Über das russische Visum ist schon viel geschrieben worden - ein hart umkämpfter Begriff bei der Suchmaschinenoptimierung! Aber darf denn in einem Blog, der sich nach Russland reisenden Individualisten widmet, dieses Thema fehlen?
Nein, ich muss das Thema auf meine Informationsansprüche zuschneiden. Im Folgenden versuche ich die Thematik systematisch anzugehen. Je nach den konkreten Umständen der von Ihnen geplanten Reise werden Sie nicht alle Details interessieren. Sie sollen schnell erkennen können, was für Sie relevant ist. Ich gehe mit meinen Erläuterungen vom Allgemeinen zum Konkreten.
Teil 2 - Die Privateinladung
Teil 3 - Russisches Visum selbst beschaffen
Übersicht
1. Visum oder Visa - der Begriff
2. Visumpflicht hin und Visumpflicht her - Politische Hintergründe
3. Pauschalurlaub, Geschäftsreise oder Individualreise?
3.1. Visum für Pauschalreisende
3.2. Visa für Individualisten
3.3. Geschäftsvisa/Businessvisa
3.4. Visa für Expatriates
3.5. Visa für die weltgrößten Sportereignisse
4. Unterscheidung nach Anzahl der möglichen Ein- und Ausreisen mit demselben Visum
5. Unterscheidung nach Benutzungsfristen für die Visa
6. 3-Tage-Visum
7. Ausnahmen von der Visumpflicht
8. Kindervisum
9. Unterscheidung nach Absender oder Aussteller der Einladung
10. Unterscheidung danach, ob das Visum im Heimatstaat zu beantragen ist oder ob im Einreiseland (visa on arrival)
11. Das elektronische Visum
12. Die Reiseroute im Visum
Es gibt ab und zu Änderungen bei den russischen Visabestimmungen.
Nach Änderungen bei der Visumerteilung bleiben erfahrungsgemäß immer einige Reisebüros und Reiseveranstalter auf der Strecke, passen nicht (zeitnah) die Informationen darüber an. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Sie auf Websites von touristischen Dienstleistern mit Angeboten zu Russland falsch informiert werden.
Das ist der Vorteil von Blogs - wenn die Artikel automatisch mit einem Datum versehen werden, lassen sich vom Leser schon Rückschlüsse ziehen, dass Informationen möglicherweise nicht mehr vollständig aktuell sind. Die Bewertung der Aktualität fällt schwerer, wenn Informationen nicht mit einem Datum ihrer Veröffentlichung versehen werden, was auf Seiten von Reisebüros überwiegend der Fall ist.
[Ergänzung, 22.04.2016: Die Artikel dieses Blogs werden immer wieder verbessert. Das Blog ist aber so eingestellt, dass sich damit nicht das Datum ändert; es zeigt die Erstveröffentlichung des Artikels. Die Ergänzungen werden hier gezeigt, es sei denn Orthografiefehler oder Stilistik des Textes werden korrigiert.]
[Aktualisierung 21.01.2013:] Zuletzt gab es Änderungen sowohl an russischen Konsulaten in Deutschland als auch an deutschen Konsulaten in Russland zum Jahreswechsel 2012/2013. Ich berichtete (siehe meine Artikel in dieser Rubrik Russland-Visum im Dezember 2012 und Januar 2013).
Davor gab es Änderungen mit Wirkung ab 1.11.2010: Verschärfung der Anforderungen an einzureichende Unterlagen, siehe Teil 4 dieser Serie. Auf die Änderungen folgt wieder eine Welle von weiteren Informationen der Reiseveranstalter, Reisebüros und Visa-Spezial-Agenturen, darüber, wie die russischen Behörden mit den Änderungen umgehen, welche Erfahrungen schon damit gesammelt wurden. Z.B. im Winter 2007 (siehe unten sub. 2.).
