Überraschung zur Euro 2012!
Heute präsentiere ich den ersten Gastartikel. Meine ersten Reise-Blog-Co-Autoren sind Johannes Englisch und Christoph Steinert.
Herzlich willkommen!
Ein Bericht über eine Reise durch die Gastgeberländer der Fußball-Europameisterschaft, die die beiden Autoren vor einem Jahr unternommen hatten, echt abenteuerlich.
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Wir sind zwei abenteuerlustige Studenten, die sich sehr für den Osten interessieren. Johannes studiert allgemeine Sprachwissenschaft und Christoph ist Student der Ostslawistik. Um einen Einblick in die Kulturen Mittel- und Osteuropas zu bekommen und auch um unsere Sprachkenntnisse zu erweitern, haben wir uns entschieden eine Fahrradtour durch das südliche Polen zu unternehmen. Warum wir am Ende aber in der Ukraine gelandet sind, die Fahrräder oft nur unnützer Ballast waren und das Zelt nie aufgeschlagen wurde...davon erzählt vorliegender Bericht. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen!
Johannes Englisch und Christoph Steinert
Samstag, 30. Juli 2011
Wetter: Regen
Wir treffen uns früh um halb neun am Leipziger Hauptbahnhof vor McDonald's. Von dort aus starten wir unsere Reise im Zug nach Görlitz über Dresden. In Görlitz irren wir erst mal durch den Regen in Richtung Osten, um den Bahnhof von Zgorzelec zu finden. Dank der Angestellten einer Tankstelle finden wir ihn bald.
Der Zug von Zgorzelec nach Wroclaw ist brechend voll. Wir kommen etwa dreiviertel fünf dort am Hauptbahnhof an. Jetzt machen wir uns erstmal auf die Suche nach einem Schlafplatz. Wir fragen wieder in einer Tankstelle nach, wo es zum Zentrum geht. Dialog der Angestellten: "Kommst Du aus Wroclaw?" – "Nö, Du?" – "Nö". Es folgt eine Odyssee durch das verregnete Wroclaw. Nach den Absagen von fünf Hostels sagt uns das sechste, dass das Hotel Trio noch Plätze hat. Das befindet sich am Stadtrand in der Plattenbausiedlung jenseits unseres Stadtplans. Das Hotel ist günstig, recht gemütlich und schließt die Räder im Keller ein. Top.
Wie immer auf unseren Reisen machen wir uns jetzt auf die berühmt-berüchtigte Suche nach ESSEN. Wir beschreiten Irrwege durch die Plattenbausiedlung. Wir fragen eine alte Frau mit einem Beutel voller Essen auf Russisch, wo man einkaufen kann. Sie meinte, sie wüsste es nicht. Mehr oder weniger durch Glück finden wir eine Filiale von Polska-Chata, die uns mit einem Abendessen und leckerem Zubr-Bier versorgt.
Sonntag, 31. Juli 2011
Wetter: Noch mehr Regen ...
Früh fahren wir zum Bahnhof Wroclaw Glowny und holen uns die Fahrkarten nach Krakow. Vor dem Bahnhof spricht uns ein polnischer Tourist an und es entsteht ein längeres Gespräch in einem deutsch-polnischem Mischmasch. Dem Klischee entsprechend holt der Tourist erstmal ne Flasche Zubrowka Biala heraus und gibt ne Runde. Zubrowka ist eine polnische Wodkamarke, in Deutschland bekannt als Grasovka, weil die Standardvariante leicht grünlich ist und einen Halm Bisongras enthält. Die Variante "biala" (polnisch: weiß) ist hingegen klar.). Dann hält er uns plötzlich ein Pfefferspray unter die Nase und legt uns ans Herz, uns auch eins zu kaufen, weil es in Krakow viele Räuber gibt, die es auf Touristen abgesehen haben. Das Ganze war etwas bizarr, weil der Mann nicht wie ein typisches Überfallopfer aussah sondern eher wie ein Täter: Tanktop, tätowiert übern ganzen Körper und das Gesicht voller Narben.
Nach dem Gepräch fahren wir mit dem Zug nach Krakow. Die Fahrt dauert viereinhalb Stunden und ist recht unspektakulär. Die Suche nach einem Hostel in Krakow gestaltet sich unerwartet unkompliziert und auch die Suche nach ESSEN ist kurz und schmerzlos – obwohl Sonntag ist.
