Was ist der Ursprung des Wortes "Kosak"?
Eine Theorie, die Philip Marsden in seinem Buch "The Spirit Wrestlers" (übersetzt ins Deutsche: "Im Land der Federn - Eine kaukasische Reise", erschienen bei Klett Cotta 2001) einen ihm empfohlenen Kosakenexperten in Majkop, Viktor Gregorijewitsch, erzählen lässt, geht wie folgt:
"Kosak" stammt von einem alten iranischen Begriff mit der Bedeutung "weißer Hirsch" ab. "sak" oder "sag" war das iranische Wort für Hirsch. Die alten Saka-Völker aus Zentralasien hatten den Hirsch angeblich zu ihrem Totem erwählt. Gruppen von jungen Männern durchstreiften unter dem Banner des Hirsches die Steppe. Weiße Hirsche waren das Standardgeschenk vieler zentralasiatischer Völker an den chinesischen Hof. Es hat Verbindungen zwischen Kosaken und Skythen gegeben. 1898 waren Überreste von dreihundertsechzig geopferten Pferden in der Umgebung eines Grabmals (einem Kurgan) in Majkop gefunden worden. Man fand Vasen, Schilde, Spangen, die mit phantastischen Tiersymbolen verziert waren. Eines der Tiermotive war der prachtvoll gearbeitete, grinsende Pazyryk-Hirsch, mit langgezogenen Geweihen. Man sah ihn auf Brustpanzern und Gürtelschnallen. Auch war er auf blassem Filz gestickt. Man hatte auch Kopfschmuck mit Geweihen aus Gold gefunden. Damit sollten sich die Pferde in der anderen Welt in Hirsche verwandeln können.
Marsden meint schließlich auch persönlich, der Hirsch sei doch das perfekte Symbol für die Kosaken: schnell, kämpferisch und unübersehbar männlich.
Im April 2008 weilte ich einige Tage lang in Rostow am Don. Da erfuhr ich viel über die Geschichte und das Leben der Donkosaken, die hier in der Region seit Jahrhunderten zu Hause sind.
Rostow
Rostow zieht sich 40 km am Don entlang. Es erstreckt sich über sieben Hügel (wie auch Rom und Moskau, weiß Olga, die mich an einem Tag begleitet, zu erzählen). Das Rostower Gebiet ist in 40 Kreise eingeteilt. Es gibt etwa 20 verschiedene Nationalitäten, z.B. Armenier, Türken, Tataren. Die Armenier hier sind nicht aus Armenien zugewandert, sondern aus der Ukraine, von der Krim aus, undzwar im 18. Jahrhundert, auf Bitte der Zarin Ekaterina. Ebenso die Tataren.
[Aktualisierung, 28.03.2015 Infolge des Bürgerkrieges in der Ostukraine seit April 2014 und Anschläge und Morde durch marodierende faschistische Truppen, die auch über Artillerie verfügen und wegen des Einberufungsbefehls an Männer aus Kiew kamen seit 2014 viele Flüchtlinge nach Rostow. So gibt es jetzt hier große Flüchtlingslager.]
Während in russischen Familien ein oder zwei Kinder Normalität sind, werden armenische oder türkische Familien größer, drei, vier oder fünf Kinder, bis zu sieben Kinder. Deswegen gibt es hier keine Sorgen um ein Schrumpfen der Bevölkerung. Hintergrund ist der in der Russischen Föderation seit einigen Jahren sich stetig vollziehende Rückgang der Population. Aber den gibt es eben nicht hier.
Um Rostow herum gibt es fünf große armenische Siedlungen. Eine davon ist Chaltui, etwa zehn Kilometer von Rostow entfernt. Das ehemalige armenische Gebiet nennt man hier auch Mesnien, nach dem hier geborenen Rotgardisten Mesnikow (bzw. Mesnijan), der ein Lenin-Anhänger war. Ein anderer interessanter Mensch in der Gegend war Sarjan. Mit einer einheimischen Begleiterin fahre ich gerade die nach ihm benannte Straße entlang, durch den armenischen Teil der Stadt. Sie erklärt mir: Er war Maler, malte die Landschaften des Rostower Gebiets und ist sehr populär unter den Armeniern. Die haben auch heute gute Kontakte zu Leuten ihrer Nationalität in Armenien, der Ukraine und auch in Italien. Der wohl bekannte Maler Aiwasowskij, dessen Bilder u.a. im Russischen Museum in St. Petersburg ausgestellt sind, wurde in Feodossia auf der Krim geboren und gehört zu der Gruppe ukrainischer Armenier. Eigentlich hieß er Aiwasjan. Eine typische Namensendung für Armenier: -sjan.
[Aktualisierung 28.03.2015: Da die Krim nun wieder zu Russland gehört, wurde im März 2015 beschlossen, dass die Gemälde von Aiwasowski aus St. Petersburg zur Krim gebracht werden sollen. Es gibt in seiner Heimatstadt Feodossija im Osten der Halbinsel ein Aiwasowski-Museum.]
Bekannt ist mir der frühere Schach-Weltmeister (1963-1969) Tigran Petrosjan. Der Name ist wohl ebenso populär wie Sarjan. Ich sah 2005 Aiwasowskijs Bilder in einer Sonderausstellung im Kriegs-Marinemuseum in St. Petersburg in der alten Börse, in der damals auch einige Bilder von ihm erstmals öffentlich gezeigt wurden.
Nach Passieren der Brücke, die auch wieder für die frühere Grenze zwischen armenischem und russischen Gebiet steht, kommen wir auf einen Prospekt in der Siedlung Alexandrowka. Vor dem 2. Weltkrieg lebten hier 3.500 Einwohner.
