1. Eine ordentliche Partnerschaft beginnt mit einem Vertrag
... oder mit einer Goodwill-Erklärung. Aber danach sollte dann doch bald der Vertrag folgen, damit man mit dem Verkauf von Reiseprodukten aus Russland loslegen kann. Das Unterlassen eines Angebots auf Abschluss eines schriftlichen Agenturvertrags trotz Kooperationsinteresses ist ein Indiz von Unprofessionalität oder für mangelndes Interesse an Loyalität, aus meiner Sicht. In Osteuropa geniert man sich aber nach meinen Erfahrungen häufig, darübere zu sprechen, über den Agenturvertrag. Ich räume gern ein, dass andere deutsche Kollegen andere, bessere Erfahrungen gesammelt haben. Meine Erfahrungen sind nicht repräsentativ, um behaupten zu dürfen, es gäbe allgemein Unterschiede in der Art und Weise, wie Verträge angebahnt und durchführt werden, und wie Meinungsverschiedenheiten zwischen Vertragspartnern gelöst werden. Da ich über meine Erfahrungen schreibe, ist das Folgende stark subjektiv geprägt. Ich gebe mir Mühe, Vorurteile aus meinen Betrachtungen herauszuhalten.
Ich habe eben "Kooperationsinteresse" geschrieben. Was heißt aber Kooperation eigentlich? Das ist ja ein sehr dehnbarer Begriff.
Wir wollen darunter die freiwillige Zusammenarbeit zweier oder mehrerer rechtlich und wirtschaftlich selbständiger, jedoch interdependenter Partner verstehen.
"Die Partner verfolgen ein gemeinsames Ziel: Sie wollen wirtschaftlich von der Zusammenarbeit profitieren. Zu diesem Zweck übertragen sie eigene Aufgaben aus ausgewählten Geschäftsfeldern - beispielsweise aus dem Marketing, Vertrieb oder Einkauf - auf die Zusammenarbeit in einem Verbund. Die gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung soll zu Zeitersparnissen und Qualitätssteigerungen führen und die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Kooperationspartner nachhaltig verbessern. Für alle Beteiligten soll damit eine Win-Win-Situation herbeigeführt werden."
Jörg Soller (Hrsg) - Erfolgsfaktor Kooperation im Tourismus (2012), S. 29 (Fremdzitat mit weiteren Nachweisen)
Verdacht der Ungeeignetheit
Wenn sich ein potentieller Partner geniert, über einen Agenturvertrag in schriftlicher Form zu sprechen, muss was faul sein. Eine gern benutzte Ausrede gegen den schriftlichen Agenturvertrag ist die, dass der potentielle Partner so gute Partnerschaften pflegt, dass man einen schriftlichen Vertrag nicht benötigt. "Mein Wort ist ein Ehrenwort." Man spielt die Opferrolle: "Was, Du traust mir nicht? Die Partnerschaft fängt nicht unter einem guten Stern an." So in etwa. Solche Unternehmen erwarten also einen hohen Vertrauensvorschuss, und vielleicht ohne dass sie bisher schon eine Vertrauensprobe abgegeben haben. Erklären und zusagen lässt sich vieles. Natürlich kennt man in Osteuropa das Prinzip, vorher etwas zu geben, um später etwas zu bekommen, gut. Daher wird man auch gern eingeladen. Gemeinsames Essen, gemeinsame Sauna. Wodka. - Aber solche Möglichkeiten bieten sich häufig ja nicht. Dazu muss man vor Ort sein. Oder die Zeit, in der die Tourismusmesse stattfindet, reicht nicht aus.
Tatsächlich fehlt es hier indiziell an Einfühlungsvermögen in die Interessen des ausländischen, westeuropäischen Partners oder/und der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen für Fälle, in denen die touristischen Dienstleistungen an die ausländischen (sagen wir gleich: deutschen) Gäste nicht ordentlich erbracht werden. Indiz für mangelnden Loyalitätswillen. ("Wir werden keine Probleme haben. Falls doch, regeln wir das auf unsere Art, ohne Gerichte".) Oder aber einfach andere Gewohnheiten. Ein stärkeres Interesse an der Person im Verhältnis zu ihren Produkten als im Westen. Aber das ist mit mehr Zeitaufwand verbunden. Da, wo man schnell handeln muss, können persönliche Beziehungen nicht erst entwickelt werden. Und da ist der Vertrag um so wichtiger. In unserer Informationsgesellschaft ist man heute viel leichter in der Lage, bestehende Vertragspartner durch andere auszutauschen. Die Abhängigkeiten von Kooperationspartnern sind geringer. Die Zeiten haben sich gewandelt. Gute alte Kaufmannstraditionen sterben. Die Bedeutung des schriftlichen Vertrags hat zugenommen. Und die Verträge sind immer komplizierter geworden. Die überfordern viele Touristiker einfach. Sie können die Regelungen nicht mehr voll überblicken und verstehen. Angst des Kontrollverlusts, Unlust, sich mit Recht zu beschäftigen anstatt mit dem Vermarkten, Verkaufen.