1. Visum oder Visa - der Begriff
Das Visum ist die Einreiseerlaubnis für eine Person in Form einer Urkunde oder ein amtlicher Vermerk über das Bestehen der Einreiseerlaubnis, manchmal auch über das Bestehen der Ausreiseerlaubnis. Nach meinem Verständnis steckt in der Einreiseerlaubnis zugleich logisch die Aufenthaltserlaubnis. Aber laut der Begriffsklärung bei Wikipedia ist das (zwar in Deutschland so, aber) nicht immer der Fall. Gewöhnlich werden diese Erlaubnisse durch Eintragung in einen Reisepass dokumentiert. Aber zwingend ist das wohl nicht.
Heute las ich in der Berliner Zeitung vom 19./20. Juni 2010 auf Seite 8 im Artikel "Die Zaungäste", dass es in Lesotho Visen gab, die auf einem A4-Blatt erteilt wurden. Doch zur Fußball-WM in Südafrika sind die Einreisebedingungen verschärft worden, so dass Südafrika auch von seinen Nachbarn den Reisepass zur Eintragung verlangt.
Ergänzung [25.11.2010]: Eine deutsche Radfahrerin auf der Durchreise von Georgien durch Abchasien nach Sotschi bekam im Frühjahr 2010 in der abchasischen Hauptstadt auch nur ein Visum auf einem Blatt Papier und nicht in ihren Reisepass.
Probleme mit der Grammatik
Visa ist im Deutschen das Mehrzahlwort vom Wort Visum. Es geht aber auch das Wort "Visen". So steht es in meinem deutschen Wörterbuch Bünting. Bei Visa oder Visen geht es immer um Berechtigungen mehrerer Personen zur Einreise. Einzahl und Mehrzahl werden oft verwechselt bzw. ist mancher sich jenes Unterschieds nicht bewusst. Visum heißt im Englischen "visa". Ein Beispiel, wie die englische Sprache die deutsche Sprache unterwandert und sabotiert.
Genaugenommen gibt es demzufolge gar kein Gruppenvisum (eine Einreiseerlaubnis für eine Gruppe auf einer einzigen Urkunde also), da ja jedes Gruppenmitglied seinen eigenen Eintrag in den Reisepass erhält.
Aber wie darf man es kurz nennen, wenn ein Reiseveranstalter für alle Teilnehmer einer von ihm organisierten Gruppenreise die Visen zusammen beschafft, nachdem sie ihm ihre Reisepässe zugesandt haben? - Er beschafft Visa für seine Gruppe von Reiseteilnehmern. Was möglich ist: die Gruppeneinladung als Grundlage für die Erteilung der Visa.
Gruppenvisa - gibt es auch nicht. Denn das Visum ist bezogen auf eine natürliche Person und nicht auf eine Gruppe, da gilt nichts anderes als beim "Gruppenvisum". Auf der Website des Russischen Konsulats heißt es denn auch, dass Gruppenvisa nicht erteilt werden (Abruf am 29.11.2010 unter 1. Allgemeine Information sub c).
Google findet aber 26.900 (beim Gruppenvisum) bzw. 27.800 Treffer (bei Eingabe von "Gruppenvisa"); dagegen nur 15.800 Treffer für "Visa für Reisegruppen", aber immerhin 1.620.000 Treffer für "Visa für Gruppen".
2. Visumpflicht hin und Visumpflicht her - Politische Hintergründe
Zum Verständnis der Einreise-Modalitäten trägt, denke ich, bei, wenn ich darauf hinweise, dass auch Russen, die in die Europäische Union reisen möchten, sich ein Visum beschaffen müssen. Das ist gar nicht so einfach für sie. Selbst russische Geschäftsleute aus dem Touristikbereich, die in Berlin die Internationale Tourismusbörse im März 2007 besuchen wollten, wurden vom deutschen Konsulat in Moskau erhebliche Schwierigkeiten gemacht.
Und so passierte es, dass sie extra noch ein- oder zweimal aus fernen Städten nach Moskau zum deutschen Konsulat reisen mussten für ihr Visum und dass sie keine günstigen Flüge bekamen oder schon gebuchte Flüge stornieren mussten, gerade noch rechtzeitig oder nicht pünktlich nach Berlin zur Tourismusbörse kamen.