Im 17. Jahrhundert gab es in der Nähe von Rostow sehr viele kleine kosakische Siedlungen. Die Siedler ernährten sich viel vom Fischfang und daher gab es viele Siedlungen entlang des Dons. Der Zar Alexander reiste einst hier in der Gegend durch und seitdem heißt die aus verschiedenen Siedlungen vereinigte Ortschaft Alexandrowka.
Zu den Bräuchen der Donkosaken gehörte es, Fremde bei sich aufzunehmen, die aus der russischen Leibeigenschaft geflohen waren. Alle in ihrer Gemeinschaft waren frei. Zar Peter der Große entsandte seine Truppen hierher, um entflohene Leibeigene wieder einzufangen und nach Zentralrussland zurückzubringen. Und so kam es zum Krieg zwischen diesen Truppen und den stolzen Donkosaken. Die Kosaken gewannen manche Schlacht, aber nicht den Krieg gegen das Russische Reich. Deswegen flüchteten dann viele kosakische Krieger in die Türkei und blieben Gegner des Zaristischen Reichs. Sie entsagten auch ihrer am Don gelebten Traditionen. Das war im 18. Jahrhundert. Erst in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kehrten sie zurück in das Donland. 1919 wurden die Kosaken hier in ihrer Heimat von den Anhängern der Bolschewiki, also den Rotgardisten, verfolgt und ermordet. Die verfolgten (auch wohlhabenden) Kosaken waren Weißgardisten. - Im Geschichtsunterricht der Schule lernte ich früher, dass die Weißgardisten die Bösen, die Reaktionäre waren...
Nach Ende des 2. Weltkriegs wurden viele von den Gemeinden hier in die Stadt Rostow eingemeindet.
In einem Kapitel schreibt der eingangs von mir zitierte Engländer Philipp Marsden über seine Erlebnisse, als er sich an dem Städtischen Theater in Rostow, das von oben die Form eines Traktors hat, aufhält: Hier trafen sich in einem Raum des Theaters regelmäßig Frauen einer kleinen Religionsgemeinschaft, die Duchoborzen (Geisteskämpfer). Er hatte Anhänger dieser Gruppe gesucht und auf einen Tipp hin hier schließlich gefunden. Eine andere Minderheit sind die Molokanen (Milchtrinker), aus denen die Duchoborzen hervorgingen. Auf Wikipedia kann man sich einen schnellen Überblick über diese Glaubensgemeinschaften verschaffen. Das erwähnte Theater war ein Symbol des Sozialismus und der Russischen Revolution. Aber die Besucher erkannten die Form des Traktors. Ob das von den Architekten so schon gewollt war, daran äußert meine Begleiterin Olga Zweifel. Kurz hinter dem Theater beginnt die armenische Stadt Nachitschewan, die mit Rostow 1929 vereinigt wurde. Aber hinter dieser Stadt beginnt - genauer: begann - das Gebiet der Kosaken. Ein anderes Theater in Rostow sieht übrigens aus wie ein Klavier. Man nennt das Gebäude auch "Grend Piano".
Rostow ist eigentlich keine Stadt der Kosaken, wenn auch hier jetzt viele Kosaken leben, denn die Stadt wurde einst in diese Heimat der Kosaken hineingebaut, zum Schutze von Handelswegen. Gegründet wurde die Stadt 1749. Die Kosaken bevorzugten Inseln und Wälder für ihre Siedlungen, die für Fremde schwer zugänglich sein sollten. Ein Beispiel für eine kosakische Siedlung auf einer Insel ist Rostowskaja.
Meine ukrainische Freundin in Deutschland, deren Opa ein Kosak war (Er wurde 104 Jahre alt, erlebte die Oktoberrevolution.) meinte vorgestern zu mir, heutzutage gibt es keine echten Kosaken mehr. Die, die ich letztens zu Ostern in Warnemünde am Strom mit Akkordeon musizieren sah, das sind alles nur Künstler. Aber doch hat vor kurzem ein Bekannter von ihr sich in Russland oder der Ukraine einen kosakischen Adelstitel zurückerstritten, der seinem Vorfahren, einem Dworjanin (dwor=Hof; also ein Höfling), in sozialistischen Zeiten aberkannt worden war. Und heute las ich auf www.sanktpetersburg.ru, dass Kosakenverbände im Kaliningrader Gebiet die Grenztruppen dabei unterstützen, die Grenze zu sichern. - Man hat dort nämlich jetzt die Kontrollen verschärft und die Sperrzone für Ausländer ausgeweitet. - Also muss es sie doch noch geben, die echten Kosaken...
Der ganze Artikel stand zuerst, in zwei Teilen, auf meinem Blog auf www.freitag.de, dem Online-Auftritt der Wochenzeitung "Der Freitag". Dort gab es eine Beschränkung für ein Posting auf max. 20.000 Zeichen. Diesen Artikel teilte ich daher in zwei Teile Inzwischen nicht mehr erreichbar. Ursprüngliche Adresse:
http://www.freitag.de/community/blogs/domino/die-donkosaken-teil-1
und hier
http://www.freitag.de/community/blogs/domino/die-donkosaken-teil-2
Dort konnte ich Bilder zum Artikel nicht von meinem PC hochladen. Ich hatte Platzhalter für Bilder dort eingefügt. Aber hier habe ich inzwischen diese Bilder hochgeladen. Sie liegen im Ordner "Rostow-Gebiet".