Diese kommentierte Sammlung von Gerichtsentscheidungen gegen Fluggesellschaften, die ursprünglich im Blog am 3. März 2011 veröffentlicht wurde, hat inzwischen eine Länge erreicht, die das Blogsystem Serendipity nicht unterstützt. Der Text rutscht am Ende wieder raus. Daher muss ich den Beitrag in 2 Teile aufsplitten.
Im 2. Teil geht es mit Condor (Punkt 7 dieser Sammlung) weiter.
Zurück zu Teil 1 mit Gerichtsentscheidungen diesen Fluggesellschaften:
In Teil 1 finden Sie Gerichtsentscheidungen gegen diese Fluggesellschaften:
1. Germanwings
2. Air Berlin
3. Ryanair
4. Iberia
5. KLM
6. Lufthansa
7. Condor
Ausgleichszahlungen an Fluggäste wegen erheblicher Verspätungen (mehr als drei Stunden) beim Abflug und bei der Ankunft. Eine Berufung der Airline auf höhere Gewalt bei technischen Problemen am Flugzeug als Grund für eine schuldlose Flugverspätung nicht akzeptiert.
BGH, Urteil vom 18.02.2010, Xa ZR 95/06. Urteil gegen Condor Flugdienst GmbH
Die klagenden Fluggäste, eine Familie mit zwei Kindern, hatte einen Flug bei der beklagten Fluggesellschaft von Frankfurt am Main nach Toronto (Kanada) und zurück gebucht. Der Rückflug war gebucht für den 09.02.2005, fand dann aber erst am 10.02.2005 statt. Die Familie kam in Frankfurt erst etwa 25 Stunden später als geplant an. Wegen der Verspätung verlangten sie von Condor eine Entschädigung in Höhe von 600,00 EUR pro Person (insgesamt damit 2.400 EUR). Der Familienvater verlangte darüber hinaus Verdienstausfall und damit verbundenen Aufwendungen in Höhe von 181,45 EUR.
Die Kläger machten zunächst am Amtsgericht ihre Rechte aus Artikel 7 der EG-Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste in Fällen der Nichtbeförderung, Annulierung oder großer Verspätung von Flügen geltend. Das Amtsgericht sprach dem Familienvater die 181,45 EUR zu und sonst wegen der Verspätung einen Minderungsanspruch in Höhe von nur 104,40 EUR und bei den Kindern jeweils 34,95 EUR. Im Übrigen wies es die Klage ab.
Die Berufung der Kläger, die mehr forderten, blieb erfolglos. Die Revision wurde vom Berufungsgericht aber zugelassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) als Revisionsinstanz hat durch den Beschluss vom 17.07.2007 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) zwei Fragen zur Auslegung der oben genannten EG-Verordnung vorgelegt.
Mit Urteil vom 19.11.2009, Az.: Rs C-402/07 und Rs C-432/07 entschied der EuGH die ihm vom BGH gestellten Rechtsfragen so (gekürzt):
"Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/ 91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/ 2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff "außergewöhnliche Umstände" im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind."
Daraufhin entschied der BGH den Rechtsstreit zwischen der Familie und Condor. Das Berufungsurteil wurde aufgehoben. Der BGH korrigierte die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Absatz 1 der EG-Verordnung 261/2004 nicht vorgelegen hätten. Der BGH bestätigte aber die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es eine Annulierung des Flugs im Sinne des Artikels 5 der genannten Verordnung nicht gegeben habe. Der BGH erklärte nun gemäß der Auslegung des EuGH, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der - auch erheblichen - Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden könne, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird. Der Flug von Toronto nach Frankfurt ist trotz der eingetretenen Verzögerung entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt worden.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Entschädigung nach der EG-Verordnung haben vorgelegen. Da der Sachverhalt geklärt war, hat der BGH nicht an das Berufungsgericht zurückverwiesen, sondern den Rechtsstreit selbst entschieden und den Schadensersatz zugunsten der Fluggäste ausgeurteilt.
Condor hat die Verspätung mit technischen Problemen begründet. Diese Probleme seien für Condor nicht vorhersehbar gewesen. Probleme seien an einem Triebwerk sowie an der Treibstoffanzeige aufgetreten. Condor betrachtete die technischen Schäden als höhere Gewalt. Doch der BGH erklärte nun, dies seien keine außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-Verordnung gewesen. Schon in einer anderen Entscheidung zuvor hatte der BGH, der Rechtsprechung des EuGH folgend, erklärt, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände begründen, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können.