Dabei war aus Sicht der Einreisebehörden wirklich nicht ernsthaft zu befürchten, dass sie in Deutschland bleiben wollen. Sie haben ja ihr Business. Natürlich muss geprüft werden, damit hier keine falschen Geschäftsleute einreisen, Stichwort Visaerschleichung. Papier ist geduldig und Geld macht willig. Da ist man natürlich misstrauisch im deutschen Konsulat in Moskau. Es haben schon oft genug Osteuropäer bei der Einreise gelogen, Beispiel aus eigener Erfahrung aus den 90ern: Ukrainer, die als Zweck der Reise angaben, ihre Verwandten zu besuchen, kamen nach Deutschland, um bei der Renovierung eines Schlosses in Sachsen schwarz zu arbeiten.
Aber Deutschland ist von allen EU-Ländern das problematischste in Sachen Visaerteilung. Und so reisen viele russische Touristen nach Deutschland mit einem Schweizer Schengen-Visum (Schweiz gehört zu den Schengen-Staaten) ein oder mit einem Visum, das vom finnischen Konsulat erteilt wurde. Ein Grund für die Beschaffung eines Visums über die finnische Botschaft oder Schweizer Botschaft in Russland ist auch der Fall, in dem das Kontingent für die Ausstellung von Visa an Russen schon erschöpft ist. Das ist etwa für München zum Oktoberfest relativ früh der Fall. Wenn nun eine Russin zur Pflege eines Freundes nach dessen Operation wegen seines Krebsleidens kurzfristig in der Zeit des Oktoberfestes nach München reisen will (ein Fall aus meinem Freundeskreis im September 2010) und ihr Ansuchen auf die Ausstellung zurückgewiesen wird, wird sie es über das österreichische oder schweizer Konsulat versuchen. Das Schengen-Visum kostet für einen Erwachsenen auch weniger als ein Visum für Deutschland. Ich habe die Preise am Deutschen Konsulat in Moskau gesehen. Ein Schengen-Visum kostet dort 35 EUR, ein Visum für Deutschland 60 EUR.
[Ergänzung 05.04.2023: Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein Bürger ein Schengen-Visum erhält, erklärt die hier verlinkte Schweizer Botschaft in Russland
Wenn von Russen ein bestimmtes Einkommensniveau für die Ausstellung des Visums nachgewiesen werden muss, gibt es schon noch Möglichkeiten, von Banken eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt zu bekommen. Das kostet eine bestimmte Gebühr. - Viele Reiselustige wissen natürlich nicht, wo diese Einkommensgrenze liegt und wenn sie dann nur auf einen Betrag tippen, kann es sein, dass sie Pech haben, weil die Grenze doch höher liegt.
Bekanntlich sind viele Juden aus Russland nach Israel ausgewandert (Auswanderer aus der Ex-Sowjetunion sollen heute 20 Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, behauptet Iwanowski in seinem Blog im Artikel "Die Russen kommen (nicht)".). Aber nicht nur Juden. Auch Mafiosi, Diebe im Gesetz. Man nahm sich eine Jüdin zur Frau und bekam nach einem Jahr einen israelischen Pass. Damit konnte der Russe viel leichter nach Europa einreisen als direkt aus Russland. Dementsprechend werden, kann ich mir vorstellen, auch die verwandschaftlichen Verhältnisse von aus Russland Einreisewilligen daraufhin durchsucht, ob es da auch Bande nach Israel oder - sagen wir, Malta gibt.
Die russische Führung strebt Erleichterungen für die Einreise seiner Bewohner (Geschäftsleute, Urlauber, Studenten, Praktikanten, Patienten, die sich operieren lassen wollen) an. 2004 hat Putin ein Gesetz zur Ratifizierung eines Abkommens zwischen Russland und Deutschland über beidseitige Einführung von Erleichterungen bei der Einreise unterschrieben. Es gilt für bestimmte Bürgerkategorien beider Länder, wozu Unternehmer, Mitarbeiter von ausländischen Repräsentanzen zählen, auch Praktikanten.