Notwendigkeit des Vertrags
Es ist nach deutschem Recht so: Wenn die Reise mangelhaft erbracht wurde und Reisende Schadensersatz verlangen, wird das Verschulden des Reiseveranstalters grundsätzlich vermutet. Der Reiseveranstalter muss sich entlasten (Beleg: Amtsgericht München, Urt. v 18.8.2012, Az.: 222 C 10835/11). Wenn er sich nun ausländischer Personen bedient, um die Reise durchzuführen und die vor Ort Fehler gemacht haben, sind diese Erfüllungsgehilfen und er haftet gegenüber Reisenden, die bei ihm buchten, auch für deren Verschulden. Dann kann es unmöglich werden, den Schaden vom Leistungsträger ersetzt zu bekommen, wenn die Pflichten und Ausschlussfristen nicht klar geregelt waren. Wenn man den Vertrag hat, muss man notfalls vor dem vereinbarten Gericht streiten, hat dann aber Fakten, auf die man sich stützen kann.
Faktisch haben auch Reisevermittler häufig gegenüber Reisenden eine Haftung wie Reiseveranstalter. Das hängt mit dem Recht des Reisenden auf einen Reisesicherungsschein zusammen. Wenn der russische Reiseveranstalter mir keinen Sicherungsschein zusendet, den ich meinen Kunden zusenden kann, dann kann ich vor der Reise keine Anzahlung und überhaupt keine Zahlung des Reisepreises verlangen. Wenn ich das tun will, muss ich eben den Sicherungsschein stellen. Auch wennn ich vermittelte Reisehauptleistungen gebündelt verkaufe, werde ich zum Reiseveranstalter, mit entsprechend weitergehenden Haftungsrisiken. Dementsprechend absichern muss man sich nach hinten, gegenüber den Partnern im Ausland.
Bewertungskriterium Website
Ein weiteres Indiz oder Bündel von Indizien bei der Einschätzung potentieller Vertragspartner liefert die Website des ins Auge gefassten Partners. Wie gut ist sie gestaltet? Wieviele Informationen gibt man über sich selbst, über die Mitarbeiter? So gewinne ich einen weiteren Eindruck von einem potentiellen Partner. Bei der Geschäftspartnersuche über das Internet (siehe oben Einleitung) ist die Website meistens das wesentliche Auswahlkriterium für die Auswahl auf der ersten Stufe, die Motivation zum Kennenlernen (sofern eine Auswahl nach meiner Bedarfsliste zu finden ist).
Weiteres Verdachtsmoment für Unerwünschtheit eines schriftlichen Agenturvertrags - ich werde wie ein Verbraucher adressiert
Von ukrainischen Reisebüros, mit deren Mitarbeiterinnen ich auf der ITB 2011 und 2012 gesprochen und die Visitenkarten ausgetauscht habe, bekam ich zwar teilweise Angebote zur Fußball-EM 2012 zugeschickt (von manchen ungefragt als Massen-Newsletter), aber in der Weise, als wäre ich Endverbraucher. Nicht mal waren irgendwelche Geschäftsbedingungen zu finden für die Angebote, die auch schon auf der Webseite beworben wurden. Kennt jemand das ukrainische Reiserecht oder Zivilrecht? Welcher ausländische Tourist ist bereit oder willens, in der Ukraine seine Rechte einzuklagen?
Ein Fußballfan (um beim Beispiel EURO 2012 zu bleiben) kauft sich seine Unterkunft sicherheitshalberbei bei einem deutschen Anbieter. Der deutsche Anbieter ist gut beraten, wenn er mit den Hotels oder Reiseagenturen in der Ukraine einen Agenturvertrag geschlossen hat und darüber hinaus auch weiß, mit Hilfe welcher Geschäftsfreunde oder Anwälte er seine Rechte durchsetzen will, im Falle des Falles. (Dazu waren während der EURO 2012 sicherlich nur wenige Firmen in der Lage. TUI, DER natürlich.)
