von einzelnen Menschen. Auch auf ihrer Seite der Journalisten gäbe es ja korrupte Menschen. Es gibt in der Bevölkerung die weit verbreitete Meinung über die Berichterstattung: "Die lassen sich kaufen, um der Obrigkeit genehme Berichte zu liefern." Hinter mir die Journalistin ist hörbar in ihrer Ehre gekränkt und regt sich wieder auf.
In Russland ist im Allgemeinen schon Kritik verpönt, meint Frau Adler.
Sosnowski (daran anknüpfend):
Wenn man ORT oder RTR-Fernsehen schaut, bekommt man vorgekaute Nachrichten, gleichgeschaltet, wertlos. Ihn kotzt das an.
Er hat auch in Großbritannien erlebt, dass man dort nicht wollte, dass er Bericht erstattet (Worüber, habe ich nicht mitbekommen. Vielleicht über einen russischen Staatsbesuch?!). Man hatte ihn dort zwei Tage lang observiert.
Die russischen Nazis können ihr faschistisches Gedankengut im Internet frei verbreiten. Da kann er gleich 20 Webseiten aufzählen. Auch das ist russische Presse-"Freiheit". Das ist pervers.
In Russland gibt es keine reifen Bedingungen für einen unabhängigen Journalismus.
Dornblüth:
Es gibt in Russland auch keine objektive Berichterstattung. Welche Folgen hat das langfristig für Russland (an Adler)?
Adler:
Wenn wir über Pressefreiheit reden, müssen wir über Tschetschenien reden. Dieses Thema ist aber in Russland Tabu.
Die russische Politik kann es nicht verhindern, dass dazu Berichterstattung erfolgt. So werden Reisen für ausländische Journalisten dorthin organisiert. Aber dabei bekommen diese Ausländer nur das zu sehen, was sie zu sehen bekommen sollen (nicht: was [...Next]