Aber die Bürokraten in Europa sind, was Visafragen betrifft, schlimmer als die russischen. Beziehungsweise ist kein Konsens unter den vielen Mitgliedsstaaten zu einer einheitlichen Linie bei der Lockerung der Einreisebestimmungen für Bürger aus Russland zu erzielen. - Und dies schadet auch den deutschen Urlaubern und Geschäftsleuten... Auch ist es ja so, dass die Einreisebestimmungen in die EU-Länder für Bürger mancher Nicht-EU-Länder weniger streng sind oder dass kein Visum notwendig ist, obwohl von solchen Ländern mit mehr Gefahren zu rechnen ist, las ich eine Gegenrede von russischer politischer Seite.
Warum sollte Russland einseitig die Visabedingungen für Europäer zu deren Komfort lockern und damit seine Verhandlungsposition schwächen?
Man sollte sich also davor hüten, "die Russen" für die Unbequemlichkeiten im Vorfeld der Einreise zu beschuldigen und hierin ein Beispiel für die typische Bürokratie in Russland zu sehen. Das muss ich der Gerechtigkeit halber betonen. Vielleicht liegt ja in der "Verkomplifizierung" des Registrationsverfahrens für Ausländer seit Winter dieses Jahres ein strategisches Konzept, schneller mit der EU zu einer Einigung zu kommen; es ist nämlich nur absurd, abstoßend.
Die Europäische Union macht die Visabefreiung für Russen auch von der Einhaltung der in der russischen Verfassung garantierten Grundrechte abhängig. Das erklärte vor wenigen Wochen Werner Schulz auf dem EU-Russland-Gipfel in Rostow am Don. Schulz ist stellvertretender Vorsitzender der EU-Russland-Delegation des Europäischen Parlaments. Er kritisierte die Festnahme russischer Oppositioneller bei einer friedlichen Demonstration, ein brutales Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte. Der russische Präsident meinte auf dem Gipfel, man solle die Frage der Abschaffung der Visumpflicht nicht politisieren.
Seit Mitte Mai 2010 besteht zwischen Russland und der Türkei offiziell Visumfreiheit (Tatsächlich müssen Russen im Sommer 2010 noch immer etwa 20 EUR für das Visum bei der Einreise bezahlen, erzählte mir eine russische Freundin im September 2010.). So wie es 2005 die Ukraine vorgemacht hat mit Touristen aus der EU, macht es Kroatien mit Touristen aus Russland in diesem Jahr: Vorübergehende Aussetzung der Visumpflicht für einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen, und zwar in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober. Auch in Mazedonien gibt es in 2010 eine Befreiung von der Visumpflicht für Russen, bis zum 16. Oktober (notwendig: Reisepass, Versicherung und erforderliches Geld). Aber es gibt keine direkten Flüge nach Mazedonien. Iwanowski nennt in seinem o.g. Artikel noch weitere europäische Länder mit einer solchen Praxis der saisonalen Visaerleichterung bzw. -befreiung.
[Nachtrag, 20.05.2016: Die Visumfreiheit für Türken ist Ende 2015 aufgehoben worden, nachdem die Türkei planmäßig einen russischen Kampfjet über Syrien abgeschossen hatte, wobei in den türkischen Medien die Lüge verlautbart wurde, dass der Kampfjet, während er sich über türkischem Territorium befunden habe, 10 Mal gewarnt sein soll, das Territorium zu verlassen; wobei offen gelassen wurde, in welchen Abständen und womit.]
Jetzt wurde im Juni 2010 bekannt (Beispiel: Information und Diskussion im Belarus-Forum), dass man in Belarus beginnt, die Abschaffung der Visumpflicht für EU-Ausländer zu prüfen. Vielleicht war ja das Abkommen Russlands mit der Türkei der Anlass oder bekanntgewordene Bestrebungen in St. Petersburg, eine Ausnahme von der Visumpflicht auszuweiten, siehe unten.
Übrigens hat am 21. Juni 2010 die israelische Regierung beschlossen, für Ukrainer die Visumpflicht abzuschaffen.
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