Oder der Fußballfan reist mit eigenem oder gemieteten Auto an (wenn vom Autovermieter überhaupt erlaubt) und zeltet. Während der EURO 2012 haben Reporter solche Zeltplätze besucht und mit den deutschen Fans gesprochen. Das ist die einfache ehrliche Art, sich seine Unterkunft zu beschaffen, auf mündlichem Weg: Hier bin ich, hier ist das Zelt, hier ist das Geld. Keine größeren Versprechungen notwendig. Da man in der Gruppe da ist, hilft man sich mit der Beaufsichtigung. - Hier ist kein Platz für Vermittler. Es gab mehrere Websites, auf denen sich die Fans informieren konnten, wo die offiziellen Zeltplätze sind und was die kosten.
Es wurden aber auch abenteuerliche Geschäfte mit Privatwohnungen und Studentenzimmern gemacht (Studenten, die praktisch gezwungen waren, die Zimmer zu räumen, aber trotzdem die Miete weiter zahlen mussten. Mit Vorauszahlungspflicht natürlich. Die waren mir zu riskant. Schriftliche Verträge waren hier meistens nicht zu erhalten. Schließlich wurden die Zimmer quasi an den meist Bietenden versteigert, der dann auch schnell zahlt. Das kann man als Reisevermittler nicht ernsthaft mit unbekannten Geschäftsleuten machen.
2. Welche Differenzen sind typisch und hinderlich für den Abschluss eines Agenturvertrags?
Hier mal ein paar Punkte aus meiner Erfahrungssamlung. Wir gehen davon aus, dass ich in der Rolle des Reisevermittlers bin, der osteuropäische Partner in der eines Reiseveranstalters.
2.1. Russischer/ukrainischer Agentur-Vertrag fehlt, mein Vertrag wird aber abgelehnt
Reaktion auf die Ablehnung eines schriftlichen Vertrags
Zunächst mal ist der Reiseveranstalter, der sich um die Verbreitung seiner Produkte bemüht und sich Vermittler als Partner sucht, ja eigentlich Herr seiner Produkte und der Entscheidungen, auf welche Weise er sie verkaufen will. Daher ist es plausibel, dass er von sich aus mit dem Agenturvertrag an Agenten herantritt. Um so verwunderlicher ist es, wenn er einen solchen nicht vorweist. Wenn eigentlich der Wille zur Einschaltung von Vermittlern von seiner Seite aus da ist, dann muss ich einfach annehmen, dass bisher noch nicht ernsthaft ins Ausland über Reisebüros verkauft worden ist, man auf die ausländischen Partner noch nicht eingestellt ist oder bisher die Partnerschaften eben so pflegte, auf Zuruf, auf Grundlage von Vertrauensvorschuss (siehe oben); bis zum Beweis des Gegenteils. Letzteres (Prinzip Vertrauen) spricht für Unprofessionalität, ersteres für mangelnde Erfahrungen mit ausländischen Partnern. - Beides bedeutet für mich viel Arbeit bis zu dem Zeitpunkt, wenn ich eine Reise mithilfe dieses Partners an deutsche Touristen verkaufe, (mit gutem Gewissen, versteht sich).
Nun habe ich mich schon auf Geschäftemachen mit russischen Veranstaltern und Vermittlern vorbereitet und einen Vertrag erstellen lassen von einer Juristin mit Kenntnis russischer Gesetze und Rechtsprechung. Ich wünsche mir, dass mein neuer Partner offen ist, wenn ich ihm diesen Agentur-Vertrag vorlege, das als Ausgangsgrundlage zu nehmen. Die Anpassung eines Vertrags ist gegenüber der Neuerstellung meistens der sparsamere Weg. Bedarf zur Kommunikation über die zukünftige Zusammenarbeit besteht gewiss, schon aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme, in denen sich die potentiellen Partner befinden.
Wie interpretiere ich da eine Ablehnung meines Agenturvertragstextes?
- Misstrauen, man würde benachteiligt, ohne auch nur den Vertrag gelesen zu haben (Verbreitetes Denkschema Sieger - Verlierer: man will sich nicht bestimmen lassen, sondern selbst bestimmen)
- Man möchte die Steuern für die Umsätze nicht an das Finanzamt zahlen, also schwarz wirtschaften.
- Man beschäftigt schwarz Mitarbeiter oder Freelancer, mit denen man unter Einsparung der Umsatzsteuer mündliche Vereinbarungen trifft.