Montag, 1. August 2011
Wetter: Wolken und Regen
Wir stehen auf und steigen roff offs Fahrrad in Richtung unseres ersten Etappenziels Nowy Wisnicz. Am Ring um die Krakower Innenstadt verbiegt sich die Gangschaltung von Christoph nach einem fiesen Attentat seiner Jacke, die sich darin verfangen hatte. Ein kurzer Griff zum Multitool und die Gangschaltung geht wieder. Das Multitool fixt alles. Weiter geht's.
Am Stadtrand von Krakow fängt die linke Pedale von Johannes an zu wackeln. In einem nahegelegenen Motorradgeschäft wird die Schraube zwar festgezogen, aber man empfiehlt uns, zum nächsten Fahrradgeschäft zu fahren. Wir machen uns auf zum "centrum rowerowy" (polnisch: Fahrradzentrum). Auf dem Weg fängt Johannes' Reifen an zu quietschen – Platter… Na, toll.
Im Fahrradgeschäft macht man uns keine Hoffnung für die Pedale. Bei der Schraube ist das Gewinde praktisch nich mehr vorhanden, dasselbe im Inneren der anderen Hälfte. Und auch die Pedale selbst ist völlig ausgenuddelt. Das Tretlager muss offenbar komplett ausgewechselt werden – soviel zur Radtour. Wir ziehen die Schraube provisorisch fest und wechseln den Reifen, aber keine zwei Minuten später ist er wieder platt.
Da das mit der Radtour erstmal nichts wird, wechseln wir das Motto:
"Mit dem Fahrrad durch Ost-Europa – per Zug"
Der Plan ist, morgen in die Ukraine zu fahren und danach weiter Richtung Rumänien zu ziehen. Für heute buchen wir uns erstmal im selben Hostel wie gestern ein.
Eine Nebenbemerkung zur Sprache: In den zwei Tagen in Polen haben wir festgestellt, dass es unmöglich ist, die polnische Sprache zu verstehen oder auszusprechen (selbst für Muttersprachler, so schien es). Hoffentlich wird das in der Ukraine besser…
Dienstag, 2. August 2011
Wetter: teils Sonne, teils Regen
In unserem Hostel haben wir lustige Nachbarn: vier polnische Waschneurotiker, die abends je zwee Ma in die Dusche sind und auch morgens dauernd das Bad besetzt haben…
Wir machen uns auf die Suche nach der nächsten Post, um eine Karte zu verschicken. Das gestaltet sich schwierig, da mal wieder keiner seine eigene Stadt kennt. Wir mussten dreimal Passanten fragen, bis wir sie gefunden hatten. Und die Passanten haben dann teilweise selber andere Passanten gefragt…
Am Mittag besteigen wir den Zug von Krakow nach Przemysl an der polnisch-ukrainischen Grenze. Der Zug ist brechend voll. Wir quetschen uns mit Rädern und Sachen irgendwie in den Gang und versperren so ziemlich allen den Weg. Schon zu Beginn der Fahrt haben wir eine Stunde Verspätung, nicht etwa wegen eines technischen Defekts, nein, sondern weil auf eine Schar Anschlussreisende gewartet wurde.
Während der Viereinhalb-Stunden-Fahrt stehen wir die meiste Zeit und weichen Passanten aus, die mit großen Reisetaschen und Kinderwagen in den Zug einsteigen. Es ist eng, aber wir haben einen schönen Ausblick über polnische Dörfer. Wir kommen etwa 18:30 Uhr an und 19:30 Uhr geht der Zug nach Lwiw (JS: auf deutsch: Lemberg) in der Ukraine. Nicht viel Zeit.
