Wer sich seine Russland-Reise (teilweise) anstatt von einem deutschen Reiseveranstalter selbst organisiert, indem er oder sie selbst direkt bei russischen Guides oder Reiseveranstaltern bucht oder bei Deutschen in Russland, die hier geheiratet haben - es gibt wirklich nicht wenige Websites in deutsch oder englisch, die aus Russland betreut werden und bei denen man die für Deutschland typischen Angaben zur Anbieterkennzeichnung suchen kann -, mag sich davon eine Beschleunigung der Vorbereitung versprechen und Kosteneinsparungen, insbesondere bei der Unterkunft, wegen der Kompliziertheit der Zusammenstellung der individuellen Reiseroute mit Bahn und Bus und den Visakosten. Und vielleicht macht man das, weil schon die russische Freundin, die befreundete Familie oder der potentielle Geschäftspartner, den man auf einer Messe kennen gelernt hat, vor Ort die für das Visum erforderliche Einladung beschafft.
In meiner Praxis in einer Incoming-Agentur in St. Petersburg gab es aber auch immer mal wieder Reisende, die sich zwar eine Einladung beschafft haben, aber denen keine Registrierung von dem von ihnen angegangenen Reisebüro organisiert worden war. Sie sind in solchen Fällen nicht über die Registrierungspflichten aufgeklärt worden. Es kann dann einigen Ärger mit der Polizei geben. Darüber will ich später noch erzählen, zum Thema Visum. -
Reiseveranstalter und auch Reisebüros haben weitgehende Informationspflichten in Deutschland, in der EU, denn das Gelingen einer Reise hängt von vielen Faktoren ab und dabei geht es oft um weit mehr als die bloßen Kosten des Reisepakets. Insofern spricht vieles dafür, sich Reiseleistungen in Deutschland zu beschaffen. Aber nicht jeder hat ein hohes Sicherheitsbedürfnis speziell für Russland: reist wiederholt dorthin, arbeitet dort, spricht die Sprache, kennt dort Anwälte.
Auch in Russland gewähren Gerichte Reisenden Rechtsschutz. Es gibt ein modernes Zivilrecht und einen beachtlichen Verbraucherschutz. Nachfolgend ein Beispiel dafür. Nur leider kommt es nicht selten in einer unteren Instanz zu klaren Missachtungen der Gesetze. Da muss sich der Verdacht aufdrängen, dass Gerichtsentscheidungen von beklagter Seite gekauft wurden. - Wenn Rechtsschutz in Deutschland ausscheidet und man eine Klage in Russland erwägt, sollte man von vornherein bereit sein, über die Instanzen zu gehen.
Mit dem hier gezeigten Beschluss wende ich mich die nächste Zeit mal wieder dem russischen Recht zu. Ich habe noch ein paar Gerichtsentscheidungen zum russischen Reiserecht, die ich in meinem Blog vorstellen möchte.
Anmerkung zum nachfolgend dargestellten Gerichtsbeschluss: OOO ist die Abkürzung für die GmbH nach russischem Recht.
Time-Sharing-Vertrag über Immobilie im Ausland, Verletzung von Informationspflichten nach russischem Verbraucherschutzrecht bei Vertragsabschluss, zertifizierungspflichtige touristische Tätigkeit
Beschluss des Moskauer Städtischen Gerichtes vom 05.09.2002
(Auszug)
А. hat sich an das Gericht mit der Klage gegen die ISline OOO der Gesellschaft „Rock Worldwide Ltd.“ wegen der Kündigung des zwischen ihr und der erwähnten ausländischen Gesellschaft geschlossenen Vertrages vom 17.02.2000 gewandt. Nach diesem Vertrag sollten A gegenüber Dienstleistungen erbracht werden, die mit der Unterbringung in Appartements von Hotelklubs auf den Kanarischen Inseln (Spanien) verbunden sind, und zwar im Zeitraum von einer Woche in jedem Kalenderjahr. In dem Vertrag waren auch die Einziehung der von A nach diesem Vertrag bezahlten 1.000 US-Dollar sowie 30 US-Dollar für die Übergabe des genannten Betrags an die Bank geregelt, sowie der Ersatz des moralischen Schadens i.H.v. 2 .000 Rubel.
Zur Begründung ihrer Forderungen hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie den Vertrag durch ISline GmbH unter der Einwirkung des Werbungsdrucks abgeschlossen hatte. Nach Abschluss des Vertrages stellte sich heraus, dass sie die nach diesen Vertrag dargebotenen touristischen Dienstleistungen nicht nutzen konnte. Deswegen hat sie den Antrag auf Kündigung des Vertrages und Rückgabe der gezahlten Geldes gestellt. Die Beklagte lehnte dies ab.