- Man hat von vornherein nicht die Absicht fair zusammenzuarbeiten.
- Man denkt, man hat doch viele wichtigere Aufgaben im Verkaufsalltag zu erfüllen, als sich mit langweiligen Rechtstexten zu beschäftigen. - Daraus schlussfolgere ich: Mangelnde Ernsthaftigkeit des erklärten Interesses an einer gleichberechtigten Partnerschaft, Geringschätzung des Partners (Maß dafür: Zeit). Kurzsichtiges Denken.
Fazit: Hände weg!
Wenn es ein Freund ist, mit dem man zusammenarbeiten möchte, muss man bei ihm für Verständnis werben. Das kann aber seine Zeit dauern. Problem für ihn, abgesehen davon, dass er unser Rechtssystem kaum kennt und unsere zahlreichen Abhängigkeiten im Meer von Verwaltungsvorschriften und Strafvorschriften, vielleicht: Er will und kann sich nicht offiziell selbständig machen, eine Firma gründen, weil es für ihn Sachzwänge, Geldmangel gibt, Misstrauen gegenüber das eigene Rechts- und Verwaltungssystem.
Manch eine deutsche Firma kann damit leben und wurstelt sich mit solchen Partnern durch. Wo man sich gut kennt und vertraut, kann es auch gut gehen. Es müssen sich eben die richtigen Unternehmer begegnen. Das ist aber doch schon riskant. Wer mehr Kapital hat und viel Optimismus und auch sonst noch ein gutes Netzwerk, kann mehr riskieren.
Aber vor allem, und darauf weise ich unten unter 5. noch hin: Russische Reiseveranstalter benötigen zwingend die Eintragung in ein staatliches Veranstalterregister. Dazu sind bestimmte gesetzliche Voraussetzungen zu erfüllen. Ob die mein potentieller Partner erfüllt, erfüllen kann?
2.2. Vertragsherkunft
Ein Vertrag soll schriftlich geschlossen werden, aber ...
Woher kommt der Vertragstext?
Es gibt diese beiden Möglichkeiten:
Mein potentieller russischer/ukrainischer Partner entwickelt allgemeine Geschäftsbedingungen für den deutschen/europäischen Verbrauchermarkt (siehe nachfolgend sub. 2.2.1.; Variante a).
Er überlässt mir die Regelungen des Reisevertrags (nachfolgend 2.2.2.; Variante b).
2.2.1. Mein potentieller russischer/ukrainischer Partner entwickelt allgemeine Geschäftsbedingungen für den deutschen/europäischen Verbrauchermarkt.
Seine Geschäftsbedingungen sollen für die deutschen (österreichichen, schweizer) Kunden gelten.
Für einen Agenturvertrag ist es typisch, dass der Reiseveranstalter die zur Ausübung der Vermittlertätigkeit erforderlichen Unterlagen bereitstellt. Dazu gehören Kataloge, Preislisten, Buchungsformulare und eben auch Geschäftsbedingungen.
Damit die Unterlagen (vor allem die Geschäftsbedingungen) nicht vor deutschen Gerichten unwirksam erklärt werden, muss mein Partner das deutsche/europäische Recht kennen (lernen) und den Vertrag in die deutsche Sprache übersetzen (lassen). Kennen (lernen) heißt in den meisten Fällen, einen Anwalt zu engagieren, der ihm das Rechtsstudium erspart. Teuer! Das machen schon mal viele von denjenigen Reiseveranstaltern nicht, die (wenigstens) schon die Kompetenz im Hause haben, die deutsche Sprache zu beherrschen. Außerdem sind einige Unternehmer engstirnig/kurzsichtig und nicht zu Kompromissen gegenüber deutschen Verbrauchern/Kunden bereit. Das deutsche Reiserecht als Verbraucherrecht interessiert sie nicht. Solche Kurzsichtigen sehen die deutschen Reisenden dann besser behandelt als sie ihre einheimischen Kunden behandeln. Man müsste die Reise womöglich noch mal neu kalkulieren, mit anderen Risiken. Dazu sind aber einige schon zu bequem bzw. geben Sie den Änderungsbedarf am vorhandenen Agenturvertrag fälschlich eine geringe Priorität in ihrer Aufgabenliste. Nein, dieser Typ möchte alles einfach haben. Und daher ist es ihm lieber mit Variante b) (dazu unten).