Condor hat die Höhe der vom Kläger geforderten Entschädigung als unverhältnismäßig angesehen. Der BGH, vor dem keine Tatsachen mehr erörtert wurden, erklärte nun dazu, dass Condor hierzu in den unteren Instanzen nichts Substantiiertes zur Begründung hervorgebracht habe (Darlegungslast auf seiten Condors zur Entkräftung des Anspruchs in der geforderten Höhe, siehe ).
Anmerkung:
Das Amtsgericht war anscheinend nicht fähig, europäisches Verbraucher-Recht anzuwenden. Ein Schwerpunkt des Falles war die Frage der Grenzfindung, wo höhere Gewalt beginnt, u.a. auch bei schlechten Witterungsbedingungen, bei denen dennoch geflogen wird (Schnee und Eis). Inwieweit ein flüssiger Flugbetrieb auch unter schlechten Wetter-Bedingungen gewährleistet ist, ist eine Frage der Organisation, des Flughafens, der Fluglotsen, der Airlines. Airlines mit schlechter Organisation ihrer Abläufe können sich also nicht unter Verweis auf das Wetter oder die Krankheit des Flugpersonals herausreden. Der Flugbetrieb ist eine gefahrengeneigte Tätigkeit. Das Ankämpfen gegen die typischen Gefahren, zu denen auch die Unwägbarkeiten des Wetters gehören, verlangt Anstrengungen von der Airline, die mit hohen Kosten verbunden sind. Die Rechtsprechung bestimmt in Einzelfällen die Grenzen dafür, wo Einsparungen zu Lasten der Passagiere denen nicht mehr zuzumuten sind. Wer die Gefahren nicht beherrscht, sollte das Geschäft nicht ausüben.
Die Frage ist, inwieweit sich Airlines Mismanagement der Flughafengesellschaften (z.B. Freihalten der Start- und Landebahnen von Eis und Schnee) zurechnen lassen müssen. Da geht es um die Bestimmung der Grenze zur höheren Gewalt. Ein typische Vorkehrung, die zu treffen ist, ist das Bereithalten von ausreichenden Mengen an Enteisungsmitteln zur Behandlung der Flugzeuge. Die Verantwortlichkeiten dafür müssen die Fluggesellschaft und die Flughafengesellschaft untereinander aushandeln. Das geht aber nicht zu Lasten der Flugpassagiere, wenn Flüge auch im Winter angeboten werden. Die Fluggesellschaft ist hier auf alle Fälle in der Pflicht gegenüber dem Passagier (Sie mag Regress bei der Flughafengesellschaft nehmen, wenn diese das Enteisungsmittel bereitzustellen hat und das am Flughafen ausgeht.)
Das Angewiesensein auf Dritte ist nichts Neues bei der Frage der Verantwortlichkeit für das Entstehen von Schäden, für die Störung von Leistungen. Hier haben sich schon lange Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung herausgebildet. Fallgruppen sind z.B. Fluglotsenstreik oder Streik beim Zulieferer für einen beklagten Hersteller.
(Man kann sich hier wieder wundern, was für ein Rechtsgefühl einige Richter haben. Schuld daran, dass wir viele solcher Richter haben (mein persönliches Empfinden), ist das Ausbildungssystem für Juristen in Deutschland. Massenbetrieb, bei dem Recht doch nicht als Wissenschaft verstanden wird, sondern als Handwerk. Hier konnten und können sich viele untalentierte Studenten mit Pauken von Floskeln und Schlagwörtern und durch Teilnahmen an Repetitorenkursen durchmogeln.)
Eine andere Frage des Condor-Falles war, ob die Auslegung der genannten EG-Verordnung durch den EuGH mit Artikel 29 des Montrealer Abkommens vereinbar ist, wonach die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte ihnen zustehen zwar nicht berührt sei, aber "bei einer derartigen Klage ... jeder eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen ist". Zu dieser Frage hatte der BGH bereits in seinem Urteil vom 10.12.2009, Xa ZR 61/09 Stellung genommen (es ging um Entschädigung nach EU-Recht für Fluggäste wegen einer Flugannulierung aufgrund Defekts am Flugzeug) und diese Frage bejaht.
Die Entschädigung von Flugpassagieren wegen großer Verspätung nach EU-Recht (Artikel 7 EG-Verordnung 261/2004) ist gestaffelt nach der Entfernung des Ziels.
Entfernung |
Höhe |
<1.500 km |
250,- EUR |
1.500 - 3.500 km |
400,- EUR |
>3.500 km |
600,- EUR |
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