Przemysl ist ein hübsches kleines Städtchen. Wir besorgen uns erstmal Essen und Wasser, dann begeben wir uns wieder auf eine verzweifelte Suche, diesmal nach Fahrkarten. Irgendwie schaffen wir es, an der Passkontrolle anzukommen. Dort sagt man uns, dass die Kontrollen eigentlich nur bis 18:30 Uhr durchgeführt werden. Nach der Kontrolle sagt man uns, dass die Räder nicht mit in den Zug dürfen, weil Schlafwagen. Selbst nach einigem Hin und Her und trotz der Unterstützung durch die attraktive Zollbeamte in Flecktarn lässt man uns nicht mitfahren. Dolle Wurst…
Wir gucken auf den Plan und sehen, dass von Przemysl aus nur zwei Züge in die Ukraine fahren, beide bestehen nur aus Schlafwagen. Wir müssen uns also andere Weiterreisemöglichkeiten suchen. Während wir danach gucken, sprechen uns zwei freundliche Bahnhofsschutzmänner an. Wir fragen sie in einem Russich-Tschechisch-Mix nach Unterkünften hier und sie nennen uns zwei Adressen: zum einen das Hotel "Europejski", welches relativ teuer sein soll für polnische Verhältnisse, und noch ein anderes Hotel, wo unsere Räder aber ruckzuck weggewesen wären. Wir nehmen ersteres und zahlen lieber die zirka 20 EUR pro Nase und kriegen dafür unsere Räder weggeschlossen.
Erst im Hotel Europejski kommt uns der Gedanke, dass wir dem Schaffner am Bahnhof einfach 'nen Zwanni hätten zustecken können, damit er uns mitnimmt. Wir sind offenbar einfach zu ehrlich für diese Welt.
Mittwoch, 3. August 2011
Wetter: sonnig, leicht bewölkt
Als wir im Frühstücksraum des Hotels Europejski sitzen, spricht uns Frank an. Frank ist aus Wittenberg, aber schon vor einer ganzen Weile in die Ukraine ausgewandert. Er empfiehlt uns, das Rad in einem Laden hier reparieren zu lassen und mit dem Bus in die Ukraine zu fahren. Außerdem empfiehlt er uns, die Räder zu verkaufen und uns dafür in Odessa an den Strand zu packen.
Wir schaffen das Rad in die Werkstatt, wo es etwa 12:00 Uhr fertig sein soll. Die Wartezeit überbrücken wir in einem Internetcafé, um den Kontakt zur Außenwelt zu wahren und die weitere Route zu planen. Der neue Plan: rinn in den Bus und ab nach Lwiw.
Wir holen das Rad ab und gehen zur Bushaltestelle. Es fährt auch bald ein Bus – im Übrigen ein ausrangierter Überlandbus aus Deutschland. Unsere Räder werden quer auf die Sitze gepackt, wo sie zwischen den Kaffeemaschinen und dem riesigen Flachbildschirm unserer Mitreisenden mitfahren. An der Grenze zwischen Medyka (Polen) und Sehyni (Ukraine) folgen dann zwei Stunden Pass- und Gepäckkontrolle. Hinter uns sitzt ein quengelndes Kind, was ziemlich an den Nerven nagt.
Danach geht die Fahrt weiter durch die ukrainische Landschaft. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt. Überall sind weite Heiden, dunkle Wälder, in die man kaum mehr als zehn Meter reingucken kann und kleine Dörfer, wo hin und wieder Bewohner mit einer Kuh an der Leine die Straße entlang laufen. Im Bus herrscht munteres Treiben. Die Leute quatschen quer durcheinander in polnisch, ukrainisch und russisch. – Egal, wie sie angesprochen werden, sie antworten in ihrer jeweiligen Landessprache und werden dabei auch immer verstanden.
Nach etwa sechs Stunden im Bus kommen wir in Lwiw an. Also, fast in Lwiw. Der Bus setzt uns kilometerweit vom Stadtkern an einem Kreisverkehr ab und fährt weiter in Richtung Süden. Jetzt sind uns die Räder zum ersten Mal wirklich von Nutzen. Wir machen uns ganz gemächlich auf den Weg zum Zentrum.
Am Hauptbahnhof von Lwiw angekommen sprechen wir einen älteren Mann an, um unser Hostel zu finden. Als wir ihn fragen, ob er russisch spricht, fragt er nur zurück, ob wir nicht ukrainisch oder polnisch könnten. Am Ende sprechen wir doch russisch. Wie immer, wenn wir uns nach Wegen erkundigen, fragt der Passant weitere Passanten, bis eine kleine Menschentraube entsteht. Als der Mann eine Orientierung bekommen hat, führt er uns den ganzen Weg zu der Adresse von dem Hostel. Währenddessen zeigt er uns die Stadt und erzählt uns von sich und seiner Zeit als sowjetischer Soldat in Afghanistan. Übrigens heißt er Miroslaw. Er hat uns gleich auch seine Telefonnummer [...Next]