Manche osteuropäische Touristikunternehmen bieten ihren potentiellen deutschen Kunden auf ihrer Website aber doch ihre Regeln, ihre Geschäftsbedingungen an. Im Internet möchten sie, dass die ausländischen Endkunden direkt bei ihnen, auf ihrer Website buchen oder nach deren Kontaktaufnahme in ihr Büro kommen, um zu buchen, wenn sie eingereist sind. Solche Touristikunternehmen sparen sich dann die Provision an deutsche Partner und die Gefahr, verklagt zu werden, ist geringer, weil Forderungen gegen sie im Ausland schwerer zu vollstrecken sind. Noch neu ist die mögliche Folge, dass bei unbefriedigten Kundenerwartungen die Kunden einen Shitstorm auslösen und damit die Reputation beeinträchtigen können (da in einem anderen Land, in anderer Sprache, vielleicht nicht mal bemerkt vom osteuropäischen Touristikunternehmen). Diese Gefahr besteht freilich für alle, die im Internet agieren. Sehr realistisch sehe ich die Gefahr nicht, da sich individuell reisende Russlandbesucher häufig vielleicht in Russlandforen oder Anti-Scam-Foren austauschen, aber oft sind diese Gruppen zu klein (zu wenig Betroffene), um ernsthaft eine Stuhllawine auszulösen.
Hat ein potentieller Partner nun doch schon solche AGB, muss ich prüfen, ob diese AGB deutschem Reiserecht (weitgehend) entsprechen. Das bedeutet für mich erheblichen Arbeitsaufwand, bei dem ich in der Regel davon ausgehen darf, dass der Partner nicht bereit ist, diesen zu bezahlen. Das kann eine Hürde sein. Denn wer möchte schon soviel im Voraus leisten und dann beim Scheitern der Verhandlungen oder nach Aufnahme der Partnerschaft beim ersten Streit infolge von Missverständnissen einen Korb bekommen? Ich muss mir überlegen, ob ich mir jene AGB schon zur Kontrolle vornehme, bevor ich einen Agenturvertrag mit dem Partner habe. Vielleicht mache ich es davon abhängig, wie die Verhandlungen in Hinsicht auf den Abschluss eines Agenturvertrags verlaufen. Schiebt der russische Partner das so vor sich hin, sollte ich besonders vorsichtig sein.
Angenommen, es ist mir gelungen, den vom Partner verwendeten Geschäftsbedingungen für die Reisebuchung und -durchführung zu verbessern, mit einigem Argumentations- und Überzeugungsaufwand: dann steht die Frage, wo diese AGB gezeigt werden. Das ist dann auch Gegenstand des Agenturvertrags.
Zeige ich diese Veranstalter- oder Agentur-bedingungen auf meiner Website? Da, wo schon meine eigenen stehen? Der Kunde stellt womöglich fest, dass die AGB des Veranstalters für ihn ungünstiger sind und fragt sich, ob er die wirklich akzeptieren muss. Da geht ja dann ein Teil des Vorteils verloren, den er glaubte dadurch zu haben, dass er die Russlandreise oder Reise in die Ukraine in Deutschland kauft.
Außerdem könnten diese AGB, da sie auf meiner deutschen Seite stehen, der deutschen Rechtskontrolle durch Zivilgerichte unterliegen. Über die Rechtmäßigkeit der Klauseln meines Partners in Russland/der Ukraine nach deutschen oder EU-Maßstäben will ich aber gar nicht konfrontiert werden. Um das möglichst zu vermeiden, habe ich ein Eigeninteresse an der Qualität jener Reiseveranstalter-AGB. Das ist meine Motivation, darin Zeit zu investieren. Aber für das Ergebnis jener Verbesserungen möchte ich nicht verantwortlich gemacht werden, so, wie ich für meine eigenen AGB in Verantwortung stehe: Bezahlt bekomme ich diesen Aufwand ja auch nicht, so großzügig ist kaum ein Unternehmer mit seinem Partner in der Touristik. Am besten wäre, wenn mein osteuropäischer Partner meinem Vorschlag folgen würde, seine AGB für Deutschland von einem deutschen Anwalt erstellen zu lassen. Aber wer ist dazu schon bereit?
Es gibt diese Varianten des Umgangs mit der Konkurrenz der fremden und eigenen AGB:
- Tatsächlich Einbau in die eigene Website, Abdrucken in eigenen Reiseunterlagen für Kunden
- Nur einen Link oder auf sachlichen Werbeträgern (Flyer, Zeitungen) einen Hinweis auf die geltenden Bedingungen des Veranstalters/Leistungsträgers (Der Kunde muss sie sich selbst suchen.)