Durch den Fernbeschluss des Tschertanow-Bezirksgerichtes Moskaus vom 01.06.2001 wurde der Vertrag für nichtig erklärt und die Gesellschaft "Rock Worldwide Ltd." verurteilt, an А. den Betrag von 990,67 USD in Rubel mit Wertstellung zum Tag der Zahlungsausführung zu zahlen. Außerdem wurde A. ein Schadensersatz in Höhe von 200 Rubel zugesprochen. Schließlich hat die Beklagte auch die Gerichtsgebühr zugunsten des Staates in Höhe von 981 Rubel, 81 Kopeken zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
In der Revisionsinstanz wurde die Akte nicht erörtert. Der stellvertretende Vorsitzende des Obergerichtes der Russischen Föderation hat im Protest die Frage über die Aufhebung des Fernrechtsspruches gestellt. Das Präsidium des Moskauer städtischen Gerichtes hat am 05.09.2002 den Protest mit nachfolgender Begründung stattgegeben.
Vom Gericht wurde festgestellt, dass bei dem Abschluss des Vertrages mit А. über die erwähnten Dienstleistungen die Rechte der A. auf das rechtzeitige Erhalten der notwendigen und glaubwürdigen Informationen über die Dienstleistungen, die die Möglichkeit ihrer richtigen Wahl gewährleisten, verletzt worden waren. Deswegen war von der Klägerin gerade der Antrag auf die Kündigung des Vertrages und die Rückgabe der bezahlten Geldmittel gestellt worden.
Die Pflicht des Herstellers (des Auftragnehmers, des Verkäufers) rechtzeitig dem Konsumenten solche Informationen zu gewähren ist im Artikel 10 des Gesetzes der Russischen Föderation vom 07.02.1992 Nr. 2300-I „Über den Schutz der Rechte der Konsumenten“ geregelt. Nach Punkt 1 des Artikels 12 dieses Gesetzes hat ein Kunde, dem als Konsumenten bei Schluss eines Vertrages nicht unverzüglich die Möglichkeit eingeräumt wird, Informationen über die Ware (die Arbeit, die Dienstleistung) zu bekommen, das Recht, vom Verkäufer (Auftragnehmer) Schadenersatz zu verlangen für den Schaden, der durch
das unbegründete Abweichen gegenüber der vertraglichen Vereinbarung verursacht worden ist. Soweit der Vertrag abgeschlossen worden ist, hat der Konsument das Recht, den Vertrag in einen vernünftigen Zeitraum zu annullieren und Rückgabe des für die Ware bezahlten Betrags und Erstattung anderer Schäden zu fordern.
Das Gericht der ersten Instanz hat diese Norm, die der Anwendung bei den festgestellte Umständen unterliegt, nicht angewandt und die Höhe der zugunsten der Klägerin festgesetzten Beträge zu niedrig angesetzt, indem es sich auf den Artikel 32 des erwähnten Gesetzes stützte, der dem Konsumenten das Recht zuspricht, den Vertrag über die Ausführung einer Arbeit (Dienstleistung) jederzeit zu annullieren, aber dem Auftragnehmer ein Nutzungsentgelt für die erbrachten Leistungen bis zum Zeitpunkt des Zugangs der Benachrichtigung über Kündigung des Vertrags zuspricht.
Die falsche Anwendung der Normen des materiellen Rechts hat zum nur unvollständigen Ersatz des Schadens, der der Klägerin infolge der schuldhaften Handlungen der Beklagten entstanden ist, geführt.
Die Höhe der Kompensation des immateriellen Schadens ist vom Gericht auch ohne Berücksichtigung der Forderungen des Gesetzes festgesetzt worden. Die Klägerin hat den ihr entstandenen immateriellen Schaden mit 2.000 Rubel bewertet. Unter Verletzung des Teils 4 des Artikels 197 BPG RSFSR hat das Gericht im Beschluss die Motive nicht aufgeführt, nach denen es diesen Betrag auf 200 Rubel herabgesetzt hatte, und entsprechend den Forderungen der Artikel 151, 1101 BGB Russischer Föderation die
Stufe der Schuld des Schadenverursachers und den Charakter der moralischen Leiden der Klägerin unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände, unter denen der Schaden verursacht war, nicht gewürdigt.
Die Schlussfolgerung über die Befreiung der ISline OOO von der Verantwortung und die Niederlegung der Pflicht der Rückgabe der Geldmittel und Kompensation des immateriellen Schadens auf die Gesellschaft «Rock Worldwide Ltd.» motivierte das Gericht dazu, den Vertrag auf die touristischen Dienstleistungen mit dieser Gesellschaft als abgeschlossen anzusehen; die Geldmittel nach dem Vertrag sind auf ihr Konto eingegangen. Diese Schlussfolgerung des Gerichts geht indessen fehl, da sie nicht auf den Normen des materiellen Rechts gegründet ist.