- So erscheinen, als sei man selbst der Organisator und als ob es gar keinen (anderen) Reiseveranstalter gäbe. White-Label-Lösung?
Beim Letzten macht man sich selbst zum Reiseveranstalter. Wo man keinen anderen Reiseveranstalter nennen kann oder will, ist man es selbst - gegenüber den Verbrauchern, nicht gegenüber dem russischen Partner. Ich analysiere diese Varianten weiter unten. Jedenfalls muss man diese Rolle dem Partner erklären, denn damit sind sich unterscheidende Risiken und Verpflichtungen verbunden, deren Erfüllung gerade auch von dem Partner abhängen. Und da ist es dann fair, wenn der Partner auch für seine schlechten Leistungen haften muss und dass entsprechende Haftungsregeln in den Agenturvertrag aufgenommen werden.
Jetzt komme ich zur Variante b).
2.2.2. Partner überlässt mir die Regelungen des Reisevertrags
b) Mein Partner lässt mich machen. Er formuliert nur seine Bedingungen und Vertragsstrafen und engen Fristen (die nach deutschem Reiserecht unwirksam wären) im Rahmen seines Agenturvertrags und ich kann sehen, wie ich diese meinen deutschen Kunden aufdrücke. Dass es in Deutschland ein strenges Reiserecht gibt, interessiert die Touristiker im Osten oft nicht. Oder sie haben einfach keine Idee, weil sie bisher noch nicht mit der Materie in Berührung gekommen sind, noch keine rechtlich kompetenten Partner im Ausland hatten, die sie dafür sensibilisiert haben (siehe oben: mangelnde Erfahrung im Auslandsgeschäft).
Ich als deutscher Partner passe nun meine Geschäftsbedingungen für meine deutschen/österreichischen Kunden so an, dass sie nicht den Bedingungen meines russischen/ukrainischen Partners widersprechen. Meine allgemeinen Geschäftsbedingungen sollten nicht verbraucherfreundlicher sein als die des osteuropäischen Partners, weil ich sonst das Risiko für die Differenz trage. Beispiel Stornostaffel: eine Pauschalierung der Entschädigung für entgangenen Gewinn und nutzlosen Aufwand bei Stornierung einer bestellten Reise, die ich an meinen Partner zahlen muss.
Diese Variante bedeutet keine Arbeit und keinen Aufwand für meinen Partner, keine Abstriche, die er machen muss von seinen Regeln. Das ist das Optimale für ihn.
Da ich natürlich als erster in der Haftung gegenüber meinen Kunden stehe (siehe oben unter 1.), kann ich dann, wenn ich mich dem östlichen Partner, seinen Regeln so unterordne, den Laden bald dicht machen.
Und was sind die Konsequenzen, wenn wir diese Variante weiter durchspielen?
2.3. Folgenbetrachtung
Ich brauche nicht nur einen, sondern mehrere osteuropäische Partner. Ein zweiter und ein dritter wollen ebenfalls, dass ich meine Geschäftsbedingungen an ihre anpasse, damit ihre Regeln auf meine Kunden durchgreifen können. - Ich kann aber meine Geschäftsbedingungen nicht zugleich mehreren russischen/ukrainischen Partnern anpassen. Ich müsste dann schon mehrere verschiedene Reisevermittler-Bedingungen benutzen, je nachdem, von wem ich die touristischen Produkte vermittle. Soll ich die alle auf meine Website stellen?
Das habe ich bisher kaum gesehen, außer mal bei Affiliates, die Suchmaschinen für carsharing auf ihrer Website platziert haben, oder ganze Online-Reisebüro-Läden, die an verschiedene Verkaufskanäle angeschlossen sind. Ich habe vor kurzem solche AGB gesehen, in denen es im Punkt zu der Stornogebühr verschiedene Stornogebührenstaffeln gibt. Die einen gelten für eine Flusskreuzfahrt, die anderen für die eine Fluggesellschaft, die anderen für eine andere Fluggesellschaft oder einen Reiseveranstalter. Das wird unübersichtlich und der Kunde wundert sich über diese Vielfalt. Und misstraut ihr und sucht woanders weiter...
Die Handhabung all der AGB wird schwierig, die eigene Position leidet darunter.
Vielleicht geht es nicht anders, wenn ich für eine Reise unterschiedliche Airlines nutze, mit denen ich direkt einen Agentur- oder Maklervertrag habe.
Im Sinne der Einfachheit ist es jedenfalls wünschenswert, wenn ich als Reisevermittler nur eine Version von Geschäftsbedingungen über den Abschluss von Reisen zeigen bräuchte. Tatsächlich ist das kaum zu verwirklichen, wenn ich meinen eigenen Agenturvertrag nicht bei meinem (potentiellen) Partnern zum Einsatz bringen kann.
Dieser Wunsch nach nur einer Version von AGB ist eher realisierbar für Reiseveranstalter, die direkt vertreiben. Sie verschmelzen ihre AGB mit dem Produkt.
Reisevermittler, die sich entschließen, die AGB ihrer Partner, deren Leistungen sie vermitteln, zu verwenden, entscheiden sich regelmäßig für lediglich einen Verweis auf die jeweiligen AGB der vermittelten Reiseveranstalter und Touristikdienstleister. Zwei Möglichkeiten bestehen für solche Verweise:
- direkte Verweise, per Nennung der Quelle und per Verlinkung auf die betreffende Unterseite (Deeplink) oder nur
- nebulöse Verweise der Art: Du Verbraucher bist selbst für Dich verantwortlich. Auf die AGB der Reiseveranstalter/Fluggesellschaften/Busbeförderer haben wir keinen Einfluss. Wir wollen uns auch nicht das Geschäft vermiesen durch Hinweis auf kundenbenachteiligende AGB.
Die zweite Variante ist das Nebel-Prinzip. Bei solchen Reisebüros bin ich als Kunde skeptisch, rechne ich mit einer abstrakt höheren Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Problemen bei der Reise(vertrags)abwicklung.
Die Entscheidung der Frage, wie die AGB des Partners dem Kunden mitgeteilt werden sollen, hängt also von meiner Rolle als Reisevermittler ab und den Aufgaben, die ich für meinen Partner übernehmen soll.
Auf die unterschiedlichen Rollen des Reisevermittlers gehe ich in meinen eigenen AGB Reisevermittlung deutlich ein. Solche Rollenerklärungen fehlen ganz überwiegend in den Reisevermittler-AGB. Achten Sie mal darauf in Zukunft, wenn Sie eine Reise oder auch nur einen günstigen Flug suchen im Internet! Gerade darin liegen auch zahlreiche Probleme, die die Verbraucher später dann haben, wenn Änderungen der Buchung notwendig werden oder Stornierungen. Darüber habe ich schon geschrieben.
Ich muss also versuchen, das Verständnis meines osteuropäischen Verhandlungspartners zu wecken. Entweder wir arbeiten dann an seinen AGB und seinen Agenturvertrag - dann übernehme ich die Rolle seines Vertreters in Deutschland und zeige seine AGB auf meiner Website und in meinen Prospekten. Oder mein Partner akzeptiert meinen vorbereiteten Agenturvertrag und verlässt sich auf meine AGB, die bereits mit unserem Rechtssystem konform geht und aber auch sonst fair ist und auch in deutscher und russischer Sprache vorhanden ist. In diesem Falle kann ich die Funktion des Maklers ausüben. Beim Verbraucher dürfte diese Rolle besser ankommen, weil er damit tendenziell mehr Neutralität assoziiren dürfte.
2.4. Schlechte Erfahrung
Ich habe aber doch einmal versucht, den mir gegebenen fremden AGB-Text zu übersetzen und zu sehen, ob er sich benutzen lässt unter ein paar nicht zu aufwändigen Änderungen. Als ich damit fertig war, sagte mein potentieller Partner, dieser Vertrag soll nicht mehr gelten, sondern ein anderer. Und ich sollte also noch mal von vorn anfangen: einen anderen Vertragstext übersetzen und dann die Regeln prüfen, inwieweit akzeptabel und wo zu ändern. Das war sehr rücksichtslos von meinem potentiellen Partner und hat mich so verärgert, dass die Verhandlungen stecken geblieben sind. Ein Fehler hierbei, der mir unterlaufen ist, war, nicht gleich am Anfang mit dem Verhandlungspartner meine Rolle als Reisevermittler definiert zu haben. Das halte ich für überaus wichtig.