Aus der Akte ist ersichtlich, dass nach dem Vertrag vom 17.02.2000 der A. als touristisches Produkt die Rechte auf die Erholung in den Hotelklubs, die auf den Kanarische Inseln (Spanien) gelegen sind, verkauft wurden. Die Tätigkeit zur Realisierung des touristischen Produktes – d.h. der Reiseveranstaltung und Reisevermittlung – durfte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf dem Territorium der Russischen Föderation nach Artikels 5 des „Föderalen Gesetzes vom 24.08.1995 Nr. 132-FZ "Über die Grundlagen der touristischen Tätigkeit in der Russischen Föderation" aufgrund der speziellen Erlaubnis – d.h. der Lizenz – verwirklicht werden. Die gegebenen Arten der Tätigkeit unterliegen auch heute noch der Lizenzierung (Art. 17 des Föderalen Gesetzes vom 08.08.2001 Nr. 128-FZ "Über die Lizenzierung der einzelnen Arten der Tätigkeit" (in der Fassung vom 21.03.2002)).
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Anmerkung. vom "Konsultant Plus", www.konsultant.ru:
Im offiziellen Text des Dokumentes ist offenbar ein Fehler aufgetreten: das Föderale Gesetz "Über die Grundlagen der touristischen Tätigkeit in russischer Föderation" Nr. 132-FЗ ist am 24.11.1996, und nicht am 24.08.1995, verabschiedet worden.
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Die Lizenz zur Ausübung der gewerblichen Tätigkeit auf dem Gebiet des internationalen Tourismus, die das Recht zur Reiseveranstaltung und Reisevermittlung gewährt, war der ISline GmbH ausgestellt worden und diese führte die entsprechenden Tätigkeiten aufgrund des Agentenabkommens mit der ausländischen Gesellschaft "Rock Worldwide Ltd." aus.
Diese ausländische Gesellschaft übte keine unternehmerische Tätigkeit auf dem Territorium der Russischen Föderation aus. Sie befindet sich außerhalb des
Geltungsbereichs der Regelungen über das Recht zur Ausübung der lizenzierten Art der Tätigkeit, in deren Rahmen der Klägerin das touristische Produkt verkauft worden war. Daher verfügt sie nicht über ein Recht zur Realisierung des touristischen Produktes in der Russischen Föderation. Alle Handlungen, die mit der Suche des Kunden, der Werbung für das angebotene touristische Produkt, der Erledigung des Geschäftes und dessen Bezahlung verbunden sind, wurden nach den Feststellungen des Gerichts auf dem Territorium der Russischen Föderation von der ISline GmbH ausgeführt, die in die direkten Beziehungen mit dem Konsumenten eingetreten ist. Der Charakter der Wechselbeziehungen zwischen der vorliegenden Organisation und der ausländischen Gesellschaft hat für den betrachteten Fall keine rechtliche Bedeutung.
Gemäß Teil 4 Artikel 9 des föderalen Gesetzes "Über die Grundlagen der touristischen Tätigkeit in der Russischen Föderation" haften bei dem Vordringen des touristischen Produktes der Reiseveranstalter und das Reisebüro für die Glaubwürdigkeit der Informationen über das touristische Produkt nach der von der Gesetzgebung der Russischen Föderation festgelegten Ordnung.
Die Pflicht, dem Konsumenten rechtzeitig eine solche Information zu gewähren, ist, wie oben ausgeführt wurde, auch vom Artikel 10 des Gesetzes der Russischen Föderation "Über den Schutz der Rechte der Konsumenten" vorgesehen. Bei der Untersuchung des Streitfalles musste sich das Gericht nach den oben genannten rechtlichen Normen richten.
Das Präsidium des Moskauer städtischen Gerichtes hat den Fernbeschluss des Tschertanow-Bezirksgerichtes Moskaus aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten gerichtlichen Betrachtung zurückverwiesen.
Quelle:
Consultant.ru
Übersetzung: Jörg Schäfer
Vielen Dank an dieser Stelle an Anna und Vlad für ihre Hilfe bei der Übersetzung.
Der im oben dargestellten Beschluss erwähnte Artikel 151 des Russischen Zivilgesetzbuches lautet:
"Artikel 151. Kompensation für moralischen Schaden
Wenn moralische Schäden (physisch oder menthal erlitten) einem Bürger zugefügt wurden durch Handlungen, welche seine persönlichen nichtmateriellen Rechte verletzten oder die andere ihm zugeordneten nichtmateriellen Werte missachten oder in Fällen, die anderweitig rechtlich explizit geschützt sind, darf ein Gericht dem Verletzenden die Pflicht zur Zahlung einer Komensation für solche Schäden auferlegen.
Zur Ermittlung der Höhe der Kompensation für moralische Schäden soll das Gericht den Grad der Verfehlung durch den Verletzenden und andere relevante Umstände in seine Betrachtungen mit einbeziehen. Das Gericht muss auch den Grad der physischen und menthalen Verletzungen, die mit den individuellen Eigenheiten der Person verbunden sind, die verletzt worden ist, berücksichtigen."
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