2.5. Vertragsformular vom Partner nur in russisch oder russisch/englisch oder ukrainisch/englisch vorhanden.
Wir brauchen aber auch eine Übersetzung ins Deutsche. Davon abgesehen, dass diese zu erstellen eine Zeit dauert, will der Partner das nicht bezahlen. Vielleicht hat er deutschsprachige Mitarbeiter, die das übersetzen könnten. Aber erstens, von der Muttersprache weg zu übersetzen schwerer als in die Muttersprache. Ich würde dann als Muttersprachler auch nachhelfen. Aber zweitens bekommt man eben doch zu hören: Keine Zeit, das bringt keinen Umsatz (sic! Kurzsichtigkeit). Kurzsichtige Verhaltensweisen treten erfahrungsgemäß häufiger in Unternehmen auf, in denen junge Menschen arbeiten, denen Lebenserfahrung fehlt, die auf schnellen Gewinn aus sind. Von denen kann man oft keine große Treue erwarten, weshalb man auch nicht viel Zeit in die Geschäfts-Pflege investieren sollte, sollte man Indizien dafür entdecken, die einem kein gutes Gefühl geben.
2.6. White-Label-Lösung
Bei der White-Label-Lösung wird das Produkt des Partners gegenüber den Kunden als eigenes Produkt dargestellt, wird mit dem eigenen Branding verbunden. Dann kann man den Kunden nicht an den Partner verweisen, wenn das Produkt Mängel hat. Gegenüber dem Kunden ist man Reiseveranstalter. Was die Haftung für Mängel gegenüber dem Kunden kostet, muss intern mit dem Partner abgerechnet werden. D.h. es muss Klauseln über den Ersatz dieser Kosten geben und Vertragsstrafenklauseln. Vor solchen Klauseln drückt sich der Partner gern. Er sieht für sich selbst Probleme, derlei Klauseln gegenüber seinen Partnern in seinen Verträgen zu installieren. Jedes Mal, wenn man über die Haftung wegen Nichterfüllung oder Schlechtleistung verhandelt, geht es darum, wer ist der stärkere Partner und wer ist mehr daran interessiert, den Vertrag zu bekommen. Der gibt dann zuerst nach (entweder Akzeptanz der nichtgewünschten oder Verzicht auf erwünschte Haftungsregelungen).
Als Reiseveranstalter bin ich daran interessiert, meine Kunden zu Stammkunden zu machen. Ich muss daran interessiert sein, dass mein Partner mir meine Kunden nicht abwirbt, also das white label aufdeckt. Entsprechende Schutzklauseln brauche ich in meinem Partnervertrag.
Beispiel: Die Hotelportale arbeiten mit Affiliates zusammen und bieten ihnen verschiedene Banner und Formulare zum Einbau in ihre Website an. Darunter sind auch white-label-Suchmasken. In einer Ecke steht aber doch die Marke von Hotel.de oder HRS. Und auch wenn ich beim ersten Klick auf die Suchmaske zu deren Seite umgeleitet werde, handelt es sich nicht um white label. Die spezifischen white-label-Vorteile bestehen gar nicht. Aber doch werden Affiliates damit umworben.
Als deutscher Reiseveranstalter muss ich also die Identifizierung oder Identifizierbarkeit meines ausländischen Partners kontrollieren (beherrschen). Das gehört in den Agenturvertrag.
3. Nicht akzeptable Klauseln
3.1. Beispiele für unzulässige oder jedenfalls unbillige Klauseln, die östliche Partner durchsetzen wollen
3.1.1 Verkürzung der Frist, während der der Reisende Mängel der Reiseleistungen geltend machen kann. Z.B. auf nur 2 Wochen oder eine Woche. Nach deutschem Reiserecht hat der Reisende jedoch 4 Wochen Zeit, § 651g Abs. 1 BGB.
3.1.2. Fristen, in denen der Reisepreis zu zahlen ist, sind zu kurz.
Hier kam es mir schon vor, dass die Zeit für die Transferierung des Geldes nach Russland gar keine Berücksichtigung fand.
3.1.3. Als gewährleistungspflichtige Reisemängel werden nur solche Mängel akzeptiert, für deren Entstehung der russische Partner vorsätzlich oder (grob) fahrlässig beigetragen hat. Nach deutschem Reiserecht haftet ein Reiseveranstalter für Reisemängel unabhängig davon, ob die Mängel ihm zuzurechnen sind. Auf Verschulden kommt es nicht an. Die Haftpflichtversicherung des deutschen Reisebüros steht für dessen Haftungsrisiken ein, aber nicht für Sachmängel, die in der Sphäre des russischen Partners als Reiseveranstalter oder Leistungsträger liegen.
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